Nicht erst seit der digitalen Medialisierung des Unterrichts stellt sich die Frage, ob sich die Rolle des Mediums im Unterricht wandelt oder ob dieser Wandel durch Technisierung nur zugeschrieben wird. Fakt ist, dass sich die Medien wandeln. Der wissenschaftliche Diskurs zu digitalen Medien im Unterricht wird bisher verhalten geführt. Medienhersteller argumentieren mit vielen Vorteilen wie beispielsweise höherer Motivation, Entwicklung von Kompetenzen sowie der Verbesserung der Lernergebnisse. Auch Praxisratgeber für Lehrkräfte werben für digitale Medien. Pädagogische Mehrwertvermutungen werden jedoch kaum hinterfragt. Im deutschsprachigen Raum werden Studien zur Wirksamkeit digitaler Medien überwiegend von Stiftungen und Herstellern (ko-)finanziert. Die vorgelegte empirische Studie, die an Schweizer Schulen durchgeführt wurde, ist allein schon deshalb begrüßenswert, stellt sie sich doch der Aufgabe, die Wirkung digitaler Medien in Lehr-Lernprozessen empirisch zu untersuchen.
Die Autoren untersuchen den Einsatz eines handelsüblichen USB-Sticks, der in Schweizer Schulen eine hohe Verbreitung hat und der mit einem speziell für Schulen angepassten Betriebssystem und zahlreichen weiteren Applikationen (z. B. Lernprogrammen) ausgestattet ist. Die Studie intendiert, die Akzeptanz und Wirkung des USB-Sticks im Unterricht zu untersuchen. Dazu wurde eine Vergleichsstudie in drei ausgewählten Fächern durchgeführt. Geprüft werden sollte, ob Lernen mit dem USB-Stick dazu beiträgt, mehr Fachkenntnisse und überfachliche Kompetenzen, höhere Methodenkompetenz, vertiefte Sozial- und emotionale Kompetenz sowie erweiterte Selbst- und Persönlichkeitskompetenz aufzubauen und zu fördern. Im Forschungssetting wurden Untersuchungsgruppen mit Lernstick und Kontrollgruppen, die ohne USB-Stick, aber ebenfalls computerunterstützt lernten, wiederholt befragt. Mehr als 900 Schülerinnen und Schüler fünfter und sechster Klassen und weitere 259 Personen (Lehrpersonen, Schulleitende, ICT-Verantwortliche und Eltern) wurden befragt. Insofern liegt eine insgesamt beeindruckende Stichprobe vor.
Um es vorwegzunehmen, die empirische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass computerunterstütztes Lernen mit USB-Stick zu gleichen Ergebnissen hinsichtlich der Kompetenzentwicklung führt wie das computerunterstützte Lernen ohne USB-Stick. Das war erwartbar gewesen, nun ist es aber auch wissenschaftlich belegt. Die Untersuchungsergebnisse geben gleichzeitig deutliche Hinweise auf multidimensionale Einflussfaktoren im Umgang mit digitalen Medien im Unterricht. Weitere Ergebnisse der Studie sind, dass die Qualität der Lernprogramme als nicht ausreichend eingeschätzt wird und dieser für die Schule präparierte USB-Stick außerhalb von Schule zu selten eingesetzt wird. Das führt die Autoren zu der Empfehlung, den Lernstick unter pädagogisch-didaktischen Aspekten weiterzuentwickeln, ihn mit geeigneter Software auszustatten und die Lehrkräfte im Umgang mit dem USB-Stick gezielt aus- und weiterzubilden. Darüber hinaus empfehlen sie die Förderung der außerschulischen Nutzung des USB-Sticks. Alles in allem sehen sie damit die Möglichkeit, das Potential des Einsatzes des USB-Sticks vollständig auszuschöpfen.
Der Theorieteil der empirischen Studie bildet eine gewisse Breite des wissenschaftlichen Diskurses zu Medien und eLearning mit einer durchaus kritischen Sicht ab. Die Autoren schaffen es aber nicht immer, sich zu einer eigenen Position zu entschließen. Interessant erscheint hier die phänomenologische Betrachtung des Mediums: der Lernstick wird als Personal Learning Environment im Rahmen von eLearning betrachtet. Folgt man diesem Gedanken, ist man jedoch eher bei Fragen zur Gestaltung von Lehr-Lernumgebungen (einschließlich des Einsatzes von Medien) als bei einer vorschnellen Inbezugsetzung zur Kompetenzentwicklung. Und genau das zeigen ja auch die Ergebnisse der Studie, indem multidimensionale Einflussfaktoren auf die Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern konstatiert werden. Damit ist man jedoch bei der Prämisse angelangt, nach der bei der Planung von Lernangeboten die Lehr-Lerninhalte, pädagogische Ziele und Methoden zu bestimmen sind. Zwar sind Methoden- und Medienentscheidungen in Bezug zu Ziel und Inhalt in didaktischen Ansätzen unterschiedlich gewichtet, der Nachweis eines direkten Einflusses der Medienwahlentscheidung auf den Lernerfolg dürfte indes schwer fallen, da für den Lernerfolg, wie auch die Hattie-Studie zeigt, insbesondere die Lehrkraft mit ihren auch situativen pädagogischen Entscheidungen im Lernprozess eine herausgehobene Bedeutung besitzt. Wenn die Autoren also in der universalen Beurteilung von eLearning die Gefahr von Fehleinschätzungen sehen (19), kann man sich dem nur anschließen.
Kompetenztheoretische Ausführungen erscheinen aufgrund der Fragestellung und der Zielsetzung der empirischen Studie essentiell, geht es doch darum, die Wirkung des Lernsticks als Lernmedium auf die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu untersuchen. Begriffe und Definitionen zur Kompetenz werden auch aus dem Lernbegriff heraus kritisch diskutiert, wobei auch auf eine Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz hingewiesen wird. Dazu wird das Kompetenzmodell von Jürgens und Sacher [1] zu Grunde gelegt. Das Forschungsinteresse wird jedoch unerwartet und unter Verweis auf einen erweiterten Lernbegriff hinsichtlich Klassenklima, Selbstwert, Aufmerksamkeit u. a. erweitert. Diese neu im Forschungsinteresse stehenden Konstrukte werden theoretisch nicht gefasst und auch nicht auf ihre Messbarkeit hin untersucht.
Die Autoren differenzieren einerseits zwischen unterschiedlichen didaktischen Zwecken bzw. Funktionen des Medieneinsatzes. Obwohl der Lernstick selbst zahlreiche Applikationen enthält (Arbeitswerkzeuge, Lehrprogramme, Lernwerkzeuge, Lernprogramme, Informatikprogramme), wird dieses Faktum jedoch andererseits nicht in die Untersuchung aufgenommen und nicht ausdifferenziert. Die Untersuchung fragt nur nach dem grundsätzlichen Einsatz des Lernsticks. In dieser pauschalen Untersuchung eines Mediums liegt die grundsätzliche Schwierigkeit. Gerade weil unterschiedliche Applikationen kategorisiert wurden, hätte man die Verwendung der einzelnen Applikationen untersuchen müssen. Und man hätte sich konsequent zu einer didaktischen Einordnung des USB-Sticks entschließen müssen. So bleibt der USB-Stick ein Chamäleon, indem er mal als Lernstick, mal als Lernbegleiter, Lerninstrument, Lernwerkzeug, Lernmedium, Arbeitswerkzeug oder mobiler Lernbegleiter bezeichnet wird.
Insofern wäre es besser gewesen, das Untersuchungsdesign von vornherein anders anzulegen. Wenn Unterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne Stick angenommen werden, hätte man gerade die Mobilität als Distinktion setzen können. Darüber hinaus hätten eigens dazu „sinnvolle“ Unterrichtseinheiten entwickelt und untersucht werden können, die ja ausdrücklich von den Autoren angemahnt werden.
Insgesamt liefert die Studie zwar keine neuen Ergebnisse, sondern nur Belege für die in der Publikation an mehreren Stellen ausführlich beschriebene Technikfalle. Aber es liegt eine sehr ambitionierte Arbeit vor, die insbesondere durch die Wahl der Messinstrumente besticht. Die Studie ist dem geneigten Leser zu empfehlen, der sich einen Überblick zu der Thematik verschaffen will. Der besondere Wert der Arbeit wird in der Einordnung des Lernsticks in Personal Learning Environment (PLE) gesehen. Daran kann und sollte man in weiteren Untersuchungen anknüpfen.
[1] Jürgens, E. / Sacher, W. (2008): Leistungserziehung und pädagogische Diagnostik in der Schule. Grundlagen und Anregungen für die Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.
EWR 13 (2014), Nr. 3 (Mai/Juni)
Der Lernstick in der Schule
Eine empirische Studie zur Akzeptanz und Wirkung eines Lerninstruments im Unterricht
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013
(134 S.; ISBN 978-3-7815-1905-3; 29,90 EUR)
Gabriele Graube (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gabriele Graube: Rezension von: Grunder, Hans-Ulrich / Finger, Christian / Romanyuk, Yuliya / Sommer, Tim / Raemy, Patric: Der Lernstick in der Schule, Eine empirische Studie zur Akzeptanz und Wirkung eines Lerninstruments im Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151905.html
Gabriele Graube: Rezension von: Grunder, Hans-Ulrich / Finger, Christian / Romanyuk, Yuliya / Sommer, Tim / Raemy, Patric: Der Lernstick in der Schule, Eine empirische Studie zur Akzeptanz und Wirkung eines Lerninstruments im Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151905.html