EWR 12 (2013), Nr. 5 (September/Oktober)

Rolf Werning / Ann-Katrin Arndt (Hrsg.)
Inklusion: Kooperation und Unterricht entwickeln
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013
(248 S.; ISBN 978-3-7815-1898-8; 18,90 EUR)
Inklusion: Kooperation und Unterricht entwickeln Mit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 ist in Deutschland eine rechtliche Grundlage für die Gestaltung einer inklusiven Schule geschaffen worden. Damit ist das Ziel verbunden, allen Schüler/-innen gleichberechtigte Teilhabe an Bildung(-sprozessen) zu ermöglichen und Diskriminierungen (im Bildungsbereich) abzubauen. Vor diesem Hintergrund haben alle Kinder einen Anspruch auf Beschulung in einer allgemeinen Schule. Damit einhergehend sind Lehrpersonen dazu herausgefordert, einer zunehmend heterogenen Schülerschaft zu begegnen und einen Unterricht zu gestalten, der allen Schüler/-innen Lern- und Entwicklungsprozesse ermöglicht. Rolf Werning und Ann-Katrin Arndt führen in diesem Zusammenhang an, dass es zum pädagogischen Verständnis der allgemeinen Schule dazugehören sollte, sich für alle Schüler/-innen (gleichermaßen) verantwortlich zu fühlen und die Sonderpädagogik als Unterstützung bei besonderen Förderbedarfen zu sehen. Kooperation kann in diesem Zusammenhang als ein wichtiges Moment verstanden werden, den Herausforderungen einer inklusiven Schul- und Unterrichtsentwicklung zu begegnen.

Kooperation bildet mit Bezugnahme auf inklusive Unterrichtsentwicklung den zentralen Ausgangspunkt im Sammelband „Inklusion: Kooperation und Unterricht entwickeln“ von Rolf Werning und Ann-Kathrin Arndt. In drei Kapiteln gehen die Autoren/-innen unterschiedlichen Fragestellungen auf theoretischer und empirischer Ebene nach und stellen Bezüge zur Praxis her. Während sich sechs Autoren/-innen im ersten Teil mit „Kooperation von Regelschulkräften und Lehrkräften für Sonderpädagogik“ auseinandersetzen, wird im zweiten Teil „Lernen und Kooperation im Unterricht“ von zwei Autoren/-innen fokussiert. Das Buch schließt mit zwei Beiträgen zu „Kooperation zwischen Bildungsinstitutionen am Beispiel des Übergangs Kindergarten – Grundschule“ ab. Im Folgenden werden die Artikel der drei Bereiche kurz vorgestellt und im Anschluss daran diskutiert.

Im ersten Teil widmen sich Werning und Arndt der „Unterrichtsbezogenen Kooperation von Regelschullehrkräften und Lehrkräften für Sonderpädagogik“ und präsentieren Ergebnisse ihrer qualitativen und mehrperspektivischen Forschung. Untersucht wurden Lehrkräfte einer Integrierten Gesamtschule anhand von Gruppendiskussionen, Unterrichtsbeobachtungen und episodischen Interviews. Dabei zählt zu den Ergebnissen, dass Kooperation im Unterricht zwischen den Lehrkräften im Wesentlichen durch die Möglichkeiten bestimmt ist, sich außerhalb des Unterrichts auszutauschen. Es wird kritisch angemerkt, dass die Vorstellungen der Lehrkräfte bezüglich der Rollen- und Aufgabenverteilung sowie dem Rückgriff auf äußere Differenzierungsformen zu hinterfragen sind. Allerdings heben sie auch hervor, dass die Lehrkräfte Kooperation positiv gegenüberstehen. Zu ähnlichen Ergebnissen bezüglich Rollenverteilung, äußerer Differenzierung sowie Einstellungen von Schüler/-innen zu Kooperation kommen Arndt und Annika Gieschen in ihrer ebenfalls quantitativ angelegten Forschung „Perspektiven von Schüler/-innen auf Kooperation von Regelschullehrkräften und Lehrkräften der Sonderpädagogik im gemeinsamen Unterricht“. Die Autorinnen vergleichen Ergebnisse der beiden explorativen Forschungen aus zwei Integrierteten Gesamtschulen und stellen heraus, dass Kooperation in dem Sinne zur inklusiven Unterrichtsentwicklung beiträgt, als dass Schüler/-innen individuelle Unterstützungsmöglichkeiten als verbesserte Lernatmosphäre empfinden und Lernprozesse dadurch eröffnet werden. Dabei werfen sie die Frage auf, „ob die Relevanz der Unterstützung durch die Lehrkräfte – ebenso wie die deutliche Präsenz des Förderraums und einer äußeren Differenzierung – auch dadurch bedingt ist, dass eher eine Anpassung der Schüler/-innen fokussiert wird als eine Anpassung des Unterrichts an die (Leistungs-) Heterogenität.“ (60)

Lena Voß vergleicht mit ihrem Beitrag die Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in Bezug auf ihre Wegbereiterfunktion für Inklusion. Zu den zentralen Ergebnissen ihrer qualitativen Studie, die auf Gruppendiskussionen mit Sonderpädagog/-innen und Grundschullehrkräften beruht, zählt, dass Inklusion in beiden Bundesländern noch Entwicklungsbedarfe aufzeigt. So geht aus den Gruppendiskussionen der Wunsch der Lehrkräfte hervor, Sonderpädagog/-innen an die allgemeine Schule anzubinden, indem Ressourcen nicht mehr kind- sondern institutionsgebunden verteilt werden. Als eine Wegbereiterfunktion hält die Autorin ebenfalls fest, dass Grundschullehrkräfte in inklusive Prozesse stärker eingebunden werden sollten und sich ebenso zuständig für Inklusion fühlen sollten wie Sonderpädagog/-innen. Professionsspezifische Zuständigkeitsbereiche werden auch von Dirk Reiche aufgegriffen, der prozesshaft Überlegungen von Sonderpädagog/-innen zur Erarbeitung von Tätigkeitsbeschreibungen für Lehrkräfte einer Integrierten Gesamtschule der Sekundarstufe I in Hannover beschreibt. Reiche stellt anhand einer Arbeitsplatzbeschreibung mögliche Formen der Einbindung von Sonderschulpädagogen/-innen zusammen und leistet somit einen praxisorientierten Beitrag zu Umsetzungsformen kooperativer Zusammenarbeit im Sinne inklusiver Unterrichtsentwicklungen. Daran anschließend hat Jessica M. Löser Möglichkeiten herausgearbeitet, wie Kooperation auf schulischer Ebene etabliert werden könnte. Dabei stellt Löser international vergleichend das „Support Teacher Model“ vor und gibt Einblick in andere nationale Kontexte von Kooperation und Unterricht. Dies bietet einerseits Möglichkeiten, Kooperationsformen hinsichtlich einer inklusiven Entwicklung insbesondere der Arbeitsbereiche von Förderschullehrkräften kritisch zu hinterfragen. Andererseits zeigt die Autorin auf, dass sich die Orientierung an Modellen und Strukturen positiv auf Kooperationsprozesse auswirken kann. Pädagogische Qualitäten können gesteigert werden, indem Arbeitsbereiche klar abgesteckt und professionsspezifische Kompetenzen berücksichtigt werden. Fachkompetenzen werden auch von Michele Eschelmüller thematisiert. In seinem Artikel behandelt er den Einfluss von Unterrichtsteams auf die Kompetenzfortschritte und die Zufriedenheit von Lehrkräften in integrativen Schulsettings des Kantons Aargau in der Schweiz.

Im zweiten Teil des Buches widmen sich die Autor/-innen dem „kooperativen Lernen im inklusiven Unterricht“. Meltem Avci-Werning und Judith Lanphen diskutieren in ihrem Beitrag kooperatives Lernen als Unterrichtsform für heterogene Lerngruppen. Dabei beschreiben sie fünf Basiselemente, die für das kooperative Lernen relevant sind. Ihre Diskussion führt zu dem Schluss, dass die Methode des kooperativen Lernens für heterogene Gruppen geeignet ist, da Bildungschancen Einzelner gefördert und Benachteiligungen reduziert werden können. Rainer Mangels führt in Bezug auf Bildungschancen einzelner Schüler/-innen die Auswirkungen metakognitiver Kompetenzen auf den Schulerfolg an und untersucht anhand einer theoriegeleiteten Analyse, wie metakognitive Kompetenzen im Mathematikunterricht im Primarbereich angebahnt werden können. Er diskutiert methodische Aspekte und fokussiert die Analyse der Prozesse des individuellen Erwerbs metakognitiver Problemlösestrategien, wofür er Unterrichtssequenzen einer Grundschul- und einer Förderschulklasse untersucht. Er kommt zu dem Schluss, dass die Aneignung metakognitiver Kompetenzen ein Prozess ist, der langwierig ist und der Vorbereitung/Planung bedarf. Unterricht sollte präventiv werden, um inklusiven Unterricht ohne Separation anzubieten, in dem die Schüler/-innen auf die Kompetenzen zurückgreifen können.

Im dritten Teil werden Themen zur „Kooperation zwischen Bildungsinstitutionen am Beispiel des Übergangs Kindergarten – Grundschule“ bearbeitet. Michael Lichtblau, Sören Thoms und Werning widmen sich den Interessenslagen von Kindern und untersuchen den Umgang mit diesen im Kindergarten und der Grundschule. Zu den zentralen Ergebnissen zählt, dass die Interessen der Kinder im Kindergarten aufgegriffen und berücksichtigt werden, während in der Schule kein Raum hierfür gelassen wird. Die Schule stellt somit einen Bruch individueller und selbstorganisierter Lernentwicklung dar. Insbesondere der Schuleintritt sollte dabei besonders berücksichtigt werden. Dies wird in dem Beitrag von Antje Rothe aufgegriffen, die den professionellen Umgang mit Heterogenität am Schulanfang und genauer den Informationsaustausch von Erzieher/-innen und Lehrer/-innen untersucht hat. Dabei geht sie auf Kooperationsformen von Kindergarten und Schule ein und stellt im Anschluss daran Ergebnisse der Forschung vor. Diese sind vielschichtig und deuten auf Verschränkungen der beiden Professionen hin.

Die Beiträge des Sammelwerks zeigen die Relevanz auf, die Kooperation und Unterrichtsentwicklung bei inklusiven Entwicklungsprozessen einnehmen. Die Autor/-innen sehen in den Ergebnissen ihrer Studien bisherige Forschungsergebnisse bestätigt und bieten Diskussionen sowie Ausblicke für die zukünftige Auseinandersetzung mit der aufgeworfenen Thematik an. Eine Stärke des Bandes besteht darin, dass er Möglichkeiten der unterrichtsbezogenen Inklusionsforschung aufzeigt und weiterentwickelt. Zudem bieten die vorgestellten Artikel mit praktischen Überlegungen aus der Perspektive verschiedener Professionen insbesondere Lehrkräften eine Orientierungsfolie, wie sich den Herausforderungen inklusiver Unterrichtsentwicklung im Kontext von Kooperation gestellt werden kann.
Sandra Wlodarczyk (Basel)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sandra Wlodarczyk: Rezension von: Werning, Rolf / Arndt, Ann-Katrin (Hg.): Inklusion: Kooperation und Unterricht entwickeln. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151898.html