EWR 13 (2014), Nr. 6 (November/Dezember)

Sammelrezension zum Thema: Schulische Inklusion in den USA und Canada

Magdalena Johnson
Schulische Inklusion in den USA – ein Lehrbeispiel für Deutschland?
Eine Analyse der Vermittlung von Ansätzen der Inklusion durch die Zusammenarbeit mit einem outside change agent
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013
(244 S.; ISBN 978-3-7815-1892-6; 32,00 EUR)
Andreas Köpfer
Inclusion in Canada
Analyse inclusiver Unterrichtsprozesse, Unterstützungsstrukturen und Rollen am Beispiel kanadischer Schulen in den Provinzen New Brunswick, Prince Edward Island und Québec
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013
(290 S.; ISBN 978-3-7815-1917-6; 34,00 EUR)
Schulische Inklusion in den USA – ein Lehrbeispiel für Deutschland? Inclusion in Canada Die massive, globale Bildungsexpansion hat kein Land unberührt gelassen. Zudem wachsen stetig die Zahlen der als sonderpädagogisch förderbedürftig wahrgenommenen Kinder und Jugendlichen. Obwohl in vielen Ländern immer mehr dieser Schülerinnen und Schüler in Regelklassen unterrichtet werden, ist ihr Anteil in separaten Klassen oder Einrichtungen nicht rückläufig. Trotz vielfältiger Reformvorhaben auf unterschiedlichen Ebenen des Bildungssystems werden Schülerinnen und Schüler mit wahrgenommenem Förderbedarf weiterhin stigmatisiert und segregiert. Gleichzeitig wird Bildung zunehmend als Menschenrecht verstanden, das in dem Leitgedanken „Bildung für Alle“ (Education for All) und der zumindest rhetorisch zur globalen Norm gewordenen „inclusive education“ zum Ausdruck kommt. Diese spannungsreichen Entwicklungen variieren geographisch in verschiedenen Dimensionen und in mannigfacher Hinsicht erheblich. Die Thematik sonderpädagogischer Förderung – und damit auch inklusive Bildung – ist seit jeher von Ambivalenzen und Konflikten durchsetzt. Beide werden in den aktuellen weltweiten Debatten evident. Es wird eine Bandbreite an Förderorten bereitgestellt und nach Lösungen für die sich zunehmend stellende Frage nach der optimalen individuellen Förderung jede/r Schüler/in gesucht.

Vor diesem Hintergrund werden die Versuche des „Lernens von anderen“ immer üblicher, um als innovativ verstandene Bildungsreformen zu fördern und zu steuern, auch die der „inclusive education“. Bisher wurden jedoch kaum tiefgreifende oder gar explizite internationale und interregionale Vergleiche durchgeführt. Dies ist umso erstaunlicher, weil es gute Gründe gibt, diese, in der Bildungsforschung wie Erziehungswissenschaft relativ rare, komparative Perspektive gerade im Bereich der inklusiven Bildung einzunehmen. Die Unterstützung spezifischer Gruppen in sonderpädagogischen Einrichtungen hat sich vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht etabliert, so dass die Betrachtung dieser Entwicklungen viel über die Definitionen von individuellen Lernfortschritten und -schwierigkeiten, aber auch über die Ursprünge von Bildungssystemen insgesamt aussagen kann. Besonders die Leitprinzipien und Begründungen schulischer Strukturen und des pädagogischen Handelns unter der Bedingung von Heterogenität – die in jeder Klasse und jeder Schule vorhanden sind – können so aufgedeckt werden. Nach Dekaden der Geringschätzung genießt die Sonderpädagogik heute, aufgrund der Umsetzung inklusiver Bildungsreformen, verstärkte Aufmerksamkeit; deren Interessen und Rollen für und wider der Umsetzung solcher Reformen sind in den meisten Ländern konflikthaft. Eine ländervergleichende Perspektive ermöglicht sowohl – Selbstverständlichkeiten hinterfragend – Kritik des Status quo, als auch historische Vergleiche, die die Kontingenz von Entwicklungen unterstreichen [1]. Im Umkehrschluss bestätigen solche Studien die Potenziale des Wandels und zeigen oft konkrete Reformschritte auf, die allerdings eines kulturellen und strukturellen Transfers bedürfen, um konkret und erfolgreich übersetzt und angewandt werden zu können. Ähnlich müssen wissenschaftliche Erkenntnisse aus anderen Kontexten sprachlich übersetzt werden; zu oft verhindern in der Pädagogik wie Erziehungswissenschaft Sprachbarrieren die Vermittlung der Befunde relevanter Studien in anderen „scientific communities“.

Vor diesem Hintergrund bieten die vorgelegten Dissertationen zu Reformen zu inklusiveren Schulen in den USA von Magdalena Johnson und in Kanada von Andreas Köpfer den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern wichtige Quellen für die wissenschaftliche und bildungspolitische Auseinandersetzung entlang von Ländern, die schon länger versuchen, die schulische Segregation zu reduzieren; oft mit Erfolg. Einerseits liefern beide Bücher ein tiefgreifendes Verständnis der oft verkürzt dargestellten Entwicklungen Nordamerikas im Bereich der inklusiven, schulischen Bildung. Andererseits berichten diese Studien über wesentliche Wandlungsprozesse in der sonderpädagogischen Förderung – vor allem auf Schulebene in bestimmten US-Bundesstaaten bzw. kanadischen Provinzen – in nationalen Kontexten, die oft pauschal als vorbildhaft gelten. Die beiden analysierten föderalen Bildungssysteme Nordamerikas bieten wertvolle Vergleichsmöglichkeiten. Dies insbesondere für die in Deutschland aufflammende Debatte nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 und im Zuge der (meist schleppenden) Umsetzung inklusiver Bildungsreformen.

Johnson und Köpfer sind von der Vorstellung motiviert, in ausgewählten Regionen der USA bzw. Kanadas gefundene, gelungene schulische Praxen in die deutsche Fachdiskussion zu importieren – als „Anregungen“ (Johnson) oder „Impulse“ (Köpfer) für konkrete Schulreformen in Deutschland. Zugegebenermaßen sind die Herausforderungen dabei groß, denn zum interkulturellen Verständnis müssen historische Entwicklungsprozesse rekonstruiert und aktuelle Praxen komplexer Bildungssysteme nachvollzogen werden – und für das Aufnahmeland übersetzt werden. Im Folgenden soll jede Studie kurz skizziert werden bevor im Resümee ein gemeinsamer Blick auf die erforschten Schulen Nordamerikas geworfen wird und einige Herausforderungen internationaler und interkultureller Vergleiche inklusiver Bildung diskutiert werden.

(1) „Schulische Inklusion in den USA – ein Lehrbeispiel für Deutschland?“

Das Buch von Magdalena Johnson gliedert sich in sechs Kapitel. Zuerst definiert die Autorin das Ziel ihrer Studie und präsentiert einen kurzen Überblick über komparative Ansätze in der sonderpädagogischen Forschung. Im zweiten Kapitel werden historisch-gesellschaftliche, gesetzliche und bildungspolitische Rahmenbedingungen des Schulwesens, der Sonderpädagogik und der schulischen Inklusion in den USA referiert sowie an einigen Stellen explizite Vergleiche zwischen den USA und Deutschland gezogen. Die Entwicklung von „mainstreaming“ über „integration“ hin zur „inclusion“ im US-amerikanischen Fachdiskurs und in relevanten Gesetzestexten werden im dritten Kapitel bezogen auf den US-amerikanischen Kontext rekonstruiert.

Darüber hinaus werden hilfreiche Darstellungen der Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs und der Förderorte mit statistischen Daten (nach SPF-Kategorie und Förderort) verknüpft. Weiter arbeitet Johnson Prinzipien und Faktoren erfolgreicher inklusiver Schulen heraus, die auf Englisch betitelt und auf Deutsch beschrieben werden: visionary leadership, collaboration and cooperation, refocused assessment, staff and student supports, curricular adaptation and instructional practice und parental involvement. Damit werden unterschiedliche Gelingensbedingungen der schulischen Inklusion wie charismatische Führung, Zusammenarbeit und Kooperation, veränderte Evaluation, Unterstützung der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler, Anpassungen der Curricula und Lehrpraxen sowie die Beteiligung von Eltern benannt und ihre Wirkung analysiert. Weiter werden wesentliche Barrieren gelingender Umsetzung thematisiert, wie unzureichende Lehrerbildung, unangemessene organisatorische Strukturen, fehlende Entwicklung einer gemeinsamen Schulkultur oder schlechte Leitungsqualität. Diesen prävalenten Hindernisse sollen die „outside change agents“ (89ff), die das Kernkonzept der Studie bildet, entgegenwirken.

Johnson bezieht ihre Untersuchung auf den Bundesstaat Maryland, in dem durch die Maryland Coalition for Inclusive Education, eine gemeinnützige Organisation, die Institutionalisierungsprozesse der schulischen Inklusion in ausgewählten Schulen Marylands maßgeblich „von außen“ vorbereitet und über längere Zeiträume begleitend unterstützt hat. Im vierten Kapitel werden Fragestellung, Theorie, verschiedenen Methoden und Erhebungsinstrumente (standardisierter Fragebogen im Bezirk Cecil County; Experteninterviews; Teilnehmende Beobachtung in zwei Grundschulen) sowie Auswertungen dargestellt. Daran anschließend werden die vielfältigen und spannenden Ergebnisse der empirischen Untersuchung im umfassenden fünften Kapitel (144–211) vorgestellt, sie bleiben aufgrund der Fülle des Materials allerdings unübersichtlich. Im abschließenden sechsten Kapitel (212–224) unternimmt die Autorin den Versuch, ihre vielfältigen Befunde zusammenzufassen, theoretisch fruchtbar zu machen (z. B. im Modell für die Begleitung von Schulen im Inklusionsprozess durch einen „outside change agent“, 218) – und für eine mögliche Rezeption im deutschen Kontext vorzubereiten. Gewinnbringend nutzt Johnson das Konzept der „change agents“, um die Notwendigkeit und Formen vielfältiger Unterstützung für die Transformation inklusiver Schulen detailliert zu verfolgen. Theoretisch wird der Neo-Institutionalismus genutzt, um unterschiedliche – die kulturell-kognitive der Bewusstseinsbildung, die normative der Organisationsformen und der beteiligten Professionen und die regulative der rechtlichen Basis– zu analysieren. Im Sinne eines Methodenmixes werden standardisierte Fragebögen mit Experteninterviews und diverse ethnographische Methoden in den Reformschulen, etwa Teilnehmende Beobachtung, verknüpft. Dies trägt zum Verständnis schulischer Prozesse maßgeblich bei. Positiv hervorzuheben ist, dass die Verfasserin selbst über viele Monate vor Ort gelebt und in den Schulen gearbeitet hat. Dies lässt die Berichte sehr überzeugend und differenziert erscheinen. Kritisch anzumerken sind die Eliminierung einiger Anhänge der ursprünglichen Dissertation und die verbliebenen typografischen Fehler. Die von der Autorin formulierte Zielsetzung, mit ihrer Arbeit Anregungen für die Umsetzung der UN-Konvention in Deutschland zu liefern, konnte sie gewinnbringend erreichen. Die hier präsentierten Erkenntnisse über die Reformaktivitäten und Wandlungsprozesse in den ausgewählten US-amerikanischen Schulen durch einen konkreten „outside change agent“ unter disparaten Rahmenbedingungen der deutschen föderalen Bildungssysteme anzuwenden, wären notwendige und lohnenswerte weitere Forschungen.

(2) „Inclusion in Canada“

Die Monografie von Andreas Köpfer, mit englischem Titel aber auf Deutsch geschrieben, bezieht sich vor allem auf drei kanadische Provinzen, in denen seit Jahrzehnten der Weg hin zur schulischen Inklusion konsequent und auf unterschiedlichen Ebenen verfolgt wird. Der Autor fragt nach den notwendigen didaktischen Maßnahmen sowie Unterstützungsstrukturen, um alle Kinder und Jugendliche in der Schule optimal zu fördern. Weiter fragt er, wie die Berufsrollen ausgestaltet sein müssten, wie die Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen und ihrer Kommunikationsstrukturen angelegt und unterstützt werden bzw. sein sollten, um schulische Inklusion zu gewährleisten. Einleitend wird die Wahl Kanadas als Studienobjekt überzeugend begründet, wobei die Fokussierung auf die drei nordöstlichen Provinzen New Brunswick, Prince Edward Island und Québec (anglophoner Bildungssektor; insgesamt weniger inklusiv als andere Provinzen Kanadas) ohne Ontario (mit dem bedeutendsten Ballungsraum Toronto) – nicht konsequent nachvollziehbar ist.

Vor dem Hintergrund der Ratifizierung der UN-BRK werden sowohl die historischen Entwicklungslinien skizziert als auch terminologische Klärungen (etwa der Kernkonzepte Exklusion und Inklusion als Prozesse, Unterstützungsstrukturen sowie Rollen) vorgenommen, die zugleich auf kanadischen, angloamerikanischen und auf deutschen Definitionen und Debatten basieren. Die theoretische Fundierung und ethnographische Positionierung der Untersuchung wird im dritten Kapitel geleistet. Auf verschiedene Konzepte und Stränge der mikrosoziologischen Klassiker Pierre Bourdieu und Erving Goffman aufbauend, wurden Interaktionsprozesse in Schulen untersucht. Im vierten Kapitel wird dargelegt, wie sich die Bildungssysteme Kanadas „auf einen wertschätzenden Umgang mit Diversität ausgerichtet“ haben (72). Die Ausführungen bleiben eher knapp, insbesondere die Ausführungen zur divergenten Entwicklung der sonderpädagogischen Fördersysteme hin zur „inclusion“ (die im Gegensatz zum US-amerikanischem Sonderklassenmodell und den Außen- und Kooperationsklassen, wie sie derzeit in einigen deutschen Bundesländer bestehen, zu verstehen sind).

Im fünften Kapitel wird dann die multiethnomethodische Feldforschung, von Unterrichtsbeobachtungen über Forschungstagebuch bis hin zu Experten- und Gruppeninterviews mit der Methodologie der Grounded Theory rekonstruiert. Ergebnisdarstellung und -diskussion im sechsten Kapitel (146-220) fokussieren „inclusion“ als Aufgabe der gesamten Schule. Die besondere Bedeutung und zentrale Rolle der „methods and resource teams“ – die dem Lehrerkollegium zusätzliche Ressourcen bereitstellen und bei methodischen Fragen und Weiterbildung helfen – als (in)direktes Unterstützungssystem für alle Lehrpersonen (196ff) wird herausgestellt. Andreas Köpfer nimmt hierbei vor allem intraschulische Kommunikationsprozesse und multiprofessionelle Kooperationsmöglichkeiten in den Blick, die als vorbildliche Unterstützungsstrukturen und -praxen gelten können.

Anhand der ausgewählten Schulen in New Brunswick, Prince Edward Island und Québec wird das Rollengefüge der unterschiedlichen Professionen und der inklusiven Unterrichtsgestaltung tiefgreifend analysiert und präsentiert. Obwohl „nicht als Vergleichsstudie angelegt [...] können erste Schlussfolgerungen und Ansätze formuliert werden, wie sich die Forschungsergebnisse für die deutsche Inklusionsdiskussion [als] fruchtbar erweisen können“ (222). Mit diesem Ziel wurde eine weitere gelungene Phase der empirischen Untersuchung (Diskussion der Feldforschungsergebnisse und Experteninterviews im Heimatland, spezifisch dem Kölner Raum Nordrhein-Westfalens) durchgeführt. Im siebten, abschließenden Kapitel werden die vielfältigen Befunde reflektiert und mit gebotener Vorsicht auf Deutschland bezogen.

Beide Bücher greifen soziologische Theorieangebote auf, um in hochkomplexen Bildungssystemen anderer Länder systematische und tiefe Einblicke in institutionalisierte Strukturen und Praxen zu erhalten. Gleichwohl verdeutlichen sie allgemeine Herausforderungen ländervergleichender Studien und einige Limitationen im Forschungsdesign (Anlage und Analyseebenen) des hochkomplexen Gegenstandsbereichs der sonderpädagogischen Förderung und inklusiven Bildung. Vor allem wird die Notwendigkeit veranschaulicht, diverse Bildungspolitiken und -praxen der nordamerikanischen Beispiele auf unterschiedlichen Ebenen zu analysieren, um die Verflechtungen – und Spannungsverhältnisse – der Akteure/-innen, der Organisationen und der Institutionen zu verstehen. Andreas Köpfer bestätigt zudem die Verflechtung und Bezugnahme der beiden Staaten Kanada und USA, so dass „die wissenschaftliche Beschäftigung mit inklusiven Fragestellungen in Kanada nicht getrennt von gleichsamer Forschung in den USA betrachtet werden“ kann (33). Ebenfalls spannend ist an dieser Stelle die Reflexion der Unterschiede zwischen deutscher und internationaler Forschungsliteratur.

Durch weitere Schritte könnten diese vielfältigen und interessanten Befunde gewinnbringend für die deutschsprachige Leserschaft aufbereitet werden. Eine Vielzahl der originären Zitate, aber auch Konzepte sind auf Englisch (bzw. auf Französisch, aufgrund der weiteren Komplexität der Untersuchung des zweisprachigen Landes Kanada und insbesondere Québec als Quelle dieser offiziellen Mehrsprachigkeit) belassen worden. Auch wenn Köpfer und Johnson diese nachvollziehbare Zurückhaltung mit der Beibehaltung des Sinns begründen, ist ebendiese voraussetzungsvolle Übersetzungstätigkeit eine genuine und wichtige Aufgabe der interkulturellen und vergleichenden Bildungsforschung. Die Leserschaft muss in beiden Fällen die englische Sprache ausgezeichnet beherrschen, um vollständig die Nuancen sowohl der englischsprachigen Empirie als auch der wissenschaftlichen Argumente und Konzepte zu verstehen. Wer wäre besser dazu in der Lage als die Feldforschenden selbst, diese Übersetzungsleistung auf der Sinnebene deutschsprachigen Lesern/-innen zu erläutern? In gewisser Weise tun dies die Autorin als auch der Autor, jedoch bleiben Aspekte des deutschen Blicks unausgesprochen. Deshalb sind explizite Vergleiche hilfreich, wie zum Beispiel wenn Magdalena Johnson die US-amerikanischen Kategorien des Förderbedarfs unmittelbar nach Benennung der rechtlichen oder theoretischen Konzepte vergleicht und diese auf Deutsch beschreibt. Die anfängliche Zurückhaltung Köpfers, lediglich deutsche Wörter zu nutzen, um die inklusiven Praxen in Kanada zu beschreiben, lässt ihn den Begriff der „inklusiven Bildung“ schöpfen, um dann aber im Resümee doch eine hilfreiche sprachliche Auseinandersetzung mit den Begriffen der „Förderung“ und der „Unterstützung“ und ihren englischsprachigen Pendants zu leisten. Jedenfalls darf in der vergleichenden Erziehungswissenschaft nicht davon ausgegangen werden, dass die ursprünglichen Termini ohne Erläuterung verstanden werden.

"Schulische Inklusion in den USA" und "Inclusion in Canada" laden die deutschsprachigen Leserinnen und Leser ein, sich diesen Ländern anzunähern, was insbesondere durch die Auswahl vieler treffender Zitate der diversen Akteure/-innen inklusiver Schulen sehr gut gelingt.

Neben den schulischen Interaktionen bedürfen nicht nur Leitideen, Werte oder Begrifflichkeiten und Curricula der eingehenden Analyse, sondern auch allgemeine Bildungsnormen wie Behinderungsparadigmen und konkrete Standards als auch Gesetze und Bildungs- und Sozialpolitiken. All diese Aspekte sind wesentliche, bestimmende Faktoren der (Weiter-)Entwicklung von Fördersystemen und inklusiver Bildung. Erst in weiteren Schritten – etwa expliziten Vergleichen der Rahmenbedingungen und Praxen in ausgewählten nordamerikanischen und deutschen Schulen – können die ebenfalls intensiven und herausfordernden Prozesse des Transfers über kulturelle Grenzen hinweg vorbereitet werden, wenn der Wille des Lernens von anderen als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des Transfers erst besteht.

Verdienstvoll haben sich sowohl Magdalena Johnson als auch Andreas Köpfer entschieden, die Strategie tiefer statt breiter zu wählen und damit den Schwerpunkt auf detaillierte und umfassende Interpretationen lokaler Praxen zu legen, welche auf intensiven Feldforschungen in einigen, wenige Schulen basieren. Auch wenn die Frage nach der Auswahl der Bundesstaaten bzw. Provinzen und Schulen in diesen gesellschaftlich so heterogenen und räumlich so riesigen Ländern naheliegt, zeigen beide Untersuchungen nicht nur die als Inspiration geltenden gelungenen Beispiele. Im Schulvergleich in der Studie Johnsons wird eindrücklich gezeigt, welche vielfältigen Hindernisse die Implementierung inklusiver Schulreformen erschweren können, ausgehend von fundamental verschiedenen Verständnissen von „inclusion“. Diese Faktoren mögen auch erklären helfen, warum selbst in anderen Regionen der beiden föderalen Länder – mit ähnlichen kulturellen Werten – die als so überzeugend dargestellten Beispiele bisher nur eine begrenzte Nachahmung gefunden haben. Auf Basis der hier diskutierten Studien könnten die nordamerikanischen Varianten der „inclusion“ explizit sowohl mit der bereits seit Jahrzehnten existierenden deutschen Integrationspädagogik als auch innovativen Schulen in Deutschland verglichen werden, um mittels funktionaler Äquivalente die Diskussion um mögliche Transfers oder gar deren Realisierung, weiterzuentwickeln. Jede/r an inklusiven Schulreformen beteiligte Akteur/in wird aus diesen umfassenden Berichten vielfältige Impulse und Anregungen für die eigene Tätigkeit schöpfen können. Trotz der für solche Studien üblichen Begrenzungen der Reichweite, tragen beide Bücher entscheidend zur deutschsprachigen Forschungsliteratur im Feld der vergleichenden und interkulturellen Sonderpädagogik und zur inklusiven Bildung bei.

[1] Richardson, J. G. / Powell, J. J. W.: Comparing Special Education: Origins to Contemporary Paradoxes. Stanford: Stanford University Press 2011.
Justin J. W. Powell (Luxemburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Justin J. W. Powell: Rezension von: Johnson, Magdalena: Schulische Inklusion in den USA – ein Lehrbeispiel für Deutschland?, Eine Analyse der Vermittlung von Ansätzen der Inklusion durch die Zusammenarbeit mit einem outside change agent. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151892.html