Die Frage nach der Lernwirksamkeit von Unterricht nimmt – insbesondere infolge der Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien – einen hohen Stellenwert in der bildungspolitischen Diskussion ein. Auch wenn eine Beantwortung dieser Frage aufgrund der Komplexität schulischer Lehr- und Lernprozesse äußerst schwierig ist, leistete Andreas Helmke einen zentralen Beitrag dazu, indem er (1) Effiziente Klassenführung, (2) Lernförderliches Unterrichtsklima, (3) Vielfältige Motivierung, (4) Strukturiertheit und Klarheit, (5) Wirkungs- und Kompetenzorientierung, (6) Schülerorientierung, Unterstützung, (7) Förderung aktiven, selbstständigen Lernens, (8) Angemessene Variation von Methoden- und Sozialformen, (9) Konsolidierung, Sicherung und Intelligentes Üben und (10) Passung als empirisch gesicherte Merkmale guten Unterrichts identifiziert (vgl. [1]). In diesem Zusammenhang scheint eine veränderte Auffassung des Lernens im Sinne eines aktiven Wissenserwerbs unabdingbar zu sein, weswegen auch die zu vermittelnde Fähigkeit selbstgesteuerten Lernens im Rahmen dieser Diskussionen häufig proklamiert wird. Darüber hinaus gewinnt der Projektunterricht ebenfalls zunehmend an Bedeutung, da er als methodische Groß- oder Grundform des Unterrichts eine Unterform handlungsorientierten Lernens bildet und somit durch selbstständige und konstruktive Vorgehensweisen bei der Bearbeitung konkreter praktischer Probleme oder Aufgabenstellungen gekennzeichnet ist. Projektunterricht wird gegenwärtig als ein wesentliches Instrument der inneren Schulreform angesehen.
Einen deutlichen Kontrast zu dieser äußerst positiven Einschätzung auf theoretischer Ebene bildet jedoch die Auseinandersetzung mit der Schulpraxis, wie der hier zu besprechende Band zeigt: Obwohl der Projektunterricht als sehr bekanntes, häufig umgesetztes Konzept „offenen Unterrichts“ eingeschätzt werden kann, „[…] wird auch hier der Blick verzerrt: blinder Aktionismus, Sportangebote aller Art, Bastel- und Spielangebote laufen genauso unter dem Deckmantel Projekt wie der Besuch außerschulischer Lernorte, die selbstständige Erarbeitung einzelner Sachverhalte oder die Lösungssuche und Umsetzung komplexer Problembereiche“ (15). Aus dieser Perspektive heraus ist die vergleichende empirische Studie „Projektarbeit – ein Unterrichtskonzept selbstregulierten Lernens?“ von Silke Traub als wichtiger Beitrag zur Unterrichtsforschung zu werten, da hier allgemeindidaktische Grundlagenforschung und empirische Lehr-Lernforschung äußerst gewinnbringend miteinander verknüpft und somit neue Erkenntnisse in Bezug auf das selbstgesteuerte Lernen und die bisher wenig erforschte, schulische Projektarbeit gewonnen werden. Unter Berücksichtigung dieser Forschungsergebnisse ist zudem ein eigenes Projektmodell der „Selbstgesteuerten Kleingruppenprojektarbeit auf der Basis der PROGRESS(= PROjekt GRuppen Entdecken Selbstverantwortlich und Selbstgesteuert)-Methode“ entwickelt worden, das eine prozessorientierte, stufenweise Annäherung an eine eigenständig durch Schülerinnen und Schüler durchgeführte Projektarbeit ermöglichen soll. Indem die Schülerinnen und Schüler die aufeinander aufbauenden, in Umfang und Anspruch deutlich variierenden Phasen (0) Vorbereitungsphase, (1) Einstieg in die Projektarbeit, (2) Selbstgesteuerte Kleingruppenarbeit, (3) Austausch der Informationen zwischen den Kleingruppen, (4) Verarbeitungsphase und (5) Ausstieg aus der Projektarbeit durchlaufen müssen, erlernen sie schrittweise die für eine selbstverantwortliche und selbstgesteuerte Projektarbeit benötigten Fähig- und Fertigkeiten. Die konkrete Umsetzung dieser Phasen im Rahmen des neukonzipierten Projektmodells erfolgt allerdings orientiert an der PROGRESS-Methode, d.h. in Form eines zweistufigen Vorgehens, das folgende Wege der Umsetzung vorschlägt: Weg 1 „Von der Instruktion zum Sandwich“ und Weg 2 „Vom Sandwich zum projektorientierten Lernen“ (entspricht Stufe 1, die der Einführung und der angeleiteten Anwendung der benötigten Lernstrategien dient) sowie Weg 3 „Lernen am Modell“ und Weg 4 „Selbstgesteuerte Kleingruppenprojektarbeit“ (entspricht Stufe 2, die die Vertiefung und eigenständige Anwendung entsprechender Lernstrategien beabsichtigt) (138f.). Mithilfe dieser Wege sollen die Schülerinnen und Schüler immer stärker in das selbstgesteuerte Lernen eingeführt werden. In Ergänzung dieser theorieorientierten Darstellung der „Selbstgesteuerten Kleingruppenprojektarbeit auf der Basis der PROGRESS-Methode“ ist auf die praxisorientierte Veröffentlichung „Projektarbeit mit PROGRESS“[2] von Silke Traub zu verweisen, in der ausführliche Informationen und praktische Beispiele zur Umsetzung dieser Projektmethode für Studierende und Lehrende aller Schularten, die sich mit selbstgesteuertem Lernen und Projektarbeit befassen, erläutert werden.
In Abgrenzung dessen und um Überschneidungen zu vermeiden, ist die Gliederung der vorliegenden Veröffentlichung durch eine Zweiteilung gekennzeichnet: Im ersten Teil erfolgt zunächst eine ausführliche theorieorientierte Darstellung des selbstgesteuerten Lernens, die neben einer fundierten begrifflichen Klärung auch auf modelltheoretische Überlegungen zum selbstgesteuerten Lernen eingeht und außerdem einen Einblick in den gegenwärtigen Forschungsstand bietet. Darüber hinaus werden aus diesen Erkenntnissen folgende Merkmale selbstgesteuerten Lernens abgeleitet, die bei der nachfolgenden Literaturanalyse des Projektunterrichts immer wieder aufgegriffen werden und auch das weitere empirische Vorgehen maßgeblich bestimmen: (1) Selbstregulation mit den Teilmerkmalen (a) Motivation, (b) Kognitive Lernstrategien, (c) Metakognitive Strategien und (d) Reflexivität und Bewusstheit, (2) Kooperation und (3) Persönliche Ergebnisse. Unter Berücksichtigung der leitenden Fragestellung nach allgemeinen, allen Modellen zu Grunde liegenden Kriterien eines Projektunterrichts sowie den dargestellten Merkmalen selbstgesteuerten Lernens erfolgt eine systematische Analyse der zentralen, beispielhaft ausgewählten Projektmodelle von Frey (1998), Hänsel (1999), Gudjons (2001) sowie von Emer und Lenzen (2002).
Die hierbei gewonnenen Ergebnisse werden anschließend in einer Vorstudie genutzt, um grundlegende empirische Erkenntnisse zur schulischen Projektarbeit aus Perspektive der Lernenden und Lehrenden zu gewinnen. Als objektive Ergänzung dieser zunächst als „Befindlichkeitsforschung“ eingestuften quantitativen und qualitativen Datenerhebungen (schriftliche Befragung von über 2000 zufällig ausgewählten Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 10 von Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien des Landes Baden-Württemberg sowie der Durchführung von insgesamt ca. 25 ergänzenden Interviews mit Schülerinnen und Schülern derselben Stichprobe sowie freiwillig gewonnenen Studierenden der Anfangssemester einer Pädagogischen Hochschule des Landes Baden-Württemberg und zufällig ausgewählter Experten) werden außerdem teilnehmende Beobachtungen in ca. 200 nach Zufallsprinzip ausgewählten Klassen 5 bis 10 von Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien des Landes Baden-Württemberg durchgeführt, wodurch vielperspektivisch Daten trianguliert werden.
Aufgrund der in diesem Zusammenhang festgestellten deutlichen Diskrepanz zwischen Ansprüchen an den schulischen Projektunterricht als selbstgesteuerte Lernform und der Wirklichkeit der schulischen Umsetzung erscheint die Konzeption eines neuen Projektmodells unter Berücksichtigung der vorangegangenen theoretischen und empirischen Erkenntnisse nachvollziehbar. Bemerkenswert ist, dass die Veröffentlichung sich nicht mit der Präsentation eines neuen Projektmodells zufrieden gibt, sondern tatsächlich eine komplexe empirische Prüfung dieses neuen prozessorientierten Projektmodells der „Selbstgesteuerten Kleingruppenprojektarbeit auf der Basis der PROGRESS-Methode“ wagt.
Im Rahmen dieser Evaluation wird zunächst die erste Stufe (Weg 1 bzw. Weg 1 und Weg 2) in drei Teilstudien, an denen insgesamt 11 Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialklassen des Landes Baden-Württemberg beteiligt waren, durchlaufen und anschließend mithilfe der gleichen Instrumente wie in der Vorstudie untersucht. Bereits hier zeigt die Prüfung der verschiedenen Hypothesen, dass alle Merkmale selbstgesteuerten Lernens in den Teilstudien durch die entsprechenden Signifikanzberechnungen erkenn- und nachweisbar sind und es sich somit tatsächlich um die Umsetzung des Projektmodells im Sinne der PROGRESS-Methode handelt. Eine Bestätigung erfahren diese Ergebnisse, die in Bezug auf die Merkmale selbstgesteuerten Lernens in allen Teilstudien deutlich signifikant gegenüber dem bisherigen Projektunterricht sind, zudem in den ergänzenden Vollstudien, in denen drei Klassen verschiedener Schulformen alle vier Wege des Projektmodells absolvieren. Denn auch im Rahmen dieser Vollstudien verdeutlichen die Ergebnisse, dass die Merkmale selbstgesteuerten Lernens durch die Befragten aufsteigend von Weg 1 bis 4 signifikant höher als im Vergleich zum bisherigen Projektunterricht wahrgenommen werden.
Für die theoretische Einbettung dieser Ergebnisse bilden die Einleitung und die Schlussbetrachtung einen sinnvollen Rahmen, da hier wesentliche Begründungen und diskussionswürdige Aspekte thematisiert werden, die innerhalb der eigentlichen Auseinandersetzung mit dem „Selbstgesteuerten Lernen im Projekt“ (Teil 1) und der „Selbstgesteuerten Kleingruppenprojektarbeit auf der Basis der PROGRESS-Methode“ (Teil 2) aufgrund der Dichte der Darstellung allerdings etwas vernachlässigt scheinen. Außerdem wird der gegenwärtige Forschungsstand anhand ausgewählter Studien noch einmal aufgegriffen und umfassend diskutiert. Dies ist notwendig, da insgesamt nur sehr selten Verweise zu entsprechender Fachliteratur erfolgen und auch die Verweise zum Anhang meist schwer nachvollziehbar sind. Wünschenswert wäre an dieser Stelle eine fundierte Diskussion des methodischen Vorgehens, da insbesondere die qualitativen Ergebnisse häufig nur zusammenfassend und verkürzt dargestellt und somit die diesem Forschungsansatz immanenten Möglichkeiten nicht hinreichend genutzt werden.
Dennoch spiegelt sich der ansonsten kohärente Aufbau der Veröffentlichung auch in der sprachlichen Ausgestaltung wieder, die leserfreundlich und – im Hinblick auf den angestrebten Adressatenkreis der „an empirischen Ergebnissen zum Projektunterricht interessierten Leserinnen und Leser, die sich vor allem mit der Theorie des Projektunterrichts sowie dem selbstgesteuerten Lernen befassen möchten“ (8) – aufgrund zahlreicher sinnstiftender Erläuterungen angemessen nachvollziehbar ist.
Zusammenfassend stellt die „Selbstgesteuerten Kleingruppenprojektarbeit auf der Basis der PROGRESS-Methode“ ein empirisch fundiertes, sachlogisch aufgebautes, lernwirksames Projektmodell dar, das hoffentlich zukünftig zahlreich im schulischen Projektunterricht umgesetzt und dadurch weiterentwickelt wird.
[1] besonders komprimiert in: Helmke, A. (2006): Was wissen wir über guten Unterricht? Über die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf den Unterricht als dem "Kerngeschäft" der Schule. Pädagogik, 2, 42-45.
[2] Traub, S. (2012): Projektarbeit erfolgreich gestalten: Ăśber individualisiertes, kooperatives Lernen zum selbstgesteuerten Kleingruppenprojekt. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
EWR 12 (2013), Nr. 5 (September/Oktober)
Projektarbeit – ein Unterrichtskonzept selbstgesteuerten Lernens?
Eine vergleichende empirische Studie
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012
(267 S.; ISBN 978-3-7815-1864-3; 34,00 EUR)
Anne-Elisabeth RoĂźa (Hildesheim)
Zur Zitierweise der Rezension:
Anne-Elisabeth RoĂźa: Rezension von: Traub, Silke: Projektarbeit – ein Unterrichtskonzept selbstgesteuerten Lernens?, Eine vergleichende empirische Studie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151864.html
Anne-Elisabeth RoĂźa: Rezension von: Traub, Silke: Projektarbeit – ein Unterrichtskonzept selbstgesteuerten Lernens?, Eine vergleichende empirische Studie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151864.html