EWR 12 (2013), Nr. 5 (September/Oktober)

Stephen Frank
E-Learning und Kompetenzentwicklung
Ein unterrichtsorientiertes didaktisches Modell
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012
(220 S.; ISBN 978-3-7815-1861-2; 16,90 EUR)
E-Learning und Kompetenzentwicklung Die beiden Begriffe E-Learning und Kompetenzentwicklung im Buchtitel wecken nicht nur verkaufsfördernde Aufmerksamkeit in den Feldern Hochschuldidaktik, Erwachsenenbildung und Schule, sondern sie treffen auch den Inhalt des Buches. Der Autor legt hier seine Dissertation vor, in der er E-Learning als ein unterrichtsorientiertes didaktisches Modell vorstellt. Die Arbeit verfolgt einen hohen Anspruch. Erstens möchte der Autor ein handlungsleitendes theoretisches E-Learning-Modell in Verbindung mit der allgemeinen Didaktik entwickeln. Er greift nicht soweit, dass er eine neue, didaktische Theorie entwickeln möchte, aber durch die Verbindung und Weiterentwicklung vorhandener didaktischer Theorien möchte Stephen Frank dem Leser ein didaktisches Reflexionsraster anbieten, vor dessen Hintergrund der Leser seine E-Learning-Projekte zukünftig besser didaktisch gestalten kann. Das erste Anliegen mündet also in einem didaktischen Rahmen, der den Diskurs zum E-Learning mit der allgemeinen Didaktik verbindet. Das zweite Anliegen ist praktischer Natur. Der Autor möchte dem Leser Gestaltungsbeispiele für E-Learning-Unterricht geben. Drittens – schließlich handelt es sich um eine Dissertation – sollen beide Anliegen methodisch und systematisch empirisch untermauert werden. Dem theoretischen und praktischen Anliegen liegt die zentrale Frage zugrunde: Wie kann bzw. wie muss E-Learning theoretisch und praktisch gestaltet werden, damit Menschen damit sinnvoll lernen können?

Zur Beantwortung dieser Frage entwickelt Frank seine Argumentation entlang von fünf Kapiteln. Im ersten Kapitel legt er sein forschungsmethodisches Vorgehen dar und kennzeichnet es als „Design Based Research“. Dieser Forschungsansatz gilt als ein qualitativer Forschungsansatz dessen Ziel sowohl die Theoriegenerierung als auch die Praxisverbesserung ist. Im Unterschied zur Handlungsforschung sollen die Praktiker nicht „befreit“ werden. Ihre Erklärungen sollen vielmehr überprüft und reflektiert werden. Im zweiten Kapitel werden die Lehrveranstaltungen, die Frank seiner Untersuchung zu Grunde gelegt hat und die zugleich als empirische Basis seiner Untersuchung gelten sollen, als „Fallbeispiele“ dargestellt.

Das dritte Kapitel kennzeichnet den mediendidaktischen Diskurs und die Diskurse zur allgemeinen Didaktik als zwei getrennte Diskurse. Der E-Learning-Diskurs wird als stark technologieorientiert und an der psychologischen Lernforschung orientiert vorgestellt. Als Ausnahme wird Michael Kerres mit seinem Modell einer gestaltungsorientierten Mediendidaktik hervorgehoben, das Stephen Frank mit seiner Arbeit sowohl hinsichtlich der Inhalts- als auch der Methodendimension weiterentwickeln und ergänzen möchte. Für diese Ergänzung greift der Autor auf die laufende Kompetenzdebatte zurück.

Damit ist zugleich der Übergang zum vierten Kapitel eingeleitet, in dem der Autor seinen eigenen theoretischen Rahmen entwickelt und vorstellt. Seine Antwort auf die Frage, ob es eine eigene E-Learning-Didaktik braucht, lautet: Es sind keine neuen, didaktischen Fragen erforderlich, die liegen alle vor, aber es bedarf dem Medium gemäße Antworten auf diese Fragen. Frank wählt für seinen eigenen theoretischen Rahmen Bezüge zum Konstruktivismus und zur Subjektwissenschaft. Als Gemeinsamkeit beider metatheoretischer Positionen hebt er die Lernendenorientierung und die Handlungsorientierung hervor. Den Begriff Kompetenz versteht Frank als Integrationsbegriff, der an den Bildungsbegriff anschlussfähig ist. Das Spannungsverhältnis von Kompetenz und Bildung, das im didaktischen und bildungstheoretischen Diskurs breit reflektiert wird, streift Frank nur kurz, um im Anschluss beide Begriffe zu integrieren. E-Learning wird ausschließlich als Unterricht und mit starkem Bezug auf Lothar Klingberg reflektiert.

Im fünften Kapitel stellt Frank sein Praxismodell vor, das sich am Kompetenzentwicklungsmodell orientiert. Bearbeitet werden die Kompetenzfacetten Wissen, Bewerten und Handeln.

Nach den fünf Kapiteln stellt sich die Frage, inwieweit der Autor seinen Ansprüchen nachgekommen ist. Ich möchte deshalb meine Bewertung entlang der drei Aspekte: Untersuchungsmethode, theoretischer Ertrag und praktischer Ertrag gliedern.

Die Ausführungen zur Forschungsmethode überzeugen mich nicht. „Design Based Research“ wird eher als Forschungsidee, denn als praktisches Forschungsverfahren vorgestellt. Formuliert werden ganz überwiegend Ziele, nicht aber die Qualitätskriterien und Arbeitsschritte dieser Forschung, die den Forschungsgang nachvollziehbar gemacht hätten. Es wird nicht deutlich, vor dem Hintergrund welcher Maßstäbe Praxiserfahrungen reflektiert werden und wie sich der oder die Forscher davor geschützt haben, nur das zu sehen, was sie sehen wollten. Unklar bleibt auch, in welcher Weise zugleich ein praktischer und theoretischer Ertrag durch diesen Forschungsansatz gelingen kann. So wie diese Arbeit veröffentlicht ist, würde ich sie nicht als empirische Arbeit verstehen, sondern als eine kategoriale Arbeit, in deren Rahmen der Autor verschiedene didaktische Theorien und Diskurse reflektiert und in einer neuen Weise miteinander in Beziehung setzen möchte – was ja durchaus sinnvoll ist. Daraus resultieren letztlich Fallbeispiele, die exemplarisch für eine praktische Umsetzung des theoretisch Gedachten stehen. Insofern ist der im zweiten Kapitel verwendete Begriff „Fallbeispiel“ angemessen – eine empirische Studie hätte Fallstudien und nicht nur Fallbeispiele verlangt. Mit diesem Blick habe ich die weiteren Kapitel dieses Buches gelesen.

Hinsichtlich des theoretischen Ertrags lässt sich festhalten, dass dem Leser in den Kapiteln drei und vier differenzierte didaktische Reflexionen angeboten werden. Der Autor charakterisiert den Diskurs zum E-Learning als technologiegetriebenen Diskurs, der insbesondere in den achtziger und neunziger Jahren von einem Ingenieurdenken und der pädagogischen Psychologie dominiert wurde. Stephen Frank macht deutlich, dass die E-Learning-Didaktik an den allgemeinen didaktischen Diskurs anschließen muss und bringt dafür auch überzeugende Beispiele. Franks Darstellung bietet eine Vielzahl wichtiger Differenzierungen im didaktischen Diskurs, so unterscheidet er Lehrziele von Lernzielen (120), expliziert sein Medienverständnis im Sinne einer vermittelnden Instanz und Bühne für Unterricht (136ff), differenziert zwischen kooperativem Lernen und kollaborativen Lernen (164), differenziert zwischen Handeln und Verhalten (172) und definiert schließlich E-Learning als „ein prozessuales Unterrichtsgeschehen, in dem Lehren und Lernen, Lehrende und Lernende, in einem medialen Raum zusammenwirken, mit dem Ziel Kompetenzen zu vermitteln bzw. zu erwerben“ (142).

Der geführte, didaktische Diskurs weist aber auch verschiedene weiße Flecken auf. Drei möchte ich hervorheben. Erstens fehlt eine systematische, historische Reflexion des didaktischen Diskurses. Viele historische Betrachtungen scheinen auf die individuelle Erfahrung des Autors beschränkt zu sein. So wird beispielsweise träges Wissen nicht erst mit Alexander Renkl 1996 thematisiert – so der Autor, sondern als „todte Kenntnisse“ bereits von Wilhelm von Humboldt 1793. Der Entwicklung des eigenen theoretischen Rahmens hätte eine systematische historische Reflexion gut getan.

Zweitens ist der Versuch des Autors verschiedene Theorielinien in Verbindung zu setzen, vor allem durch Glättungsversuche und Kombinationsinteressen charakterisiert, wobei existierende Widersprüche und Spannungsverhältnisse unberücksichtigt bleiben. Hier wären beispielsweise die postulierten Gemeinsamkeiten zwischen Konstruktivismus und Subjektwissenschaft zu nennen. Auch wenn beide metatheoretischen Positionen den Lernenden als aktiv Handelnden betrachten, bleibt deren Subjektmodell und Gesellschaftsmodell grundsätzlich verschieden, wodurch sie nicht einfach kombinierbar sind. Auch das Spannungsverhältnis zwischen den Relevanzsetzungen der einzelnen Lernenden und den Relevanzsetzungen der Lehrenden bleibt unbearbeitet. Das Spannungsverhältnis von Machtstrukturen und Freiheitsgraden im Unterricht, das die Inszenierungen von Unterricht ganz wesentlich bestimmt, kommt nicht zur Sprache. Wenn von der respektvollen Beziehung des Lehrers zu den Lernenden gesprochen wird, bleibt diese Beziehung in der Darstellung formal und wird nicht als Widerspruch zwischen Respekt auf der einen Seite und Lehranforderungen auf der anderen Seite thematisiert, die oftmals den individuellen Interessen widersprechen.

Der Kompetenzbegriff wird als Integrationsbegriff eingeführt und nicht in seinen gesellschaftlich-ökonomischen Entstehungszusammenhang gestellt. Zwar wird das kritische Verhältnis von Bildung und Kompetenz kurz reflektiert, am Ende werden aber Kompetenzentwicklungen und Persönlichkeitsentwicklungen kombiniert als die beiden Bausteine für Bildung. Kompetenzbedarfe gelten dem Autor als realitätsnah feststellbar und nicht als interessengeleitete Forderungen (102). Wissen, Bewerten und Handeln gelten aneinandergereiht als eine unproblematische lineare Spirale, die vom Wissen zum Handeln führt. Wissen wird damit ganz im Sinne des Kompetenzdiskurses auf Informationen reduziert, die in Handlungen direkt umsetzbar sind. Situationen erscheinen als steuer- und kontrollierbar. Keine Rede ist im Buch davon, dass Lernende in Situationen immer auch verwickelt sind, sich reflektiert und distanziert befreien müssen und Wissen situationsspezifisch transformiert und nicht einfach angewendet werden kann. Bildung wird nicht als Selbstbildung thematisiert, sondern der kompetenzorientierten Outputsteuerung anheimgestellt, wobei das didaktische Spannungsverhältnis von Input- und Outputorientierung nicht reflektiert wird.

Nicht thematisiert werden auch die Beratungsanliegen der Lernenden, die auch und gerade in unterrichtsförmigen Settings auftreten und zur Sprache kommen. Lernproblematiken, die von den Lernenden alleine nicht bewältigbar sind, können im Rahmen von Lernberatungs- und Lernunterstützungsprozessen der Lehrenden und der kooperativ Mitlernenden reflektiert und beraten werden. Gerade das Medium E-Learning bietet für diese Reflexionsprozesse mehr Möglichkeiten, als sie in den Präsenzsituationen von Unterricht gegeben sind. Diese Möglichkeiten werden im Buch nicht thematisiert.

An Praxisbeispielen interessierte Leser finden im zweiten und fünften Kapitel eine ganze Reihe interessanter Hinweise und Beispiele für die eigene Bildungspraxis. Das Buch ist insbesondere Lesern zu empfehlen, die an E-Learning interessiert sind. Sie finden darin eine Vielzahl an theoretischen und praktischen Anstößen, wobei sich insbesondere die theoretischen Reflexionen wohltuend von vielen E-Learning-Publikationen absetzen.
Joachim Ludwig (Potsdam)
Zur Zitierweise der Rezension:
Joachim Ludwig: Rezension von: Frank, Stephen: E-Learning und Kompetenzentwicklung, Ein unterrichtsorientiertes didaktisches Modell. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151861.html