Schulpraktika gelten als Kernelement der hochschulischen Lehrerbildung, in die zahlreiche Ressourcen und viel Engagement investiert werden. Die Realisierung und Umsetzung schulpraktischer Ausbildungsanteile geschieht in unterschiedlichsten Varianten, oft geprägt von traditionellen Formen und häufig wenig theoretisch fundiert. Nicht zwangsläufig ist gewährleistet, dass das erwünschte Lernen erfolgt. Die aus Österreich, der Schweiz und Deutschland stammenden und durch langjährige Erfahrung sowie forschende Auseinandersetzung mit der schulpraktischen Ausbildung ausgewiesenen Autorinnen und Autoren plädieren im vorliegenden Band dafür, das Konzept des Empowerments zur Erneuerung der schulpraktischen Studien zu nutzen. Sie gehen davon aus, dass „Studierende bedeutsame und nachhaltige Lernerfahrungen in Praktika dann erwerben, wenn sie sich auf biographisch aufklärende, die bestehenden Ressourcen identifizierende und stärkende Lern- und Entwicklungsgelegenheiten einlassen“ (9).
Der erste von zwei Teilen des Bandes bietet einen Überblick über die historische Entwicklung des Praxisbezugs in der Lehrerbildung und über Organisationsformen schulpraktischer Anteile der Lehrerbildung in den drei Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wissenschaftliche Begründungsstränge und grundlegende Aussagen zu pädagogischen und didaktischen Aufgaben der Praktika und zu Verantwortlichkeiten verschiedener Personengruppen wie Tutoren, Mentoren und Studierender werden aufgezeigt.
Die schulpraktischen Studien werden im Beziehungsgeflecht der theoretischen Grundausbildung an Hochschulen dargestellt. Die Erörterung der beiden Domänen Theorie und Praxis verdeutlicht, „dass Theorie immer auch praktische Bezüge aufweist und Praxis implizite Theorien enthält“ (99). Es ergibt sich der Zwiespalt, dass eine im weitesten Sinne „theorielastige“ Lehrerbildung an Hochschulen für eine langjährige komplexe und von vielfältigen Ambivalenzen geprägte pädagogische Tätigkeit qualifizieren soll; mit anderen Worten: Es ist eine Transformation von Wissen in Können notwendig. Die individuelle Könnensentwicklung und die eigenen biographischen Erfahrungen sollten künftig in der schulpraktischen Ausbildung einen hohen Stellenwert einnehmen, indem eigenaktives und reflektiertes Lernen in Hochschule und Schule zur selbstverständlichen Praxis werden.
Die „Dilemmata der schulpraktischen Ausbildung“ bestehen u.a. im Gefälle zwischen Experten und Novizen und den damit verbundenen Gefahren: Erfahrungen zeigen, dass Studierende im Praktikum dazu neigen, die betreuenden Lehrkräfte in den Schulen zu imitieren und sich nicht auf die Suche nach eigenen mühevollen Problemlösungen zu machen und belastende Unsicherheiten vermeiden. Mentoren und Tutoren sind gehalten diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Die Eignung begleitender Lehrkräfte dürfe daher nicht allein an deren Berufserfahrung festgemacht werden. Sie sollten sich darauf konzentrieren, unterstützende Bedingungen für individuelles Lernen zu schaffen. Eine solche Begleitung gilt es im Hinblick auf die Art und das Ausmaß von Anleitung, Denkanstößen und Hilfestellungen zu professionalisieren, damit die Studierenden die Möglichkeit haben eigene Entwicklungsschritte zu entfalten. Um diese Professionalisierung nicht dem Selbstlauf zu überlassen, müsste erheblich in die Ausbildung und Qualifizierung von Lehrkräften zu Mentoren investiert werden.
Im zweiten Teil geht es um eine verbesserte Praxis der schulpraktischen Studien im Sinne der Anwendung des Empowerment-Konzepts. Dazu wird die Bedeutung subjektiver Theorien beim Handeln im Allgemeinen und insbesondere beim sozialen Handeln analysiert. Dieser Aspekt ist neu in der Diskussion und Auseinandersetzung um die Schulpraktika. Alle im Leben gesammelten Erfahrungen, Normen, das gesamte gewonnene „Weltwissen“, Vermutungen über Zusammenhänge etc. werden als subjektive Theorien begriffen. Konkrete ausführliche Beispiele aus dem Schulalltag zeigen, wie unterschiedlich die Sichtweisen der an einer Praktikumssituation beteiligten Personen sind und wie demgemäß die Ausführungen und Bewertungen von Handlungen sehr verschieden ausfallen. In diesen Ausführungen wird die beobachtete große Bandbreite zwischen dem Handeln ohne bewusste Kontrolle und den bewussten Entscheidungen der Beteiligten deutlich. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass subjektive Theorien zwar nicht immer bewusst, wohl aber bewusstseinsfähig sind und dass auf dem Weg zur schulalltäglichen Routine viel Energie benötigt wird, die für das bewusste Durchlaufen der verschiedenen Entscheidungsschritte aufgewendet werden muss. Hochschulbildung trägt in erster Linie über Wissenserwerb und kognitive Kontrolle zu einer guten Qualität von Unterricht bei, wenngleich auch kommunikationstheoretische Aspekte wie beispielsweise Mehrdeutigkeiten ein und derselben Aussage eine Rolle spielen.
Im zweiten Teil wird auch der Begriff Empowerment definiert, dessen Bedeutung erläutert, ein Überblick über die Diskussionen zum Empowerment von Lehrpersonen gegeben und Nutzungsmöglichkeiten für die Lehrerbildung angedacht: Das Hauptziel des Empowerments liegt in der psychologischen Stärkung des Individuums in Bereichen wie Wirksamkeitserhöhung, Verbesserung von Entfaltungsmöglichkeiten, Erhöhung von Kontrollmöglichkeiten, Anstieg des Selbstwertgefühls auf der Basis von Kompetenzsteigerung. Ansatzpunkte sind nicht nur Individuen, sondern ebenso Prozesse, Strukturen und Kontexte.
Das Kapitel „Empowerment im Schulpraktikum“ gliedert sich in die Themenfelder Individualisierung, Emotionsregulation, Feedback, soziale Interaktionen und Schulentwicklung. Die Autoren legen ausführlich die Bedingungen dar, die wesentlich für ein Gelingen des Konzeptes sind. Einige seien hier erwähnt: Die Öffnung der Vermittlungsstrukturen auch an den Hochschulen, die Herstellung einer größeren Wahl- und Handlungsfreiheit der Studierenden und individuelle, die Ressourcen der Studierenden berücksichtigende Lehrangebote. Dozenten, die für die berufswissenschaftliche Ausbildung von Lehramtsstudierenden verantwortlich sind, haben den Nachweis zu erbringen, dass sie mit den Verhältnissen in der Praxis vertraut sind. Für die Begleitung der Praktikanten sollten Schulen ausgewählt werden, die sich selbst auf den Weg gemacht haben hin zu einer Verbesserung der Schul- und Unterrichtsqualität. Zu prüfen ist, ob Mentoren als Fakultätsangehörige anzustellen, zu qualifizieren und angemessen zu entschädigen sind. Berücksichtigung finden müssen die emotionalen Aspekte in den Praktika. Studien und Aussagen zum Befinden von Lehrpersonen haben den hoch emotionalen Charakter des Lehrerberufs in den Fokus des Interesses gerückt und deutlich gemacht, dass Lehrerberuf und -ausbildung nicht nur unter kognitiven Aspekten betrachtet werden können.
Der Gedanke des Empowerments und die Darstellung der dafür notwendigen Veränderung der „bewährten“ Praxis sind übersichtlich und klar strukturiert, stellen konkrete Szenarien für die Umsetzung des Empowerment-Konzepts in der Schulwirklichkeit dar, bringen neue Ideen und Möglichkeiten und zeigen schließen einen Weg in eine erneuerte Praxis auf. In diesen Ausführungen zeigt sich die profunde Kenntnis des Autorenteams über die Durchführung der schulpraktischen Studien. Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft wird an Schule und Unterricht der Anspruch gestellt, Schülerinnen und Schülern eigenverantwortliches und selbstgesteuertes Lernen zu vermitteln sowie Selbstvertrauen, Selbstkompetenz und Gestaltungsfähigkeit zu stärken. Die Forderung nach einer in eben diesem Sinne gestalteten Hochschulausbildung und insbesondere Ausbildung der Lehramtstudierenden, die auf Empowerment ausgerichtet ist, ist naheliegend und von den Autoren differenziert und überzeugend belegt und begründet. Angemerkt sei, dass aus Rezensentensicht der Aspekt der Berufseignung zu kurz kommt, ist doch davon auszugehen, dass auch eine „empowerte“ Ausbildung nicht jeden Studierenden zu einer kompetenten Lehrperson macht. Wie aber kann mit denjenigen verfahren werden, die ein Praktikum absolvieren, um in ihrer Berufswahlentscheidung bestätigt zu werden, jedoch keineswegs bereit sind, diese grundsätzlich in Frage zu stellen?
Als Zielgruppen des vorliegenden Buches werden an Lehrerbildung interessierte Dozentinnen und Dozenten, Mentorinnen und Mentoren, Studierende und Bildungsadministratoren, die mehr persönlich erlebte Befähigung und Nachhaltigkeit für die schulpraktischen Studien wünschen, angeführt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Leserschaft die ausgesprochen elaborierte fachwissenschaftliche Sprache als Herausforderung oder Hürde begreift, die freilich durch Zurückblättern, erneutes Lesen und Recherche im Buch überwunden werden kann.
EWR 11 (2012), Nr. 4 (Juli/August)
Empowerment durch Schulpraktika
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
(279 S.; ISBN 978-3-7815-1780-6; 19,90 EUR)
Gabriela Zaremba (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gabriela Zaremba: Rezension von: Arnold, Karl-Heinz / Hascher, Tina / Messner, Rudolf / Niggli, Alois / Patry, Jean-Luc / Rahm, Sibylle: Empowerment durch Schulpraktika. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151780.html
Gabriela Zaremba: Rezension von: Arnold, Karl-Heinz / Hascher, Tina / Messner, Rudolf / Niggli, Alois / Patry, Jean-Luc / Rahm, Sibylle: Empowerment durch Schulpraktika. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151780.html