Die Nutzung und Wirkungsmacht visueller Medien in pädagogischen Kontexten ist in den vergangen zwei Jahrzehnten ein immer wiederkehrendes Thema erziehungswissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. War mit dem im Anschluss an Gottfried Boehm so genannten iconic turn zunächst die Forderung nach einer (Rück-)Wendung auf das Visuelle in Bildung und Erziehung verbunden, so verlagerte sich das Interesse zunehmend auf die Analyse einer in weiten Bereichen – durchaus auch als bedrohlich erlebten – Überflutung der Alltagskultur mit visuellen Medien. Damit verbunden ist eine zunehmend kritische Auseinandersetzung mit dem Bild in – im weitesten Sinne pädagogischen – Medien, sei es, seit den 1970er Jahren, mit Blick auf das Fernsehen, auf die Verbreitung neuer Formen visueller Wahrnehmung, wie es beispielsweise bei PC-Spielen der Falls ist, bis hin zu einer vielerorts konstatierten Verwischung der Grenze zwischen Bild und Wirklichkeit (vgl. u.a. auch den Beitrag von Walter Müller im vorliegenden Band).
Dieses Interesse richtet(e) sich auch auf die Verwendung von Bildern in Schulbüchern, werden Bilder doch längst nicht mehr als reine Illustrationen, sondern gleichbedeutend neben textförmigen Inhalten als Träger didaktischer und pädagogischer Inhalte genutzt. Das dabei zum Ausdruck kommende – diskursiv erzeugte – Wissen und die damit verbundenen Vorstellungen von der eigenen und von fremden Kulturen, von Geschichte und Gegenwart sind keinesfalls selbstverständlich. Vielmehr bedarf die Verwendung visueller Medien gerade in pädagogischen und didaktischen Kontexten einer detaillierten und kritischen Reflexion, weil die Wirkungsmacht und das didaktische Potential von Bildern kaum überschätzt werden können.
Insofern überrascht es, dass eine Auseinandersetzung mit dem Bild als didaktischem Medium in der Vergangenheit zwar immer wieder stattgefunden hat, eine systematische interdisziplinäre Bilddidaktik aber nach wie vor nicht vorliegt. Und noch mehr überrascht, dass die insbesondere für die Schulpädagogik grundlegende Frage, wie Bilder in didaktischen Kontexten sinnvoll genutzt werden können, gerade dann Gegenstand eines umfangreichen Bandes geworden ist, als man in weiten Bereichen schon wieder ein abklingendes Interesse an visuellen Medien konstatieren muss. Der vorliegende Band schließt diese seit langem bestehende Lücke, zumindest teilweise. Zwar verfolgt auch er nicht den Anspruch einer systematischen und in sich geschlossenen Bilddidaktik (da er sich aus ausgewählten Beiträgen der Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für historische und systematische Schulbuchforschung im Jahr 2008 zusammensetzt), dennoch bietet er aus unterschiedlichsten Perspektiven verschiedene theoretische, methodische und fachdidaktische Zugänge, gleichsam Versatzstücke, zu einer Bilddidaktik.
Der Band untergliedert sich in drei Teile. Nach der knappen, aber ausgesprochen instruktiven Einleitung durch Carsten Heinze (9ff) widmet sich der erste Abschnitt des Bandes theoretischen und methodischen Zugängen zur „Bedeutung des Bildes im Bildungprozess“ (17ff) und vorrangig der Frage, welche systematische Bedeutung Bildern für den Bildungsprozess zukommt und welche „bilddidaktische(n) Problemstellungen“ (11) sich daraus ableiten lassen. Peter Menck nimmt in seinem Beitrag (17ff) die Frage in den Blick, in welchem Verhältnis Bild und Bildung stehen und erörtert dies vor dem Hintergrund des Orbus Sensualium Pictus von Johann Amos Comenius und dem Elementarwerk von Johann Bernhard Basedow. Walter Müller (33ff) untersucht die Auswirkungen der „Bilderrevolution“ auf die (visuelle) Sozialisation von Kindern und Jugendlichen und reflektiert die Herausforderungen, die sich daraus für die Pädagogik ergeben. Christoph Kühberger geht in seinem Beitrag (43ff) dem Verhältnis von Bild und Text in Schulgeschichtsbüchern nach und untersucht die in diesem Zusammenwirken zum Ausdruck kommenden historischen Narrationen. Gabriele Lieber (57ff) analysiert anhand verschiedener Beispiele die „Bildliteralität in Schullehrwerken“. Den Abschluss des ersten Abschnitts bildet der Beitrag von Marion Pollmanns (75ff), die anhand von Alexander Kluges und Oskar Negts „Geschichte und Eigensinn“ das Verhältnis von Bild und Text reflektiert und in einem zweiten Schritt der Frage nachgeht, in welcher Weise Bilder und Texte auch in Schulbüchern in ein „lehrreiches Verhältnis“ (75) gesetzt werden können.
Der zweite Abschnitt ist mit „Bilder und Weltbilder in Schulbüchern“ (91ff) betitelt und widmet sich insbesondere der national geprägten Darstellung von Weltbildern in Schulbüchern. Ewa Anklam und Susanne Grindel (93ff) untersuchen „Europarepräsentationen“ in deutschen, französischen und polnischen Geschichtsbüchern; Charlotte Bühl-Gramer (109ff) analysiert, ebenfalls in vergleichender Perspektive, das Bild der Staufer in deutschen und italienischen Schulgeschichtsbüchern. Miriam Sénécheau (125ff) untersucht visuelle Repräsentationen von Kelten, Römern und Germanen in deutschen und französischen Schulgeschichtsbüchern; Elisabeth Erdmann (143ff) analysiert ebenfalls in dieser transnationalen Perspektive die Verwendung von Bildern auf einer allgemeineren Ebene. Galina Makarewitsch und Witaly Bezrogow (155ff) untersuchen Transformationen und Konstanten bei der Gestaltung von Umschlägen russischer Lesebücher in den Jahren 1976-2006. Den Abschluss des zweiten Teils bildet der Beitrag von Arsen Djurovic (173ff), der die Modernisierung Serbiens am Ende des 19. Jahrhunderts anhand zeitgenössischer Schul(geschichts-)bücher analysiert.
Der dritte Teil des Bandes widmet sich schließlich möglichen fachdidaktischen Perspektiven (183ff). Kerrin Klinger (185ff) untersucht das Verhältnis von „reiner und empirischer Anschauung“ in der Geometrie in Universitäts- und Fachschul- und Schullehrbüchern in Weimar und Jena um 1800; Nikola von Merveldt (203ff) betrachtet „Aspekte philanthropischer Medienpädagogik“ in Georg Christian Raffs Naturgeschichte für Kinder. Peter Iwunna (219ff) untersucht die Bedeutung von Illustrationen in Lesebüchern katholischer Missionsschulen in Nigeria zwischen 1925 und 1960. Katrin Annika Wessel (233ff) geht der Funktion von Bildern in Lehrbüchern des Finnischen als Fremdsprache nach; Christine Michler (249ff) nimmt eine ähnliche Fragestellung bei der Analyse von Bildern in deutschen Französisch-Lehrbüchern in den Blick. Martijn Kleppe (261ff) analysiert die Verwendung von Fotografien in (National-)Geschichtsbüchern in den Niederlanden. Der Beitrag von Hansjörg Biener (273ff) hat die Verwendung mittelalterlicher Buchillustrationen in Geschichtsbüchern nach 1945, die sich mit den Kreuzzügen beschäftigen, zum Gegenstand; der abschließende Beitrag von Andrea Richter (289ff) nimmt stärker bildanthroplogische Aspekte in den Blick, wenn sie die bildliche Darstellung des Weltkulturerbes in deutschen Heimat- und Sachkundeunterrichtsbüchern analysiert.
Positiv hervorzuheben ist auf jeden Fall der Facettenreichtum des vorliegenden Bandes und die Qualität der zum Teil hochkarätigen Einzelbeiträge. Durchaus kritisch anzumerken ist demgegenüber der strukturelle Aufbau des Bandes, der allerdings vor allem dem Umstand zuzuschreiben ist, dass die Herausgeber eben keine geschlossene Bilddidaktik im Sinn hatten, sondern vor der zuweilen sicherlich schwierigen Aufgabe gestanden haben, die thematische Vielfalt von Tagungsbeiträgen mit den je höchst unterschiedlichen Prämissen und Zugangsweisen zum Bild im Schulbuch thematisch zu gliedern. So kommt es beispielsweise, dass die Zuordnung der einzelnen Beiträge zu den drei Themenbereichen des Bandes nicht immer einleuchtend ist. Man fragt sich bei der Lektüre, warum einige Beiträge des zweiten Abschnitts nicht dem dritten Abschnitt zugeordnet wurden (und umgekehrt) oder warum der Beitrag von Andrea Richter (289ff) nicht dazu genutzt wurde, die auffallende bildanthroplogische Lücke im ersten, stärker theoretisch orientierten Abschnitt des Bandes zu schließen. Auch ist die Unterteilung in theoretisch-methodische oder fachdidaktische Perspektiven zwar noch nachvollziehbar, nicht aber die im Band dazwischenliegende Perspektive auf „Bilder und Weltbilder in Schulbüchern“, die die zuvor genannten Bereiche nicht nur beinhalten (müsste), sondern darüber hinaus eine Gleichrangigkeit der drei Perspektiven vorgibt, die in dieser Form streng genommen nicht vorliegen kann. Ein wirklicher Mangel an Strukturierung lässt sich daran jedoch nicht ablesen, eher stellt sich bei der Lektüre diesbezüglich eine leichte Irritation ein, die sich aber mit den o.g. Begleitumständen von Tagungspublikationen erklären (und als Kritikpunkt entkräften) lassen.
Davon abgesehen haben Carsten Heinze und Eva Matthes einen hervorragende Band zur Bedeutung des Bildes im Schulbuch vorgelegt, der nicht nur in weiten Bereichen den gegenwärtigen Stand der Forschung, sondern eine Vielzahl von Desiderata und Anschlussmöglichkeiten für weitere Forschungsarbeiten aufzeigt und damit den Beweis liefert, dass eine Abkehr von der – kritischen – Auseinandersetzung mit dem Visuellen in Bildung und Erziehung zum jetzigen Zeitpunkt keinesfalls gerechtfertigt ist.
EWR 10 (2011), Nr. 1 (Januar/Februar)
Das Bild im Schulbuch
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2010
(300 S.; ISBN 978-3-7815-1698-4; 32,00 EUR)
Adrian Schmidtke (Göttingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Adrian Schmidtke: Rezension von: Heinze, Carsten / Matthes, Eva (Hg.): Das Bild im Schulbuch. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 1 (Veröffentlicht am 16.02.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151698.html
Adrian Schmidtke: Rezension von: Heinze, Carsten / Matthes, Eva (Hg.): Das Bild im Schulbuch. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 1 (Veröffentlicht am 16.02.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151698.html