Einführung
Die derzeitige Forderung einer Bildungsplanung im Elementarbereich und ihre Verzahnung mit der Schuleingangsphase sind nichts Neues. Schon im „Strukturplan für das Bildungswesen“ des Deutschen Bildungsrates (1970) wurde für einen Ausbau des Elementarbereiches und dessen Vernetzung mit dem Primarbereich plädiert. Wie die gemeinsame Aufgabe der Persönlichkeitsentwicklung und Bildung von Kindern zwischen drei bis acht Jahren über die institutionellen Grenzen hinweg gelingen und vor allem, wie eine förderliche Unterstützung aussehen kann, wird in der vorliegenden Veröffentlichung thematisiert. Darüber hinaus ist der – mit 24 Beiträgen in fünf Kapiteln zusammengefasste Herausgeberband – ein Plädoyer für die Aufhebung des auf Altersstufen beschränkten Nachdenkens über pädagogische Angebote für Kinder der genannten Altersgruppe. Und letztlich sind die Beiträge eine Fundgrube für Lehrer/innen und Erzieher/innen in Aus-, Fort- und Weiterbildung, die möglichst mit Blick auf eine Kooperation, zu einem Perspektivenwechsel bei der weiteren Professionalisierung von Erzieher/innen und Grundschullehrkräften hilfreich sein können.
Aufbau der Veröffentlichung
Mit „Bildung und Lernen der Drei- bis Achtjährigen“ wird ein Band mit Beiträgen vorgelegt, die – unterstützt durch die den einzelnen Artikeln vorangestellten Kurzzusammenfassungen – ein umfassendes Bild über den derzeitigen Diskussionsstand der frühkindlichen Entwicklung im Kontext bildungspolitischer Implikationen geben.
Im ersten Kapitel wird zunächst „der Frage nachgegangen, welche Basiskompetenzen es im Rahmen (früh)kindlicher Bildungsprozesse zu entwickeln und zu unterstützen gilt“ (14). Nach einer sehr kurzen Skizzierung der Bildungsdebatte als Kontext (vor-)schulischer Entwicklungsaufgaben wird die „Beliebigkeit situationsinduzierter Förderprogramme“ (15) als Begründung für die „Neukonzeptionierung pädagogischer Erziehungs- und Bildungsprogramme im vorschulischen Bereich“ angeführt. Die Argumentation der Verfasserin (Renate Hinz) greift etwas zu kurz. An dieser Stelle hätte man sich z.B. Befunde aus Studien zum Situationsansatz, für den z.B. die Integration behinderter und nichtbehinderter Kinder programmatisch war, gewünscht. Im Weiteren erhält der Leser/die Leserin einen sehr guten Überblick über die verschiedenen zu berücksichtigenden Aspekte der Entwicklung und Stärkung frühkindlicher Lernprozesse, insbesondere auch über die Handlungsfelder einer notwendigen Professionalisierung.
Daran schließt sich ein Beitrag an, der den Leser/die Leserin zunächst in die historische Genese „elementarer Betreuung, Erziehung und Bildung in Deutschland in den letzten 50 Jahren“ (47) einführt. Der Autor (Norbert Hocke) skizziert das dem Kapitel zugrunde liegende Bildungsverständnis. Überlegungen im internationalen Zusammenhang schließen das Kapitel ab, so dass der Leser/die Leserin mit dem Schlusswort eine stringenten Übersicht über die Geschichte elementarer Bildung, Betreuung und Erziehung in Deutschland erhält. Der Fokus ist dabei der folgende: „Kinder brauchen immer Möglichkeiten unbeaufsichtigter Aneignung von Spiel- und Freiräumen als vitale Voraussetzung für alle pädagogischen Impulse“ (49). Der daraus geschlussfolgerten Paradoxie, dass Einrichtungen einerseits Förderangebote unterbreiten und dem Kind andererseits eben genau die Freiräume geben, die es braucht, kann an dieser Stelle nicht gefolgt werden. Das eine schließt das andere nicht aus. Vielleicht müssen wir einfach lernen, weder uns noch die Kinder in ein Korsett pressen zu lassen, in dem wir einem aktuellen bildungspolitisch motivierten „Trend“ folgen.
Des Weiteren wird in dem Kapitel die Frage geklärt, wie die vorschulische Erziehungs- und Bildungsarbeit in Deutschland ausgerichtet ist. Die Autorin (Hanna Kiper) greift auf den ersten Beitrag zurück, um daran anknüpfend den gemeinsamen Rahmen der Bundesländer für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen zu entfalten. Die Beispiele Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geben einen sehr guten und nachvollziehbaren Überblick über länderspezifische Bildungspläne. Die Zusammenfassung der länderspezifischen Aktivitäten, Konzepte und Praxisvorschläge endet mit dem Hinweis auf eine dringend notwendige, empirische Überprüfung der Wirksamkeit verschiedener Ansätze und Materialien.
Aus den genannten Beiträgen ergibt sich konsequenter Weise die Forderung einer Professionalisierung der Bildungsarbeit im Elementarbereich zur Entwicklung eines neuen Berufsprofils.
Das zweite Kapitel fokussiert frühkindliche Entwicklungs- und Lernprozesse. Sehr erfreulich ist, dass Sigrid Heinze in ihrem Beitrag zur kindlichen Entwicklung nach einer Zugrundelegung ihres Bildungsverständnisses auf die entwicklungspsychologischen Modelle von Piaget und Wygotski zurückgreift, „um dann über das Verhältnis von Entwicklung, Erziehung und Lernen in Kindergarten und Grundschule nachzudenken“ (100). Der Einblick in neurobiologische Erkenntnisse und in den frühkindlichen Spracherwerb (Gisela Szagun) beendet das Kapitel mit der Feststellung, dass bei„der Bewertung der Sprache von Kindern (…) allerdings die Perspektive, aus der bewertet wird, berücksichtigt werden (muss)“ (151). Der Theorie-Ansatz des Kindverstehens findet hierbei Berücksichtigung.
Das dritte Kapitel thematisiert sowohl die fachbezogene Frühförderung wie Mathematik und Sprache als auch die Natur und Lebenswelt, das Spielen und Lernen, Bildung und Bewegung. Daneben wird Mehrsprachigkeit als Bildungsansatz sowie das interkulturelle Lernen mit kurzer Darstellung internationaler Forschungsergebnisse präsentiert. Auch diese Beiträge verschaffen eine gute Diskussions- und Bearbeitungsgrundlage. Der Ausblick macht noch einmal deutlich, dass Kindertageseinrichtungen und Grundschulen keine Schonräume sind, die außerhalb gesellschaftlicher Strukturen liegen. Rassismus sowie andere Formen von Diskriminierung erfolgen auch im Mikrokosmos einer Kindertagesstätte oder Grundschule. Insofern muss Bildung im frühkindlichen Bereich zunehmend als Schlüsselqualifikation insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund angesehen werden.
Im vierten Kapitel werden Professionalisierungsprozesse aufgegriffen. Dabei werden Beobachten und Dokumentieren ebenso als Professionsmerkmal postuliert wie die Kooperation von Erzieher/innen und Grundschullehrkräften. Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass frühkindliche Bildung als ein Prozess zu sehen ist, der in der gemeinsamen Ausbildung von Erzieher/innen und Grundschullehrkräften an der Hochschule seine fachliche Basis besitzt.
Das abschließende fünfte Kapitel umfasst Beiträge zum Qualitätsmanagement in der Kindertagesstätte, Qualitätsstandards in Grundschulen, Kindertagesstätten aus der Sicht eines evangelischen Trägers und gemeinsame Fortbildungen zur Zusammenarbeit von Kindertagesstätten und Grundschulen im gleichen sozialräumlichen Bezugsfeld.
Fazit
Den Herausgeber/innen ist es durch die sehr gut aufeinander abgestimmten Beiträge gelungen, verschiedene konzeptionelle Überlegungen zum Thema „Bildung und Lernen der Drei- bis Achtjährigen“ zusammenzuführen. Die Leser/innen können sich einen ertragreichen Gesamtüberblick über die aktuelle Bildungsdebatte in der frühkindlichen Pädagogik bzw. Frühförderung verschaffen und ebenso Teilaspekte durch weiterführende Literatur vertiefend bearbeiten. Zu ergänzen bleiben Studien über den Einfluss der pädagogischen Qualität der Familie in der frühkindlichen Bildung und Persönlichkeitsentwicklung sowie abzuleitende Konzeptualisierungen.
EWR 7 (2008), Nr. 2 (März/April)
Bildung und Lernen der Drei- bis Achtjährigen
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007
(400 S.; ISBN 978-3-7815-1533-8; 22,00 EUR)
Dagmar Sommerfeld (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Dagmar Sommerfeld: Rezension von: Brokmann-Nooren, Christiane / Gereke, Iris / Kiper, Hanna / Renneberg, Wilm (Hg.): Bildung und Lernen der Drei- bis Achtjährigen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151533.html
Dagmar Sommerfeld: Rezension von: Brokmann-Nooren, Christiane / Gereke, Iris / Kiper, Hanna / Renneberg, Wilm (Hg.): Bildung und Lernen der Drei- bis Achtjährigen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151533.html