EWR 21 (2022), Nr. 2 (April)

Carmen Hack
Kooperation und Vernetzung in bildungs- und sozialpolitischen Reformprogrammen
Kommunale Praxis, pädagogische Forschung und Sozialpolitik
Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2021
(306 S.; ISBN 978-3-7799-6482-7; 39,95 EUR)
Kooperation und Vernetzung in bildungs- und sozialpolitischen Reformprogrammen Um es vorweg zu nehmen: Die Leistung von Carmen Hacks als Dissertationsschrift vorgelegter Studie zur „Kooperation und Vernetzung in bildungs- und sozialpolitischen Programmen“ kann darin gesehen werden, den affirmativen Kooperationsdiskurs im Bereich sozialer Dienstleistungen mit substanziellen Konzepten zu Vernetzung und Kooperation zu unterlegen, dabei den wohlfahrtsstaatlichen Transformationsprozess in Richtung kommunaler Gesamtverantwortung in der öffentlichen Daseinsfürsorge in Rechnung zu stellen und auch das empirische Sichtfenster für praktische Hemmnisse von Kooperationen in der Umsetzung sozialpolitischer Reformprogramme zu erweitern. Der Gewinn der Studie liegt also in der Offenlegung sozialpolitischer Rahmenbedingungen, die zur Kooperation in kommunalen Verwaltungsstrukturen anhalten, sowie in der kritischen Reflexion über Gelingensbedingungen in der Ausgestaltung ebendieser (Kapitel eins widmet sich gezielt der wohlfahrtsstaatlichen Einordnung des Diskurses um kommunale Vernetzung).

Der selbst gesetzte Auftrag der vorliegenden Untersuchung besteht darin, „herauszufinden, ob und wie die Idee von Vernetzung und Kooperation von bis dato eigenständigen und voneinander unabhängigen Akteuren unterschiedlicher Versorgungs- und Unterstützungssysteme umgesetzt werden kann“ (13). Dabei geht es um die Einrichtung und Ausgestaltung von Netzwerkstrukturen in der Kommunalverwaltung an der Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitsdiensten, Schule und sozialer Sicherung. Entwicklungstendenzen in Richtung Netzwerkstrukturen sind in vielen Bildungs- und Erziehungsbereichen gegenwärtig nachzuweisen: im Inklusionsdiskurs der Kinder- und Jugendhilfe, im Feld schulischer und beruflicher Übergänge oder beispielsweise im Kontext Früher Hilfen. Die Kommune wird dadurch flächendeckend zum Ort sozialpolitischer Steuerung, sie bleibt aber auch ein Ort regionaler Einfärbungen, mentalitätsgeschichtlicher Entwicklungen und ein Gefüge lokaler Institutionen.

Bis auf die in der Studie im Forschungsstand aufgeführte und profund zusammengetragene Begleitforschung zu sozialpolitischen Programmen (Kapitel zwei) gibt es keine nennenswerten Regionalanalysen, die sich grundlegend mit dem Umbau des Wohlfahrtsstaats in der Kommune befassen. Hierin liegt die Bedeutung der vorgelegten Studie, darin liegen aber auch ihre methodischen und theoretischen Schwierigkeiten. Methodisch in der Hinsicht, dass mit dem Zuschnitt auf regionale Kooperationszusammenhänge quasi zwangsläufig Fragen nach dem Transfer der Befunde in andere regionale Kontexte aufgeworfen werden. Theoretisch dahingehend, dass sozialpolitische Programme unter einem besonderen Legitimations- und Erfolgsdruck stehen und dabei auch von einer gewissen Tempoideologie getrieben werden. Dieser Praxisbezug von Reformen verhindert üblicherweise auch grundlegende theoretische oder konzeptionelle Reflexionen im Hinblick auf Netzwerke und ihre Kooperationen.

Die Studie bewältigt diese Herausforderung durch eine dreifache theoretische Positionierung (Kapitel drei). Zur Verortung von Kooperation und Netzwerken wird auf Konzepte der Governance-Forschung zurückgegriffen und es werden Bezüge zum Neoinstitutionalismus sowie zum Change-Management hergestellt. Steht Kooperation in der Governance Forschung für eine Strategie politischer Steuerung mit dem Ziel, der Zersplitterung sozialer Dienstleistungen entgegenzuwirken, also die öffentliche Angebotsstruktur effizienter und kostengünstiger zu gestalten, sind Kooperationen im Neoinstitutionalismus auf den organisationalen Konkurrenzdruck um öffentliche Ressourcen zurückzuführen. Im Change-Management wird hingegen davon ausgegangen, dass Kooperationen nur im Rahmen von Organisationsbildungsprozessen beschrieben werden können und dadurch eine zeitliche Perspektive in die Gestaltung von kommunalen Netzwerken einflechten. Diese gut gewählten Theorieperspektiven besitzen auch ein kritisches Potenzial gegenüber sozialpolitischen Reformprogrammen. Etwaige kommunale Sparzwänge, Legitimationsfassaden oder die Nachhaltigkeit von Projektförderprogrammen können damit kritisch angefragt werden.

Ihre empirischen Analysen stützt Carmen Hack auf eine wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts „Kein Kind zurücklassen (KeKiz)“ bzw. auf eine Analyse der dort aufgebauten „kommunalen Präventionsketten“ (162). Ausgangspunkt des Projekts war der Aufbau einer präventiven Infrastruktur in einer Kommune in Nordrhein-Westfalen (2012-2016). Das Ziel bestand darin, die bisherige Versäulung der öffentlichen Verwaltung wenn nicht aufzulösen, so doch in den Dienst betroffener Kinder und Familien zu stellen, also Hilfe und Unterstützung „vom Kind aus“ zu denken und nicht von der Funktionsspezifik öffentlicher Verwaltungseinheiten. Wie auch in anderen Präventionsprogrammen geht es in diesem Projektkontext um „Hilfen aus einer Hand“ und „passgenaue Unterstützung“, um „Beteiligungsorientierung“ und „fließende Übergänge“ (157) in und zwischen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen (vorgestellt in Kapitel fünf).

Kooperation und Vernetzung werden in diesen Programmen als strategische Mittel zur Realisierung der Projektziele ausgegeben. Insofern ist der von Carmen Hack gewählte Fokus auch ein passender Schlüssel für die von ihr vorgenommene kommunale Institutionenanalyse (bezeichnet als dreidimensionales kommunales Mehrebenensystem). Zwei methodische Zugänge werden für die Datenerhebung unterschieden. Dies sind zum einen Expert:inneninterviews mit kommunalen Netzwerkakteur:innen. Diese wurden nach ihrer Stellung zum Projekt unterschieden in normative (Bürgermeister und Dezernent), strategische (Projektkoordination und Leitungskräfte) sowie operative Netzwerkpartner:innen (Fachkräfte mit Kontakt zu Familien) und jeweils als Repräsentant:innen ihrer Verwaltungssektoren (Jugendhilfe, Schule, Gesundheit, soziale Sicherung) ausgewählt. Zudem wurden zur Visualisierung und Lokalisierung ihrer Beziehungen untereinander Netzwerkkarten erstellt. Ausgewertet wurden insgesamt 16 Interviews durch ein mehrstufiges Analyseverfahren mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse und Netzwerkanalysen (siehe Kapitel sechs). Problematisch oder zumindest diskussionswürdig erscheint die damit eingenommene „Selbstbeschreibungsperspektive“ (200) der befragten Netzwerkakteur:innen. Ginge es der Studie, wie laut eigener Zielstellung formuliert, um die Umsetzung des Projektprogramms in der Kommune, also um die praktische Gestaltung von Netzwerken in lokalpolitischen Kontexten, ist das Forschungsdesign eine methodische Vorentscheidung für eine enge Fokussierung auf kommunale Funktionsbereiche und ihre Stakeholder. Der Prozess der Herausbildung oder der Neuordnung kommunaler Netzwerkstrukturen, also die methodisch anvisierten Prozessstrukturen, geraten damit analytisch in den Hintergrund. Dafür hätten gegebenenfalls offenere qualitative Erhebungs- und Auswertungsverfahren genutzt werden können.

Die Befunde der Studie werden in Kapitel sieben systematisch erarbeitet und abschließend in Kapitel acht zusammengefasst. Es wird eine Differenzbildung zwischen operativen und normativen Funktionsbereichen im Kooperationsprozess herausgearbeitet, also eine Differenz zwischen programmatischen Leitbildern von Vernetzung und der gelebten Kooperationspraxis in der Kommune resümiert. Zudem stellt Hack eine Innovationsgrenze von Steuerungsprozessen durch eine strukturkonservative kommunale Verwaltungsordnung fest, hebt die Reproduktion kommunaler Systemverhältnisse in den Projektstrukturen hervor und äußert die Forderung, dass sich eine künftige Kooperationsforschung auch mehr mit der zeithistorischen Einordnung kommunal umgesetzter Reformen auseinandersetzen sollte. Die genannten Befunde sind alles ernstzunehmende Hinweise darauf, dass sozialpolitische Programmatiken nur bedingt in den kommunalen Strukturen verfangen bzw. innovative Projekt- und Programmziele sich an der Wirklichkeit öffentlicher Verwaltungsstrukturen brechen. Interessant sind aber auch einige Randbemerkungen, die einen durchaus kritischen Umgang mit den beschriebenen Reformprogrammen zu erkennen geben. Beispielsweise, dass sich Vertreter:innen des Gesundheitsbereichs nur begrenzt in die Netzwerkarbeit einbringen, Leitungskräfte in den Sozialen Diensten über Projektmittel bestehendes Personal und Aufgabenbereiche erhalten oder Netzwerkpflege zusätzliche Ressourcen bindet und grundsätzlich mehr der Außenwirkung der Verwaltung dient als der Fallarbeit mit Familien, Kindern oder Jugendlichen. Auf der Basis dieser Befunde und auch im Hinblick auf eine Gesamtdiskussion ihrer Ergebnisse lassen sich die kritischen Potenziale der gewählten Theorieperspektiven aber noch deutlich ausschöpfen. Hier möchte man die Autorin ermutigen, sich von einer das Fazit bestimmenden Bestätigungshaltung ihrer Vorannahmen zu lösen und eigene Deutungen auf einer belastbaren empirischen Basis zu formulieren.

Fazit: Die von Carmen Hack vorgelegte Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Reflexion von Netzwerkstrukturen in Kommunen. Die Arbeit kann aufgrund ihrer inneren Systematik sowohl kommunalpolitischen Akteur:innen empfohlen werden, die sich um eine Netzwerkstruktur der kommunalen Verwaltung bemühen, aber auch Wissenschaftler:innen, die sich gezielt mit Fragen der Steuerung und Vernetzung im kommunalen Raum beschäftigen. Die Stärke der Arbeit ist die Anbindung des Vernetzungsdiskurses an wohlfahrtsstaatliche Transformationsprozesse. Schwierig sind dabei nur jene Passagen, die sich mehr dem Ausweis wissenschaftlicher Expertise und ausschweifenden Begriffsexplikationen widmen als sich mit der Kooperationspraxis in der Kommune zu befassen.
Tobias Franzheld (Frankfurt a.M.)
Zur Zitierweise der Rezension:
Tobias Franzheld: Rezension von: Hack, Carmen: Kooperation und Vernetzung in bildungs- und sozialpolitischen Reformprogrammen, Kommunale Praxis, pädagogische Forschung und Sozialpolitik. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.05.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377996482.html