
Yalız Akbabas lesenswerte Dissertationsschrift reiht sich in den Kontext von Studien, die den notwendigen Aufwand methodischer und theoretischer Selbstreflexivität nicht scheuen, gut ein. In Anlehnung an Foucault und das Theorieinventar poststrukturalistischer Sozialwissenschaften geht sie davon aus, dass der Migrationshintergrund nicht nur als eine soziale Kategorie, sondern als ein unhintergehbares Dispositiv zu verstehen ist. Er stellt den übersituativen strukturellen Rahmen dar, der von migrationsanderen Lehrkräfte mithergestellt wird, in dem sie Akteursstatus erlangen und subjektiviert werden und gegen den sie anzustehen versuchen.
Auf der Grundlage von ethnografischen Teilnahmen am Alltag von migrationsanderen Lehrkräften zwischen Unterricht und Kollegium in einer Gesamtschule bringt Yalız Akbaba „die situativen Deutungsleistungen der Feldteilnehmer*innen [...] mit diskursiven Bedeutungskonstruktionen von Migration in Zusammenhang“ (90). Aus ihren Beobachtungen und mit Bezug auf die erziehungswissenschaftliche Differenz- und die rekonstruktive schulpädagogische Professionsforschung entwickelt sie nach den Regeln der Grounded Theory Method eine in den Daten gegründete Theorie, die Variationen der Herstellung und des Umgangs mit Ethnizität und die damit verbundenen Formen der Subjektivierung und Identitätsarbeit durch die betroffenen migrationsanderen Lehrkräfte konzeptualisiert. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf den vorgeschalteten umfangreichen Theorierahmen und die kenntnisreiche und anspruchsvolle Kontextuierung der Dissertation eingehen, sondern die empirischen Analysen und deren theoretischen Ertrag würdigen.
Zunächst skizziert Yalız Akbaba, wie der Migrationshintergrund im Unterricht der migrationsanderen Lehrkräfte sowohl durch sie als auch von den Schüler*innen sozial in Szene gesetzt wird. Im Unterricht kann sie beobachten, wie in Praktiken der Wertschätzung und Anerkennung der Schüler*innen als Expert*innen ethnische Differenzierungen inszeniert und damit dramatisiert, dann aber normalisiert und damit entdramatisiert werden, bspw. wenn über anderssprachige Schreib- und Sprechweisen von Buchstaben oder andersreligiöse Feiertage gesprochen wird. An einer ganzen Reihe von Unterrichtssituationen wird darüber hinaus deutlich, wie die Schüler*innen selbst auf aktive, scherzhafte und spielerische Weise mit den inferiorisierenden gesellschaftlichen Etikettierungen im Kontext des Migrationshintergrunds umgehen, diesen im „Upgrading ethnicity“ (234) reproduzieren, ihn in „Karikierungen“ (171) aber eben zugleich umdeuten und ihm dadurch entgegentreten. Yalız Akbaba kann damit die Doppelstruktur und auch Doppelbödigkeit der Relevanzsetzung des Migrationshintergrunds im Vorder- und Hintergrund von Interaktionen deutlich machen: „Auch wenn der Migrationshintergrund mit Praktiken der Entproblematisierung [durch die Lehrkräfte] vordergründig wird, wirken seine hintergründigen Problematisierungsstrukturen [in den ironisierenden Selbststigmatisierungen der Schüler*innen] weiter“ (180).
Eine zweite Säule der Analysen bilden zwei Fallstudien zu migrationsanderen Lehrer*innen, die sich auf Unterrichtsbeobachtungen und ethnografische Interviews und Feldgespräche stützen und die paradoxe Doppelbindung des Migrationshintergrunds – konzeptualisiert in der Kernkategorie des „Double-Binding-Ethnicity“ – am Fall erläutern. Im einen Fall – einer aus Israel eingewanderten Lehrerin – wird deutlich, wie der Migrationshintergrund in besonderer Weise zu einer paradoxen Zuspitzung der Nähe-Distanz-Antinomie führen kann. Das Agieren der Lehrerin zeichnet sich durch besondere Distanz und durch das Bestreben aus, „Abzweigungen vom Sachthema des Unterrichts zu unterbinden“ (233). In der Handlungsstrategie der De-Thematisierung, Relativierung und Neutralisierung von eigenen Rassismus- und Antisemitismuserfahrungen im kollegialen Kontext wie auch von solchen, die die Schüler*innen erfahren, sichert die Lehrerin auf der einen Seite ihre Handlungsfähigkeit als Unterrichtende. Auf der anderen Seite „unterwandert [sie aber] ihre Handlungsmöglichkeit zur Auseinandersetzung mit Rassismus“: „Bespricht sie Rassismus als Thema, kann ihr Selbstbetroffenheit unterstellt werden“, wodurch implizit „damit die regelmäßigen Stigmatisierungen ihrer Person in der Wahrnehmung der anderen aktualisiert“ werden (ebd.).
Die Strategie schützt sie vor emotionalen Verstrickungen in Unterrichtssituationen. Diese Form der Bewältigung kann nicht „als richtig oder falsch bewertet werden“ (ebd.), vielmehr ist sie paradox und mit Vor- und Nachteilen im Umgang mit den Schüler*innen verbunden. In der zweiten Fallstudie rekonstruiert Yalız Akbaba die Handlungslogik eines aus der Türkei migrierten Lehrers, dessen Unterricht durch eine spezifische „Herstellung von Eindeutigkeiten“ (266), geringe Diskursivität und besondere Disziplinanforderungen geprägt ist. Dies wird an der Be- und Verhandlung des Themas Menschenrechte besonders augenfällig, die den Lehrer in besondere performative Selbstwidersprüche verstrickt. Auf der Folie der Missachtungserfahrungen und Anpassungsforderungen im Lehrerzimmer, über die er im Interview berichtet, wird deutlich, wie er durch den Integrationsdiskurs unterworfen wird und warum ihm, der außerhalb des Unterrichts bzw. im Privaten Wert auf Diskussion und Widerspruch legt, ein kontroverser Politikunterricht zur Gefahr werden kann: weil „ihm die Autorisierung über das Gesagte entzogen“ werden könne (267). Vor dem Hintergrund dieser Subjektivierungszumutungen ist seine Vereindeutigungsstrategie als erfolgreich zu bezeichnen, denn sie schützt ihn „vor Andersmachung und vor Politisierungsvorwürfen“ (268).
Mit den sozial- und subjektivierungstheoretischen Justierungen der Ethnografie kann so gezeigt werden, wie die migrationsanderen Lehrkräften einerseits dem Dispositiv des Migrationshintergrunds ausgesetzt sind, wie sie sich mit ihm auseinandersetzen und wie sie sich in ihrem Bewältigungshandeln ihm widersetzen und Handlungsmacht für sich zu beanspruchen versuchen. Der Ertrag der Studie von Yalız Akbaba liegt in der tiefenscharfen Analyse dieser machtvollen Prozesse und deren Bedeutung für die Möglichkeiten der migrationsanderen Lehrkräfte, unter besonderen Zumutungen, Verkennungs- und Subjektivierungslasten professionelle Pädagog*innen in Schule zu sein. Sie liefert damit einen wichtigen Beitrag zur Professionsforschung und zur Aufklärung bildungspolitischer Vereinnahmungen und Entwertungen von Lehrkräften mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Spannend wäre es, über die Studie hinausgehend die Sichtweise auf Ethnizität mit einer intersektionalen Perspektive auf Überlagerungen mit anderen Differenzlinien anzureichern, was aber im Rahmen der notwendigen Fokussierung nicht möglich war und damit weiterer Forschung überlassen bleibt. Zum anderen bleibt der analytische Einbezug der institutionellen Ebene eine in der Anschlussforschung zu füllende Leerstelle, d.h. der Blick auf das Zusammenspiel und die Bedeutung der symbolischen Ordnungen von Einzelschulen, von organisationalen Schulmilieus und von damit zusammenhängenden unterschiedlichen Praxen des kollegialen Umgangs mit sozialen und kulturellen Differenzierungen und Differenzsetzungen.
[1] Bräu, K. / Georgi, V. / Karakaşoğlu, Y. / Rotter, C. (Hrsg.): Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund. Zur Relevanz eines Merkmals in Theorie, Empirie und Praxis. Münster: Waxmann 2013;
Journal für LehrerInnenbildung 3/2013
Rotter, C.: Zwischen Illusion und Schulalltag. Berufliche Fremd- und Selbstkonzepte von Lehrkräften mit Migrationshintergrund. Wiesbaden: Springer VS 2014.