Die Schriften und das bildungspolitische Engagement Wolfgang Klafkis (1927-2016) haben in der Vergangenheit große Aufmerksamkeit erfahren. So veröffentlichte er in über 50 Jahren seiner Tätigkeit mehr als 400 Publikationen mit großer thematischer Bandbreite, darunter Auseinandersetzungen zum Bildungsbegriff, Planungskonzepte zum Unterricht, Schriften zur Curriculumforschung sowie kritische Artikel zum deutschen Schulsystem. Sie wurden und werden nicht nur in Deutschland rezipiert, sondern auch auf internationaler Ebene. Doch bieten sie auch gegenwärtig und künftig noch Anschlusspunkte zu erziehungswissenschaftlichen, bildungspolitischen und didaktischen Diskussionen? Sind sie noch zeitgemäß? Derlei Fragen stellen sich beispielsweise Lehrende und Lernende in Kontexten der Allgemeinen Didaktik, wenn in Lehrveranstaltungen z.B. die von Klafki geprägten fünf Fragen der Didaktischen Analyse besprochen werden, sein daraus weiterentwickeltes Perspektivenschema diskutiert oder zu seinem Allgemeinbildungskonzept gestritten wird. Schon der Titel des zu besprechenden Buches lässt erwarten, dass Klafkis Schriften auch posthum im Gespräch bleiben und es aktuell vielfältige Anschlüsse an sein Werk gibt.
Der von Anne Köker und Jan C. Störtländer herausgegebene Sammelband dokumentiert Beiträge der Tagung „Zur Relevanz von Bildungstheorie und kritisch-konstruktiver Didaktik für die Professionalität von LehrerInnen“, die im Januar 2015 an der Universität Bielefeld stattfand. Er enthält neben einem Vorwort der Herausgebenden zehn Beiträge zu gegenwärtig und voraussichtlich zukünftig in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion bedeutsamen Schwerpunkten. Im Vorwort ist eine Würdigung des Werkes von Wolfgang Klafki vorangestellt. Zudem werden die Entstehung des Sammelbandes beschrieben und die einzelnen Artikel zusammenfassend vorgestellt. Daran anschließend folgen die Beiträge.
Ewald Terhart stellt die Bedeutung von Klafkis Werk in und für die Lehrerbildung heraus und geht ausführlich auf seine Verdienste bezüglich Allgemeiner Didaktik und Schultheorie ein. Dabei stellt er fest, dass sich vor allem drei Artikel Klafkis explizit mit der Lehrerbildung selbst beschäftigen. Die Bedeutung von Klafkis Schaffen für die Lehrerbildung ergibt sich für Terhart gegenwärtig erst beim genaueren Hinsehen: Klafki gilt als Verfechter der demokratischen Schule und Gesellschaft und forderte, dass Lehrpersonen Schülerinnen und Schüler zu einem demokratischen Miteinander erziehen und Mitverantwortung an bildungspolitischen Ansprüchen übernehmen können sollten. Dieser normative und gleichzeitig ethische Anspruch Klafkis ist „zweifellos aktuell“ (30), denn er verdeutlicht die allzu starke Beschränkung einer vornehmlich auf Effektivität und Effizienz von Schulleistung abzielenden Lehrerbildung.
Karl-Heinz Arnold diskutiert im Folgenden das Verhältnis von Methodik und Didaktik und hinterfragt dazu die Konsistenz der Argumentation in Klafkis Publikationen. Dabei geht er auch auf die Felder der Unterrichtsplanung sowie Klassifikationen von Methoden ein und fordert einmal mehr, dass auch lernprozessanregende Aufgaben zu einem gut geplanten Unterricht gehören sollten. Der Artikel von Simone Seitz beschäftigt sich mit Inklusion in Schule und Unterricht und benennt in diesem Zusammenhang die Schwachstellen des deutschen Bildungssystems. Ein knapper Bezug zu Klafki erfolgt lediglich über seinen 1994 erschienenen Artikel „Recht auf Gleichheit – Recht auf Differenz“ (59), in dem der Erziehungswissenschaftler feststellte, dass auch bei der Bearbeitung gemeinsamer Aufgaben und Problemstellungen individuelle Interessen der Lernenden zur Geltung kommen können. Weitere Verbindungen zu Klafkis Werk werden von Seitz nicht hergestellt.
Um Binnendifferenzierung und „Individualisierung im Unterricht im Medium des Allgemeinen“ (68) geht es anschließend bei Susanne Lin-Klitzing. Klafkis bildungstheoretischer und kritisch-konstruktiver Ansatz sowie seine weiter entwickelten Ansprüche an ein „neues“ Allgemeinbildungskonzept bieten nach Ansicht dieser Autorin ein gutes Rahmenkonzept für moderne „Individualisierung“ im Unterricht (68). Das Kriterienraster von Klafki und Stöcker zur Binnendifferenzierung (1976) wird hier dargestellt und Offener Unterricht in den Zusammenhang zur Klafki‘schen Konzeption gestellt. Demnach könne Öffnung und Individualisierung nie radikal aus Schülersicht erfolgen. Vielmehr müsse sich an einem inhaltlich Allgemeinen orientiert werden – und dies sind nach Klafki die epochaltypischen Schlüsselprobleme (81). Für die Forschung ergeben sich nach Lin-Klitzing weiterführende Fragen, zum Beispiel zur unterschiedlichen Lernzeit der Lernenden und zur Diagnosekompetenz der Lehrenden.
Roger Hofer stellt dar, wie Klafki den Kritikbegriff von Habermas rezipiert, nämlich als Ideologiekritik sowie emanzipatorisches Erkenntnis-, Gestaltungs- und Veränderungsinteresse (89). Er beschäftigt sich anschließend mit der divergenten Weiterentwicklung dieses Begriffs bei beiden Wissenschaftlern. Im Mittelpunkt des Artikels von Hartmut Giest steht sodann die Kulturhistorische Didaktik, die sich eher der Lernpsychologie zuordnen lässt als der Bildungstheorie im Sinne Klafkis. Trotzdem lassen sich dem Autor zufolge Bezugspunkte finden. So diskutiert und beschreibt er u.a. Grundpositionen kooperativer Unterrichtsplanung, die an die didaktische Analyse anknüpfen. Daniel Scholl und Wilfried Plöger deuten die Allgemeine Bildungstheorie von Klafki lehrplantheoretisch (122), indem sie Erich Wenigers Theorie des Lehrplans mit Klafkis Allgemeinbildungstheorie vergleichen und in einer Tabelle zusammenfassen.
Barbara Koch-Priewe greift als einen Kritikpunkt der Rezeption Klafkis auf, er habe in seinem Schaffenswerk die Schülerinnen- und Schülerbeteiligung im Planungsprozess nicht erwähnt und sehe die Schülerinnen und Schüler nur als „Störgröße“ (143f). Die Autorin zeigt aber, dass es in den Texten Klafkis durchaus Aufforderungen gibt, sich mit den Lernenden über das unterrichtliche Geschehen zu verständigen, insbesondere in seiner erst 2013 veröffentlichten zweiten Staatsexamensarbeit. Sie kommt zu dem wichtigen Fazit: „Bildungstheoretisches Denken hatte seinen Bezugspunkt im (sich) bildenden Subjekt, das immer in soziale Kontexte eingebunden ist“ (150). Die beiden abschließenden Artikel beschäftigen sich vor allem mit der Bedeutung von Klafkis Veröffentlichungen im internationalen Kontext. Während Hilbert Meyer und Meinert A. Meyer dies am Beispiel der Rezeption und Veröffentlichung in zwölf Ländern und anhand englischsprachiger Übersetzungen überblicksartig präsentieren, zeigt Stefan Ting Graf am Beispiel Dänemarks sehr differenziert, dass Klafkis Werk bildungspolitisch und ideengeschichtlich auch über die deutschsprachige Erziehungswissenschaft hinaus große Wirkung hat(te).
Insgesamt setzt dieser Band die Tradition der Auseinandersetzung mit Klafkis Werk fort und würdigt die Verdienste dieses kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaftlers. Er benennt aber auch Kritikpunkte und Leerstellen und verknüpft diese Perspektiven mit aktuellen erziehungswissenschaftlichen Diskussions- und Forschungsthemen (z.B. Inklusion). Dabei werden mögliche Weiterentwicklungen andiskutiert – etwa in Bezug auf Differenzierung und Individualisierung und kooperative Unterrichtsplanung durch Lehrende und Lernende. Der Sammelband zeigt auf, dass Klafkis Überlegungen durchaus noch zeitgemäß sind und gleichsam für Studierende als auch Lehrende aktuelle Diskussions- und Forschungsperspektiven im Umgang mit der Kritisch-Konstruktiven Didaktik existieren. „Mit dem vorliegenden Band“ wird, da ist den Herausgeben zuzustimmen, auch ein „Beitrag zur Würdigung des Werkes von Wolfgang Klafki“ geleistet, „den er selber leider nicht mehr zur Kenntnis nehmen kann“ (11).
EWR 16 (2017), Nr. 4 (Juli/August)
Kritische und konstruktive Anschlüsse an das Werk Wolfgang Klafkis
Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2017
(212 Seiten; ISBN 978-3-7799-3442-4; 34,95 EUR)
Barbara Kranz (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Barbara Kranz: Rezension von: Köker, Anne / Störtländer, Jan C. (Hg.): Kritische und konstruktive Anschlüsse an das Werk Wolfgang Klafkis. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2017. In: EWR 16 (2017), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2017), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377993442.html
Barbara Kranz: Rezension von: Köker, Anne / Störtländer, Jan C. (Hg.): Kritische und konstruktive Anschlüsse an das Werk Wolfgang Klafkis. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2017. In: EWR 16 (2017), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2017), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377993442.html