EWR 16 (2017), Nr. 2 (März/April)

Karlheinz Thimm
Soziale Arbeit im Kontext Schule
Reflexion – Forschung – Praxisimpulse
Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2015
(224 S.; ISBN 978-3-7799-3247-5; 26,95 EUR)
Soziale Arbeit im Kontext Schule In den letzten zehn Jahren sind zahlreiche Buchpublikationen zur Sozialen Arbeit in schulischen Kontexten (Schulsozialarbeit, Soziale Arbeit in Ganztagsschulen) erschienen. Die Mehrheit dieser BĂĽcher behandelt das Thema in eher allgemeiner Form und entsprechend gibt es mittlerweile eine groĂźe Bandbreite an BĂĽchern, die sich als Hand-, Lehr- oder Praxisbuch, als EinfĂĽhrung oder Grundlagenwerk zur Sozialen Arbeit in Schulen verstehen.

Karlheinz Thimm legt nun ein weiteres allgemeines Werk zur Sozialen Arbeit in schulischen Kontexten vor. Somit stellt sich nicht nur die Frage nach der Qualität des Buches, sondern hinsichtlich der skizzierten Vielzahl an Publikationen ist auch von Interesse, welche neuen Aspekte dieses Buch in die Publikationsvielfalt zu diesem Themengebiet einbringt.

Grundsätzlich ist zunächst zu betonen, dass es keine leichte Aufgabe ist, ein Buch zur Sozialen Arbeit im schulischen Kontext zu konzipieren, denn mit dem Terminus „Sozialer Arbeit in Schulen“ wird allgemeinhin eine große Vielfalt an Praxis- und Institutionalisierungsformen mit durchaus unterschiedlichen Strukturen, Konzeptionen und Bezeichnungen zusammengefasst. Hinzu kommt, dass Schule als Kontext nicht minder vielfältig ist, insbesondere im Hinblick auf die Altersspanne der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen, deren alters- und sozioökonomischen Unterstützungs- und Bildungsbedürfnisse, den jeweiligen Leistungsanforderungen und dem institutionenspezifischen Schulklima. Am Anspruch also, sämtliche Formen Sozialer Arbeit in Schulen innerhalb aller real vorkommenden schulischen Kontexte zu thematisieren, lässt sich hervorragend scheitern.

Wie geht Karlheinz Thimm nun mit dieser Herausforderung der sozialarbeiterischen und schulischen Praxis- und Strukturvielfalt um? Das Buch ist so aufgebaut, dass Schule einleitend im Horizont lebensweltlicher Dimensionen von Kindern und Jugendlichen beschrieben wird und damit nicht existierende Schulstrukturen, sondern gegenwärtige Lebenslagen und -situationen von Kindern und Jugendlichen in ihrer Bedeutung für Schule und Soziale Arbeit hervorgehoben werden. Damit wird eine Adressat/innenperspektive eröffnet, über die sich nicht nur Begründungsformen für die Kooperation von Jugendhilfe und Schule, sondern gleichfalls auch Handlungsnotwendigkeiten für Angebots-, Praxis- und Strukturentwicklung erkennen lassen. Daran anschließend werden Merkmale Sozialer Arbeit in Schulen vorgestellt, mit der Einschränkung, dass sich die Darstellungen auf das Leistungsspektrum, Qualitäts- und Strukturmerkmale der Sozialen Arbeit an Grundschulen beziehen. Damit wurde das im Titel des Buches allgemein gehaltene Thema auf die Soziale Arbeit an Grundschulen fokussiert bzw. eingegrenzt. Geöffnet wird diese thematische Einschränkung auf Soziale Arbeit an Grundschulen wiederum in den anschließenden Kapitel 3 bis 9, in denen Phänomene, Herausforderungen und Probleme in ihrer Bedeutung für die Praxis Sozialer Arbeit in jeglichen Schulen thematisiert werden. Den Anfang dieser phänomen-orientierten Kapitel macht ein Beitrag zur Konfliktpädagogik (Kap. 3). An diesem Kapitel wird dann auch deutlich, wie der im Untertitel des Buches formulierte Zugang „Reflexion-Forschung-Praxisimpulse“ eingelöst wird: Es wird auf ca. 40 Seiten ein Forschungsprojekt vorgestellt, in dem der Frage nachgegangen wurde, welche Konfliktformen und dazugehörige Interventionsformen es im schulischen Kontext gibt. Darauf aufbauend wird skizziert, wie eine auf Empirie basierende Konfliktpädagogik aussehen könnte. Es folgen Kapitel zur Auszeitgestaltung, Schuldistanz, Vernetzung und Kooperation, Zusammenarbeit mit Eltern, häuslichen Gewalt (wiederum auf Soziale Arbeit an Grundschulen bezogen) und zur Berufsorientierung. Diese Kapitel sind je unterschiedlich lang (12-22 Seiten) und lösen den Anspruch auf eine Verbindung von Reflexion, Forschung und Praxisimpulsen nicht immer so umfangreich ein, wie dies in Kapitel 3 zur Konfliktpädagogik geschehen ist. Dennoch werden in diesen Kapiteln zahlreiche anregende Reflexionen zu den einzelnen Themen vorgenommen und Handlungsmöglichkeiten für die Praxis skizziert. Gewinnbringend ist dabei auch, dass Karlheinz Thimm für einige dieser Kapitel sowie für einzelne Unterkapitel mit weiteren Autoren zusammengearbeitet hat, um dieses durchaus weite Themenspektrum auf gleich bleibendem Niveau darstellen zu können. Interessiertes Fachpublikum, das sich über die Bedeutung dieser Themen für die Praxis Sozialer Arbeit in Schulen informieren möchte, findet hier sicherlich anregende und gewinnbringende Lektüre. Zum Abschluss des Buches wird in Kapitel 10 dargestellt, wie sich aus systemischer Perspektive heraus Veränderungen von Menschen erklären und gestalten lassen. Damit wird das Buch von einem Thema auf einer übergeordneten Ebene abgeschlossen.

Insgesamt gesehen legt Karlheinz Thimm ein Buch vor, dessen Themenauswahl ausnahmslos von besonderer Relevanz für die Praxis und Konzeptentwicklung Sozialer Arbeit in Schulen ist, jedoch wurde die Zusammenstellung an Themen nicht weiter begründet. So kann durchaus die Frage gestellt werden, warum andere Themen nicht enthalten sind (was jedoch auch wiederum auf die inhaltliche Weite des Feldes zurückzuführen ist, mit der wohl kaum ohne Fokussierungen und damit verbundenen Verkürzungen umgegangen werden kann). Angesichts des letzten Kapitels zur Frage, wodurch Veränderungen beim Menschen bewirkt werden, wäre allerdings von Interesse, warum es kein komplementäres Kapitel zur Frage, wie Veränderungen von Systemen entstehen, im Buch enthalten ist. Hier wäre es schön gewesen, dass nicht nur dargestellt wird, welchen Beitrag Soziale Arbeit leisten kann, um bei Personen Veränderungsprozesse zu initiieren bzw. zu begleiten. Darüber hinaus wäre interessant zu wissen, wie Soziale Arbeit konstruktiv in Prozesse der Schulentwicklung eingebunden sein kann und somit auch Impulse zur Veränderung bzw. Weiterentwicklung von Systemen (sowohl der Schule als auch der Kinder- und Jugendhilfe) leisten kann. Ansonsten vermag der Eindruck entstehen, dass Probleme lediglich auf individuelle Eigenheiten oder Unzulänglichkeiten von Personen zurückgeführt werden können und es von daher auch lediglich diese zu verändern gilt. Gerade weil in diesem Buch an mehreren Stellen die Adressat/innenperspektive gewinnbringend eingebracht wurde, wäre ein solches Kapitel als komplementäres Kapitel zu Kapitel 10 wünschenswert gewesen.

Stilistisch ist zu diesem Buch anzumerken, dass die Sprache des Autors sowohl der Komplexität des Themas, als auch den Befindlichkeiten der Praxis gegenüber Veränderungsvorschlägen auf angemessene Weise gerecht wird. Der Autor rahmt seine „Praxisimpulse“ stets als vorsichtige, gleichwohl begründete Empfehlungen oder „Richtungsanzeigen“ (29), die er „mit aller Vorsicht“ (40) und nicht dogmatisch präsentiert. Dieser Sprachstil macht das Buch lesenswert und anregend und es entsteht nicht der Eindruck, dass hier festgelegte und unabänderbare Modelle von Praxis vermittelt werden sollen.

Ein anderes stilistisches Mittel in diesem Buch sind die zahlreichen Aufzählungen, die an den meisten Stellen zwar gewinnbringend zentrale Aspekte eines Themas zusammenfassen, in Summe jedoch der Lesbarkeit etwas abträglich sind, zumal einige Unterkapitel lediglich aus Aufzählungen ohne jegliche Einleitung bzw. anschließende Kommentierung bestehen.

Anzumerken ist auch, dass fünf der zehn Kapitel des Buches bereits in ähnlicher oder gleicher Form an anderen Orten publiziert wurden. Diese Zusammenstellung neuer und bereits publizierter (und teilweise überarbeiteter) Texte des Autors ist jedoch gelungen, denn das Buch kommt nicht als Stückwerk daher, sondern hat ein klares Konzept. Als allgemeine Publikation zur Sozialen Arbeit in Schulen befindet sich dieses Buch auf dem gleichen Niveau wie zahlreiche vergleichbare Titel und es bleibt dem interessierten Fachpublikum überlassen, ob es sich für den von Karlheinz Thimm gewählten Themenzuschnitt interessiert. Im Bereich des gewählten Themenspektrums kann dieses Buch durchaus als Lektüre empfohlen werden und wird sicherlich dem Anspruch gerecht, Praxisimpulse über Empirie und Reflexionen zu liefern.
Florian Baier (Basel)
Zur Zitierweise der Rezension:
Florian Baier: Rezension von: Thimm, Karlheinz: Soziale Arbeit im Kontext Schule, Reflexion – Forschung – Praxisimpulse. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2015. In: EWR 16 (2017), Nr. 2 (Veröffentlicht am 28.03.2017), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377993247.html