Dem Übergang vom Kindergarten in die Grundschule kommt in den letzten Jahren auf fachlicher, bildungspolitischer und gesellschaftlicher Ebene eine erheblich gewachsene Aufmerksamkeit zu. Eine intensive, wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Übergang von der Kinderkrippe in den Kindergarten steht derzeit allerdings noch aus. Nicht nur angesichts der Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen Platz in einer Tageseinrichtung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, dem damit einhergehenden quantitativen Ausbau institutioneller Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren sowie der steigenden Anzahl an Kindern in diesen Betreuungssituationen, gilt es nun auch den Übergang in den Kindergarten – und damit auch denjenigen von der Krippe in den Kindergarten – stärker in den Blick zu rücken. Neben diesen strukturellen Aspekten erörtert Edita Jungs Studie zudem etliche weitere Gründe dafür, dem Übergang von der Krippe in den Kindergarten eine größere fachliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
In diesem Sinne wird bereits in ihren Darstellungen einiger sozialgeschichtlicher, bildungspolitischer, fachlicher und pädagogisch-inhaltlicher Aspekte der Kinderkrippe und des Kindergartens im zweiten Kapitel mehr als deutlich, dass zwischen diesen beiden frühpädagogischen Institutionen wesentliche Unterschiede bestehen. Der Übergang zwischen ihnen lässt sich demnach nicht als „nahtlose Überleitung“ (47) begreifen. Zudem machen Jungs pointierte Darstellungen im dritten Kapitel – sowohl zum ökosystemischen Ansatz nach Bronfenbrenner, der Betrachtung von Übergängen als Bewältigung kritischer Lebensereignisse nach Filipp und des Transitionsmodells nach Griebel und Niesel, als auch zu unterschiedlichen Studien, die sich mit verschiedenen institutionellen Übergängen in der frühen Kindheit befassen – deutlich auf die Relevanz aufmerksam, die dieser Übergang für die daran Beteiligten hat (und auch haben sollte). Gerade in Hinsicht auf die Anlage der Studie (s. u.) vermag zwar die Auswahl der hier vorgestellten theoretischen und empirischen Ansätze zu überzeugen. Dennoch hätten hier etwa auch entwicklungspsychologisch und / oder kulturwissenschaftlich informierte Ausführungen herangezogen werden können, um zusätzlich gewinnbringende Einblicke zur Frage nach der (Bildungs-)Bedeutung des Übergangs für die von ihm 'betroffenen' Kinder leisten zu können.
Im Anschluss an diese theoretische Rahmung stellt Jung sodann im vierten Kapitel auf vorbildlich transparente Art und Weise die Anlage ihrer Untersuchung sowie ihr methodisches Vorgehen vor. Sie geht hier eingangs auf die ökosystemischen Annahmen ein, welche der Studie als „heuristisches Rahmenmodell“ (70) zu Grunde liegen. Die Bedeutsamkeit der Perspektive auf die übergangsbezogenen subjektiven Theorien pädagogischer Fachkräfte wird vor diesem Hintergrund aus unterschiedlichen Blickwinkeln bedeutsam. So seien die Fachkräfte „wichtige Akteure in [den] Mikrosystemen Kinderkrippe und Kindergarten“ (67). Insofern komme ihren subjektiven Theorien, welche sie als implizit handlungsorientierende „Kognitionen der Selbst und Weltsicht“ (zit. nach Scheele und Groeben, 72) beschreibt, eine entscheidende Bedeutung hinsichtlich der Ausgestaltung des Übergangs von der Krippe in den Kindergarten zu. Andererseits würden diese subjektiven Theorien als „Aggregat der subjektiv wahrgenommenen Erwartungen und Einstellungen weiterer Akteure“ (70) in einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Zusammenhang zu den anderen Systemebenen des ökosystemischen Ansatzes stehen (andere Mikrosysteme, Mesosystem, Exo-, Makro- und Chronosystem). Letztlich stärkt sie diese Analyseperspektive dadurch, dass sie dem pädagogischen Handeln im Feld der Frühpädagogik hinsichtlich seiner „Orientierung und konkreten Ausgestaltung einen enormen Freiraum“ (ebd.) einräumt, was gerade die beschriebenen Handlungsorientierungen zu einem interessanten Forschungsgegenstand mache. Schließlich sei davon auszugehen, „dass das pädagogische Handeln dieser Fachkräfte maßgeblich die Qualität der Übergangserfahrungen der Kinder“ (ebd.) präge.
Folglich geht es Jung nun im empirischen Teil der Arbeit darum, die übergangsbezogenen subjektiven Theorien von 12 pädagogischen Fachkräften aus sechs Krippen und fünf Kindergärten aus dem Nordwesten Niedersachsens herauszuarbeiten. Mit diesen Fachkräften führte sie episodische Interviews und wertete diese entlang des thematisch codierenden Interpretationsverfahrens nach Flick aus. Eine besondere Stärke der Studie liegt dabei darin, dass sich die Kinderkrippen jeweils im Einzugsbereich einer der beteiligten Kindergärten befinden. Denn hierdurch wurde es möglich, den Übergang einzelner Kinder von jeweils einer der Krippen in einen der Kindergärten aus Sicht der an ihm beteiligten pädagogischen Fachkräfte zu rekonstruieren.
Die Ergebnisdarstellungen der Studie im fünften Kapitel orientieren sich so anfangs auch an solchen „Übergangsgeschichten“ einzelner Kinder (bspw. „Frau Krone, Frau Garn und der Übergang von Dennis“, 103ff). Im Anschluss daran werden fallübergreifende Leitthemen oder Kategorien (vgl. 125) der geführten Interviews dargestellt. Nach Jung definieren die beteiligten Fachkräfte Übergänge dabei übergreifend als „ein Geschehen, das sich zwischen unterschiedlichen Dimensionen abspielt“ (127), welches sie ‚auf Basis’ der mehr oder weniger relevanten „Wissensdomänen“ der biografischen Erfahrung, des Erfahrungswissens und des in formalen Rahmen erworbenen fachlichen Wissens (146) betrachten und gestalten. Darüber hinausgehend lenkt Jung die Aufmerksamkeit auf Unterschiede, die die beteiligten Fachkräfte zwischen den Erfahrungsräumen der Krippe und des Kindergartens wahrnehmen und stellt methodisch-didaktische Aspekte der Gestaltung dieses Übergangs in den Einrichtungen der interviewten Fachkräfte dar (bspw. zur Organisation der Zusammenarbeit oder etwa Abschiedsfeiern). Auch werden hier Einschätzungen der Fachkräfte zur pädagogischen Arbeit in den jeweils anderen Institutionen sowie gegenseitige Erwartungen und Rollenverständnisse herausgearbeitet. Ferner wird der Blick auf die Eltern der Kinder im Übergang von der Krippe in den Kindergarten aus der Perspektive der Fachkräfte gerichtet. Und letztlich fokussieren die Ergebnisdarstellungen die Sicht der Fachkräfte auf die Kinder im Übergangsgeschehen – d. h. darauf, wie diese die Kinder im Hinblick auf deren Erleben, die an sie gestellten Anpassungsforderungen sowie deren Bewältigungsstrategien im Übergangsgeschehen entwerfen. Im abschließenden sechsten Kapitel fasst Jung sodann die Ergebnisse ihrer Studie zusammen und diskutiert diese im Hinblick auf einige ihrer Bezugstheorien.
Die Studie bietet nicht nur einen äußerst vielschichtigen Einblick in die übergangsbezogenen subjektiven Theorien der in die Untersuchung einbezogenen Fachkräfte. Darüber hinaus verweist sie auf vielfältige Reflexionsbedarfe und Anschlussmöglichkeiten für die weitere frühpädagogische Praxis und Forschung. So könnte es bspw. aus bildungstheoretischer Perspektive nachdenklich stimmen, wenn Jung schreibt, dass von allen Interviewpartnerinnen der Übergang von der Kinderkrippe in den Kindergarten im Vergleich zum Übergang in die Schule „eher marginalisiert“ (145) wird. Zudem gibt ihr zentrales Ergebnis, dass erhebliche Barrieren in der „Kommunikations- und Kooperationsgestaltung zwischen Kinderkrippe und dem Kindergarten“ (246) bestehen, einen Fingerzeig in Richtung eines besonderen Bedarfes an weiteren fach-/wissenschaftlichen Arbeiten oder Projekten, die sich intensiver mit dem Verhältnis von Krippe und Kindergarten beschäftigen. Ebenfalls exemplarisch für die Fülle der Ergebnisse der Studie, die auf weitere Anschlussmöglichkeiten und -bedarfe für die frühpädagogische Praxis und Reflexion hinweisen, sei an dieser Stelle noch auf ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie verwiesen: So konstatiert Jung eine Form der bewussten Distanzierung und Relativierung der beteiligten Fachkräfte bezüglich eines auf dem Wege der Ausbildung oder über Fortbildungen erworbenen Wissens, was wiederum auf besondere Reflexionsbedarfe hinsichtlich des Theorie-Praxis-Verhältnisses im Feld der Frühpädagogik verweist.
Die große Spannbreite der Jungschen Perspektive lässt sich jedoch auch als zentrale Schwäche der Untersuchung auslegen. Daher muss es die Aufgabe kommender Studien bleiben, viele der thematisierten Aspekte sowohl empirisch als auch theoretisch weiter zu durchdringen. So bieten bspw. die dargestellten Übergangsgeschichten, die Ausführungen zum Bild der Fachkräfte vom Kind im Übergang, die rekonstruierten Perspektiven der Fachkräfte auf die Eltern oder der angesprochene Aspekt des handlungsleitenden Wissens der Fachkräfte in der Gestaltung des Übergangs genügend Anlass, aus ihnen eigene Forschungsschwerpunkte zu machen. Für solche Arbeiten stellt Jungs Studie jedoch eine reichhaltige und wichtige Grundlage bereit.
EWR 13 (2014), Nr. 6 (November/Dezember)
Auf unvertrauten Pfaden
Der Übergang von der Kinderkrippe in den Kindergarten aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte
Weinheim / Basel: Beltz-Juventa 2014
(270 S.; ISBN 978-3-7799-2554-5; 29,95 EUR)
Gerald Blaschke-Nacak (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gerald Blaschke-Nacak: Rezension von: Jung, Edita: Auf unvertrauten Pfaden: Der Ãœbergang von der Kinderkrippe in den Kindergarten aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte. Weinheim / Basel: Beltz-Juventa 2014. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377992554.html
Gerald Blaschke-Nacak: Rezension von: Jung, Edita: Auf unvertrauten Pfaden: Der Ãœbergang von der Kinderkrippe in den Kindergarten aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte. Weinheim / Basel: Beltz-Juventa 2014. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377992554.html