In den letzten Jahren hat sich in der Rechtsextremismusdiskussion ein Paradigmenwechsel vollzogen: weg von der Fokussierung auf Persönlichkeitsdefizite des Individuums und seines unmittelbares Umfeldes hin zu einer kontextorientierten Problembetrachtung. Gleichzeitig ist es zu einer Umgewichtung der Interventionsstrategien von der Bekämpfung von rechtsextremistischen Erscheinungen hin zu einer Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure gekommen.
Wie der Titel „Von Blockaden und Bündnissen“ schon besagt, sind Interventionen im Gemeinwesen, welche von Rechtsextremismus betroffen sind, von Widerständen, Hindernissen und Rückschlägen betroffen; doch können durch Vernetzung und Empowerment Gemeinwesen durchaus an Stärke gewinnen und dem Rechtsextremismus Boden entziehen. Im Untertitel ist dann auch von „Praxismaterialien zur Auseinandersetzung“ und nicht von einer Gebrauchsanleitung die Rede, da es jede Ausgangssituation gesondert und differenziert zu analysieren gilt, um maßgeschneiderte Vorgehensweisen zu entwickeln. Trotzdem oder gerade aufgrund dieser Differenziertheit und Einzelfallbezogenheit stellt das Buch einen gelungenen Wissenschafts-Praxis-Transfer und damit eine wichtige Orientierungshilfe für Intervenierende dar.
Ausgehend von der Evaluation des CIVITAS-Programms (2001-2006) ziehen die beiden AutorInnen zentrale Schlussfolgerungen bezüglich der Umsetzung und Wirksamkeit von gemeinwesenorientierten Strategien gegen Rechtsextremismus und diskutieren deren Übertragbarkeit. Im ersten Teil ihres Buches nehmen sie Leitbegriffe unter die Lupe, nämlich den der Zivilgesellschaft und den Begriff des Netzwerkes und klären damit die Voraussetzungen und möglichen Zugänge für die nachfolgend dargestellten Aspekte der konkreten Projektarbeit. Dabei bündeln sie die CIVITAS-Projekterfahrungen auf vier Ebenen, vom Erzähltext über die Autoren- und Expertenkommentare bis hin zur Formulierung von verallgemeinerten Schlussfolgerungen in Form von Thesen. Und gerade diese Thesen sind eigentliche Trouvaillen, was ihre Prägnanz betrifft. Hier bringen Kerstin Palloks und Armin Steil Bedingungen von Interventionen in ländlich-kleinstädtischen Milieus auf den Punkt, Bedingungen, welche auch auf Gemeinwesenarbeitsprojekte mit anderem Fokus übertragbar sind. Die Darstellung der Einzelfälle durch Interviewausschnitte der Intervenierenden sowie Expertenkommentare bietet dem Lesenden Einsicht in die einzelnen Dynamiken, welche aufgrund der jeweiligen Interventionsschritte entstanden sind. Der Lesende kann nachvollziehen, wie vor- und nachteilige Effekte entstehen konnten. Wenn sie zum Beispiel schreiben: „[D]er demokratiezentrierte Ansatz ist hochgradig voraussetzungsvoll“, weil das Verständnis für demokratische Vorgehensweisen und Spielregeln bei den beteiligten Akteuren grundlegend für die Umsetzung für Interventionen ist, oder wenn sie nachbarschaftliche Loyalitätsregeln als relevante Größe herausstreichen, weil sie die Anzeigebereitschaft beeinflussen können, so greifen sie wesentliche Faktoren auf, welche Interventionen gegen Rechtsextremismus im Gemeinwesen von Grund auf konstituieren und beeinflussen können.
Diese Ergebnisse decken sich mit anderen Untersuchungen, welche im selben Zeitraum in 17 Schweizer Gemeinden zur Evaluation von gemeinwesenorientierten Interventionen durchgeführt wurden [1]. Mit ihrem soziologischen Interpretationsrahmen bieten sie zudem eine Deutung und Erklärung dieser Zugangsprobleme zivilgesellschaftlicher Projektarbeit in ländlich-kleinstädtischen Interventionsmilieus an und zeigen mögliche Wege zur Überwindung solcher Hürden auf. Die Frage ist, ob der Fundus evaluierter Projekte aus dem CIVITAS-Programm nicht genug hergegeben hat, dass auf andere Ideen zurückgegriffen werden musste. Positiv an dieser Darstellung unterschiedlichster Zugangsweisen ist die Perspektivenerweiterung auf die Frage, welche mögliche Zielgruppen Gemeinwesenarbeit einschließen kann, von den öffentlichen Verkehrsbetrieben bis zu Gemeindezeitungen. Doch bleibt es bei den dargestellten Interventionen meist bei Einzelaktivitäten, welche zudem meist nur ein Segment der Bevölkerung erreichen, weshalb die Wirkung vorerst punktuell sein dürfte. Aufgrund der im vorangehenden Teil postulierten Thesen wird erst eine Kombination solcher Strategien und Projekte erlauben, einen Prozess, der weite Bevölkerungskreise erfasst, in Gang zu setzen.
Die Relevanz der Ergebnisse und Thesen macht dieses Buch fĂĽr alle diejenigen, welche sich mit Sensibilisierungsprozessen und Empowerment im Gemeinwesen auseinandersetzen, lesenswert und liefert einiges an Anregungen sowie Hinweise auf zu vermeidende Praxisfehler.
[1] Eser Davolio, M. & Drilling, M. (2008): Gemeinden antworten auf Rechtsextremismus. Haupt Verlag, Bern.
EWR 7 (2008), Nr. 6 (November/Dezember)
Von Blockaden und BĂĽndnissen
Praxismaterialien zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Gemeinwesen
Weinheim: Juventa 2008
(178 S.; ISBN 978-3-7799-2221-6; 16,00 EUR)
Miryam Eser Davolio (Basel)
Zur Zitierweise der Rezension:
Miryam Eser Davolio: Rezension von: Palloks, Kerstin / Steil, Armin: Von Blockaden und BĂĽndnissen, Praxismaterialien zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Gemeinwesen. Weinheim: Juventa 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377992221.html
Miryam Eser Davolio: Rezension von: Palloks, Kerstin / Steil, Armin: Von Blockaden und BĂĽndnissen, Praxismaterialien zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Gemeinwesen. Weinheim: Juventa 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377992221.html