EWR 10 (2011), Nr. 4 (Juli/August)

Sylvia Oehlmann/Yvonne Manning-Chlechowitz/Miriam Sitter (Hrsg.)
Frühpädagogische Übergangsforschung
Von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule
Weinheim / München: Juventa 2011
(212 S.; ISBN 978-3-7799-1932-2; 24,95 EUR)
Frühpädagogische Übergangsforschung Der Herausgeberband „Frühpädagogische Übergangsforschung“ vereint 13 Beiträge, die sich mit dem Phänomen des Übergangs von Kindern von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule befassen. Die Beiträge sind drei Themenkomplexen zugeordnet. Zunächst werden theoretische Zugänge der Übergangsforschung vorgestellt. Darauf folgt ein empirischer Teil zu zentralen Ergebnissen der Begleitstudien zu aktuellen übergangsbezogenen Modellprojekten in Deutschland und der Schweiz. Der Band schließt mit einem Teil zu Forschungsperspektiven und Aussichten.

In der Einleitung skizzieren die Herausgeberinnen die rahmenden Fragestellungen des Bandes. Es geht um die Anschlussfähigkeit zwischen Kindergarten und Grundschule sowie von Bildungsprozessen, um Förderung und Schulvorbereitung. Der Band greift die interdisziplinäre Auseinandersetzung um diese Aspekte der Übergangsthematik auf. Dementsprechend sind Autorinnen und Autoren mit verschiedener Provenienz vertreten.

Im ersten Beitrag thematisieren Peter Cloos und Wolfgang Schröer zunächst die historisch begründete Trennung von Kindergarten und Schule in Deutschland. Der Kindergarten sei eher an (Betreuungs-)Bedarfen von Familien und Kindern orientiert, während die Schule stärker curricular festgelegt und – so ließe sich zusammenfassen – an gesellschaftliche Bedarfe und einen konkreten Bildungsauftrag gebunden sei. Eine Annäherung von Sorge und Bildung, Kindergarten und Schule habe durch die PISA-Diskussionen erneute Aufmerksamkeit erhalten. Im Zentrum der flankierenden wissenschaftlichen Diskurse machen die Autoren kind- und kompetenzbezogene neben eher organisationsbezogenen Betrachtungen aus. Der Transitionsansatz als vermittelnde Perspektive versuche die Komplexität des Übergangs einzufangen, indem dessen Bewältigung über die Passung zwischen Individuum und Umwelt fokussiert werde. Die Autoren halten alle genannten Sichtweisen für „institutionell verengt“ auf die „pädagogische Gestaltung von Passungen im institutionalisierten Lebenslauf“ (24). Demgegenüber machen sie eine an der Kindheitsforschung geschulte erziehungswissenschaftliche Perspektive stark, welche die Lebenslage Kindheit und deren Veränderungen im Zuge des Übergangs zu betrachten ermögliche. Kinder würden hier als Akteure begriffen. Dadurch könnten Ressourcen, Handlungsspielräume und (soziale) Ausgangsbedingungen in den forschenden Blick geraten, welche Kindern im Rahmen einer historisch und sozialpolitisch auf spezifische Weise konstituierten Kindheit zukämen.

Im zweiten und dritten Beitrag nehmen Wilfried Griebel sowie Rainer Dollase eine psychologisch orientierte Position ein, welche den Übergang als vom Kind zu bewältigende Diskontinuität bzw. als Anpassungsproblem konzipiert. Griebel plädiert für ein entwicklungspsychologisch, sozio-konstruktivistisch fundiertes Transitionsmodell. Dieses betrachtet den Übergang zugleich als Entwicklungsaufgabe des Kindes und als ko-konstruktiven „Prozess von Verständigung der Beteiligten aus Familie und Bildungseinrichtungen“ (45). Schulfähigkeit werde so zur „Kompetenz des sozialen Systems des Kindes statt allein des Kindes“ (ebd.). Rainer Dollase nimmt den Kindergarten gegen das Vorurteil in Schutz, es gehe dort nur um Bewahrung, nicht um Bildung und Lernen. Bildung, Erziehung und Betreuung seien stets und trotz der traditionellen Ablehnung einer Verschulung als „zusammenhängende Trias“ betrachtet worden. Der Autor plädiert für eine Sicht auf den Übergang als individuelles Anpassungsproblem. Unter Bezug auf empirische Befunde hebt er hervor, das Anpassungsproblem stelle sich vor allem für 10 bis 15% der Kinder. Es sei Aufgabe von Praxis und Forschung, diesen einen sanften Übergang zu ermöglichen. Dabei helfen Dollase zufolge die Balance zwischen von Erwachsenen angestoßenen und selbstinitiierten Bildungsprozessen sowie stabile Bindungen. Weniger bedeutsam für Praxisveränderungen seien hingegen die neuen Bildungspläne, da Texte die Realität nicht verändern könnten.

Der erste Teil wird von Sybille Stöbe-Blossey mit einem politikwissenschaftlichen Blick auf den Übergang abgeschlossen. Sie betrachtet Möglichkeiten der verwaltungspolitischen Verzahnung der beiden Bildungsbereiche und deren Kooperation. Unterschiede auf der Verwaltungsebene gingen mit jenen im Bildungs- und Professionsverständnis zwischen den Institutionen einher. Darin liege die Schwierigkeit für den derzeitigen Aufbau kommunaler Governance-Strukturen. Zentral für die Unterstützung einer kontinuierlichen Bildungsbiografie sei die Arbeit an einem gemeinsamen Bildungsverständnis von Kindergärten und Grundschulen.

Wie der zweite Teil zeigt, wurden nach der ersten PISA-Studie zahlreiche Modellprojekte initiiert, die den Übergang erleichtern und Schulfähigkeit erhöhen sollen. Die politischen Begründungen hierfür rekurrieren meist auf die enge Kopplung von sozialer Herkunft und Schulerfolg, welche möglichst früh gelöst werden soll.

In der Evaluation des bayerischen Projekts KiDZ gehen Ulrike Freund und Hans-Günther Roßbach von positiven Effekten einer verbesserten bereichsspezifischen Förderqualität auf die kindliche Entwicklung aus. Tatsächlich zeigen sich spürbare Auswirkungen der alltäglichen Förderpraxis in den KiDZ-Einrichtungen, die bei Literacy- und Mathematikkompetenzen besonders eindeutig ausfallen. Auch hinsichtlich ihrer Lernfreude profitieren Kinder in diesen Einrichtungen, wenn auch weniger deutlich.

Ursula Carle ebenso wie Cloos et al. nehmen vor allem die Kooperation zwischen Kindergärten und Grundschulen im Rahmen zweier Modellprojekte zur Verbesserung der Anschlussfähigkeit der beiden Institutionen in den Blick. Als ein Ergebnis lässt sich festhalten, dass die gemeinsame Arbeit mit Kindern leichter gelingt als die Entwicklung eines geteilten Bildungsverständnisses. Für Letzteres bilden, so Cloos et al., die gelungene interinstitutionelle Vernetzung und gemeinsame Dokumentation der Lernfortschritte der Kinder eine wichtige Grundlage. Auf dieser Grundlage – so wird nahegelegt – wirkt sich die traditionelle Trennung von Schule und Kinder- und Jugendhilfe nicht erschwerend auf den Übergang aus.

Lilian Fried et al. nähern sich dem empirischen Material aus der Begleitstudie zum Projekt TransKiGs mit der Frage nach dem „Väter-Involvement“ während der Übergangsphase. Auf der Basis einer Fragebogenstudie diskutieren sie den Befund, dass Kinder aus „bildungsfernen Elternhäusern“ und „Familien mit Migrationshintergrund“ weniger Unterstützung am Übergang von ihren Vätern erhielten als andere Kinder (115).

Empirische Befunde zur schweizerischen Erprobung einer Basisstufe, welche die letzten beiden Kindergartenjahre und die ersten beiden Schuljahre umfasst, bilden den Abschluss des zweiten Teils. Bea Zumwald betrachtet vor allem die Herstellung organisatorischer und bildungsbiografischer Kontinuität durch die Basisstufe. Diese schaffe „eine gute Balance zwischen den beiden Kulturen“ und damit auch zwischen Spielen und Lernen (153). Dabei scheint die nicht wie in Deutschland sozialpädagogische, sondern pädagogische Orientierung des Schweizer Kindergartens dem Projekt zugute zu kommen.

Der letzte Teil des Bandes möchte Perspektiven der Übergangsforschung präsentieren, wobei lediglich der Beitrag von Miriam Sitter über die vorhergehend eingenommenen Positionen hinausweist. Ludwig Liegles Beitrag hätte ebenso als theoretischer Einstieg in den Band dienen können. Liegle strebt aus bildungstheoretischer und entwicklungspsychologischer Sicht ein Zusammendenken von Kontinuität und Diskontinuität an. Kontinuität ermögliche anschlussfähige Bildungsprozesse, während Diskontinuität auch aus Kindersicht reizvolle Entwicklungsanstöße biete. Barbara Berthold bezieht in ihrem Aufsatz Stellung für eine integrative, jahrgangsgemischte, flexible Schuleingangsphase. Deren Unterstützungspotenzial beim Übergang belegt sie anhand zahlreicher empirischer Befunde. So stellt der Beitrag eher eine Ergänzung zum empirischen Teil des Bandes dar.

Sitter stellt eine wissenssoziologisch-diskursanalytische Sicht auf frühpädagogische Maßnahmen vor. Sie diskutiert den Aufschwung vorschulischer Sprachförderung vor dem Hintergrund der Feststellung von Förderbedarfen als Folge der sozialen Konstruktion bzw. diskursiven Produktion der „Problemkategorien“ soziale und ethnische Herkunft. Anhand von Interviewmaterial mit Fachkräften aus der Evaluation des Niedersächsischen Brückenjahrs (Cloos et al., i. s. B.) arbeitet sie exemplarisch die Verknüpfung der Zuschreibungen von Förderbedürftigkeit und Herkunft heraus. Abschließend befindet Sitter, die Diskurs-Perspektive decke ungewollte Folgen aktueller Programme und Debatten auf: Defizitzuschreibungen zu einer bestimmten Statusgruppe können Bildungsbenachteiligungen erst hervorrufen, zumindest zu ihrer Reproduktion beitragen. Das Prinzip der Ressourcenorientierung werde somit konterkariert.

Der Band präsentiert vielfältige Blickwinkel auf die Übergangsthematik und bietet durchweg aufschlussreiche Lektüre zu derzeitigen theoretischen und empirischen Feldzugängen. Gerade angesichts der Heterogenität dieser Zugänge hätte eine abschließende Diskussion dem Band gutgetan, um dem Anschein der Unvereinbarkeit mancher Perspektiven entgegenzuwirken oder ebendiese zu problematisieren. Wenn etwa Dollase die Annahme direkter Wirkungen von Bildungsplänen auf die Realität als Illusion anprangert und Sitter die Wirkmächtigkeit textuell-sprachlicher Diskurse auf die Praxis diskutiert, entsteht eine Diskrepanz, die sich nur schwer als interdisziplinäre Auseinandersetzung um die Übergangsthematik begreifen lässt. Diese wird im Theorieteil durchaus geführt. Insbesondere Cloos/Schröer und Dollase sowie Griebel wählen einander widersprechende Zugänge zum Übergangsgeschehen, wobei die jeweils eigene Präferenz kritisch gegen konträre Perspektiven abgewogen wird. Allen gemeinsam ist, dass sie die Bedeutung der interinstitutionellen Kooperation hervorheben. Ebenso wird die Beteiligung des Kindes an der Übergangsgestaltung generell als wichtiger Baustein kontinuierlicher Bildungsbiografien gesehen.

Wechselseitige Bezüge zwischen den theoretischen Beiträgen einerseits und den empirisch ausgerichteten andererseits finden sich kaum. Einen besonderen Blick wert ist in dieser Hinsicht die reziproke Anschlussfähigkeit der Beiträge von Cloos/Schröer, Cloos et al. und Sitters Plädoyer für die Diskurs-Perspektive. Während der Theoriebeitrag für eine erziehungswissenschaftlich-sozialpädagogische Perspektive auf die Lebenslage Kindheit in der Übergangsforschung wirbt, werden die Evaluationsergebnisse zum Niedersächsischen Brückenjahr dann aber u. a. unter Rekurs auf den Transitionsansatz dargestellt. Der diskursanalytische Blick Sitters auf die gegenwärtig dominante Sprachförderpraxis hätte ebenso auch auf die im Modellprojekt positiv evaluierte kooperative Dokumentation und Beobachtung kindlicher Entwicklung gewendet werden können, um damit womöglich zusammenhängende Verstetigungen von Förderbedarfszuschreibungen aufzudecken. Es wäre anzunehmen, dass die institutionenübergreifende Lernkontrolle ebenfalls nicht intendierte ungleichheitsrelevante Folgen zeitigt. Diese Beiträge reflexiv aufeinander zu beziehen, hätte die Chance geboten, dem Band ein kohärenteres Gesamtbild zu verschaffen.

Insgesamt ist der Band empfehlenswert. Insbesondere der empirische Teil lässt die Potenziale der engeren Verzahnung von Elementar- und Primarbereich sehr deutlich werden. Sowohl in Bezug auf die Verbesserung der Anschlussfähigkeit der Bildungsprozesse von Kindern als auch mit Blick auf die Kooperation von Fach- und Lehrkräften werden substantielle Beiträge zur Übergangsforschung geliefert. Spannend wird sein, welche Impulse die Kooperation vor dem Hintergrund der weiteren Professionalisierung im Elementarbereich erhält, gerade auch in Bezug auf die Entwicklung eines übergreifenden Bildungsverständnisses. Nicht zuletzt die häufige Bezugnahme auf den PISA-Diskurs macht neugierig auf weitere Forschung, vor allem zu den beabsichtigten Wirkungen aktuell eingeführter Maßnahmen mit dem Ziel der Schaffung gleicher Bildungschancen.
Frederick de Moll (Frankfurt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Frederick de Moll: Rezension von: Oehlmann, Sylvia / Manning-Chlechowitz, Yvonne / Sitter, Miriam (Hg.): Frühpädagogische Ãœbergangsforschung , Von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule. Weinheim / München: Juventa 2011. In: EWR 10 (2011), Nr. 4 (Veröffentlicht am 30.08.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377991932.html