Das Buch, das 12 Jahre nach der ersten Auflage nun in überarbeiteter Auflage vorliegt, tritt an, um typische methodische und methodologische Herausforderungen beim Forschen mit Kindern herauszuarbeiten bzw. um Forschungsmethoden und -zugänge zur Erfassung der Sichtweisen von Kindern zu diskutieren. Die 22 Beiträge sind in fünf Teile gruppiert. Nach einführenden Beiträgen (Teil 1) folgen Beiträge zu qualitativen Erhebungs- (Teil 2) und Auswertungsverfahren (Teil 3) sowie beide verbindende Methoden (Teil 4). In Teil 5 liegt der Schwerpunkt auf der quantitativen Kindheitsforschung.
Teil 1: In den einführenden Beiträgen gibt Heinzel einen Überblick über qualitative Methoden, Herausforderungen und methodologische Fragen beim Forschen mit Kindern, und Grunert und Krüger geben einen Überblick über quantitative Erhebungs- und Auswertungsmethoden. Dem wissenschaftlichen Verstehen von Kindern widmet sich Hülst. Er sieht den Erfolg der Kindheitsforschung daran gebunden, ob es ihr gelingt, dass erwachsene Forscher die Äußerungen von Kindern verstehen und die darin enthaltenen Aspekte ihres Lebenshintergrundes in einer angemessenen Deutung entsprechend der Fragestellung interpretierend herausarbeiten (54).
Teil 2: Fuhs skizziert in seinem Beitrag zu Kindern im qualitativen Interview zwei Probleme: Der Verlust der Offenheit gegenüber dem Feld, wenn im Forschungsprozess Kinder als defizitäre Gruppe, als Noch-Nicht-Erwachsene konzipiert und konstruiert werden, und das Problem der Instrumentalisierung, wenn nicht der subjektive Sinn der Kinder Forschungsgegenstand ist, sondern pädagogische Interessen mit der Interviewführung verknüpft werden (vgl. den Beitrag von Prengel). Heinzel befasst sich mit Gruppendiskussion und Kreisgesprächen mit Kindern, um die Meinungen und Perspektiven der Kinder und ihre kollektiven Orientierungen zu erfassen. Sie sieht Gruppendiskussionen als „Königsweg“ der Befragung (113), u.a. da die Kinder in der Erhebungssituation zahlenmäßig überwiegen und so der generationenbedingten Dominanz der Erwachsenen entgegengewirkt werden könne. Der Beitrag von Scholz zur teilnehmenden Beobachtung fragt danach, was das Feld ist und was Beobachter beobachten können. Das Feld konzipiert er als jede Art der Kommunikation zwischen Menschen, mit der sie sich versichern, was ihre Handlungen bedeuten. Der Forscher werde dabei selbst zum zentralen Instrument der (Kindheits-)Forschung. Im Beitrag von Huhn, Dittrich, Dörfler und Schneider geht es um Videografie als Methodologie und Beobachtungsmethode. Vergleichbar mit Scholz argumentiert Huhn, dass Erhebung und Auswertung keine voneinander trennbaren Schritte im Forschungsprozess sein können und Erhebung selbst interpretationsabhängig ist. Ergänzt werden praktische Erfahrungen und konkrete Schritte beim Einsatz von Videobeobachtungen in einem Projekt in Kitas. Freie Texte als Quellen der Kindheitsforschung thematisiert Röhner. Die Texte gelten als subjektiver Ausdruck des Kinderlebens; ihren Ausgangspunkt bilden kindliche Alltagserlebnisse und lebensweltliche Erfahrungen in Familie und anderen Umwelten (155). Sie differenziert theoretische Sichtweisen auf Texte von Kindern, die als Grundlage für hermeneutische und inhaltsanalytische Zugänge dienen, über welche die Selbstzeugnisse fruchtbar gemacht werden können. Reiß widmet sich Kinderzeichnungen, ihren theoretischen Grundlagen und methodischen Ansätzen zur Erhebung und Auswertung der Zeichnungen.
Teil 3: Schütz, Breuer und Reh analysieren Sequenzen von Kinder-Interaktionen. Sie distanzieren sich von Annahmen der Differenz zwischen der „Eigenlogik kindlicher Wirklichkeit und den Möglichkeiten der Sinnrekonstruktion durch die erwachsenen Forschenden“ (190), konzipieren Kinder als soziale Akteure und fragen, wie Kinder ihre Wirklichkeit konstruieren und in Aushandlungen hervorbringen. Ihre Methodik zielt auf die Rekonstruktion latenter Sinnstrukturen. Alexi und Fürstenau stellen die Dokumentarische Methode in den Mittelpunkt, die geeignet ist, milieuspezifisches Orientierungswissen zu rekonstruieren und zum handlungsleitenden Wissen der Beforschten vorzudringen, von denen diese selbst nichts wissen (müssen), sondern das über die Analyse zur begrifflich-theoretischen Explikation gebracht wird (206). Dabei konzipieren sie Kinder vergleichbar zu den Autorinnen zuvor als Akteure. Ecarius und Köbel widmen sich narrationsstrukturellen Verfahren. Methodologischer Ausgangspunkt ist eine Konzeption von Biografie, die verknüpft ist mit der Vorstellung eines Selbstkonzepts, das jedes Subjekt unabhängig von seinem Alter erzählen kann (223). Sie problematisieren den Einsatz narrativer Verfahren in der Kindheitsforschung, der u.a. an Prozesse des Spracherwerbs und der narrativen Kompetenz gekoppelt ist. Die Interaktionsanalyse zur Rekonstruktion von Aushandlungsprozessen und thematischen Entwicklungen in Interaktionsprozessen ist Gegenstand des Beitrags von Krummheuer. Grundlage für seine Darstellung der Analyseschritte sind Videodokumente von Unterrichtssituationen. Schutter interessiert sich dafür, wie in sprachlichen Prozessen oder Dokumenten dominante und wirkmächtige Deutungen sozialer Realität entstehen. Diskursanalyse fasst sie eher als methodische Annahme über das Verhältnis von Wissen, Bedeutungszuschreibung und Macht als ein bestimmtes methodisches Vorgehen.
Teil 4: Lange und Wiesemann konzipieren Ethnografie als Forschungsstrategie und methodologische Haltung, die unterschiedliche Erhebungs- und Auswertungsverfahren mit dem Ziel kombiniert, ein Verständnis der kulturellen Eingebundenheit der (Kinder-)Akteure zu erhalten und deren Deutungsmuster herauszuarbeiten, die in situ und in actu relevant sind. Hülst präsentiert die Grounded Theory Methodology als Forschungsstil, den er für die Forschung mit Kindern durch seine Prämissen (u.a. gegenstandsorientierte Anwendung) und Offenheit als geeignet erachtet. Prengel skizziert die Praxisforschung als Methode der Kindheitsforschung und zugleich als Grundlage professionellen pädagogischen Handelns mit Kindern. Ihr zufolge kann Praxisforschung über die Methode der Fallarbeit den Perspektivenwechsel zwischen der professionellen Perspektive der älteren Generation und den Annäherungen an die Perspektive der Kindergeneration fördern, indem über sie Zugänge zur kindlichen Perspektive entwickelt und intensiviert werden (293). Ahlheim fragt wie eine psychoanalytische Fallstudie entsteht und berichtet Ausschnitte aus einer Behandlungsgeschichte mit einem Jungen, um die Einzelfallstudie als Forschungsinstrument der Psychoanalyse zu beschreiben und die Methode des Berichtens aus subjektiver Sicht zu plausibilisieren.
Teil 5: Maschke und Stecher referieren über standardisierte Befragungen von Kindern und geben einen Überblick über die Kindersurveyforschung in den letzten Jahrzehnten mit dem Ziel, das Potenzial dieser Forschungsrichtung und ihre Einschränkungen herauszuarbeiten. Emde und Fuchs befassen sich mit der Datenqualität in standardisierten Interviews mit Kindern. Sie diskutieren ihre Eignung im Hinblick auf den Frage-Antwort-Prozess. Als problematisch erachten sie die häufig verminderte Reliabilität und Validität der Daten und betonen die Notwendigkeit von kognitiven Fähigkeiten für die „adäquate“ Beantwortung von Fragen (341). Sie plädieren für eine methodologische Begleitforschung zu Kinderbefragungen. Läzer widmet sich standardisierten Testverfahren als Methode der psychologischen (Entwicklungs-)Diagnostik. Sie plädiert dafür, dass Testung sich an der UN-Kinderrechtskonvention zu orientieren habe (367), was bedeute, ein Kind nicht gegen seinen Willen zu untersuchen, ihm mit Respekt gegenüberzutreten und seine Äußerungen im Kontext seines Alters und seiner Reife aufzunehmen. Alt und Lange befassen sich mit Implikationen und Grenzen der Beschreibung der Lebensbedingungen von Kindern am Beispiel des Kinderpanel. Die Sozialberichterstattung gehe heute von komplexeren Verschränkungen von Individuum und Umwelt aus, zugleich aber stecke sie noch in den Kinderschuhen.
Der Band liefert einen reichhaltigen Überblick über methodologische Fragen, unterschiedliche Erhebungs- und Auswertungsmethoden in der Kindheitsforschung und eignet sich gut für einen Überblick und eine Einführung in die Methoden der Kindheitsforschung und darauf bezogene Diskussionslinien. Bei weitergehendem Interesse muss man sich mit zusätzlicher, einschlägiger Literatur auseinandersetzen, die stärker als im Band auch die internationale Diskussion um Methoden(entwicklung) in der Kindheitsforschung berücksichtigt.
In der skizzierten Vielfalt der Beiträge zeigt sich indessen zugleich ein Problem des Bandes: Kindheitsforschung als Begriff erscheint als Sammelbecken für jegliche Forschung, in der Kinder „vorkommen“ – gleich auf welchen methodologischen Grundlagen die Forschung basiert, was Gegenstand der Forschung ist und wie Kinder in der Forschung positioniert sind (als Forschungsobjekte/-subjekte). Damit gibt es beispielsweise keinen Unterschied mehr zwischen Kindheitsforschung und der empirischen Bildungsforschung (wie dies am Beispiel von Grunert und Krüger deutlich wird). Wenn man zudem die treffende Problematisierung von Fuhs, der Verlust der Offenheit in der Kindheitsforschung auf den Band selbst anwendet, wird deutlich, welche unterschiedlichen und nicht reflektierten Bilder vom Kind in einzelne Beiträge einfließen und damit Forschung anleiten – u.a. taucht das Kind als Entwicklungswesen, als Unwissender, als Fremder und als Teil einer homogenen Gruppe auf. Dies zeigt: Die Methodendiskussion und die Frage, wie Methoden ihren Gegenstand konstituieren, steht noch am Anfang. Der vorliegende Band eröffnet die Diskussion!
EWR 12 (2013), Nr. 6 (November/Dezember)
Methoden der Kindheitsforschung
Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive
Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2012
(388 S.; ISBN 978-3-7799-1553-9; 34,95 EUR)
Tanja Betz (Frankfurt am Main)
Zur Zitierweise der Rezension:
Tanja Betz: Rezension von: Heinzel, Friederike: Methoden der Kindheitsforschung, Ein Ăśberblick ĂĽber Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 6 (Veröffentlicht am 03.12.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377991553.html
Tanja Betz: Rezension von: Heinzel, Friederike: Methoden der Kindheitsforschung, Ein Ăśberblick ĂĽber Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 6 (Veröffentlicht am 03.12.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377991553.html