Der Band besteht nach einer Kontextualisierung durch Karin Bock, Hilmar Hoffmann, Fabian Kessl und Susanne Viernickel aus fĂŒnf gröĂeren Themenbereichen. In ihrer Einleitung halten sie prĂ€gnant die Entwicklungen der letzten Jahre im Feld der PĂ€dagogik der frĂŒhen Kindheit fest, die sie als rasanten Ausbau der PlĂ€tze fĂŒr die âunter DreijĂ€hrigenâ, als rasches Anwachsen von elementarpĂ€dagogischen / kindheitspĂ€dagogischen StudiengĂ€ngen und der Bildungsexpansion in den KindertagesstĂ€tten selbst beschreiben, auch wenn diese Expansion bislang nicht âzu systematischen Auseinandersetzungen ĂŒber die faktischen disziplinĂ€ren Zugriffe und möglichen ZustĂ€ndigkeiten innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen gefĂŒhrt hatâ (10). Gleichzeitig, so ihre EinschĂ€tzung, kann es nicht nur um die wechselseitige Bezogenheit der Teildisziplinen der PĂ€dagogik gehen, denn innerhalb dieser âkonjunkturellen Hochphase im Feld der FrĂŒhpĂ€dagogikâ (ebd.) drĂ€ngen sich andere Wissenschaftsdisziplinen, allen voran die Psychologie und Neurobiologie, aber auch die Wirtschaftswissenschaften und die Mathematik mit ihren jeweils spezifischen Denk- und ForschungsansĂ€tzen in das Feld und machen eine intensive Auseinandersetzung notwendig.
Zu den Themenbereichen des Bandes, die gleichzeitig die Forschungsschwerpunkte und Diskussionen der letzten Jahre wiederspiegeln, gehören: I) Bildungstheoretische Vergewisserungen in beiden Teildisziplinen, II) Institutionelle Forschungsperspektiven auf Kindheit, III) Diskussionen zum VerhĂ€ltnis von Akademisierung und Professionalisierung, IV) Empirische Befunde verschiedener Handlungsfelder beider Teildisziplinen und V) Kindheitsforschung in erziehungswissenschaftlicher Kontroverse. Auf die einzelnen BeitrĂ€ge, insgesamt 19 von 40 Autorinnen und Autoren, kann nicht im Einzelnen eingegangen werden. Stattdessen sollen im Folgenden die Anregungspotentiale des Bandes aufgezeigt werden, die fĂŒr ein dialogorientiertes Weiter-Denken stehen könnten:
- Auffallend ist, dass es keinen Konsens darĂŒber gibt, was unter PĂ€dagogik der frĂŒhen Kindheit denn nun eigentlich verstanden werden soll und dies hinsichtlich des Begriffs an sich, aber auch der ForschungszugĂ€nge hinsichtlich des Alters der Kinder, der BerĂŒcksichtigung der Geschlechtlichkeit, der sozialen Eingebundenheit, besonderen BedĂŒrfnissen usw.. Von daher lohnt sich auf jeden Fall eine Diskussion auch um die Bezeichnung âKindheitspĂ€dagogikâ, die fĂŒr die an den Fachhochschulen entstandenen StudiengĂ€nge verwendet wird und die sicherlich mit den BeitrĂ€gen von Johanna Mierendorff sowie Sabine Andresen & Isabell Diehm nochmals auf den sich zweifelsohne wandelnden Kindheitsbegriff diskutiert werden könnte. Denn Kindheit kann und sollte nicht nur als Institutionenkindheit verstanden werden, auch wenn die PĂ€dagogisierung oder wohl besser Institutionalisierung von Kindheit zunimmt und auch vor den Familien und einem nicht belegten, aber diskutiertem âErziehungsnotstandâ nicht Halt macht, wie die BeitrĂ€ge von Stefan Faas & Sandra LandhĂ€uĂer sowie Pascal Bastian, Anne Lohmann, Mark Schrödter & Holger Ziegler deutlich und kritisch aufzeigen.
- Ebenso wĂ€re eine Auseinandersetzung hilfreich, um die Erkenntnisse beider erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen zu verstehen und aufeinander zu beziehen, wie Stephan Sting und Nadia Kutscher in ihren BeitrĂ€gen offerieren. So plĂ€diert Sting dafĂŒr, die neueren Bildungsdiskussionen der SozialpĂ€dagogik ĂŒber die Nutzung des Theorems der âsozialen Bildungâ fĂŒr die âelementarpĂ€dagogische Bildungâ zu ĂŒberprĂŒfen. FĂŒr eine Forschung, welche die unterschiedlichen BedĂŒrfnisse und Lebenslagen der Kinder jenseits von Normalisierungsparadigma in den Blick nimmt und so eine âungleichheitsnegierende Output-Orientierung [âŠ], die die sozialen Bedingungen der Aneignung spezifischer Kompetenzen ausblendetâ, setzt sich argumentativ Kutscher ein (49).
- Auch wenn in den Debatten zur Kindheitsforschung die jeweiligen Logiken von SozialpĂ€dagogik und PĂ€dagogik der frĂŒhen Kindheit im Vordergrund standen, so werden auch notwendige Grenzziehungen zu oder Auseinandersetzungen mit anderen Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft und anderer Wissenschaftsdisziplinen deutlich. Es zeigen sich Vereinnahmungstendenzen der (grundschul-)pĂ€dagogischen Ausrichtung, wenn von Simone Lehrl und David Richter untersucht wird, wie sich die vorschulische Förderung positiver Leistungsemotionen auf die Anstrengungsbereitschaft und Lernfreude in der Grundschule auswirken. Ihr Anliegen ist die Untersuchung der Wirkungen affektiv-emotionaler Komponenten des Lernens, was bislang wahrlich ein Forschungsdesiderat darstellt. Doch Fragen aus dem Grundschulbereich im elementarpĂ€dagogischen Bereich anzuwenden, erweist sich bspw. in der Fragestellung zur Lernfreude mehr als irritierend. Mit dem Item âIch spiele lieber, als etwas zu lernenâ werden alle Erkenntnisse aus dem reichlichen Fundus der Erforschung der BildungsbeitrĂ€ge des Spielens fĂŒr Kinder auĂer Acht gelassen und ebenso die Erkenntnisse der Transitionsforschung.
Forschungserkenntnisse offeriert. Anerkennung in dem Sinne, dass die âBindungsforschung eine erhöhte Aufmerksamkeit und empirische StĂŒtzung gegenĂŒber den Notwendigkeiten von erwachsener Zuwendung zu Kindernâ (36) ermöglicht. Zugleich argumentiert sie gekonnt gegen eine eigentĂŒmliche kultur- und geschichtslose Ausrichtung der Bindungsforschung und der nicht haltbaren LinearitĂ€t von gelungener Bindung und daraus folgender Bildungsprozesse.
Zudem braucht es sicherlich auch einen Austausch zu bildungspolitischen Entscheidungen, wie der ĂberprĂŒfung der Sprachkompetenz der Kinder vor Eintritt in die Schule und deren pĂ€dagogische Rechtfertigung (Anke König). Dies gilt vor allem, da die vorschulischen sprachstrukturellen Förderprogramme in Form additiver Sprachförderung nach den vorliegenden Erkenntnissen wenig fĂŒr die Entwicklung der Sprachkompetenz von Kindern erbringen. Und es ist zu hinterfragen, ob diese Eingriffe, auch wenn sie positiv begrĂŒndet werden, so hinnehmbar sind. So hĂ€lt Johanna Mierendorff fest, dass es noch in den 1980er Jahren, âeinen Aufschrei der Empörung gegeben [hĂ€tte], wenn Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind und keinen Kindergarten besuchen, von der Schulbehörde zu speziellen Tests aufgefordert worden wĂ€ren und sich bei unterdurchschnittlichem Abschneiden einem Förderprogramm hĂ€tten unterziehen mĂŒssenâ (66).
Insgesamt gibt der Band auf 254 Seiten sehr anschaulich einen Ăberblick ĂŒber die Entwicklungen und Diskussionen der letzten Jahre in Bezug auf bildungspolitische, bildungstheoretische und familienpolitische Prozesse zu den Entwicklungen im Feld der PĂ€dagogik der frĂŒhen Kindheit. Es wĂ€re mehr als wĂŒnschenswert, wenn dieser Band die Diskussionen weiter vorantreiben könnte und es vielleicht sogar möglich wird, âgemeinsame Forschungsfelder und Folgen aus der zukĂŒnftig zu erwartenden Dienstleistungskonkurrenzâ (11) zu bearbeiten und positiv im Sinne einer gemeinsamen pĂ€dagogischen Diskussion zu nutzen.