Wer die Entwicklungen auf den Büchermarkt verfolgt, wird bemerken, dass es immer mehr Handbücher gibt. Handbücher haben seit einiger Zeit Konjunktur und scheinen nicht nur ein großes Informationsbedürfnis in Zeiten der vielfach konstatierten disziplinären Unübersichtlichkeit zu befriedigen, sondern auch auf ein breites Leserinnen- und Leserinteresse zu treffen – und für die Buchverlage scheinen Handbücher (finanziell und vielleicht auch unter Marketing- bzw. Imageaspekten betrachtet) lukrativ zu sein. Handbücher verstehen sich als Nachschlagewerke und beanspruchen, den gültigen Wissensstoff auf der Grundlage einer umfassenden Synthese aller Forschungsleistungen systematisiert und damit nach thematischen (oder auch chronologischen) Gesichtspunkten geordnet zusammenzutragen, mithin das Wissen zu kanonisieren und als derzeitigen Wissensstand zu verewigen. Um diese Ansprüche einzulösen ist ein Handbuch das Produkt einer in der Regel mehrjährigen Zusammenarbeit vieler anerkannter Fachleute und Spezialistinnen/Spezialisten und bedarf seitens der Herausgeber(innen) einer umfassenden Expertise bei der Entwicklung eines Handbuches bis hin zur Veröffentlichung.
Thomas Olk und Birger Hartnuß als Herausgeber des vorliegenden Handbuches Bürgerschaftliches Engagement sind durch ihre langjährige wissenschaftliche und engagementpolitische Expertise ausgewiesen. 844 Seiten und 61 Artikel von 67 fast durchweg namhaften Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Praxis und Politik garantieren im vorliegenden Handbuch die erforderliche Breite in der Darstellung des Gegenstandsbereichs und versprechen ein hohes inhaltliches Niveau.
Die dem Handbuch zugrundeliegende Ausgangslage ist, dass in den letzten Jahren die gesellschaftspolitische Forderung nach mehr bürgerschaftlichem Engagement immer lauter geworden ist. Das bürgerschaftliche Engagement ist politisch prominent: Der Deutsche Bundestag hat dazu sogar eine Enquête-Kommission eingesetzt, in der als ein sachverständiges Mitglied Thomas Olk mitwirkte. Das bürgerschaftliche Engagement ist für die Gegenwartsgesellschaft eine offenbar wichtige Tätigkeit und hat über die (Sozial-, Arbeitsmarkt-, Geschlechter- etc.) Politik hinaus auch in der Wissenschaft und Forschung einen weithin beobachtbaren Bedeutungszuwachs erfahren: Der (von der Politik initiierte und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene) Freiwilligensurvey als Instrument der repräsentativen Dauerbeobachtung der vielfältigen Entwicklungen des bürgerschaftlichen Engagements ist ein zentraler Baustein der deutschen Engagementpolitik – wobei der im Oktober 2010 vorgelegte Gesamtbericht des 3. Freiwilligensurveys nur in ganz wenigen Beiträgen des Handbuches Eingang gefunden hat (bzw. finden konnte). Mehrere Zeitdiagnosen haben sich dem Thema Bürgerschaftliches Engagement angenommen – zivilgesellschaftliche, demokratie- und kommunitaristische, individualisierungstheoretische etc. Diskurse wurden geführt. Auch auf diesem Hintergrund konstatieren Olk/Hartnuß eine „unübersichtliche Debatte“ (Vorwort: 6), und ohne Zweifel ist mit Blick auf eine solche Diagnose ein Handbuch im Verständnis einer „Zwischenbilanz“ unverzichtbar.
Das Vorwort verspricht, dass mit dem Handbuch Bürgerschaftliches Engagement „eine Lücke geschlossen werden (soll). Es ist das erste Handbuch im deutschsprachigen Raum, das den Versuch unternimmt, das Spektrum bürgerschaftlichen Engagements in einer systematischen Analyse derart aufzubereiten, dass auch Leserinnen und Leser, die nicht zum 'inneren Zirkel' des Diskurses um die Zivil- bzw. Bürgergesellschaft gehören, sich rasch einen Überblick über die politische und wissenschaftliche Debatte zum bürgerschaftlichen Engagements sowie Einblicke in einzelne Felder, ihre Grundlagen und Rahmungen, in Strukturen und Methoden der Engagementförderung verschaffen können“ (ebd.).
Mit Blick auf diese inhaltliche Breite stellt sich die Frage, für welche Nutzerinnen und Nutzer das Handbuch konzipiert ist. Als Zielgruppen werden (in dieser Reihenfolge) von den beiden Herausgebern genannt: engagierte Bürgerinnen und Bürger, für das Thema Bürgerschaftliches Engagement Verantwortliche in Politik, Verwaltung, Initiativen, Verbänden, Netzwerken etc. und Lehrende und Studierende unterschiedlicher Disziplinen (wie Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre, Soziologie, Erziehungswissenschaften etc.). Dieses breite Spektrum an Zielgruppen unterstreicht nochmals die (disziplin-, professions- und organisationsübergreifende) Relevanz des Gegenstandsbereichs Bürgerschaftliches Engagement, verweist im Gegenzug aber auf die letztlich zu bewältigende Herausforderung an das Handbuch, die damit naturgemäß verknüpften unterschiedlichen bis divergierenden Interessen, Erwartungshaltungen und auch Hoffnungen an ein Nachschlagewerk zu erfüllen. Umso gespannter ist es zu betrachten, wie (und ob) die Herausgeber eines Handbuchs des Bürgerschaftlichen Engagements dieses Versprechen einlösen werden.
Die Masse an Wissen(sbeständen) über das bürgerschaftliche Engagement will nicht nur gesammelt, sondern auch nachvollziehbar und begründet geordnet werden. Das vorliegende Handbuch mit seinen über sechzig Beiträgen verspricht einen nach Themenkomplexen ordnenden Überblick. Um es vorweg zu nehmen: Das gewählte Ordnungs- und Gliederungsraster in sieben thematisch orientierten (unterschiedlich großen) Kapiteln vermag zu überzeugen, bietet einen systematischen Überblick und hilft, sich im zum Teil „undurchsichtigen Dschungel“ des Feldes zurechtzufinden.
Bevor im Weiteren aufgrund der Fülle der Beiträge nicht auf alle Artikel eingegangen wird, an dieser Stelle der Hinweis, dass viele Beiträge im Handbuch mehr oder weniger ausführlich Bezug auf Befunde der Enquête-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages und des Freiwilligensurveys nehmen. Auch wenn nicht jede bzw. jeder, die bzw. der das Handbuch in den Händen hält, alle Beiträge nacheinander lesen wird (wie dies der Rezensent getan hat), sind diese in der Vielzahl redundant. Mit Blick darauf wäre es wünschenswert gewesen, wenn stattdessen konsequent Querverweise auf die entsprechenden Beiträge von Thomas Gensicke (Freiwilligensurvey) und Birger Hartnuß/Thomas Olk/Ansgar Klein (Engagementpolitik) Eingang gefunden hätten. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Herausgeber entgegen ihrer gewählten Vorgehensweise den Autorinnen und Autoren im Vorfeld ein „starres und vereinheitlichendes Schema“ (7) an die Hand gegeben hätten.
Das erste Kapitel umfasst sechs Beiträge, die sich mit der Rekonstruktion der historischen Entwicklungslinien des bürgerschaftlichen Engagements (Christoph Sachße) und der Klärung begrifflicher Grundlagen (Zivilgesellschaft/Bürgergesellschaft [Ansgar Klein], Bürgerkommune [Jörg Bogumil/Lars Holtkamp], Sozialkapital [Sebastian Braun], Geschlechterdifferenz [Gertud M. Backes], Partizipation [Roland Roth]) beschäftigen. Gemeinsam ist allen Beiträgen, dass die theoretischen Schlüsselbegriffe präzise dargelegt und ihre Implikationen für das bürgerschaftlichen Engagement sowie damit zugleich hinsichtlich der Konsequenzen für die Engagementförderung überzeugend aufgezeigt werden. Die im zweiten Kapitel versammelten Beiträge loten die rechtlichen Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen Engagements und konkret für die bürgerschaftlich Engagierten aus (etwa wenn sie selbst Opfer eines körperlichen Schadens werden oder als Engagierte selbst Schäden verursachen). Deutlich wird, dass Fragen des Versicherungsschutzes (Karin Stiehr), des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechtes (Monika Jachmann), des Vereinsrechtes (Wolfram Waldner) und in letzter Zeit zunehmend auch des Stiftungsrechtes (Ulrich Brömmling) allesamt für das bürgerschaftliche Engagement von Bedeutung sind: Bürgerschaftliches Engagement berührt immer auch Rechts- und Steuerfragen wie auch Haftungsrisiken.
Es folgen 23 Beiträge, die ganz andere Aspekte thematisieren. Im dritten, dem umfangreichsten Kapitel werden Formen und Felder/Bereiche bürgerschaftlichen Engagements aufgezeigt. Zunächst werden sechs verschiedene Verständnisse beziehungsweise genauer Erscheinungsformen von Engagement vorgestellt (Bürgerschaftliches Engagement [Thomas Olk/Birger Hartnuß], Ehrenamt [Michael Stricker], Selbsthilfe [Dieter Grunow], Freiwilligendienste [Gisela Jakob], Bürgerbeteiligung [Hans-Liudger Dienel], Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen [Holger Backhaus-Maul/Peter Friedrich]), die sich teilweise nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen. Dieser Umstand führt schließlich dazu, dass in einzelnen Beiträgen die gewählte Begrifflichkeit nicht durchweg ausreichend erklärt wird: Insofern sammeln sich auch im vorliegenden Handbuch unter dem Begriff des bürgerschaftlichen Engagements verschiedene Begrifflichkeiten wie Ehrenamt, Selbsthilfe, Partizipation etc. und mit Blick darauf fungiert diese Begrifflichkeit als ein Sammel- und Oberbegriff (vgl. Heinze: 469). Nicht desto trotz ist der Auswahl der Begrifflichkeiten gemeinsam, dass sie entgegen ihrer durchaus unterschiedlichen theoretisch-konzeptionellen Ausgangspunkte und Leitkategorien in den letzten Jahren eine starke Aufmerksamkeit und Aufwertung in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft erfahren haben. Versucht man nun die Erträge der folgenden 17 Beiträge zu den Bereichen bürgerschaftlichen Engagement auf eine einfache Formel zu bringen, so kann festgestellt werden, dass sie über ein breites Spektrum von (Handlungs-)Feldern des Engagements informieren: Die Palette reicht vom Engagement im Sport (Volker Rittner) über das Engagement in Kirche (Cornelia Coenen-Marx), Kommunalpolitik (Marion Reiser), Sozialen Arbeit (Franz Hamburger) und Justiz (Hasso Lieber) bis hin zum Engagement in der Stadt- und Dorfentwicklung (Hartmut Häussermann). Die Liste der Felder und Bereiche des bürgerschaftlichen Engagements ließe sich weiter ausdifferenzieren und nicht alle haben Eingang in das Handbuch finden können.
Unter der Überschrift „Organisationen und Strukturen des bürgerschaftlichen Engagements“ (4. Kapitel) versammelt sich eine Reihe von Texten, die sich auf die organisatorischen Rahmungen des bürgerschaftlichen Engagements richten (Vereine [Annette Zimmer], Verbände [Rolf G. Heinze], Stiftungswesen [Rupert Graf Strachwitz], Soziale Bewegungen [Karl-Werner Brand], Genossenschaften [Burghard Flieger], Netzwerke [Martin Rüttgers]). Auch wenn der Verein nach wie vor die zentrale Organisationsform ist, so sind doch auch Stiftungen, Netzwerke auf Bundes-, Landes, Kommunalebene, Soziale Bewegungen, Genossenschaften etc. Optionen einer erfolgreichen Engagementförderung (wie die in den jeweiligen Beiträgen angeführten Beispiele eindrucksvoll belegen). Nach diesen Ausführungen zu den Organisationsformen bürgerschaftlichen Engagements wird der Blick auf die Selbsthilfekontaktstellen (Wolfgang Thiel), Seniorenbüros (Gabriella Hinn), Freiwilligenagenturen (Olaf Ebert/Karsten Speck), Mehrgenerationenhäuser (Annemarie Gerzer-Sass) und lokalen Infrastruktureinrichtungen wie Nachbarschaftshäuser, Mütterzentren etc. (Irmgard Teske)) gelenkt, die trotz ihrer unterschiedlichen konzeptionellen Selbstverständnisse, Arbeitsweisen, Angebote, Verbreitung etc. das gemeinsame Ziel haben, das (freiwillige) bürgerschaftliche Engagement zu fördern. Dies heißt aber nicht, dass sie sich als wichtige Orte der Engagementförderung nicht weiter profilieren und verstetigen müssen, wobei ihre Finanzierung auf Dauer eine wichtige Grundbedingung ist.
Das fünfte Kapitel will einen Überblick über die in letzter Zeit entwickelten Methoden und Strategien der Engagementförderung geben. In diesem Abschnitt befindet sich eher ein Sammelsurium von Beiträgen etwa zum Freiwilligenmanagement (Thomas Kegel) und Netzwerkmanagement (Thomas Röbke), zur Qualifizierung freiwillig Engagierter (Birger Hartnuß/Thomas Kegel), zur Theorie und zu den Formen der Anerkennungskultur (Hannes Wezel), zur Öffentlichkeitsarbeit (Carola Schaaf-Derichs) oder auch zu den digitalen Chancen der Engagementförderung (Jörg Deppe), die zwar allesamt unbestritten von hoher Funktionalität und Bedeutung für die Engagementförderung sind, aber insbesondere an dieser Stelle des Handbuchs wäre es zielführender gewesen, die ordnende Hand der Herausgeber stärker zu profilieren und einen einleitenden Überblick über das Ganze voranzustellen.
Das sechste Kapitel des Handbuchs gibt zweifellos einen umfassenden Überblick über vorliegende Forschungen und Forschungsbefunde zum bürgerschaftlichen Engagement (auch im internationalen Vergleich [Marcel Erlinghagen/Karsten Hank]). Es zeigt sich, dass trotz vorliegender wissenschaftlicher Untersuchungen Forschungsdesiderata unübersehbar sind: So wird etwa konstatiert, dass „keine qualitative Längsschnittstudien zum freiwilligen bzw. bürgerschaftlichen Engagement […] vorliegen“, und es weiterhin ungeklärt bleibt, „wie Erwerbsarbeit, Familienarbeit und bürgerschaftliches Engagement im Verlaufe des Lebens bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen kombiniert werden“ (Thomas Olk, 715). An anderer Stelle wird bemängelt, dass in Deutschland keine „ausgereifte Methodik zur wissenschaftlichen Analyse zivilgesellschaftlicher Organisationen“ existiert (Mareike Alscher/Eckhard Priller, 725).
Im abschließenden siebten Kapitel wird wiederum ein differenzierter Überblick über die Engagementpolitik präsentiert. Er zeigt nachhaltig, dass sich dieses politisches Handlungsfeld immer weiter entwickelt und zunehmend verselbstständigt hat. Markieren Birger Hartnuß/Thomas Olk/Ansgar Klein in ihrem bereits erwähnten Beitrag wichtige Wegmarken der Engagementpolitik, zeigen die weiteren Artikel in diesem Abschnitt, dass sich auf der Ebene der Kommune (Konrad Hummel), der Bundesländer (Frank W. Heuberger), der Bundespolitik (Susanne Lang/Serge Embacher) und auch auf europäischer Ebene (Markus Held) deutliche Konturen einer sich mehr und mehr etablierenden Engagementpolitik abzeichnen. Abschließend wird das Handbuch durch Angaben zu den Autorinnen/Autoren und ein Sachregister ergänzt, was den Zugriff zu einzelnen Gegenstandsbereichen und speziellen Fragestellungen erleichtert.
Alles in allem erfüllt das Handbuch Bürgerschaftliches Engagement hinreichend die an ein Nachschlagewerk gerichtete Erwartung – insbesondere wenn der von den Herausgebern selbstformulierte Anspruch, „ein breites Spektrum von Leserinnen und Lesern“ (Vorwort, 7) gerade auch außerhalb der Wissenschaft zu erreichen, Berücksichtigung findet. Wer mit dem weiten Feld des Bürgerschaftlichen Engagements, seinen vielfältigen Facetten und diversen Schattierungen in wissenschaftlicher und vor allem jedoch in praxisorientierter Perspektive befasst ist, und/oder sich auf der Suche nach einer fundierten und gut verständlichen Zusammenschau des derzeitig gültigen Wissens zum Bürgerschaftlichen Engagement befindet, ist mit dem Handbuch gut bedient.
EWR 11 (2012), Nr. 5 (September/Oktober)
Handbuch Bürgerschaftliches Engagement
Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2011
(844 S.; ISBN 978-3-7799-0795-4; 78,00 EUR)
Jörgen Schulze-Krüdener (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jörgen Schulze-Krüdener: Rezension von: Olk, Thomas / Hartnuß, Birger (Hg.): Handbuch Bürgerschaftliches Engagement. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 5 (Veröffentlicht am 12.10.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377990795.html
Jörgen Schulze-Krüdener: Rezension von: Olk, Thomas / Hartnuß, Birger (Hg.): Handbuch Bürgerschaftliches Engagement. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 5 (Veröffentlicht am 12.10.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377990795.html