Der vorliegende Sammelband knüpft an die Konjunktur der vielfältigen Perspektiven auf Subjektivierung an und verbindet grundlagentheoretische Problemstellungen mit empirischen Analysen. Dabei machen die Beiträge nicht vor dem Hintergrund der Frage, ob Techniken überhaupt zum Einsatz kommen, sondern inwiefern sie „Handlungsspielräume erweitern oder beseitigen“ (11) deutlich, dass das Werden des Subjekts als medialer Vollzug auszubuchstabieren sei. Der Band folgt so den aktuellen Versuchen, sich in Distanz zu einem Subjektbegriff zu begeben, der als universale, ahistorische Kategorie auftritt. Vielmehr sei die Verwobenheit des Subjekts in soziale, ethische, ästhetische Praktiken, seine Hervorbringung in Welt-, Anderen- und Selbstverhältnissen (47) zu analysieren. Ein solches Vorgehen lasse sich insofern auch mit dem „klassischen Anliegen der Herrschaftskritik“ (11) verbinden.
Die Beiträge des Sammelbands gehen auf zwei Tagungen zurück, die in Kooperation mit dem DFG-Graduiertenkolleg „Selbst-Bildungen“ (Oldenburg 2011), und dem Forum interdisziplinäre Forschung der TU Darmstadt (2012) durchgeführt wurden. Die enge Verbindung auch zum Sammelband „Selbst-Bildungen“ [1] zeigt sich u.a. in den vielfältigen Verweisen der Beiträge.
Der Band gliedert sich in drei Teile: 1) Arbeit am Begriff; 2) Urteilen, Prüfen, Erziehen; 3) Körper, Dinge, Räume. Aufgrund der Heterogenität des Buches, welches 20 Beiträge und ein Vorwort umfasst, werden im Folgenden zentrale Topoi, Themenfelder und analytische Einsatzpunkte der drei genannten Teile gebündelt.
Im ersten Teil wird das Konzept der Subjektivierung im Hinblick auf seine kategorialen Voraussetzungen und Konsequenzen für die Theoriebildung und für analytische Perspektiven befragt. Es wird neben den „basalen theoretischen Prämissen“ (17), die die wohl prominentesten Lesarten des Phänomens zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus an AutorInnen wie Foucault, Butler und Althusser binden, auch die Frage nach den damit zugleich implizierten „Unterstellungen bezüglich des Subjektbegriffs“ (26) aufgeworfen. Einerseits wird so angestrebt, methodologische Weichenstellungen zu konturieren und andererseits die „Ränder und Grenzen des Konzepts der Subjektivierung auszuloten“ (30). Dazu dient beispielsweise das Aufzeigen von Unterschieden zu Konzepten wie „Entwicklung“ oder „Sozialisation“.
Die AutorInnen des ersten Teils des Bandes fügen sich damit selbst in eine poststrukturalistische, praxeologische und gouvernementalitätskritische Lesart ein. So wird v.a. mit den Konzepten der Anrufung und Adressierung in differenten disziplinären Richtungen gearbeitet, das Subjekt historisierend in den Blick genommen und von der Antike zur Moderne sich wandelnde Spielarten des Selbstbezugs (112) an unterschiedliche Techniken, diesen anzuregen, gebunden. Die AutorInnen konturieren damit auf mannigfaltige Weise Subjektivierung als eine alteritätstheoretische Frage nach dem Anderen, welche die Verwobenheit von Anthropologie und Subjektivierung z.B. durch die Frage nach den „Menschregierungskünste[n]“ aufzuzeigen vermag (49f).
Die teilweise sehr unterschiedlichen systematisch-methodologischen Einsatzstellen der Beiträge, die den unterkomplexen Dualismus zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung gerade mit Bezug auf die Praktiken und Techniken der Subjektivierung überschreiten, liefern insofern ein breites Spektrum an Konstellierungen des Verhältnisses von Praxis und Subjekt: Die Spannweite reicht von der Darstellung einer sich „als und in Praktiken“ (31) vollziehenden Werdung des Subjekts bis hin zu einer wenig dynamischen Auslegung des Anrufungsbegriffs bei Althusser. Etwa wenn argumentiert wird, dass ein „vorgängiges, normativ strukturiertes Sozialgefüge“ (68) der Subjektivierung logisch vorausginge – und damit ein Misslingen der Subjektivierung verunmöglicht, diese vielmehr zum „Widerfahrnis“ (71) wird.
Wie im ersten Teil argumentiert, sind es insbesondere „kulturanalytische Neuausrichtung[en]“, die „zugleich eine Empirisierung der Frage nach dem Subjekt“ einleiten (93), welche dann im zweiten Teil näher beleuchtet wird.
Hier werden noch stärker historische und vor allem empirische Zugänge zur Thematik relevant und der Blick auf die vielfältigen Prozeduren und Techniken gelegt, mittels derer sich Beschränkungen oder Öffnungen in Diskursen, Dispositiven oder im „Möglichkeitsraum“ (183) der Subjekte auftun. An verschiedenen Forschungsgegenständen (Rechtsprechung, Verantwortung, Prüfung, Unterricht) werden unterschiedliche Subjektivierungstechniken und -formen (und mitunter deren Zusammenfallen; 149) gezeigt und möglichen Formen des Widerständigen nachgegangen. Selbstverhältnisse werden gerade auch über „Techniken der Aufzeichnung und Archivierung“ (107) thematisiert, die Sichtbarkeiten und Geständnisse hervorbringen (171) und damit in ihrer Medialität sowohl die Möglichkeiten des Subjekts ausbuchstabieren (187) als auch individualisierend wirken [2]. Mit Bezug auf Fragen nach der Anerkennbarkeit [3] zeigt sich, wie sich die Teilnahme an sozialen Praktiken routinisieren kann und so nicht nur die Möglichkeiten des Subjekts beschränkt, sondern die Subjektpositionen ebenso zu verfestigen droht (200).
Im abschließenden Teil des Buches wird einmal mehr deutlich, dass Subjektivierung derzeit häufig Gegenstand praxeologischer Analysen ist. Die „körperliche Dimension der Subjektivierung“ (203) wird einmal aus ethischer Perspektive in den Blick genommen, daneben wird ein den Praktiken vorgelagertes „vorreflexive[s] und vorsprachliche[s] Körperwissen“ (214) im Mannschaftssport thematisch. In der Verknüpfung und Überlagerung von virtuellen und realen Räumen wird der Körper zudem einerseits in den Kontext der Gesundheitsvorsorge über das Spielen von Health Games gestellt (273), und andererseits die Neufigurierung des Verhältnisses von Raum und Körper über die Frage nach der physischen Beschaffenheit des Raumes am Beispiel neuartiger Einsperrtechniken thematisiert (304ff). Dabei werden die Techniken der Subjektivierung auch als „Instrumente der Unterwerfung und Kontrolle“ (107) sichtbar. Historische Betrachtungen in ihrer Verknüpfung mit Körper, Raum und Dingen stellen hier einen wichtigen Ausgangspunkt dar, etwa bei der Analyse eines Lebenshilferatgebers, welcher in seinen Anrufungen an die Subjekte zur Arbeit am Selbst [4] anleitet (248) oder bei der historischen Rekonstruktion der Transformation einer Ethik der Arbeitsteilung und Ersetzbarkeit (231). Dass die Dinge selbst anrufen können (261), verweist auf die materielle Eingebundenheit des Subjekts und bietet Perspektiven auch auf den Umgang mit den Dingen und Räumen, auf Formen des Besitzes oder Subjektpositionierungen und -verortungen unter materiellen Zwängen (287) und formuliert Fragen nach den gesellschaftlichen und materialen Bedingungen, Voraussetzungen und Grenzen von Subjektivierung.
Mit der Dreiteilung des Bandes wird ein breites Netz gespannt, einerseits theoretisch-systematischer Verortungen des Subjektivierungskonzepts, andererseits zeigt es Möglichkeiten auf, sich empirisch zu nähern. Analog zum Band „Selbst-Bildungen“ könnte man den Anspruch des vorliegenden Buches darin sehen, der Herausforderung gerecht zu werden, „die theoretische Reflexion forschungspraktisch fruchtbar zu machen und zugleich aus der Empirie theoriebildend zu wirken und so eine Trennung zwischen Theorie und Empirie zu destabilisieren“ [1]. Erziehungswissenschaftliche Bezugnahmen zu methodischen bzw. methodologischen oder forschungspraktischen Anliegen in Richtung Ethnografie und Praxeologie, aber auch Diskurs- und Dispositivanalyse werden dabei in einigen Beiträgen einerseits implizit, andererseits explizit deutlich gemacht. Auch hier reicht dann die Spannweite beispielsweise der Analysen, die sich ethnographisch ihrem Gegenstand nähern, vom Befremden der eigenen BeobachterInnenposition mittels Videographie (z.B. 197) bis hin zum Ausgangspunkt eines „Ähnlichkeitsschock[s]“ des geteilten „beiderseitige[n] Menschsein[s]“, wo „jede benennbare Besonderheit aufgehoben ist“ (286).
Leider können einige Analysen der Komplexität und gerade dem Unvermessenen des Subjektivierungskonzepts nicht Stand halten, und fallen dann doch wieder in dualistische Selbst- und Fremdbestimmungslogiken zurück, beispielsweise wenn Subjektivierung als ein „Ergebnis einer Anpassung an eine Situation“ (210) aufscheint, oder der Subjektbegriff romantisiert und dann qua Authentizität rehabilitiert wird. So z.B. im Analysieren eines Subjekts, welches „Subjektivierungsarbeit“ leistet, indem es einen „langen Kampf im Beharren, „man selbst“ zu bleiben“ (288) vollzieht.
An einigen anderen Stellen wird eine der systematischen Stärken der Inblicknahme von Subjektivierungsprozessen, nämlich über diese auch die Möglichkeiten des Kritischen und Widerständigen auszubuchstabieren, unterminiert und teilweise unterkomplex diskutiert. Dies geschieht zum Beispiel dann, wenn an den Health Games „als Kommunikations-Mittel in der Gesundheitsvorsorge“ (273) nur kritisiert wird, dass ihre „Potenziale für Verhaltensänderung“ kaum ausgeschöpft seien (281), statt damit auch die disziplinierenden Steuerungs- und Strukturierungsmöglichkeiten jener Handlungsfelder auszuweisen. Damit werden systematische Möglichkeiten, die sich aus der Problematisierung des Subjektivierungskonzepts –
und zwar gerade auch aus der eigenen Analyse – speisen könnten, teilweise ausgeblendet. Dies könnte aber nicht zuletzt auch der Kürze der Beiträge (durchschnittlich 10 Seiten) geschuldet sein.
Da das Buch an vielen anderen Stellen voraussetzungsreich ist (gerade durch seine Interdisziplinarität) erscheint es weniger als Einstiegslektüre konzipiert. Es beschreibt eher Weichenstellungen im Denken um Subjektivierung bzw. bietet es Einblicke in Voraussetzungen, Konsequenzen, Grenzen des Forschens und Theoretisierens oder in gegenstandsbezogene Analyseheuristiken. Ebenso bietet es einen interdisziplinären Überblick zu derzeitigen Thematisierungsweisen von Subjektivierung.
Interpretiert man den ersten Teil des Buches als (poststrukturalistischen) Vorblick des gesamten Bandes, wird man nach der letzten Seite wohl etwas enttäuscht sein. Werden allerdings die drei Teile stärker unabhängig voneinander gelesen, entsteht ein interessanter interdisziplinärer Einblick in ganz unterschiedliche Weisen der Problemverortung, der nicht nur mit und an den Grenzen der Theorie und Empirie spielt, sondern auch über derzeitige erziehungswissenschaftlich diskutierte Debatten hinauszugehen vermag.
[1] Alkemeyer, T. / Budde, G. / Freist, D. (Hg.): Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung. Bielefeld: transcript 2013, 26.
[2] Foucault, M.: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit. Band. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983.
[3] Butler, J.: Kritik der ethischen Gewalt. Adorno-Vorlesungen 2002. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003.
[4] Mayer, R. / Thompson, C. / Wimmer, M. (Hg.): Inszenierung und Optimierung des Selbst. Zur Analyse gegenwärtiger Selbsttechnologien. Wiesbaden: Springer VS 2013.
EWR 15 (2016), Nr. 2 (März/April)
Techniken der Subjektivierung
MĂĽnchen: Wilhelm Fink 2013
(319 S.; ISBN 978-3-7705-5484-3; 40,90 EUR)
Sabrina Schröder (Frankfurt am Main)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sabrina Schröder: Rezension von: Gelhard, Andreas / Alkemeyer, Thomas / Ricken, Norbert (Hg.): Techniken der Subjektivierung. MĂĽnchen: Wilhelm Fink 2013. In: EWR 15 (2016), Nr. 2 (Veröffentlicht am 24.03.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377055484.html
Sabrina Schröder: Rezension von: Gelhard, Andreas / Alkemeyer, Thomas / Ricken, Norbert (Hg.): Techniken der Subjektivierung. MĂĽnchen: Wilhelm Fink 2013. In: EWR 15 (2016), Nr. 2 (Veröffentlicht am 24.03.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377055484.html