Immer wieder rückt die betriebliche Weiterbildung in den Fokus politischer Debatten. Sei es im Hinblick auf die zu geringe Weiterbildungsbeteiligung in der erwachsenen Bevölkerung bzw. bestimmter Personengruppen, z.B. Geringqualifizierter in Deutschland, oder auch im Hinblick auf die geringe betriebliche Weiterbildungsbereitschaft. Damit befasst sich die Untersuchung Bernd Käpplingers aus theoretischer und empirischer Perspektive genauer.
Käpplinger geht davon aus, dass die betriebliche Weiterbildung aufgrund ihrer vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einbindung Forschungsgegenstand unterschiedlicher Disziplinen sei. Diese würden jeweils ihre spezifischen Perspektiven und Erkenntnisinteressen an die betriebliche Weiterbildung herantragen. Dabei würden verschiedene Spannungsfelder und Konfliktlinien deutlich, z.B. der Widerspruch zwischen betrieblichen und individuellen Interessen.
Käpplinger fragt nun, wie ein erwachsenenpädagogischer Beitrag zu einer Theorie der betrieblichen Weiterbildung aussehen könnte, der diesen Widerspruch zwischen Ökonomie und Pädagogik auflöst bzw. erweitert. Er fragt kritisch, inwieweit diese Dialektik aus pädagogischer Sicht überhaupt zutreffend sei. Einerseits seien Betriebe nicht nur ökonomisch agierende Gebilde. Gerade im Hinblick auf die betriebliche Weiterbildung müsse der Betrieb in größeren sozialen, politischen und gesamtwirtschaftlichen Kontexten gesehen werden, genauso wie die Weiterbildungsentscheidungen von Individuen. Andererseits ließen sich wissenschaftliche Aussagen zur betrieblichen Weiterbildung nicht generalisieren. Dabei geriete die Heterogenität der Betriebe sowie die Vielfalt politischer Interessen und Akteure aus dem Blick. Deshalb sei eine Theoriebildung erforderlich, die eine differenziertere Betrachtungsweise der betrieblichen Weiterbildung sowie ihrer gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Einbindung ermöglicht.
Zunächst befasst sich Käpplinger mit den begrifflichen Grundlagen seiner Untersuchung, insbesondere mit den Begriffen „Betrieb“ und „betriebliche Weiterbildung“ (Kapitel A). Er hebt dabei die Besonderheiten ökonomischer, juristischer und sozialwissenschaftlicher Begriffsbildungen hervor und entwickelt daraus einen eigenen Begriffszugang. Demnach seien Betriebe zwar von ihrer ökonomischen Grundfunktion, der Produktion von Gütern und Dienstleistungen bestimmt, auf der Makroebene würden sie dabei jedoch verschiedenen staatlichen Regulierungen unterliegen. Auf der Mikroebene seien Betriebe komplexe soziale Gebilde, in denen Menschen in verschiedenen Rollen und Funktionen miteinander interagieren (28).
Ähnlich komplex sei der Begriff der „betrieblichen Weiterbildung“. Es sei unklar, worauf sich der Begriff „betrieblich“ beziehe: auf den Lernort, den Anbieter, den Auftraggeber oder die finanzierende Institution. Käpplinger weist darauf hin, dass es zudem im Laufe der Zeit verschiedene Kriterien gegeben habe, mit denen der Begriff der betrieblichen Weiterbildung definitorisch beschrieben wurde, z.B. der Bezug oder die Nähe zum Arbeitsplatz, das Engagement des Arbeitgebers usw. (33). Eine Folge davon sei, dass so im Forschungskontext unterschiedliche Operationalisierungen der betrieblichen Weiterbildung entstanden seien.
So sei der Begriff der betrieblichen Weiterbildung offenbar vor allem politisch geprägt und entspreche einem jeweils historischen Zeitgeist. Einerseits sei damit der gravierende Wandel im Begriffsverständnis zu erklären, andererseits sei so aber auch ein Theoriedefizit entstanden, was in der Forschung zur Übernahme normativer, politischer Perspektiven geführt habe. Deshalb erscheine eine theoretisch fundierte, erziehungswissenschaftliche Begriffsentwicklung umso notwendiger. Er zeigt nun, dass die erziehungswissenschaftliche Begriffsbildung zur betrieblichen Weiterbildung stark durch politische Interessen und vor allem durch die staatliche Förderpolitik geprägt wurde. Gerade in der Erziehungswissenschaft bewege sich die Theoriebildung zur betrieblichen Weiterbildung in einem Spektrum zwischen der strikten Trennung von Ökonomie und Pädagogik (Differenzierungsthese) auf der einen Seite, und dem Konvergieren ökonomischer und pädagogischer Ideen und Handlungslogiken (Konvergenzthese) auf der anderen.
Käpplinger weist im Folgenden (Kapitel B) auf den deutlichen Zuwachs empirischer Daten und Befunde in den letzten Jahren hin. Exemplarisch stehen dafür internationale und nationale Datensätze: CVTS, das IAB Betriebspanel, die Betriebserhebung des IW, das Adult Education Survey (AES), das Nationale Bildungspanel (NEPS) und das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP). Er kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass sich damit zwar die Datenlage zur betrieblichen Weiterbildung in den letzten Jahren verbessert habe. Allerdings führe dieser zunehmende „Empirismus“, er meint damit die häufige Sekundärauswertung der o.g. Datensätze, dazu, dass einige Bereiche und Forschungsfragen zur Weiterbildung inzwischen sehr gut erforscht seien, andere Bereiche hingegen gar nicht.
Er deutet an dieser Stelle auf verschiedene Forschungsdesiderata hin, die er im empirischen Teil seiner Arbeit (Kapitel D) aufgreift und auf der Grundlage seines konfigurationstheoretischen Modells untersucht. Dieses Modell entwickelt er ausführlich in Kapitel C. Er greift dafür auf den Kontingenzansatz von Fiedler und das Konfigurationsmodell von Mintzberg zurück. Seine Grundüberlegung ist dabei, dass die betriebliche Weiterbildung in verschiedene „Umsysteme“ eingebettet ist, in deren Kontext Weiterbildungsinteressen, betriebliche und individuelle Entscheidungen artikuliert werden. Folglich würden Weiterbildungsinteressen und Weiterbildungsentscheidungen unter unterschiedlichen Umweltbedingungen entstehen bzw. getroffen werden, die Käpplinger in Anlehnung an den Figurationenbegriff von Norbert Elias als „Konfigurationen“ bezeichnet (118).
Im empirischen Teil der Arbeit (Kapitel D) exploriert Käpplinger mögliche Konfigurationen im Hinblick auf die Weiterbildungsbeteiligung von Unternehmen. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen und in welchen Konfigurationen Unternehmen Weiterbildung anbieten oder eben nicht. Diese arbeitet er auf der Grundlage der Daten der in Kapitel B vorgestellten empirischen Studien und aufgrund von selbst durchgeführten Interviews heraus. Im Fazit (Kapitel E) fasst Käpplinger seine Ergebnisse zusammen.
Insgesamt ist die Arbeit sehr lesenswert. Käpplinger nimmt die Theoriebildung verschiedener Disziplinen zur betrieblichen Weiterbildung nicht nur kritisch in den Blick, sondern leistet auch einen konstruktiven Beitrag zu deren Weiterentwicklung. Dabei fasst die Arbeit verschiedene Theorien und ihre Entwicklung im jeweils politischen, historischen und disziplinären Kontext sehr prägnant, strukturiert und gut verständlich zusammen. Genauso kritisch nimmt er den aktuellen Forschungsstand und die empirische Datenlage in den Blick und entwickelt daraus konkrete Forschungsdesiderata zur Weiterbildungsbeteiligung bzw. -bereitschaft von Unternehmen, die er exemplarisch, auf der Grundlage des von ihm entwickelten konfigurationstheoretischen Modells, untersucht. Dabei weist er auf verschiedene, sich so zeigende, kritische Befunde hin, z.B. dass Weiterbildungsabstinenz zuerst auf das fehlende Interesse der Individuen zurückgeführt wird, obwohl es doch vielmehr ein strukturelles Problem zu sein scheint (145). Dabei bindet er nicht nur die Befunde der vorliegenden Studien mit ein, sondern auch die Ergebnisse selbst erhobener, qualitativer Daten. Auf dieser Grundlage entwickelt er ein Modell zur fundierten Interpretation und Reflektion empirischer Daten. Er weist in diesem Zusammenhang auf die begrenzte Aussagekraft der einzelnen Studien und ihrer Kriterien hin. Er verweist aber auch auf die Chancen einer komplementären Verwendung dieser Datensätze, um damit präzisere Aussagen treffen zu können, die nicht nur den vermeintlichen Widerspruch zwischen Ökonomie und Pädagogik auflösen, sondern die auch der Vielfalt der betrieblichen Weiterbildung gerecht werden.
EWR 16 (2017), Nr. 4 (Juli/August)
Betriebliche Weiterbildung aus der Perspektive von Konfigurationstheorien
Bielefeld: W. Bertelsmann 2016
(265 Seiten; ISBN 978-3-7639-5796-5; 34,90 EUR)
Dietmar Heisler (Paderborn)
Zur Zitierweise der Rezension:
Dietmar Heisler: Rezension von: Käpplinger, Bernd: Betriebliche Weiterbildung aus der Perspektive von Konfigurationstheorien. Bielefeld: W. Bertelsmann 2016. In: EWR 16 (2017), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2017), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978376395796.html
Dietmar Heisler: Rezension von: Käpplinger, Bernd: Betriebliche Weiterbildung aus der Perspektive von Konfigurationstheorien. Bielefeld: W. Bertelsmann 2016. In: EWR 16 (2017), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2017), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978376395796.html