EWR 11 (2012), Nr. 1 (Januar/Februar)

Josef Schrader
Struktur und Wandel der Weiterbildung
Bielefeld: W. Bertelsmann 2011
(447 S.; ISBN 978-3-7639-4846-8; 39,90 EUR)
Struktur und Wandel der Weiterbildung In der Phase der Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre sollte die Weiterbildung zum quartären Bildungssektor ausgebaut werden. Dazu gehörten die Integration der pluralen Anbieter in ein verrechtlichtes, finanziell gefördertes, politisch koordiniertes Gesamtsystem der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung und eine Professionalisierung durch die Entwicklung berufsspezifischer, akademischer Ausbildungen. Nach Schrader diente die Reform dem Abbau regionaler, curricularer und sozialer Defizite (45). Bekanntlich ist diese bildungspolitische Steuerung gescheitert. Stattdessen haben neue soziale Bewegungen die vereinsmäßige Institutionenstruktur wiederbelebt; neue Finanztöpfe, vornehmlich aus der Arbeitsverwaltung, sowie die Expansion der betrieblichen Weiterbildung haben zu einer Inklusion neuer Adressatengruppen geführt; Qualitätssicherungssysteme haben dem Leitbild des professionellen Programmplaners, der sich primär fachlichen Standards verpflichtet sieht, Konkurrenz gemacht.

Die Verrechtlichung, bildungs- und arbeitsmarktpolitische Finanzierung, Professionalisierung und Qualitätssicherung fasst Schrader als „Modernisierungsstrategien“, die sich nicht nur in bildungspolitischer und ökonomischer, sondern auch in wohlfahrtsstaatlicher Hinsicht entfalten (26). Er untersucht empirisch die Wirkungen dieser Modernisierung der Weiterbildung anhand von Analysen zu Veranstaltungsankündigungen bremischer Weiterbildungsorganisationen, unter anderem mit der Absicht zu erkennen, „wie sich gegebenenfalls unerfüllt gebliebene Ansprüche zukünftig erreichen lassen.“ (13).

In Teil A, dem theoretischen Teil, wird nach einem einführenden Kapitel zuerst die oben angedeutete historische Entwicklung nachgezeichnet (Kap. 2). Es folgt ein Kapitel (3), das die Professionalisierungsstrategien rekonstruiert. Die Etablierung eines hauptberuflichen Planungspersonals sollte ein curricular fundiertes Angebot sichern. Diese Professionalisierung der Weiterbildung aus dem Wissenschaftssystem heraus blieb allerdings unvollständig. Erstens ging der Ausbau der Hauptberuflichkeit aus finanziellen Gründen langsam voran, zweitens standen, so Schrader, kaum fundierte Theorien bereit, die die Verwissenschaftlichung absichern konnten.

Parallel zum Rückzug der staatlichen Förderung wurden zudem betriebswirtschaftliche Steuerungsverfahren implementiert. Zu diesen gehören vor allem Instrumente der Qualitätssicherung. Kapitel 4 zeichnet den Diskurs zum Verhältnis von Professionalität und Qualitätssicherung nach, Kapitel 5 schließt aus den historischen Analysen auf die Notwendigkeit einer Wirkungsforschung im oben genannten Sinn. Genauer wird das dann in Teil B entfaltet, der die theoretischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung präsentiert.

In theoretischer Hinsicht (Kap. 6) wird ein Mehrebenenmodell der Weiterbildung entwickelt, das die Ebenen der Lerngelegenheiten, der Organisationen, des institutionellen Umfelds, der nationalen und der inter-, supra- und transnationalen Akteure enthält. Angebot, Nutzung und Wirkung der Weiterbildung werden als „Ko-Konstruktion“ (102) dieser Akteure verstanden. Im empirischen Teil können die Lerngelegenheiten leider nur anhand von Ankündigungstexten erfasst werden. Was die Wirkungen der Modernisierungsstrategien betrifft, so werden die Politiken der drei letzten Ebenen des institutionellen, nationalen und übernationalen Umfelds nicht differenziert erfasst.

Weiter unterscheidet Schrader vier Typen von Organisationen, die sich nach den Kontexten ihrer Reproduktion unterscheiden: Werte- und Interessengemeinschaften (z.B. Ärztekammer, Umweltinitiative), Staat (z.B. Volkshochschule, Fachschule), Unternehmen (z.B. innerbetriebliche Weiterbildungsabteilung) und Markt (z.B. Fremdsprachenschule, Institut für Managementtraining). Diese Reproduktionskontexte von Weiterbildungsorganisationen unterscheiden sich u.a. nach den Medien der Koordination sozialer Handlungen (z.B. Geld in der marktförmigen Weiterbildung, Macht in der staatlichen) und nach den Formen der Reproduktion von Legitimation (gemeinschaftliche und gesellschaftliche Integration in der verbandlichen Weiterbildung der Gemeinschaften, Weiterbildung als öffentliches Gut in der staatlich reproduzierten Weiterbildung, Weiterbildung als Rationalisierung in den Weiterbildungsabteilungen der Unternehmen, Weiterbildung als Dienstleistung in der marktförmig sich reproduzierenden Weiterbildung). Nach Schrader hat sich dieses Modell in seinen empirischen Untersuchungen als trennscharf, erschöpfend (124) und empirisch ergiebig herausgestellt.

Schrader vertritt im Anschluss an die institutionalistische Governance-Forschung die These, dass der Ausbau des quartären Bildungssystems vor allem auf die Systemebene zielt, die Qualitätssicherung auf die Ebene der Organisation, die Professionalisierung auf die der Programme, und dass jede dieser Modernisierungsstrategien primär auf der jeweiligen Zielebene Wirkungen entfaltet. Akteure auf einer Ebene haben in der Regel kaum Zugriff auf die anderen Ebenen. Die Modernisierungsstrategien determinieren die Weiterbildung nicht, aber sie legen „Pfade“ (143), die Wandlungen zugleich ermöglichen und einschränken.

Was das methodische Vorgehen betrifft (Kap. 7), so werden Mehrebenenanalysen von Programmankündigungen durchgeführt. Die Daten wurden im Jahr 2006 erhoben; Vergleichsdaten stehen für das Jahr 1996 zur Verfügung. Von den im Jahr 2006 untersuchten 241 Weiterbildungsorganisationen waren nur sieben innerbetrieblich; die betriebliche Weiterbildung ist in den Daten also unterrepräsentiert. Die Angaben zu den erfassten Anbietern sind leider etwas undeutlich. Ansonsten wird das methodische Vorgehen detailliert vorgestellt und begründet, wobei vor allem die Grenzen der Analysen sehr ausführlich besprochen werden. Erfasst werden neben den Ankündigungstexten unter anderem der Reproduktionskontext, die Professionalisierung (operationalisiert als Vorhandenseins hauptberuflichen Planungspersonals) und das Qualitätsmanagement (als Vorhandensein einer Zertifizierung).

Teil C präsentiert die Ergebnisse ausführlich. Kap. 8 stellt die Weiterbildungsregion Bremen vor, Kap. 9 gibt einen detaillierten Überblick über das Angebot. Drei weitere Kapitel behandeln die Wirkungen der Modernisierungsstrategien auf den Ebenen des Systems (Kap. 10), der Organisationen (Kap. 11) und des Angebots (Kap. 12); dies sind die empirischen Hauptkapitel. Die Ebene der Lerngelegenheiten wird nur vermittels der Angaben in den Veranstaltungskommentaren erfasst.

Kapitel 9 untersucht u.a. die Verteilung der Angebote auf die Bereiche der allgemeinen, politischen und beruflichen Weiterbildung – hier sind keine Überraschungen zu finden –, den Anteil zielgruppenspezifischer Angebote und den Anteil von Veranstaltungen, die auf weiterführende Veranstaltungen verweisen. Ein breites Angebot vornehmlich in der allgemeinen und politischen Bildung, der Abbau von Bildungsbenachteiligungen durch die Ansprache von Zielgruppen sowie die Strukturierung des Programms in Form von aufeinander aufbauenden Veranstaltungen werden als Merkmale moderner Weiterbildung aufgefasst. Es zeigen sich sowohl mögliche Wirkungen von Modernisierungsstrategien, so bei der Differenziertheit des Angebots, als auch Grenzen, so bei dem Rückgang der Zielgruppenarbeit.

Auf der Ebene des Weiterbildungssystems (Kap. 10) zeigt sich, dass die Zahl der Anbieter und der Veranstaltungen gestiegen ist, das Stundenvolumen sich jedoch verringert hat. Insgesamt ist das System stabil, was auf den rechtlichen Rahmen und die finanzielle Förderung zurückgeführt wird. Dem Veranstaltungsprofil nach bieten anerkannte Anbieter weniger politische Bildung als früher und mehr kulturelle sowie an Freizeit, Sport und Urlaub orientierte Bildung. Das ist nicht die Intention des Weiterbildungsgesetzes gewesen; die thematische Entwicklung ist nicht auf politische und finanzielle Steuerungen zurückzuführen, aber diese haben die Möglichkeit dafür geboten, dass die Institutionen sich thematisch in dieser Weise entwickeln.

Auf der Ebene der Weiterbildungsorganisation (Kap. 11) werden die Auswirkungen von Qualitätsmanagementsystemen untersucht. Dazu werden die inhaltlichen Profile von Organisationen per Clusteranalysen bestimmt. Es ergeben sich acht Organisationsprofile, z.B. allgemeine Weiterbildung mit differenziertem Angebot (Volkshochschule), Spezialanbieter der allgemeinen Weiterbildung (z.B. Institut francais) oder Anbieter der gewerblich-technischen Weiterbildung. Das Vorhandensein von Qualitätsmanagementsystemen scheint auf das Profil keine Auswirkung zu haben, der Reproduktionskontext allerdings schon. Was die quantitative Entwicklung betrifft, so zeigen manche kleinere, gemeinnützige Anbieter, etwa solche, die in den 1980er Jahren im Kontext neuer sozialer Bewegungen entstanden sind, Erschöpfungstendenzen. Stabil oder im Wachstum begriffen sind unter anderem die sich staatlich reproduzierenden Einrichtungen. Im Bereich der marktförmig sich reproduzierenden Weiterbildung sind die abruptesten Wandlungsprozesse zu bemerken.

Was die Weiterbildungsangebote (Kap. 12) betrifft, so kommt die Untersuchung zum Kern ihrer Thesen. Es wird untersucht, ob die beobachteten Modernisierungsstrategien curriculare und soziale Defizite abbauen oder nicht. Räumliche Defizite werden nicht untersucht, weil im Stadtstaat Bremen regionale Differenzen nicht einschlägig sind. Das ist schade; räumliche Segregierungen gibt es gerade auch in städtischen Räumen. Der Verfasser vertritt die These, dass auf der Ebene der Veranstaltungen alle drei Modernisierungsstrategien sichtbar werden können, vor allem aber die der staatlichen Förderung, der Professionalisierung und der Qualitätssicherung, wobei allerdings, so ist kritisch anzumerken, von der Professionalisierung gemäß dem Ebenenmodell die stärksten Wirkungen erwartet werden müssten.

Hauptberufliches Planungspersonal sollte unter anderem, so Schrader, nicht-pädagogische – vor allem therapeutische und esoterische – Angebote unwahrscheinlicher machen. Auch sollte das Angebot auf systematischen Bedarfsanalysen beruhen, am Fachsystem ausgerichtet sein und ein systematisches, aufeinander aufbauendes Weiterlernen ermöglichen. Die Werbetexte sollten mit der Beschäftigung von hauptberuflichen Programmplanern fachbezogener und seriöser werden, Wirkungsversprechen zurückhaltender. Allerdings wird dieses Professionsmodell nicht hinreichend begründet.

Weiter wird vermutet, dass der Reproduktionskontext Einfluss auf den Preis des Angebots hat. Es zeigt sich nach den Mehrebenenanalysen, dass die Qualität der Angebote mehr von der Veranstaltung selbst abhängt als von anderen Faktoren und der Preis vor allem davon, in welcher Organisation die Veranstaltung stattfindet Weder bewirkt die Subventionierung von Einrichtungen eine – soweit man das an den Ausschreibungen sehen kann – durchgängig höhere Qualität der Veranstaltungen, noch führt die marktförmige Reproduktion zu niedrigeren Preisen als in den subventionierten Märkten, was auch nicht verwunderlich ist. Bei der Höhe der Gebühren/ Preise und bei der Qualität der Ankündigungstexte scheinen sich die Professionalisierung und Qualitätssicherung kaum auszuwirken.

Insgesamt handelt es sich um eine sehr innovative Studie, vor allem was die theoretischen Bezüge auf die wohlfahrtsstaatlichen Modernisierungsstrategien und die Mehrebenenanalysen betrifft. Eine Interpretation der neueren Entwicklung der Weiterbildung mit Theorien der wohlfahrtsstaatlichen Modernisierung ist überfällig, weil die Weiterbildung seit Jahrzehnten tatsächlich unter anderem arbeitsmarkt- und sozialpolitisch gesteuert wird, nicht mehr nur bildungspolitisch oder marktförmig.
Die Unterscheidung nach Reproduktionskontexten und die Clusteranalysen zu Organisationsprofilen erlauben eine weitaus differenziertere und empirisch fruchtbarere Systematik des erwachsenenpädagogischen Feldes als die traditionellen Versuche zu einer Systematisierung, die meistens bildungspolitischen Vorgaben folgen, indem sie etwa zwischen allgemeiner und beruflicher oder zwischen formaler, non-formaler und informeller Weiterbildung unterscheiden.
Schrader liefert differenzierte Analysen zu den Wirkungen der Modernisierungsstrategien. Wie sich unerfüllte Hoffnungen zukünftig erreichen lassen könnten, wird allerdings nicht behandelt.

Der Text stellt an die Leserinnen und Leser hohe Ansprüche, nicht nur was die Methode der Mehrebenenanalyse betrifft. Rezipienten aus dem disziplinären Umfeld der Weiterbildungsforschung werden manche fremden theoretischen Bezüge, vor allem zur Wohlfahrtsstaatsforschung, als zu knapp ausgeführt empfinden. Die Kapitel zur Bildungsreform, Professionalisierung und Qualitätssicherung (Kap. 2-4) bieten dagegen hervorragende Überblicke zu diesen Themen.
Thomas Fuhr (Freiburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thomas Fuhr: Rezension von: Schrader, Josef: Struktur und Wandel der Weiterbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 1 (Veröffentlicht am 24.02.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978376394846.html