Der Übergang jugendlicher Schulabgänger von der Schule in eine Berufsausbildung ist in den vergangenen Jahren wesentlich schwieriger geworden und in Folge dessen verstärkt in den Fokus der Berufsbildungs- und Jugendforschung geraten. In diesem Kontext kann als eines der zentralen Desiderate der Übergangsforschung die bislang fehlende Verknüpfung individueller und sozialer Faktoren einerseits sowie institutioneller und marktlicher Zugangslogiken andererseits benannt werden.
Mit dieser Forschungslücke und den Übergängen an der sog. ersten Schwelle beschäftigt sich Verena Eberhard. Sie greift in ihrer Studie die politisch brisante und wissenschaftlich unzureichend untersuchte Frage auf, warum und mit welchen Ressourcen es einem Teil der Bewerber auf eine Ausbildungsstelle gelingt, in eine betriebliche Ausbildung einzumünden und ein anderer Teil – trotz hinreichender formaler Ausbildungsreife – gezwungen ist, alternative Wege in der beruflichen Bildung bzw. gar außerhalb des Bildungssystems einzuschlagen. Verena Eberhard betrachtet in ihrer ressourcentheoretischen Analyse sowohl individuelle und soziale Faktoren in Form von personalem und sozialem Kapital der Bewerber als auch institutionelles Kapital als Ausdruck der Markt- und Systembedingungen. Dadurch wird es möglich, das Übergangsgeschehen in seiner Komplexität abzubilden und Übergangsprozesse als relationales Zusammenspiel angebots- und nachfrageorientierter Faktoren am Ausbildungsmarkt zu modellieren und zu erklären.
In den ersten fünf Kapiteln entfaltet Verena Eberhard den theoretischen Rahmen ihrer Studie, mit der sie zugleich an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn promovierte. Nach einer Einleitung bespricht sie zunächst organisationale bzw. ordnungspolitische Grundlagen der dualen Ausbildung (Kap. 2) sowie Zugangsregelungen und -logiken in eine duale Ausbildung (Kap. 3). Nicht zuletzt aufgrund der hohen individuellen Bedeutung eines qualifizierten Berufsabschlusses wird dargelegt, warum es notwendig ist, die Determinanten des Übergangserfolgs genauer zu bestimmen. In diesem Kontext warnt sie deutlich vor einer „fatalen“ „einseitige[n] Akzentuierung von individuellen und sozialen Merkmalen im Rahmen der Übergangsforschung“ (42) und fordert nachdrücklich ebenso institutionelle und marktliche Rahmenbedingungen zu betrachten.
Konsequent und folgerichtig erarbeitet Verena Eberhard im vierten und fünften Kapitel ein flexibles ressourcentheoretisches Modell, das der Übergangsforschung bislang fehlte. Dieses basiert auf institutionen- und ressourcentheoretischen Ansätzen, die – wie die Autorin selbst herausstellt – nicht ohne weiteres zusammengeführt werden können. Da die Institutionen jedoch Zugangsberechtigungen (i.S. von Eintrittskarten) verteilen, können die institutionellen Rahmungen aus der Perspektive der Jugendlichen jedoch als Ressourcen betrachtet werden, die den Übergangserfolg determinieren (43 ff). Im Weiteren bestimmt sie zentrale Einflussfaktoren des Übergangserfolgs auf Mikro- (Persönliches Kapital), Meso- (Soziales Kapital) und Makroebene (Institutionelles Kapital). Die Verwendung eines soziologisch geprägten Kapitalbegriffs begründet die Autorin mit der Auffassung, dass damit auch Kapitalgeber und deren Motive in das Modell integriert werden (47). Verena Eberhard beschreibt in Kap. 5 die einzelnen Kapitalformen und bestimmt in diesem Rahmen deren ineinander verwobene Subdimensionen bzw. Elemente sowie den entsprechenden Forschungsstand. Deutlich herausgearbeitet wird dabei die übergeordnete Bedeutung des institutionellen Kapitals, da es bestimmt, „in welcher Form der Jugendliche soziales und personales Kapital überhaupt nutzen kann, um sich einen Zugang zu beruflicher Ausbildung zu eröffnen“ (102).
Das sechste Kapitel befasst sich mit der Konzeption der empirischen Studie. Zunächst werden auf der Basis des Modells und des entsprechenden Forschungsstandes Hypothesen hergeleitet, welche unterschiedliche Sortierlogiken in betriebliche bzw. außerbetriebliche Ausbildung sowie den Verbleib im Übergangssystem in den Blick nehmen. Im Rahmen der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2008 wurden hierzu ausbildungsinteressierte und formal ausbildungsreife Jugendliche repräsentativ befragt. Die Stichprobe enthält Daten von ca. 3.000 Bewerbern und deren Verbleib nach Abschluss des Vermittlungsjahres. Sehr ausführlich widmet sich Verena Eberhard der Operationalisierung zentraler Konzepte, wobei zum einen der kritische, vorsichtige Umgang mit dem Begriff der Ausbildungsreife und zum anderen die Konzeption einer regionalisierten, berufsspezifischen Angebotsquote hervorzuheben ist. An dieser Stelle werden bereits erste deskriptive Ergebnisse präsentiert.
Das siebte Kapitel „Ergebnisse“ beginnt mit einer Darstellung der multivariaten Analysemethoden zur Prüfung ihrer Hypothesen. Die Daten werden einer Regressionsanalyse unterzogen. Der Erklärungsgehalt ihrer Modelle ist akzeptabel (161 ff u. 213) und ihre Ergebnisse sind weitestgehend erwartungskonform – und dennoch innovativ. Ihr gelingt der Nachweis, dass neben personalem und sozialem auch das institutionelle Kapital Einfluss auf verschiedene Sortierlogiken der unterschiedlichen Systeme hat. Ausbildungsreife, Schulleistungen, Geschlecht, Berufsorientierung und soziales Kapital, Alter, Migrationshintergrund sowie die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt determinieren die Chancen des Übergangs in betriebliche Ausbildung. Diejenigen, die hier scheitern, können in eine außerbetriebliche Ausbildung eintreten, wenn – pointiert ausgedrückt – sie alt genug, die Abschlüsse schlecht genug, genügend Plätze vorhanden sind und sie bereits im Übergangssystem waren. Damit bestätigt Eberhard die Grundaussage ihres Modells, dass „die institutionellen Rahmenbedingungen festlegen, welche Formen des personalen und sozialen Kapitals für den Übergang erforderlich sind“ (211). Jugendliche, denen kein Zugang zu einer (betrieblichen oder außerbetrieblichen) Ausbildung gewährt wurde, verbleiben entweder im Übergangsystem oder verlassen das Bildungssystem relativ dauerhaft. Vor allem Alter und Schulabschluss der Jugendlichen scheinen deren Entscheidungsverhalten an diesem Punkt zu beeinflussen. Die Befunde und Ergebnisse werden in Kapitel 8 ausführlich diskutiert.
Abschließend rekapituliert Verena Eberhard ihre Studie kurz und weist selbstkritisch auf einige problematische Aspekte der Untersuchung hin. Diese betreffen u.a. das Problem, dass das soziale Kapital nur unzureichend operationalisiert und gemessen wurde sowie dass das tatsächliche Entscheidungsverhalten der Jugendlichen unberücksichtigt bleibt (213 f). Die Autorin schließt mit einigen offenen Forschungsfragen. Beispielsweise dürfte es nicht nur von politischem Interesse sein, ob das Modell auch unter den gegenwärtigen Bedingungen des demographischen Wandels gültig ist oder nunmehr wieder andere institutionelle Zugangslogiken und Ausformungen personalen und sozialen Kapitals bedeutsam sind.
Obgleich einige Redundanzen hätten vermieden werden können sowie die Operationalisierung ihres Modells etwas ungleich gewichtet und stark durch die zur Verfügung stehenden Daten beeinflusst ist, bleibt festzuhalten, dass Verena Eberhard eine für die Übergangsforschung richtungsweisende Studie präsentiert. Sie offenbart unterschiedliche Sortierlogiken an der ersten Schwelle und zugleich – politisch brisant – den übergeordneten Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen auf das Übergangsgeschehen. Das Buch ist gut strukturiert, gradlinig und direkt geschrieben. Viele Abbildungen und Tabellen erleichtern das Textverständnis und ein Glossar sowie eine Kurzdarstellung anderer relevanter Studien runden diese sehr gelungene Forschungsarbeit ab. Vor diesem Hintergrund ist dem Buch viel politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu wünschen.
EWR 11 (2012), Nr. 5 (September/Oktober)
Der Ãœbergang von der Schule in die Berufsausbildung
Ein ressourcentheoretisches Modell zur Erklärung der Übergangschancen von Ausbildungsstellenbewerbern
Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2012
(271 S.; ISBN 978-3-7639-1153-0; 32,90 EUR)
Robert W. Jahn (Jena)
Zur Zitierweise der Rezension:
Robert W. Jahn: Rezension von: Eberhard, Verena: Der Ãœbergang von der Schule in die Berufsausbildung, Ein ressourcentheoretisches Modell zur Erklärung der Ãœbergangschancen von Ausbildungsstellenbewerbern. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2012. In: EWR 11 (2012), Nr. 5 (Veröffentlicht am 12.10.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978376391153.html
Robert W. Jahn: Rezension von: Eberhard, Verena: Der Ãœbergang von der Schule in die Berufsausbildung, Ein ressourcentheoretisches Modell zur Erklärung der Ãœbergangschancen von Ausbildungsstellenbewerbern. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2012. In: EWR 11 (2012), Nr. 5 (Veröffentlicht am 12.10.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978376391153.html