Unter dem Stichwort „PädagogInnenbildung NEU“ wurde in Österreich die Ausbildung von Lehrer*innen für die Primarstufe und Sekundarstufe reformiert und mit dem Studienjahr 2015/16 umgestellt. Das Studium ist nun als vier Jahre dauerndes Bachelorstudium organisiert, auf das ein Masterstudium folgt. Der sich daran anschließende Berufseinstieg wird als „Induktionsphase“ bezeichnet. Dieses erste Dienstjahr wird von Mentor*innen begleitet.
Der hier vorliegende Sammelband ist in diesem Kontext entstanden und in der Reihe „Pädagogik für Niederösterreich“ als Band 12 erschienen. Die Herausgebenden sind an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich beschäftigt. Dieses Buch ist bereits der zweite Sammelband zu diesem Thema, 2020 publizierten dieselben Herausgeber*innen das Buch „Mentoring im pädagogischen Kontext: Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrpersonen“ als Band 10 der Reihe. Mit 521 Seiten handelt es sich um ein sehr umfangreiches Werk, das vier Unterkategorien aufweist: „Das Dialogische in der Ausbildung von Lehrpersonen“, „Dialog im Berufseinstieg als Gelingensbedingung des Mentorings“, „Das Dialogische im Mentoring aus mehreren Blickwinkeln“ und „Pädagogik der Kommunikation, Interaktion und Interpunktion für das Mentoring“.
Die Autor*innen des Bandes sind in unterschiedlichen Kontexten mit Mentoring betraut, als Lehrende, als Forschende, als Mentor*innen. Der Band möchte einem breiten Publikum die „Herausforderungen des Mentorings sowohl in der Professionalisierung, der Theorieentwicklung als auch in der Forschungsmethodik“ (11) nahebringen, nämlich den „Akteur*innen im Bildungssystem, in der Forschung und Schulentwicklung wie auch in der Professionalisierung von Lehrpersonen“ (11). Das ist ein umfassender Anspruch, und der vorliegende Band hat das Problem vieler Sammelbände: Hier sind zu viele Texte unterschiedlicher Qualität etwas zusammenhanglos versammelt. Die Zugänge zu den Themen sind sehr heterogen: Philosophische, literarische und historische Überlegungen finden sich hier ebenso wie quantitative und qualitative Forschungszugänge. Das kann einerseits reizvoll, aber andererseits auch redundant und verwirrend sein.
Eine grundsätzliche Frage ist die nach dem Verständnis von Mentoring und der damit zusammenhängenden Sicht auf Professionalisierung und Professionalität von Lehrpersonen. Dem Titel gemäß wird „Mentoring als Dialog“ gesehen, sogar als „lebendiges Wechselgespräch“ (11). Hier schwingt eine Deutung des Dialogischen im Hinblick auf ein „Du“ mit, wie man sie beispielsweise bei Martin Buber finden kann. Dies ist zweifelsohne eine interessante Perspektive, die der ständigen eigenen Überprüfung (als Mentor*in wie als Mentee) bedarf, die aber im Setting der Induktionsphase auch angezweifelt werden kann. Denn das Verhältnis zwischen Mentor*in und Mentee in der Induktionsphase befindet sich nicht auf Augenhöhe.
Mentor*innen erstellen ein Entwicklungsprofil und begutachten die Mentees. Auf dieser Grundlage findet eine Benotung statt, die über die berufliche Zukunft entscheiden wird [1]. Es kommt hier zum „Bewertungs-Unterstützungs-Dilemma“ [2], welches im Buch mitunter angesprochen wird (z.B. in den Beiträgen von Zeilinger und Dammerer (235) oder von Breit, Hofer und Schwarzenberger-Berthold (275)). Die Sichtweise auf diese Asymmetrie zeigt auch, welcher Blick auf Mentoring vorherrscht: Denn die Mentor*innen sind Expert*innen, die Berufsanfänger*innen Noviz*innen. Obwohl das Voneinanderlernen auf Augenhöhe sehr betont wird, ist die Idee hinter dem Konzept des Mentorings vor allem in der Induktionsphase doch, dass die Noviz*innen von den Expert*innen unterstützt werden und somit auch von diesen lernen. Frey und Pichler (197) machen auf diesen Umstand aufmerksam. Mentoring im Kontext des Berufseinstiegs kann durchaus Gefahr laufen, als Meisterlehre verkannt zu werden.
Der erste Teil des Buches betont das „Dialogische in der Ausbildung von Lehrpersonen“. Acht sehr unterschiedliche Beiträge aus verschiedenen Settings (z.B. Schulpraktika, Mentoring-Ausbildung, Lesson Studies und natürlich auch Induktion) sind hier zusammengefasst, die auch jeweils unterschiedliche Verständnisse von Mentoring beinhalten. Interessante Gedanken, oft gestützt durch Forschungsergebnisse, finden sich in allen Texten. Eine Alternative zur Meisterlehre beschreibt Mewald, wenn sie zeigt, dass mit videografierten Lesson-Study-Forschungsstunden und dem Bearbeiten im Lesson-Study-Zyklus alternative Sichtweisen entwickelt werden und man somit - statt rezeptartige Best Practice nachzuvollziehen - selbst eine Next Practice entwickelt. Einen Vorschlag, wie die dialogische Einbettung dieses Verfahrens ins Mentoring aussehen kann, bleibt der Text aber noch schuldig. Eine interessante Idee ist das „Reverse Mentoring“, das Schmit, Klassen und Rossa in ihrem Beitrag vorstellen. Hier werden die Rollen getauscht und eine erfahrungsjüngere Person fungiert als Mentor*in für eine erfahrungsältere Person im Kontext der digitalen Medien.
Im zweiten Teil des Buches steht das Thema „Dialog im Berufseinstieg als Gelingensbedingung des Mentorings“ im Mittelpunkt. Die hier zusammengefassten neun Beiträge eint die Idee, lehrende und anleitende Interaktionen durch dialogische Verfahren zu ersetzen. Diese Texte zeigen meist sehr konkret auf Österreich bezogen die Ideen, die hinter dem Mentoring in der Berufseinstiegsphase stecken. Frey und Pichler beschäftigen sich mit der Entwicklung eines Mentoring-Inventars, das sicherlich sehr gute Dienste auch in der Ausbildung oder Supervision leisten kann. Aus ihren Überlegungen ergibt sich fast zwangsläufig die Frage nach einer verbindlichen und systematischen Qualifizierung für die Mentor*innen. Zeilinger und Dammerer thematisieren deutlich die Asymmetrie der Mentoring-Beziehung, indem sie das Gutachten, an dem sich diese zeigt, analysieren. Dass die Mentor*innen ihre Kategorien grundsätzlich geeignet operationalisieren, wird in der Studie deutlich, aber auch, dass ein angemessener Umgang mit der Begutachtungsaufgabe hohe Anforderungen an die Mentor*innen stellt.
„Das Dialogische im Mentoring aus mehreren Blickwinkeln“ wird im dritten Teil des Buches von sieben Beiträgen aufgegriffen. In diesen Beiträgen finden sich auch etwas ungewöhnlichere Zugänge, etwa der historische von Bergmeier und Dammerer oder der Zugang über das Höhlengleichnis von Platon bei Wiesner und Prieler.
Der vierte Teil nennt sich „Pädagogik der Kommunikation, Interaktion und Interpunktion für das Mentoring“ und beinhaltet drei Beiträge von Christian Wiesner, in denen verschiedene Modelle herangezogen werden, zum einen ein erweitertes Organon-Modell nach Bühler (391), ein erweitertes Linsen-Modell nach Brunswik (414) und ein abgewandeltes Kommunikationsprozessmodell nach Hertzsch und Schneider ( 434). Wiesner betont, dass Modelle integriert werden können und so eine „ganzheitliche Sicht auf eine Pädagogik der Kommunikation, Interaktion und Interpunktion für das Mentoring“ (451) ermöglicht wird.
Zusammenfassend liegt hier ein sehr ambitioniertes, stellenweise etwas überambitioniertes und zum Teil überfrachtetes Buch vor. Viele der Beiträge lassen sich mit großem Gewinn lesen, doch wäre eine stärkere Systematisierung und Bündelung gut gewesen. Zudem würden Leser*innen davon profitieren, wenn von vornherein stärker verdeutlicht oder gegliedert würde, um welche Phasen der Lehrer*innenbildung es jeweils geht. So ist es schwierig, sich die Artikel zusammenzusuchen, die mit dem eigenen Thema zu tun haben. Die Beiträge, das jeweilige Mentoring-Verständnis sowie die damit verbundenen Ideen sind so unterschiedlich, dass es selbst mit dem vereinheitlichenden Gedanken der Dialogorientierung schwerfällt, hier eine zusammenfassende Sichtweise auf das Buch zu formulieren.
[1] Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (Hrsg.). (2013). 211. Bundesgesetz: Dienstrechts-Novelle 2013 – Pädagogischer Dienst. Verfügbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2013_I_211/BGBLA_2013_I_211.html [15.03.2022].
[2] Prenzel, M., Huber, M., Muller, C., Höger, B., Reitinger, J., Becker, M., Hoyer, S., Hofer, M., & Lüftenegger, M. (2021). Der Berufseinstieg in das Lehramt: Eine formative Evaluation der neuen Induktionsphase in Österreich (S. 93). Waxmann.
EWR 21 (2022), Nr. 2 (April)
Mentoring als Auftrag zum Dialog
Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrpersonen. Wahrnehmen, wie wir interagieren
Wien: Studien Verlag 2021
(524 S.; ISBN 978-3-7065-6164-8; 49,90 EUR)
Astrid Rank (Regensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Astrid Rank: Rezension von: Wiesner, Christian / Windl, Elisabeth / Dammerer, Johannes (Hg.): Mentoring als Auftrag zum Dialog, Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrpersonen. Wahrnehmen, wie wir interagieren. Wien: Studien Verlag 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.05.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978370656164.html
Astrid Rank: Rezension von: Wiesner, Christian / Windl, Elisabeth / Dammerer, Johannes (Hg.): Mentoring als Auftrag zum Dialog, Professionalisierung und Qualifizierung von Lehrpersonen. Wahrnehmen, wie wir interagieren. Wien: Studien Verlag 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.05.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978370656164.html