EWR 8 (2009), Nr. 5 (September/Oktober)

Wolfgang Brezinka
Pädagogik in Österreich
Die Geschichte des Faches vom 18. zum 21. Jahrhundert
Band 3: Pädagogik an den Universitäten Czernowitz, Salzburg, Linz
Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften 2008
(758 S.; ISBN 978-3-7001-4004-7; 55,00 EUR)
Pädagogik in Österreich Mit dem vorliegenden Band halten wir den dritten Teil einer umfassenden Geschichte der österreichischen Universitätspädagogik von ihren Anfängen bis in die Gegenwart in Händen; im Vorwort bereitet der Autor die Leser schon auf einen vierten, ursprünglich nicht geplanten Teil vor. Wolfgang Brezinka hat sich im hier zu besprechenden Falle durch die Archive der Universitäten Czernowitz, Salzburg und Linz hindurch gearbeitet und erneut eine auch noch die letzten Winkel disziplingeschichtlicher Alltagsbegebenheiten und Curiosita ausleuchtende Historie dieser Institutionen erstellt.

Jede dieser drei Universitäten (und ihre jeweiligen Vorläufer) stellt ein besonderes Exempel lokaler Wissenschaftsgeschichtsschreibung der Pädagogik vor: Czernowitz besitzt eine längere Vorgeschichte (von 1814 bis 1875) als Lebensdauer (1875 bis 1918). Im Rahmen des örtlichen Gymnasiums und einer Philosophischen Lehranstalt finden ab 1814 vereinzelt auch pädagogische Vorträge schon ihre Hörer, aber erst 1877 wird an der jungen Universität auch eine eigene Lehrkanzel für Pädagogik, zunächst mit Anton Marty, dann und insbesondere mit Rudolf Hochegger eingerichtet. Er vertritt eine erkenntnistheoretische Grundlegung der Pädagogik, die sich empirisch stark an die Völkerpsychologie von Lazarus und Steinthal anlehnt. Mit Richard Wahle, der ab 1896 die Pädagogik vertritt, wird auch schon der letzte Professor für Pädagogik berufen: 1918 schließt die Universität Czernowitz dann bereits ihre Tore.

Die Universität Salzburg verfügt über eine lange Vorgeschichte: Zunächst vertritt Franz Michael Vierthaler die Pädagogik an der Benediktiner Universität (1792-1810) – allerdings ohne eigene Lehrkanzel; von 1810 bis 1850 findet man die Pädagogik in Salzburg nur im Rahmen des Lyceums wieder und nimmt dann zwischen 1850 und 1938 eine äußerst wechselvolle Geschichte der Pädagogik in Salzburg wahr: an der Katholisch-Theologischen Fakultät mehr gebilligt als geliebt, gehört sie bis 1918 nicht mehr zu den obligatorischen Lehrstoffen, die der angehende Lehrer zur Kenntnis nehmen muss. Erst ab 1918 und bis 1938 kann die Pädagogik wieder etwas Raum gewinnen – allerdings nur im Rahmen einer Lehrkanzel, in der sie mit dem Kirchenrecht verbunden wird. Höhen und Tiefen nach 1946 – von der „lebendigsten Forschungsstelle der Pädagogik in Österreich“ unter Friedrich Schneider bis zum „Niedergang“ unter dessen Nachfolgern – zeichnet Brezinka akribisch und ohne Scheu vor treffender Kritik, die manchmal auch beißend ist, nach. So wird etwa mit distanziertem Blick beschrieben, wie Salzburg in den 1950er und 60er Jahren über die Dozentur für Pädagogik und christliche Philosophie zu einer Habilitationsschmiede für deutsche Assistenten wird, die sich auf Pädagogik-Professuren an den bayerischen Pädagogischen Hochschulen bewerben wollen – ohne in Pädagogik ausgewiesen zu sein. Erst 1962 wird eine eigene (von der Theologie unabhängige) Lehrkanzel der Pädagogik eingerichtet; 1968 eine zweite. An deren wechselnder Besetzungsgeschichte bis in die Gegenwart hinein, die nicht nur einen Wechsel der Personen, sondern auch der jeweiligen zeitgenössischen erziehungswissenschaftlichen Schwerpunkte (Ausbildung einer empirisch-psychologischen Forschung etwa) über mehrere Jahrzehnte sehr anschaulich präsentiert, ergänzt um eine vorsichtige Systematisierung unter den Kriterien der „Expansion, Differenzierung und Spezialisierung“, kann Brezinka sehr deutlich zeigen, dass die jüngere Universitätsgeschichte der Pädagogik sich weniger von wissenschaftstheoretischen disziplinären Legitimationen, sondern eher von politischen und sehr stark personenbezogenen Interessen hat leiten lassen. Detailliert wird man dann über die Habilitationen und die einschneidenden Veränderungen auf der Grundlage des Universitätsorganisationsgesetzes von 2002/2004 informiert. Besondere Kapitel sind der Religions- und der Sportpädagogik gewidmet.

Auch die Universität Linz blickt auf eine – wenn auch schwächer ausgebildete – Vorgeschichte zurück: Im Rahmen des örtlichen Lyzeums wurde zwischen 1814 und 1849 Pädagogik im Sinne einer „Erziehungskunde“ für angehende Theologen angeboten. Erst 1966 wird in Linz dann eine Hochschule eröffnet, die sich auf die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften spezialisiert und in deren Rahmen man – ab 1975 unter den Namen der „Johannes Kepler Universität“ – Wirtschaftspädagogik und Teile (Mathematik, Chemie, Physik) des Lehramtes studieren kann. Parallel hierzu wird die Pädagogik an der bischöflichen „Theologischen Lehranstalt“ (allerdings beschränkt auf „Katechetik und Unterrichtslehre“) vertreten. Diese Lehranstalt findet 1978 als Theologische Fakultät Eingang in die Linzer Universität (mit einem Institut für Pädagogik und Katechetik) und wird schließlich im Jahre 2000 übergeleitet in eine Privatuniversität. Die Wirtschaftspädagogik an der Universität (1974-1985 von Reinhard Czycholl und seit 1989 von Bruno Schurer vertreten) wird seit 1976 von der Einrichtung eines Instituts für Pädagogik und Psychologie unterstützt. Nicht in ähnlicher Weise systematisierend wie für Salzburg bietet Brezinka dann noch Einblicke in die ergänzende Lehre durch Lehrbeauftragte, Gastprofessuren und Habilitationsverfahren. Mit einer kurzen Darstellung des universitären Lehrganges für Wehrpädagogik an der Universität Linz von 1994 bis 2001 endet der Textteil dieses dritten Bandes. Er wird abgerundet durch mehrere Anhänge, die neben Personal-, Orts- und Literaturverzeichnissen auch Listen über österreichische Professoren an ausländischen Universitäten und Ausländer als Professoren an österreichischen Universitäten u. v. a. m. bieten, die man in der Forschung wird weiter interpretieren müssen.

Natürlich ist die Fülle der Informationen überaus beeindruckend – aber doch auch erdrückend. Die Maxime dieses Programms lautet: möglichst lückenlose Ausbreitung des Materials im chronologischen Verlauf. Was der Leser jedoch – je mehr von den bislang vorliegenden 2.800 Seiten er umblättert – sich wünscht, ist eine systematische Perspektive, die die Daten zumindest einordnet in eine nicht nur historistische Disziplingeschichte. Brezinka vertröstet uns auf den letzten, vierten Band, in dem er „eine gesamtösterreichische Bilanz aus international vergleichender Sicht“ (Vorwort) bieten will. Darauf darf man gespannt sein – und wünscht Brezinka zugleich, dass dieser bündelnde Blick ihm gelingen möge.
Andreas von Prondczynsky (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas von Prondczynsky : Rezension von: Brezinka, Wolfgang: Pädagogik in Österreich, Die Geschichte des Faches vom 18. zum 21. Jahrhundert Band 3: Pädagogik an den Universitäten Czernowitz, Salzburg, Linz . Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 5 (Veröffentlicht am 02.10.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978370014004.html