Bei dem Buch „Professionalisierungsprozesse von Lehrerinnen und Lehrern“ handelt es sich um die 2019 publizierte Dissertationsschrift von Miriam Hörnlein. Ausgehend von der zentralen Annahme, dass individuelle Bearbeitungen biographischer Erfahrungsaufschichtungen der vorinstitutionellen und außerinstitutionellen Sozialisation eine zentrale Rolle für Professionalisierungsprozesse von Lehrkräften spielen, fragt die Studie danach, inwiefern diese Erfahrungsaufschichtungen das berufliche Selbstverständnis von Lehrkräften beeinflussen, mit dem Ziel, einen Beitrag zur Forschung zu Professionalisierungsressourcen leisten zu können. Nach der einleitenden Erläuterung des Forschungsprojektes ist der Band in drei Abschnitte untergliedert, bestehend aus einer heuristischen Rahmung, dem empirischen Teil der Untersuchung und einer abschließenden theoretischen Einordnung der Befunde.
Indem Hörnlein zu Beginn der heuristischen Rahmung den Diskurs um die Professionsforschung zum Lehrerberuf thematisiert, wird die professionstheoretische Schwerpunktsetzung ihrer Arbeit deutlich. Dabei wird Professionalisierung unter der Perspektive drei zentraler Diskurslinien (systemtheoretischer Professionsansatz, symbolisch-interaktionistischer Professionsansatz und strukturtheoretischer Professionsansatz) beleuchtet. Da die Untersuchung sich im weitesten Sinne mit dem Zusammenhang von Biographie und Professionalisierungsprozessen beschäftigt, liegt die Verknüpfung von strukturaler Bildungstheorie und strukturtheoretischem Professionsansatz nahe. Diese hat zum Ziel, einen grundlegenden Rahmen um Professionalisierungsprozesse zu legen und diesen für den empirischen Zugang fruchtbar zu machen. Insofern betrachtet Hörnlein Professionalisierung als ein „Bildungsphänomen“ (37), welches in einem engen Zusammenhang mit der biographischen Bearbeitung von Lebens- und Weltsichten stehe. Als Kontrastfolie wird in diesem Zusammenhang der kompetenztheoretische Professionsansatz eingeführt und mit Fokus auf die Ausgangsfragestellung der Studie dabei auf Differenzlinien, aber auch auf mögliche Anknüpfungspunkte (wie beispielsweise die Relevanz von Reflexion) eingegangen.
Auf der Grundlage der vorgenommenen Verknüpfung von strukturaler Bildungstheorie und strukturtheoretischem Professionsansatz nimmt Hörnlein dann noch einmal eine Eingrenzung der Forschungsfrage vor. In diesem Zugang wird die Notwendigkeit einer reflexiven Bezugnahme im Sinne einer „Verpflichtung auf Selbst- und Weltreflexion“ (48) verstärkt deutlich. Um das der Studie zugrundeliegende Forschungsdesiderat zu verdeutlichen, geht die Autorin zunächst auf biographische Forschungen zum Lehrerberuf näher ein. Dabei erläutert sie die forschungshistorische Entwicklung und jeweilige Schwerpunktsetzung. Im Abklopfen der Forschungslandschaft zu Lehrerbiographien und Professionalisierungsforschung zeigt sich deutlich der Anknüpfungspunkt von Hörnleins Studie: Anschließend an Arbeiten aus der Biographieforschung, in denen die vorberuflichen Biographien als Ressource für Professionalisierung im Lehrerberuf herausgearbeitet wurden, wird der „Bildungsbegriff als Rekonstruktionsmatrix für Professionalisierungsprozesse herangezogen, der auf die besondere Bedeutung der biographischen Bearbeitung des gelebten Lebens in seiner sozialen Einbettung fokussiert“ (60).
Bevor Hörnlein dann auf die Empirie eingeht, legt sie zunächst ihren methodischen Zugang dar, der in einem engen Zusammenhang mit der theoretischen Einbettung ihrer Arbeit steht. Die Studie ist als qualitativ-rekonstruktive Arbeit gerahmt. Im Sinne der Biographieforschung liegt also die Auswertungsmethode der Narrationsstrukturellen Analyse nach Schütze nahe. Sie begründet dies damit, dass biographische Prozessstrukturen, wie sie in biographischen Erzählungen hervortreten, die „Organisation von Welt- und Selbstbezügen sichtbar machen können“ (64). Deutlich wird, dass Hörnlein diesen methodischen Zugang im Laufe ihres Forschungsprozesses immer wieder reflektiert. So weist sie auch zum Ende auf einen Klärungsbedarf bezüglich der „Sinnhaftigkeit des methodischen Vorgehens mittels Biographischem Interview und Narrationsstruktureller Analyse“ (234 f.) hin, da sich in der Analyse eine starke Abhängigkeit zu einer dominanten Verlaufskurvenstruktur zeigte. Darüber hinaus löst sie ihren Auswertungsprozess auch von einer starken Fokussierung auf die Textsorte der Erzählung. In Rekurs auf neuere Biographieforschungen zeige sich, dass insbesondere in Textsorten der Argumentationen großes Potenzial in der Erschließung von Prozessstrukturen liege. Verbunden ist damit die Annahme, dass in der Dichte an argumentativen Anteilen eine hohe biographische Reflexivität zum Ausdruck kommt.
Mittelpunkt des empirischen Teils sind drei Eckfälle, deren Analysen in jeweils eigenen Fallportraits, bestehend aus der Beschreibung des Interviewsettings sowie der Darstellung der Narrationsstrukturellen Analyse, der biographischen Gesamtformung und der „Prozesse der Sinn- und Bedeutungsherstellung an Gelenkstellen der Berufsbiographie“ (120, 151,189) vorgestellt werden. Die Fälle stellen dabei maximale Kontraste ihres Datenmaterials dar, deren Differenzlinien anhand der sozialen Einbettung, der Berufswahl, des Studiums und Referendariats, der Aneignung des Lehrberufs sowie der (reflexiven) beruflichen Handlungsanforderungen herausgearbeitet werden. Zentrales Ergebnis dieser Kontrastierung ist die Beobachtung eines starken Zusammenhangs zwischen der Bearbeitung biographischer Erfahrungsaufschichtungen und dem Umgang der Biographieträger mit den Professionalisierungsanforderungen des Handlungsfeldes. In der Überführung der Befunde in empirisch dokumentierbare Muster des biographisch begründeten Umgangs mit Professionalisierungsanforderungen zeigen sich Potenziale und Risiken für Professionalisierungsprozesse. Das erste Muster weise auf eine blockierte individuelle Professionalisierung und eine misslingende biographische Arbeit hin. Die Aufarbeitung biographischer Erfahrungen erscheinen in diesem Muster als gehemmt, dies äußert sich schließlich auch in einer Stilllegung potenzieller Bildungsprozesse. Das zweite Muster zeichne sich durch eine „Ausblendung biographischer Arbeit und beruflicher Professionalisierungsanforderungen“ (220) aus, was sich unter anderem durch den Versuch positiver Überformung der biographischen Präsentation bemerkbar mache. In diesem Muster zwingt eine idealisierte Darstellung des Berufsbildes dazu, Fragen des Scheiterns auszublenden. Das dritte Muster bezeichnet die Autorin als „gelingende biographische Arbeit und Prozesse der individuellen Professionalisierung“ (224). An diesem Muster zeige sich, dass Professionalisierung von Lehrkräften als Bildungsprozesse begriffen werden können und „Akte der biographischen Arbeit“ (226) voraussetze. Dieses Muster beinhaltet auch eine kritische Auseinandersetzung mit Erwartungen, was wiederum das Potenzial in sich birgt, „auch unter ungünstigen Bedingungen (…) sinnhafte Handlungsoptionen verfügbar zu machen“ (ebd.). In der Darlegung dieser drei Muster macht Hörnlein aber auch deutlich, dass hier aufgrund der geringen Fallauswahl „kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit“ (217) liege. Für eine deutlichere Ausdifferenzierung der Muster sei eine Minimalkontrastierung mit ähnlich gelagerten Fällen notwendig.
Nichtsdestotrotz weisen Hörnleins Ergebnisse eindrucksvoll auf das mögliche Professionalisierungspotenzial, welches in einer biographischen Bearbeitung der Erfahrungen aus beruflichen Kontexten liegt, hin. Dabei spiele aber auch das biographisch erarbeitete Selbstkonzept aus sozialen Einbettungen eine entscheidende Rolle. Dabei beinhaltet die Nichtbearbeitung lebensweltlicher Reflexionsanforderungen immer auch biographische Risiken, die sich dann in der Prozessstruktur des Lebenslaufs manifestieren und in der Berufsbiographie fortsetzen. Nicht zuletzt für die Lehrerbildung stellen diese Befunde eine spannende Perspektive dar, weil sich damit die Frage stellt, ob „im Verlauf des Studiums biographische Arbeit als Grundlage der Professionalisierung quasi nachträglich initialisiert werden kann“ (229). Inwieweit allerdings in universitären Kontexten biographische Erfahrungen berücksichtigt werden können, müsse weiter diskutiert werden. Hörnlein weist darauf hin, dass sich kasuistische Formate für eine stärkere Berücksichtigung biographischer Kontexte in der Lehrerbildung eignen.
EWR 19 (2020), Nr. 5 (November / Dezember)
Professionalisierungsprozesse von Lehrerinnen und Lehrern
Biographische Arbeit als Schlüsselqualifikation
Wiesbaden: Springer VS 2019
(260 S.; ISBN 978-3-658-27254-8; 49,99 EUR)
Lena Peukert (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Lena Peukert: Rezension von: Hörnlein, Miriam: Professionalisierungsprozesse von Lehrerinnen und Lehrern, Biographische Arbeit als Schlüsselqualifikation. Wiesbaden: Springer VS 2019. In: EWR 19 (2020), Nr. 5 (Veröffentlicht am 22.12.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978365827254.html
Lena Peukert: Rezension von: Hörnlein, Miriam: Professionalisierungsprozesse von Lehrerinnen und Lehrern, Biographische Arbeit als Schlüsselqualifikation. Wiesbaden: Springer VS 2019. In: EWR 19 (2020), Nr. 5 (Veröffentlicht am 22.12.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978365827254.html