Am 25. September 2015 wurden in New York die 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable Development Goals) von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. In diesen wird unter Punkt 4.7 gefordert, bis 2030 sicherzustellen, dass alle Lernenden durch Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) die Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben, die für eine globale, nachhaltige Entwicklung der Menschheit erforderlich sind. Doch wie kann dieses Ziel erreicht werden? Diesem Thema widmet sich Diana Grundmann in ihrer Dissertation von 2017, wenn sie fragt, wie die strukturelle Verankerung der Bildung für nachhaltige Entwicklung speziell in deutschen Schulen gelingen kann (3).
Im ersten Teil des Buches nähert sich Grundmann zunächst dem Gegenstand in drei Schritten. Zunächst arbeitet sie die wesentlichen Dimensionen von Nachhaltigkeit – als Leitbild des Konzepts der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) – mittels einer Darstellung der historischen Genese des Begriffs heraus. Während der Begriff Nachhaltigkeit zunächst im forstwirtschaftlichen Bereich als planungsrationales Konzept in Bezug auf Ökologie und Ökonomie Verwendung fand, wurde er im Laufe der Zeit um gerechtigkeitssensitive Aspekte erweitert. Ein solch erweitertes Begriffsverständnis von Nachhaltigkeit legt Grundmann auch ihrer eigenen Arbeit zugrunde. Dieses beinhaltet somit nicht nur den Aspekt des nachhaltigen Wirtschaftens, sondern bezieht sich ebenso auf soziale, kulturelle, kognitive und technische Ressourcen (24). Dieser Erweiterung sind sowohl eine globale Perspektive als auch der Anspruch einer gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeit für alle Menschen stets inhärent (25).
Im zweiten Schritt arbeitet Grundmann heraus, welche Implikationen ein solches Nachhaltigkeitskonzept für die Bildung hat. Dabei fragt sie nicht nur, welche Kompetenzen eine BNE fördern muss, sondern auch nach einer genuin pädagogischen Legitimation eines solchen Bildungsvorhabens. Eine Stärke dieses Buches ist es, dass es die BNE somit nicht nur als eine durch die UNO politisch gegebene Aufgabe an das Bildungswesen versteht, sondern in der Auseinandersetzung u.a. mit Wolfgang Klafki wird die BNE explizit pädagogisch verortet und legitimiert. Die Konsequenz daraus ist, dass das Ziel einer BNE nicht das Beibringen (das Lehren) von „richtigem Handeln“ sein darf, da dies immer die Gefahr der Indoktrination in sich trägt. Vielmehr muss es um die Ermöglichung von nachhaltigem Handeln gehen. Dies bedeutet, dass nicht nur gelehrt werden darf, was richtig und was falsch ist, sondern dass die Lernenden dazu befähigt werden, eigenständig und begründet zu handeln (40).
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass ein pädagogisches Konzept von BNE sich nicht nur auf die einfache Vermittlung von Inhalten in Einzelprojekten in Schule und Unterricht beschränken kann, sondern dass sich die Schule als Lern- und Lebensort insgesamt verändern muss. Insofern ist es nur folgerichtig, dass sich Grundmann in einem dritten Schritt mit Modellen und Richtungen der Schulentwicklungsforschung auseinandersetzt und diese auf das Thema BNE bezieht. Dies wird sowohl für das Drei-Wege-Modell der Schulentwicklungsforschung als auch für die schulische Implementationsforschung geleistet. Während somit die theoretische Exploration des Feldes als sehr umfangreich angesehen werden kann, ist die Darstellung bisheriger empirischer Erkenntnisse bezüglich der Implementation von BNE im Schulalltag vergleichsweise kurz gehalten. Im Kapitel „BNE an Schulen verankern – Erkenntnisse aus Theorie und Praxis“ werden zunächst zwei Konzepte von Qualitätsindikatoren für eine an Nachhaltigkeit orientierte Schulentwicklung diskutiert und verglichen und anschließend mit den Ergebnissen dreier Evaluationsstudien in Zusammenhang gebracht sowie offene Fragen für die eigene empirische Forschung formuliert.
Die Darlegung ihres methodischen Vorgehens beginnt sie mit einer Zusammenfassung der in der bisherigen Arbeit als wesentlichen identifizierten Aspekte bezüglich der Forschungsfrage: „[W]ie [gelingt] es Schulen […], Bildung für nachhaltige Entwicklung im Unterricht und Schulleben zu verankern und den schulischen Entwicklungsprozess auf das Leitbild Nachhaltigkeit auszurichten?“ (73). In einer empirischen Annäherung an das Feld ist entsprechend nach dem Nachhaltigkeitsverständnis in Schulen, die sich mit BNE profilieren, zu fragen; der konzeptionellen Verortung von BNE; den zentralen Handlungsfeldern und Maßnahmen, in bzw. mit denen Schulen BNE fördern und umsetzen; den Strategien und Maßnahmen der Verankerung von Nachhaltigkeit im Schulentwicklungsprozess sowie den Rahmenbedingungen, die die Orientierung der Schulentwicklung an Nachhaltigkeit fördern oder hemmen (73f).
Diese Themenfelder wurden in einen Leitfaden überführt und anhand dessen insgesamt 30 Experteninterviews mit Schulleiterinnen und Schulleitern und Lehrerinnen und Lehrern aus 16 Schulen aller Schularten und Bundesländer geführt. Die Auswahl der Schulen erfolgte anhand von Informationen von Fachexpertinnen und Fachexperten, „die in den Bundesländern […] für Bildung für nachhaltige Entwicklung zuständig sind“ (77). Gesucht wurden Schulen aus ihren jeweiligen Bereichen, die Bildung für nachhaltige Entwicklung „sehr erfolgreich umsetzen und verankert haben“ (77). Es wurden auf diesem Wege Schulen gesucht, welche regelmäßig auf Basis großer Teile des Kollegiums und wenn möglich durch Verankerung im Schulprogramm BNE institutionalisiert haben (78). Als Auswertungsmethode kam die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz zum Einsatz (84). Die Entwicklung des Kategoriensystems für dieses qualitative Inhaltsanalyseverfahren erfolgte mittels einer Verbindung von Induktion und Deduktion (85). Dass hierbei die Induktion vor allem auf der Ebene der Subkategorienbildung verbleibt, zeigt sich u.a. darin, dass die obengenannten Frageblöcke sich sowohl im Kategoriensystem als auch in der Darstellung der Ergebnisse deutlich wiederfinden.
In der Darstellung der Ergebnisse zeigen sich sowohl die Vorteile als auch die Nachteile eines solchen kategorialen Vorgehens. Die Vorteile bestehen darin, dass die gesamte empirische Variabilität, bezogen auf die jeweiligen Thematiken, abgebildet werden kann. So erfährt man z.B., dass zwei Wege zur BNE empirisch im Material vorfindlich sind. Ein Weg führt über die Weiterentwicklung schon bestehender (Umwelt-)Projekte. Ein anderer führt über eine (von außen) initiierte Leitbilddebatte und Integration verschiedener vorhandener Aspekte unter dem Leitbild Nachhaltigkeit (154). Initiatoren für diese Prozesse können sowohl Schulleiterinnen und Schulleiter als auch engagierte Lehrkräfte sein. Auch die Vielfalt an Möglichkeiten von Strategien der Verankerung von Nachhaltigkeit und BNE wird deutlich. So kann dies über Leitbilder, Profile, Schulprogramme und Schulcurricula, Teilnahme an Wettbewerben, an Programmen und Projekten, Öko- und Nachhaltigkeitsaudits, über das Personalmanagement, durch Steuergruppen und „BNE-Teams“ sowie durch die Öffnung der Schule und Kooperationen mit außerschulischen Partnern vorangetrieben werden. Insofern bietet sich hier ein sehr guter Überblick über Handlungsmöglichkeiten und Umsetzungsideen. Darüber hinaus wird deutlich, dass eine Verankerung der BNE im Schulalltag dann am erfolgversprechendsten ist, wenn diese sowohl auf der Unterrichtsebene, der Personalebene als auch auf der organisationalen Ebene ansetzt. Welche Möglichkeiten hierfür jeweils in Frage kommen, legt die Arbeit in beeindruckender Detailliertheit dar.
Der Nachteil eines solchen Vorgehens zeigt sich jedoch in der nur geringen Bezugnahme der identifizierten (Sub-)Kategorien untereinander bzw. der Herausarbeitung der sinnhaften Verschränkung dieser. Wesentlich für die Beantwortung der Frage für eine erfolgreiche Implementierung von BNE in der Schulstruktur ist nicht nur, welche Möglichkeiten es jeweils gibt, sondern auch, welche Kombinationen von realisierten Möglichkeiten zu erfolgreichen Implementierungen geführt haben. Im Grunde wäre dies eine Frage der Typenbildung von Strategien bzw. Wegen erfolgreicher Implementierungen von BNE. Die Explikation der Verschränkungen und Wechselwirkungen zwischen den jeweiligen Rahmenbedingungen und gewählten Strategien bleibt jedoch aufgrund der kategorialen Zuordnungen und Darstellung stark unterbelichtet.
Dies soll jedoch die Leistung der vorliegenden Arbeit nicht schmälern und eher den Blick auf die künftige Forschung in diesem Feld lenken. In die gleiche Richtung lässt sich der Hinweis von Grundmann lesen, dass auch Projekte, die bei der Verankerung von BNE gescheitert sind, künftig Berücksichtigung finden müssen, um ein besseres Verständnis des Weges „vom BNE-Projekt zur BNE-Struktur“ (241) zu erhalten.
Lesenswert ist die Studie somit nicht nur für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Bildung für nachhaltige Entwicklung im Besonderen und Schulentwicklung im Allgemeinen auseinandersetzen. Gerade auch Akteurinnen und Akteure im Bildungsbereich, welche sich auf den Weg einer Institutionalisierung von BNE in ihren Bildungseinrichtungen machen, können diesem Buch viele Ideen für die Umsetzung sowie Hinweise auf vermeidbare Stolpersteine und Fallstricke entnehmen.
EWR 17 (2018), Nr. 3 (Mai/Juni)
Bildung fĂĽr nachhaltige Entwicklung in Schulen verankern
Handlungsfelder, Strategien und Rahmenbedingungen der Schulentwicklung
Wiesbaden: Springer VS 2017
(276 S.; ISBN 978-3-6581-6912-1; 44,99 EUR)
Jörg Eulenberger (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jörg Eulenberger: Rezension von: Grundmann, Diana: Bildung fĂĽr nachhaltige Entwicklung in Schulen verankern, Handlungsfelder, Strategien und Rahmenbedingungen der Schulentwicklung. Wiesbaden: Springer VS 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 3 (Veröffentlicht am 06.07.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978365816912.html
Jörg Eulenberger: Rezension von: Grundmann, Diana: Bildung fĂĽr nachhaltige Entwicklung in Schulen verankern, Handlungsfelder, Strategien und Rahmenbedingungen der Schulentwicklung. Wiesbaden: Springer VS 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 3 (Veröffentlicht am 06.07.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978365816912.html