Die hier zu besprechende Publikation besteht aus zwei Teilen unterschiedlichen Umfangs: Der Publikation der Habilitationsschrift des DDR-Methodikers Johannes Zech aus dem Jahre 1973 mit dem o.g. Titel ist eine ausführliche Einleitung der Herausgeber Hartmut Jonas und Marina Kreisel vorangestellt. Mit dem einführenden Teil wird ein doppeltes Anliegen verfolgt: Zum einen geht es Jonas und Kreisel darum, dem heutigen Rezipienten einer ostdeutschen Arbeit der 1970er Jahre den Hintergrund und das spezifische Vokabular zu erläutern, das der historisch-politischen Situation geschuldet ist und daher nicht als selbstverständlicher Kenntnisstand vorausgesetzt werden kann. Zum anderen begründen die Herausgeber ihre Entscheidung, Johannes Zechs Habilitationsschrift zum gegenwärtigen Zeitpunkt und unter gänzlich veränderten Bedingungen zu publizieren, als sie der Verfasser einst zur Zeit der Abfassung vorgefunden hatte. Allerdings geht es ihnen dabei nicht allein um ein geschichtliches Interesse an den Entwicklungen und Positionen in der DDR, sondern auch um ein Verständnis dafür. Ferner vertreten sie die Auffassung, dass sich Gemeinsamkeiten in den Diskussionen um den Deutschunterricht in den beiden deutschen Staaten aufzeigen ließen und bestimmte Fragen, die Zech bearbeitet hat, auch heute noch von Bedeutung seien (10). Dies wäre zu überprüfen, vor allem, da auch auf übereinstimmende Fragen, sollten sie sich stellen und identifiziert werden können, nicht unbedingt dieselben Antworten gegeben werden können.
Johannes Zech, der bis 1989 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam gewirkt hat, beginnt seine Schrift mit einem Vorwort, in dem er seine Arbeit im Rahmen der „Untersuchungen eines Forschungskollektivs“ (45) verortet. Es folgt ein Kapitel, in dem er seine Fragestellung und sein Vorgehen erklärt: Zech geht es um „das Verhältnis von fachlichen Stoffen und übergreifenden, allgemeinen grundlegenden Aspekten und Aufgaben der Bildung und Erziehung“ (50), das er nicht als „ein bloßes ‚Beitragsverhältnis’“, sondern „in seiner integrativen Bedeutung“ verstanden und dargestellt wissen will. Dies faltet er dann in vier Kapiteln aus, die er abschließend zusammenfasst und durch ein Literaturverzeichnis ergänzt. Ein erstes Kapitel befasst sich mit dem Verhältnis von Ziel, Inhalt und Methode als „methodologische Grundlage pädagogischer Problemlösungen“ – zunächst im Grundsätzlichen, dann aber auch in terminologischer Hinsicht und schließlich im Kontext der sozialistischen Bildung und Erziehung. Um die Rolle der muttersprachlichen Bildung als Teil der Allgemeinbildung geht es in einem zweiten Kapitel. Der zentrale Begriff hier ist „Kommunikation“, sowohl in theoretischer Fundierung als auch in gesellschaftlicher Funktion und als praktische Aufgabe. Kapitel drei hebt die sprachliche Bildung als Aufgabe aller Fächer hervor und das letzte größere Kapitel schließlich widmet sich den fachspezifischen Aufgaben und Problemstellungen im Deutschunterricht.
Jonas und Kreisel scheinen zunächst in mancher Hinsicht recht zu haben, denn mitunter ist man tatsächlich geneigt, einige Detailaussagen in Zechs Arbeit als unmittelbar einsichtig oder gar aktuell einzustufen. Gerade die gegenwärtig heftig propagierte „Kompetenzorientierung“ scheint fast vorweg genommen, wenn Zech eine „Aufgabe des Muttersprachunterrichts darin [sieht], die Schüler in die schriftliche Sprachkommunikation einzuführen und die dazu erforderlichen Fähigkeiten im Lesen und Schreiben, in der Rechtschreibung und in den Formen der schriftlichen Textgestaltung zu entwickeln“ (105). Auch stellt niemand in Abrede, dass Sprache und Kommunikation ein Anliegen aller Fächer sein muss (109ff) oder dass für den Deutschunterricht Sprache nicht nur „Medium“, sondern „selbst Gegenstand der Arbeit im Unterricht ist“ (53). Und wenn Zech empirische Studien beispielsweise zu Unterrichtskommunikation und Lehrersprache zitiert (110), so fühlt man sich sofort an den Trend erinnert, dem nicht wenige Deutschdidaktiker seit etwa 10 Jahren nur allzu bereitwillig folgen, um sich als forschende Wissenschaftler zu profilieren. [1]
In einem sehr allgemeinen Sinn und auf einer eben solchen Ebene sind „Fragen“ des Deutschunterrichts natürlich immer „aktuell“. Überzeitlich sind Antworten dazu allerdings deshalb noch lange nicht. Gerade für den Unterricht in der Muttersprache ist über politische und bildungspolitische Vorgaben nicht hinweg zu sehen. Wenn daher Jonas und Kreisel in ihrer Einleitung auf Parallelen oder gar „konvergente Prozesse“ (10) zwischen deutschdidaktischen Entwicklungen in der DDR und der Bundesrepublik der 1970er Jahre hinweisen, so wäre doch zu bedenken, dass mit dem, was gesagt ist, nicht dasselbe gemeint ist. Zechs „Kommunikation“ ist nicht die „kommunikative Wende“ des Deutschunterrichts, wie sie die einschlägigen Didaktiken im Westen konzipierten, selbst wenn sich in der Bundesrepublik im Zuge der späten 1960er und frühen 1970er Jahre die traditionellen Inhalte und Ausrichtungen des Faches nahezu schlagartig wandelten. Dass es dabei auch zu Extrempositionen kommen konnte – nachzulesen z.B. im Jahrgangsband von 1971 der Zeitschrift „Diskussion Deutsch“ –, an die sich manche Deutschdidaktiker heute nicht unbedingt mehr gerne erinnern lassen, sei nur nebenbei bemerkt, vor allem da gegenwärtig die einst abgelehnten Vorschläge zu kompensatorischer Spracherziehung unter neuem Vorzeichen wieder aktiviert zu werden scheinen.
Dabei ist allerdings nicht allein der „Muttersprachunterricht“ im Fokus, sondern eher die Mehrsprachigkeit und die Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund – ein Bereich, den Zech überhaupt nicht berührt.
Auch hat sich jede anwendungsorientierte, ja eigentlich jede Wissenschaft, der Frage des Verhältnisses von Theorie und Praxis zu stellen. Doch gilt dabei ebenfalls, dass Theorie nicht gleich Theorie ist. Für das Problem der Stellung der Fachdidaktik im Konzert der Wissenschaften hat der Westen zunächst die institutionell-organisatorische Lösung angeboten, in den meisten Bundesländern die Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten integriert und aus der immerhin bereits ausdifferenzierten Fachpädagogik die Fachdidaktik gemacht. Dass man sich gerade infolge dessen mit dem Verhältnis von Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik herumgeschlagen hat und Vertreter von Unterrichtspraxis, Fachdidaktik und Fachwissenschaft allenfalls in Einzelaktionen aufeinander blickten (und noch blicken), kaum aber einen systematischen Zusammenhang herstellten, war sicherlich im anderen deutschen Staat anders – und dies verständlicherweise: Denn die fachlichen Bezugswissenschaften, die Methodik, die Lehrpläne, die „Unterrichtshilfen“ (eine Serie von Publikationen für alle Fächer und Jahrgangsstufen für Lehrkräfte zur Unterrichtsplanung, die auch im Westen durchaus genutzt wurden!) und schließlich die einheitlichen Lehrbücher waren in einer klaren Linie miteinander verbunden, verwiesen explizit aufeinander und dienten dem gemeinsamen Ziel der Bildung und Erziehung einer „Persönlichkeit“ für die „entwickelte sozialistische Gesellschaft“ (49).
Vor diesem Hintergrund erweist sich alles andere als gleich, was auf den ersten Blick gleich erscheinen oder gar gleich klingen mag. Dies gilt für Vokabeln wie „Kommunikation“, „Persönlichkeit“, „Tätigkeit“, „Bildung“, „Erziehung“ und vor allem auch „System“. Darüber hinaus zeigen sich allerdings auch die bildungspolitischen Vorgaben nur allzu deutlich in der spezifischen Rhetorik der Arbeit, wenn beispielsweise von der „Widersprüchlichkeit der Praxis“ (46), vom „Ausbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ (49) oder von der „Einheit beider Tätigkeitsklassen“ – gemeint ist damit die „gegenständlich praktische Tätigkeit“ und die „geistig-theoretische Tätigkeit“ – in der „marxistisch-leninistischen Philosophie“ die Rede ist (78). Zech nennt auch explizit seine Grundlagen: „Die Untersuchung geht deshalb in einer möglichst umfassenden Problemsicht von theoretischen und methodologischen Positionen der marxistisch-leninistischen Pädagogik, Sprachwissenschaft und Sprachpsychologie aus und ist bestrebt, Standpunkte und Ergebnisse dieser Wissenschaften in der Problemlösung zu verarbeiten“ (53).
Keinen Zweifel lässt er auch daran, wo er den Beitrag seiner Arbeit konkret verortet: „Das Ziel der sozialistischen Allgemeinbildung bestimmt die Auswahl, Anordnung und Strukturierung der Bildungsinhalte entsprechend ihrer Bedeutung für die allseitige Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit. Dementsprechend hängt die inhaltliche Bestimmung der muttersprachlichen Bildung und Erziehung entscheidend davon ab, welche Rolle die Sprache, speziell die Muttersprache, in der gesellschaftlichen Praxis und der Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit spielt. Die eingehende Untersuchung und Erörterung dieses Funktionsproblems ist eine Aufgabe der marxistisch-leninistischen Sprach- und Kommunikationsforschung“ (77).
Klar erkennbar sind somit die bildungspolitischen Vorgaben der Zeit, in die die Abfassung von Zechs Arbeit fällt. Programmatisch wurde diese damals aktuelle Position von Margot Honecker in ihrem Referat „Wir lehren und lernen im Geiste Lenins“ auf dem VII. Pädagogischen Kongress der Deutschen Demokratischen Republik vom 5.-7. Mai 1970 in Berlin zusammengefasst [2]. Vermutlich wäre es Zech alles andere als recht, wollte man in seiner Arbeit sowohl in seiner Habilitationsschrift oder auch in seiner Arbeit insgesamt Gemeinsamkeiten mit Deutschdidaktikern der Bundesrepublik sehen. Denn er lässt keinen Zweifel an seiner Einschätzung der Kollegen im Westen, denen er im Falle Alfred Hoppes „Perspektivlosigkeit“ (58) und im Falle Hermann Helmers’ „unkritischen Traditionalismus“ vorwirft (60), der zu keiner „rationellen, effektiven Bildungsplanung in Beziehung auf die Gesellschaft“ (61) führen könne. Das Bild, das die Zahlen in der (breit rezipierten) Studie von Dieter Spanhel 1971 zur Unterrichtskommunikation vermitteln, nennt er „trügerisch“ (110) und setzt ihnen die Ergebnisse entgegen, zu denen eine an der Pädagogischen Hochschule Potsdam entstandene Diplomarbeit kommt.
Zweifellos ist die Publikation der Arbeit ein wichtiger Beitrag zur historischen Bildungsforschung. Ein wissenschaftlich sich verstehendes Fach wie die Didaktik der deutschen Sprache und Literatur tut gut daran, sich der historischen Dimension und ihrer Bearbeitung nicht zu entziehen, auch um sich in der Gegenwart und Zukunft klar positionieren zu können. Der andere deutsche Staat, seine Wissenschaften, seine Bildungsentscheidungen und sein Deutschunterricht sind noch längst nicht so erschlossen und unter differenzierten und differenzierenden Perspektiven in den Blick genommen, wie es erforderlich wäre. Insofern darf es als ein Verdienst gelten, dass die Arbeit eines bedeutenden Methodikers der DDR in der Reihe „Beiträge zur Geschichte des Deutschunterrichts“ zugänglich gemacht wird. Qualität allerdings ist nichts Überzeitliches und kann nicht losgelöst von den Bedingungen ihrer Entstehung betrachtet werden.
[1] Neuerdings z.B. speziell zum Thema „Unterrichtskommunikation“: Paul, Ingwer: Strukturelle Probleme der Unterrichtskommunikation. In: Trautmann, Matthias / Sacher, Julia (Hrsg.): Unterrichtsentwicklung durch Videofeedback. Besser kommunizieren lernen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 167-184.
[2] Den Beitrag zitiert Zech; er ist wieder abgedruckt in: Margot Honecker: Zur Bildungspolitik und Pädagogik in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: Volkseigener Verlag Volk und Wissen 1986, 268-325.
EWR 11 (2012), Nr. 4 (Juli/August)
Systemfragen der muttersprachlichen Bildung und Erziehung in der sozialistischen Schule
Sprachliche Bildung und Erziehung in der DDR-Schule
Frankfurt am Main: Peter Lang 2011
(217 S.; ISBN 978-3-631-61805-9; 39,80 EUR)
Ina Karg (Göttingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ina Karg: Rezension von: Zech, Johannes: Systemfragen der muttersprachlichen Bildung und Erziehung in der sozialistischen Schule, Sprachliche Bildung und Erziehung in der DDR-Schule. Frankfurt am Main: Peter Lang 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363161805.html
Ina Karg: Rezension von: Zech, Johannes: Systemfragen der muttersprachlichen Bildung und Erziehung in der sozialistischen Schule, Sprachliche Bildung und Erziehung in der DDR-Schule. Frankfurt am Main: Peter Lang 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363161805.html