Innerhalb der Disziplin der Erwachsenenbildung spielt die Internationale und Vergleichende Erwachsenenbildung eine relativ marginale Rolle. Es gibt wenige Lehrstühle, die entsprechende Themen in ihrem Angebot fest integriert haben und dementsprechend gibt es wenige Forscher/innen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Dies hat zum Einen zur Folge, dass die Internationale und Vergleichende Erwachsenenbildung noch nicht ausreichend zur Theoriebildung und Theorieentwicklung im Fach beigetragen hat und zum Anderen, dass die Forschungsmethodik und der Forschungsstand wenig herausgearbeitet sind. Auffällig ist darüber hinaus die Diskrepanz zwischen der geringen Beachtung, die diese Thematik in der Wissenschaft der Erwachsenenbildung erfährt und der hohen Aufmerksamkeit, die Internationalisierungsprozessen und Europäisierungsbemühungen in Politik und Medien zukommt.
Die Herausgeber dieses Sammelbandes (Jost Reischmann und Michal Bron jr.) beschäftigen sich schon seit geraumer Zeit mit Fragen der Vergleichenden Erwachsenenbildung und sind durch ihr kontinuierliches Interesse an internationalen oder komparatistischen Themen bekannt: Bereits 1999 haben sie einen ersten Sammelband zur „Comparative Adult Education“ veröffentlicht. Die Mehrheit der Beiträge für den vorliegenden Band sind im Rahmen zweier Tagungen der International Society for Comparative Adult Education (ISCAE) in St. Louis (2002) und in Bamberg (2006) entstanden. Darüber hinaus versammelt der Sammelband einige methodisch-reflexive Texte über die Entwicklung der Vergleichenden Erwachsenenbildung.
Reischmann und Bron jr. organisieren die 24 Beiträge in vier thematischen Blöcke: Im ersten Teil „Comparative Adult Education: Developments and Potentials“ (19-80) werden grundlegende Fragen der Vergleichenden Erwachsenenbildung behandelt, die zur Reflexion über das Feld oder als Ausgangspunkt für die Planung eigener vergleichender Projekte dienen können. In der Absicht, über mögliche Probleme und Schwierigkeiten, die bei der Bearbeitung dieser Art von Projekte und bei der Konfrontation unterschiedlicher Kulturen entstehen können, zu informieren und zu beraten, werden im zweiten Teil “Culture as Challenge: Experiences from the Field“, (81-140) Erfahrungen und “lessons learned” (12) aus internationalen und vergleichenden Projekten vorgestellt. Im dritten Abschnitt “Comparative Studies: Examples from the Field” (141-236) werden weitere international-vergleichende Projekte referiert, die eine Vielfalt von Themen und methodischen Zugängen aufweisen, wobei die Zuordnungskriterien zu den thematischen Blöcken B („Experiences from the Field“) und C („Examples from the Field“) nicht deutlich werden. Der vierte Teil “International Organizations in Comparative /International Education” (237-272) hat einen „Service-Charakter“: Namhafte Repräsentanten internationaler (WCCES, ICAE, UIL, EAEA) oder international aktiver Organisationen (dvv-international, NIACE) präsentieren ihre Organisationen und deren Aktivitäten im Feld der Internationalen und Vergleichenden Erwachsenenbildung. Der Serviceteil wird durch einen Anhang mit nützlichen Links und eine Liste der Teilnehmenden an den zwei ISCAE-Konferenzen ergänzt.
Der erste Teil versammelt fünf Beiträge. Jost Reischmann skizziert in seinem einführenden Beitrag („Comparative Adult Education: Arguments, Typology, Difficulties“) die wesentlichen Beweggründe für internationale Vergleiche (20-22), entwickelt eine Typologie der international-vergleichenden Erwachsenenbildung (24-28) und zeigt die Hauptschwierigkeiten der international-vergleichenden Arbeit und deren Perspektive auf (28-31). Marc Bray („The Multifaceted Field of Comparative Education“) fasst die historischen Entwicklungen zusammen, die zur Etablierung der Disziplin der Vergleichenden Erziehungswissenschaft geführt haben (33f) und präsentiert wichtige Akteure in diesem Feld (internationale Organisationen und wissenschaftliche Gesellschaften) sowie deren Beitrag zur Vergleichenden Erziehungswissenschaft (36-41). Alexander Charters bilanziert in seinem Beitrag („Reflections On Background Of Comparative Education“) (45-54) aus einer biografischen Perspektive und vor dem Hintergrund seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit der international-vergleichenden Erwachsenenbildung die Entwicklungen in diesem Feld. Er reflektiert (wie übrigens alle andere Beiträge in diesem ersten thematischen Block auch) über Definitionsprobleme und Abgrenzungsschwierigkeiten dieses relativ neuen Feldes von anderen wissenschaftlichen Feldern und Disziplinen. In einem theoretischen Beitrag fokussiert Lore Arthur („Networking and Intercultural Communication: Postmodern Challenges für International Comparative Adult Education“) (55-64) auf Fragen der interkulturellen Kommunikation und der Konstruktion und Vermittlung von Wissen in bi- oder multikulturellen Forschungskontexten. Der erste thematische Block wird durch einen methodisch-reflexiven Beitrag Michal Brons jr. („Pitfalls in Comparative Studies. Inherent and Self-styled Dangers“) abgeschlossen. Darin wird zunächst zwischen drei Typen von Schwierigkeiten unterschieden (65f): (i) Methodologische Schwierigkeiten, die allen empirischen Forschungsarbeiten in den Sozialwissenschaften betreffen (u.a. Reliabilität, Validität, Reaktivität der ausgewählten Methoden) und (ii) Probleme, die international-vergleichenden Untersuchungen inhärent sind (u.a. Mangel an einheitlichen Definitionen und zuverlässigen Daten, Sprach- und Kommunikationsprobleme). (iii) Und schließlich Probleme, die „selbst verschuldet“ sind und zum größten Teil vermeidbar wären. Die Auflistung der Schwierigkeiten erfolgt in der Absicht, „to create awareness of the pitfalls, and by this, to emphasize their avoidance.“ (68).
Im zweiten thematischen Block werden in fünf Beiträgen Erfahrungen aus international-vergleichenden Projekten präsentiert. Obwohl die hier vorgestellten Projekte im Blick auf die thematische Ausrichtung, die Zielsetzung, den geografischen Radius und den methodischen Zugang erheblich voneinander variieren, thematisieren die Beiträge insbesondere die Schwierigkeiten, die sich aus der Konfrontation unterschiedlicher Kulturen und Bildungstraditionen im Rahmen von international-vergleichenden Projekten ergeben.
Zwei der Beiträge schildern Erfahrungen, die innerhalb des europäischen Kontinents gemacht wurden: Barbara Merrill (GB) und Agnieszka Bron (Schweden) berichten über ihre Erfahrungen mit EU-Projekten („Lessons Learned from European Projects: Generality Versus Particularity“ (83-90) und Katarina Popovic (Serbien) über das internationale Projekt „Erwachsenenbildung in Südosteuropa“ (“International Projects and Comparative Adult Education: The Example of EbiS”) (91-102). Drei weitere Projekte in diesem Teil beziehen sich auf interkontinentale Vergleiche: Holland, Pithers und Morgan (Australia) referieren über ein Projekt mit dem Ziel, chinesischen Erwachsenenbildnern, Akademikern und höheren Verwaltungsangestellten in Führungsfragen zu trainieren (“Teaching Chinese Leaders the Western Way: A Cross-Cultural Challenge”) (103-114). Peters, Ragland, Donaghy (USA) und Latham (Australien) widmen sich in ihrem Beitrag den unterschiedlichen Lehr- und Lernkulturen in den Vereinigten Staaten, Australien und Großbritannien auf der Grundlage ihrer Erfahrungen mit einem Aufbaustudium mit Präsenz- und Online-Phasen (“Three Cultures of Teaching and Learning: Dialoguing across Continents”) (115-126). John Henschke (USA) schildert seine Erfahrungen aus einem Austauschprojekt zwischen den Vereinigten Staaten und Südafrika über die Entwicklung von Strategien Lebenslangen Lernens in universitärem Kontext (“Opportunities and Pitfalls in International Comparison. Lessons Learned in the Cooperative Development of Lifelong Learning Strategies of an US and South African University”) (127-140).
Im dritten Teil des Sammelbandes werden acht weitere Beiträge versammelt, die dem weiten Feld der international-vergleichenden Erwachsenenbildung zuzuordnen sind. Es handelt sich hier um Studien, die ebenfalls wie im zweiten Teil ein breites thematisches Spektrum und eine Vielfalt an Methoden aufweisen.
Hasmik Hunanyan (Armenien) untersucht in zwei Fallstudien die Implementierung lebenslangen Lernens in universitären Strukturen in Deutschland und Armenien mit Fokus auf die sozio-kulturelle Ebene (“Lifelong Learning – a Challenge for Higher Education: A Comparative Study of a German and an Armenian University“) (143-156), während Barry Hake (Niederlanden) die bildungspolitische Programmatik lebenslangen Lernens in elf Ländern Europas, Asiens sowie Australien untersucht (“Comparative Policy Analysis and Lifelong Learning Narratives: The Employability Agenda from a Life-Course Perspective“ (167-178). Kritisch analysiert er mit Hilfe der Methode der „policy narrative analysis“ die Durchsetzung der „Employability Agenda“ als „dominant narrative“ (174) und diskutiert Vor- und Nachteile dieser Methode für die vergleichende Forschung.
Zwei weitere Beiträge setzen sich mit der Thematik lebenslangen Lernens auseinander: Während sich Mejai Avoseh (Vereinigte Staaten/Namibia) in seinem Beitrag mit der kulturgeschichtlichen Perspektive lebenslangen Lernens als Teil der kulturellen Tradition afrikanischer und indigener Völker beschäftigt („A Comparative Review of Lifelong Learning in Traditional African and Native American Indigenous Education“) (191-202), untersucht Maja Mezgec (Slovenien) in fünfzehn EU-Länder und in 25 Fallstudien das Angebot an Sprachen der Minderheiten innerhalb und außerhalb des formalen Bildungssystems als Bedingung zur Realisierung lebenslangen Lernens für autochthone Minderheiten (“Analysis of the Possibilities and Conditions for Lifelong Learning in the Minority Languages of the EU”) (227-236).
Wolfgang Müller-Commichau (Deutschland) untersucht anhand biografischer Interviews und Zeitschriftenartikeln Jüdische Erwachsenenbildung in drei Ländern (Deutschland, Israel und Vereinigte Staaten) und fokussiert dabei auf Adressaten, Themen, Lehr-Lernmethoden, Personal und Selbstverständnis der Jüdischen Erwachsenenbildung („Contemporary Jewish Adult Education in Germany, Israel and the United States“) (157-166).
Drei Beiträge in diesem Teil kombinieren eine historisch-vergleichende mit einer international-vergleichenden Perspektive. Roger Morris (Australien) geht in seinem Beitrag auf die Entstehungsbedingungen und die Rolle der „Mechanics´ Institutes“ als Mehrzweckinstitutionen mit Bildungsauftrag in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Kanada, Neuseeland und Australien ein (“Mechanics´ Instituts in the United Kingdom, North America and Australasia: A Comparative Perspective“) (179-190). Die historische Entwicklung der “popular adult education” in drei skandinavischen Ländern (Dänemark, Schweden und Norwegen) zeichnet Sigvart Tösse (Norwegen) auf und diskutiert das Verhältnis der „popular adult education“ zu Staat, Zivilgesellschaft und Markt (“The Changing Relations Between Civil Society, State and Market in the Nordic Popular Education. A Comparative Investigation of Trends in Denmark, Sweden and Norway”) (203-214). Sigrid Nolda (Deutschland) zeichnet die Rolle und den Einfluss der Geschichte in den Selbstbeschreibungen nationaler Erwachsenenbildungsorganisationen Großbritanniens, Russlands, Österreichs und Deutschlands nach (“The Role of History in Self-descriptions of National Organizations of Adult Education - a Closer Look at the Websites of WEA, Znanie, VÖV and DVV”) (215-226). Zu diesem Zweck analysiert sie mittels inhalts- und bildanalytischer Verfahren die Webseiten der Organisationen und kommt zu dem Fazit, dass durch die offiziellen Selbstbeschreibungen die Organisationen einerseits Kontinuität und andererseits Modernität zu demonstrieren versuchen sowie das Ziel verfolgen, Reputation zu erlangen.
Insgesamt liefert der Sammelband eine Fülle von Beiträgen, die sich durch Reichtum an Themen, Perspektiven und Methoden kennzeichnen. Gleichzeitig sind die Beiträge (wie in fast jedem Sammelband) sehr heterogen und die Bemühungen der Herausgeber „to strengthen and support a more systematic approach“ (14) haben nicht bei allen Beiträgen Früchte getragen. Darüber hinaus bietet dieser Sammelband eine Momentaufnahme über den Stand der theoretischen und methodologischen Diskussionen in der international-vergleichenden Erwachsenenbildung. Diese Momentaufnahme lässt erkennen, dass sich die international-vergleichende Erwachsenenbildung sowohl im Hinblick auf Theorien, als auch im Hinblick auf Methoden, jenseits des Mainstream der Vergleichenden Erziehungswissenschaft entwickelt. Meistens handelt es sich um Studien und Projekte, die sich durch ein deskriptives Verfahren und ein eher „theorieloses“ Vorgehen kennzeichnen. Angesichts der wissenschaftlichen Abstinenz der Mehrheit der Erwachsenenbildner aus der Auseinandersetzung mit international-vergleichenden Themen und die dementsprechend dürftige wissenschaftliche Buchproduktion stellt dieser Band eine einsame und daher wichtige Leistung in der Erwachsenenbildungsdisziplin dar. Er zielt u.a. auf Netzwerkbildung ab und stellt einen bedeutsamen Anstoß für eine systematischere Auseinandersetzung und weitere Forschungen in diese Richtung dar – in der Hoffnung, dass die Mutmaßung der Herausgeber sich bewahrheiten wird: „Be humble and trust that the next book will be better!“ (15)
EWR 8 (2009), Nr. 1 (Januar/Februar)
Comparative Adult Education
Experiences and Examples
Frankfurt a.M./Berlin u.a.: Peter Lang 2008
(282 S.; ISBN 978-3-631-58235-0; 39,80 EUR)
Alexandra Ioannidou (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Alexandra Ioannidou: Rezension von: Reischmann, Jost / jr., Michal Bron (Hg.): Comparative Adult Education, Experiences and Examples. Frankfurt a.M./Berlin u.a.: Peter Lang 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363158235.html
Alexandra Ioannidou: Rezension von: Reischmann, Jost / jr., Michal Bron (Hg.): Comparative Adult Education, Experiences and Examples. Frankfurt a.M./Berlin u.a.: Peter Lang 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363158235.html