Unter Hervorhebung der Bedeutung von Lehrkräften bzw. von Lehrersichtweisen für den schulischen Unterricht konstatiert Seifried im ersten Kapitel zunächst ein erhebliches Forschungsdefizit für den kaufmännischen Bereich. Aufbauend auf dieser Feststellung werden unter Zuhilfenahme eines Modells (29) für das Forschungsvorhaben das folgende Erkenntnisinteresse und geplante Vorgehen skizziert (28ff):
- Erfassung von Sichtweisen von Lehrerinnen und Lehrern auf Buchführungsunterricht unter Berücksichtigung der Aspekte Lehr- und Lern-Prozesse, persönliche Überzeugungen zum eigentlichen Lerninhalt (Fachwissen) sowie Ansichten zu Schülern und Schulklassen (i.S.v. impliziten Persönlichkeitstheorien).
- Analyse von Auswirkungen der erfassten Sichtweisen auf das unterrichtliche Handeln sowie die Lernenden (Schüler) anhand der Leitfragen
- Inwieweit sind Lehrersichtweisen handlungsrelevant für das Unterrichtsgeschehen?
- Inwieweit beeinflusst das unterrichtliche Handeln die Unterrichtsqualität für den Buchführungsunterricht? Diese Auswirkungen, die vom Autor selbst auch als Lernereffekte (Outputperspektive) bezeichnet werden, sollen dabei sowohl kognitive als auch motivationale und emotionale Aspekte erfassen.
Um die Konzeption der empirischen Untersuchung sowie die Ausgestaltung der Erhebungsinstrumente vorzubereiten, erfolgt eine umfassende theoretische Grundlegung. Diese Fundierung steht in einem klaren Bezug zu den beiden eingangs entwickelten Themenbereichen Lehrersichtweise und unterrichtliches Handeln sowie Lerneffekte.
Die sorgfältigen Ausführungen im zweiten Kapitel dürften in dieser Beziehung vor allem auf die mit der Rekonstruktion von psychischen Strukturen verbundenen Schwierigkeiten, die durch verschiedene Forschungstraditionen begründete Verwendung nebeneinander existierender Begrifflichkeiten sowie ein differenziertes Verständnis zur Erfassung von Lehrersichtweisen zwischen dem deutschen und anglosächsischen Sprachraum zurückzuführen sein. Ergänzend werden verschiedene Methoden, sowohl aus dem quantitativen als auch dem qualitativen Bereich, und deren Eignung zur Rekonstruktion von Sichtweisen diskutiert. Als zentrale Erkenntnisse sind für das Kapitel festzuhalten, dass Seifried sich erstens für eine „forschungslinienübergreifende Verwendung“ des Begriffs Sichtweisen entscheidet (104). Zweitens fällt im qualitativen Bereich für die Erhebung der Lehrersichtweisen die Wahl auf Interviewtechniken, da diese gegenüber der im Bereich der subjektiven Theorien verbreiteten Strukturlegetechniken geeigneter erscheinen, eine breiter angelegte Grundorientierung bei Lehrkräften zu erfassen (96 ff).
Die Analyse und Beschreibung verschiedener Elemente der Unterrichtsplanung und –vorbereitung sowie theoretischer Konzepte zur Erfassung von Unterricht dient anschließend der Ableitung von Beobachtungskriterien für die videografierten Aufzeichnungen. Das dritte Kapitel enthält zudem erstmals eine Konkretisierung des Begriffs der Unterrichtsqualität, die als Zielkriterium unterrichtlichen Handelns entscheidend für die wahrgenommenen Effekte auf Seiten der Lernenden (siehe Skizzierung des geplanten Vorgehens) gilt. Für den Leser wird trotz dieser Spezifizierung erst im nachfolgenden vierten Kapitel explizit, dass neben der Erfassung von Qualität auch die Lernleistung eine weitere Komponente für die Beurteilung von Effekten auf Lernerseite ist. Diese Ungenauigkeit in den Ausführungen sorgt anfangs stellenweise für Unklarheiten.
Im Anschluss an die theoretische Fundierung erfolgt im vierten Kapitel das Herzstück der Forschungsarbeit, die Konzeption der empirischen Untersuchung. Zunächst wird das bereits im ersten Kapitel aufgezeigte Forschungsvorhaben präzisiert, anschließend werden aus der Fragestellung in acht Teilbereichen insgesamt 19 Hypothesen formuliert. Daran anknüpfend erfolgt die Erläuterung zur methodischen Gestaltung des Untersuchungsdesigns. Im Gegensatz zu den ausführlichen und aufschlussreichen Darstellungen der Kapitel 2 und 3 sind die Ausführungen zur detaillierten Gestaltung der verwendeten Erhebungsinstrumente sowie die vorgenommenen Operationalisierungen der im Vorfeld skizzierten theoretischen Konzepte eher übersichtlich gestaltet. Vor allem der an Methodik im Allgemeinen und den eingesetzten Instrumenten zur Erfassung bzw. Rekonstruktion der Sichtweisen von Lehrkräften (subjektive Theorien) im Speziellen interessierte Leser erhält lediglich einen komprimierten Überblick über die eingesetzten Materialien. Unter Berücksichtigung des eingangs skizzierten Forschungsdefizits sowie des Gesamtumfangs der Habilitationsschrift wären hier zusätzliche Ausführungen sowie ein vollständiger Überblick über eingesetzte Erhebungsinstrumente wünschenswert.
Die Problematik der im vorangegangenen Kapitel angesprochenen komprimierten Darstellung findet sich dann, wenn auch eher selten, in der wiederum ausführlichen erläuterten und hervorragend aufbereiteten Darstellung der empirischen Befunde im fünften Kapitel. Hier erfolgt eine Diskussion der Ergebnisse getrennt nach Fragestellungen. Übergreifend ist für die Kapitel 4 und 5 dabei festzuhalten, dass Jürgen Seifried die Problematik der Stichprobengröße nicht nur stets im Blick hat, sondern diese offen kommuniziert und vor einer Illusion eines repräsentativen Vergleichs warnt (201). Des Weiteren zeigt sich durchgehend ein umfassendes Verständnis hinsichtlich möglicher Vor- und Nachteile beim Einsatz von verschiedenen Methoden sowie den damit verbundenen „Gefahren“ bei der Interpretation. Eine Zusammenfassung der zentralen empirischen Ergebnisse durch den Autor lenkt den Fokus des Lesers abschließend auf die Kernelemente der durchgeführten Untersuchung. Hier gilt es in Anlehnung an die oben skizzierte Wirkungskette besonders hervorzuheben, dass die anhand der erhobenen Sichtweisen identifizierten Lehrertypen (instruktional, konstruktivistisch sowie systematikorientierter Mischtyp) handlungsleitend sind (340).Der vermutete Zusammenhang zwischen unterrichtlichem Handeln und Effekten kann dahingegen nicht eindeutig bestätigt werden (431 ff). Die abschließende Diskussion bzw. Ableitung von Implikationen für die Lehrerbildung rundet die Ausführungen ab.
Die vorliegende Untersuchung zur Erfassung von Sichtweisen über Unterricht von Lehrerinnen und Lehrern im kaufmännischen Bereich und die damit verbundenen Auswirkungen schließt nicht nur die eingangs konstatierte Forschungslücke, sondern zeichnet sich vor allem durch ihren Umfang und die Vielzahl eingesetzter Methoden bzw. deren Kombination aus. Dabei liefern sowohl die verwendete Methodik (Gestaltung des Untersuchungsdesigns und die eingesetzten Instrumente) als auch die Vorstellung und Diskussion der empirischen Befunde Anregungen zur weiteren Auseinandersetzung mit der Thematik.