- 1. Jon Savage: Teenage
Entsprechend findet man in der Einleitung auch nur eine recht unkonventionelle Beschreibung seines Vorgehens. Demnach sammelte und las er über Jahre hinweg „alles, was mit Jugendkultur zu tun hatte – besonders, wenn das Wort ‚Teenager’ darin vorkam“, und wurde schließlich durch die Lektüre von G. Stanley Halls Werk „Adolescence“ gewissermaßen erleuchtet, denn hier habe er „ein weitsichtiges Manifest der Jugendkultur nach dem Krieg“ gefunden, obwohl Hall „zum Zeitpunkt der Niederschrift noch ein halbes Jahrhundert“ vom gemeinten Ende des Zweiten Weltkriegs trennte (9). Halls „erste systematische Definition des Jugendalters“ und seine unter dem Motto „Adoleszenz ist mehr als Pubertät“ stehende Darstellung und Interpretation der Übergangsphase von der Kindheit zum Erwachsenen leiteten Savage bei seiner Beschreibung „der Versuche, Adoleszenz zu konzeptualisieren, zu definieren und zu kontrollieren“, wobei ihn vor allem das „Spannungsverhältnis“ interessierte, das „oft zwischen der Vorstellung von Jugend und deren Realität herrschte“ (10). Diese sucht er in den über 500 Seiten seiner Darstellung dann in vielfältigen und auffälligen Erscheinungen von Jugendkultur in den USA, Großbritannien und Deutschland, z.T. auch in Frankreich, wobei er den von ihm befürchteten Einwand, er habe sich bei der Auswahl der Beispiele „zu sehr auf das Außergewöhnliche und zu wenig auf das Gewöhnliche konzentriert“, mit dem Hinweis auf eine „Dialektik“ zu entkräften versucht, die das Buch durchziehe: es bewege sich nämlich „zwischen dem Außergewöhnlichen und dem Alltäglichen“ (12).
Chronologisch und geografisch geordnet beschreibt Savage dann die Sorgen und – vorwiegend sexuellen – Nöte von Jugendlichen, wobei er immer auch die weibliche Jugend mit in den Blick nimmt, ihre Organisierungsformen, ihre politische (Des-) Orientierung sowie ihre modischen und musikalischen Vorlieben auf der einen Seite, die Reaktionen der Erwachsenenwelt, die überwiegend aus dem Bemühen um Reglementierung und Einbindung der Jugend bestanden, auf der anderen Seite. Das lässt sich gut lesen und ist auch durchaus informativ, doch werden die sich immer wieder andeutenden Verkürzungen überdeutlich, wenn Savage den Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus in Italien und Deutschland in erster Linie der Fähigkeit der neuen Machthaber zuschreibt, die „Jugend als abstrakte Größe und aktive Kraft der Veränderung“ zu beschwören und sie „mithilfe mystischer Vorstellungen von Krieg, Aktion und Zugehörigkeit“ zu mobilisieren (272). Ähnlich verhält es sich mit der unreflektierten Beschreibung der sog. ‚Wilden Cliquen’ als kriminelle, verwilderte und „sich ungehemmt der zügellosen Sexualität“ hingebenden Banden (278). Schlichtweg falsch sind zudem zahlreiche Angaben zur Hitler-Jugend und zur nationalsozialistischen Schulpolitik, und an solchen Stellen befällt einen das dringende Bedürfnis, auch an anderen Stellen des Buches genauer nachzuforschen, was jedoch – wie bereits erwähnt – durch die fehlenden Verweise kaum möglich ist.
Das Buch endet 1945, da hier die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs beendet war, die Ungeheuerlichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen deutlich wurde und die Atombombe eine neue Ära der Kriegsführung eingeleitet hatte. Diese Zeit war ideal für das nun beginnende Teenager-Zeitalter, denn die „alte Welt war tot, und diejenige Gruppe, die in der Nachkriegszeit über die beste Ausgangssituation verfügte, waren die Jungen“ (473). So ambivalent wie diese Schlussfolgerung erscheint das ganze Buch.
- 2. Luke Springman: Carpe Mundum
In den einzelnen Aufsätzen widmet sich Springman sehr unterschiedlichen Texten. Er beginnt mit der Analyse von Aufklärungsschriften, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht der sexuellen Aufklärung, sondern einer moralischen Erziehung verpflichtet gewesen seien, die schlimmstenfalls die Disziplinierung des Körpers zur Reinhaltung der Rasse lehrte, in jedem Fall aber das Bild einer gesitteten, der Fortpflanzung in der Familie verpflichteten Sexualität verbreitete, wobei „a familial idyll with the mother as the creator and caretaker of the human garden“ gezeichnet worden sei (52). Die Beispiele, die er anführt, unterstützen diese These durchaus, doch erfährt man ebenso wenig über deren Verbreitungsgrad wie über den der progressiveren Schriften anderer Autoren, wie z.B. Max Hodann.
Nach der Beschäftigung mit den Kampagnen gegen die Schmutz- und Schundliteratur, die eine deutliche Anbindung an Ideen des späten 19. Jahrhunderts und wenig Erfolg gehabt hätten, versucht Springman am Beispiel von drei Büchern die Verankerung der Idee vom Leben als ewigem Krieg und vom Krieg als Naturgesetz in den Köpfen der Weimarer Jugend zu zeigen. Dazu greift er mit „Der Wehrwolf“ von Hermann Löns und „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ von Walter Flex durchaus Bücher heraus, die Krieg, Kampf und Gewalt als Mittel zum Überleben thematisieren und sicherlich zu Recht umstritten sind. Überraschenderweise zählt er jedoch auch „Die Biene Maja“ von Waldemar Bonsels zu diesen Büchern, die sicherlich nicht jedem sogleich als kriegsverherrlichende Literatur verdächtig ist, auch wenn der Krieg der Bienen gegen die Hornissen und Majas Bereitschaft ihr Leben für das Bienenvolk zu lassen dort eine Rolle spielen. Letztendlich verlegt Springman mit seinen Überlegungen jedoch die immer wieder aufgelegte Debatte um die Wirkung von gewaltverherrlichender Literatur in die 1920er Jahre, und genauso spekulativ und widersprüchlich wie heutige Meinungen sind letztendlich auch seine Interpretationen.
In den folgenden Kapiteln geht es in erster Linie darum, wie der deutsche Nationalismus seinen Weg in die Köpfe der Jugend fand. Nach einem Blick auf jüdische Autoren (Stefan Zweig, Wilhelm Speyer, Berta Lask) und der erstaunten – hier zeigt sich eine gewisse historische Naivität des Autors – Feststellung, dass auch diese nicht frei waren von nationalistischen Gefühlen, geht es um Jugendzeitschriften, Radiosendungen für die Jugend und Science-fiction-Literatur. Für diese stellt Springman einerseits fest, dass sie die Zielgruppe in einer ganz neuen Form ansprachen und ihnen neue Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der modernen Welt boten. Andererseits hätte vor allem der Blick auf die Welt der Technik mit ihren grenzenlosen Möglichkeiten stets auch die technologische Überlegenheit der deutschen Nation gegenüber dem Rest der Welt kolportiert und im Denken der Jugend verankert. In ähnlicher Form sei auch der Sportroman – und hier explizit auch der für Mädchen – funktionalisiert worden.
Springmans Argumentation ist in erster Linie provokant. Es fehlen, wie er selbst betont, „documents and statistics that would more thoroughly substantiate my analyses and conclusions“ (11). Ein vergleichender Blick auf die Jugendliteratur anderer Länder hätte die Substanz des Buches ebenfalls verbessern können und die Basis für eine wünschenswerte Diskussion sinnvoll erweitert. Was indes die Jugendkultur der Weimarer Zeit in Deutschland betrifft, so vermitteln andere Untersuchungen [2] wesentlich mehr Aufschluss.
- 3. Sebastian Kurme: Halbstarke
Um seine These zu stützen, sichtete Kurme Presseartikel, Polizei- und Gerichtsakten, die Sitzungsprotokolle des 1953 eingesetzten Senate Subcommittee to Investigate Juvenile Delinquency sowie die zeitgenössischen pädagogischen und sozialwissenschaftlichen Publikationen. Auf gut 250 Seiten beschreibt er zunächst die gesellschaftspolitischen Zustände beider Länder, geht kurz auf Verhaltensmuster der ‚normalen’ Jugendlichen ein und schildert dann detailliert die Teenage Rebels, Greasers und Juvenile Delinquents auf der einen, die Teenager, Rowdies und Motorradbanden auf der anderen Seite. Die Reaktionen der amerikanischen und deutschen Öffentlichkeit werden unter den bezeichnenden Überschriften „What Can We Do About ‚J.D.’?“ sowie „…denn sie wissen nicht, was sie tun sollen“ dargestellt, bevor das Abschlusskapitel eine vergleichende Analyse anhand der von dem Historiker Heinrich Volkmann entwickelten ‚Kategorien des sozialen Protests’ vornimmt, die sich in Protestform, Konfliktparteien, Manifestationsbedingungen, Ursachen und Erfolge aufteilen. Kurme akzentuiert auf diese Weise die Inhalte der vorangegangenen ausführlichen Darstellung in der Absicht die These vom sozialen Protest der Jugend zu plausibilisieren. Wenn auch hier der plötzliche und nicht weiter eingeführte Rückgriff auf den Soziologen Rainer Paris und sein Konzept des „schwachen Dissenses“ als Protesttypus etwas aufgesetzt wirkt (347), sind Kurmes Argumentationen durchaus schlüssig, zuweilen – etwa in seiner Einschätzung der Rolle der Medien, die er für überbewertet hält – auch diskussionsbedürftig. Dass man einige Aspekte aus der Vorgängerliteratur zu den Halbstarken wieder findet, lässt sich verschmerzen. Durch den erstmalig vorgenommenen internationalen Vergleich, die Materialfülle, die detaillierten Schilderungen und den flüssigen Stil des Autors ist das Buch sehr empfehlenswert.
- 4. Detlef Siegfried: Time is on my side; Sound der Revolte
Konsum und Politik seien keine Gegensätze gewesen – um diese These zu beweisen richtet Siegfried seinen Blick auf „diejenigen Themen und Aktionsfelder, in denen sowohl Konsum als auch Politik eine Rolle spielten, sich gegenseitig durchdrangen oder zueinander in Beziehung gesetzt wurden“ (21). Dazu sichtet er die maßgeblichen Zeitschriften und die Verwaltungsakten zuständiger Behörden, stützt sich auf jugendsoziologische Untersuchungen sowie auf die Materialien einschlägiger Archive und zieht zudem Befragungen von Zeitgenossen heran. Obwohl er sich vorgenommen hatte, nur „zu einigen zentralen Themen Aussagen über die Großtrends für die Bundesrepublik Deutschland zu treffen“ und diese „fallweise“ durch „’dichte Beschreibungen’“ zu präzisieren (28), umfasst das Buch über 800 Seiten, alleine siebzig für das Quellen- und Literaturverzeichnis. Damit dürfte zwar für längere Zeit alles zu diesem Thema gesagt sein, ein stringenterer Zugriff hätte der Arbeit jedoch zuweilen gut getan. Glücklicherweise versteht Siegfried zu schreiben, und so ist seine Auseinandersetzung mit der durch Musik (von Elvis und Beatmusik über Hippies und Liedermacher zum aggressiven Rock), neuartige Massenmedien (offizielle Zeitschriften wie Twen, Konkret oder Pardon und sog. Underground-Zeitschriften sowie der Beat Club als ‚revolutionäre’ Musiksendung im Fernsehen) und alternative Kulturexperimente (Kommunen und Jugendzentren) geprägte Jugend(konsum)kultur sehr kurzweilig. Man braucht allerdings auch die entsprechende Geduld, um die Argumente zu finden, mit denen Siegfried seine Thesen zu untermauern gedenkt. Dass es auch kürzer und systematischer geht, haben andere Publikationen zum Thema, wenn auch mit anderen Fragestellungen [3], bewiesen.
Interessanterweise folgte 2008 ein weiteres Buch von Detlef Siegfried zu den ‚68ern’, in dem Aufsätze versammelt sind, die im Umfeld der Habilitation entstanden und bereits andernorts veröffentlicht wurden. Auch wenn sich der Autor im Vorwort darum bemüht, einen anderen Eindruck zu erwecken, geht es – wenig überraschend – auch hier um die Untersuchung der Verbindung des politischen Aufbruchs der Jugend mit einer sich neu entwickelnden Kultur. Den Begriff ‚Konsum’, der im Vorgängerbuch noch im Mittelpunkt stand, vermeidet Siegfried im Vorwort zwar, aber wenn er von „randständigen Impulsen, die häufig von avantgardistischen Gruppen ausgingen“, spricht, aus denen „eine Massenkultur, die über Zeitschriften, Filme und Tonträger verbreitet wurde“, entstanden sei (5), dann erinnert das doch sehr an den Tenor seiner Habilitationsschrift. Ein Blick auf die Aufsätze in diesem Buch bestätigt diesen Eindruck. Es geht um Konsumkultur und alternativen Alltag, die Zeitschrift ‚Bravo’, die Kommune I, den Blues als revolutionäre Musik, den Zusammenhang von Kulturindustrie und linker Szene, Sub- und Gegenkulturen. Selbstverständlich tauchen dabei immer auch die Themen und Begriffe auf, die einem aus dem Vorgängerbuch bekannt sind, und der geduldige Leser dieses monumentalen Werkes wird nicht viel Neues finden, obwohl Siegfried wiederum im Vorwort behauptet, dass die Aufsätze Aspekte vertiefen sollen, die in der Monografie „nur angedeutet werden konnten“ (6). So könnte der Sinn dieser Publikation vor allem darin gesehen werden, eine Kurzfassung zu liefern. Dass der Titel „Sound der Revolte“ andere, eventuell zum Jubiläumsjahr der 68er Bewegung passende Erwartungen weckt, die nicht zuletzt verkaufsfördernd wirken, könnte freilich auch den Eindruck einer geschickten Marketingstrategie entstehen lassen.
- 5. Heinrich Eppe/Ulrich Herrmann: Sozialistische Jugend
Der reich bebilderte Band ist in sechs Teile gegliedert, an die sich eine Zeittafel und eine Literaturliste anschließen. Die jeweiligen Texte zu den Themenkomplexen Ursprünge und Entwicklung der Arbeiterjugendbewegung, Rolle und Funktion von Bildung, Praxis der Kinderfreunde-Bewegung, Umgang der Arbeiterjugend mit dem Nationalsozialismus, Kontakte der ‚Falken’ zur Freien Deutschen Jugend von 1950 bis in die 1970er Jahre sowie parlamentarisches Engagement von Mitgliedern der Arbeiterjugendbewegung besitzen überwiegend deskriptiven Charakter. Somit handelt es sich eher um eine Institutionengeschichte, für die Quellen und Literatur ausgewertet wurden und vereinzelt auch Zeitzeugen zu Wort kommen, als eine Auseinandersetzung mit den jugendlichen Akteuren. Kritische Betrachtungen, wie sie beispielsweise in Bezug auf die Politisierung von Kindern in der Kinderfreunde-Bewegung durchaus angebracht gewesen wären, sind nicht zu finden. Der Aspekt der Jugendkultur, die selbstverständlich auch für die Arbeiterjugend eine Rolle spielte, da diese keineswegs nur Fortbildung und politischen Kampf im Kopf hatte, sondern auch – „dem Purismus der alten Arbeiterbewegung zum Trotz“ (75) – den modernen Entwicklungen der Unterhaltungskultur (Kino, Radio, Tanz) offen gegenüber stand, wird nur am Rande behandelt.
Eine wohltuende Ausnahme stellt der Beitrag von Bettina Joergens dar, die sich mit dem Verhältnis der Geschlechter in der Arbeiterjugendbewegung beschäftigt und sowohl für die Weimarer Zeit als auch für die unmittelbare Nachkriegszeit interessante Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit ausmacht. So galt seit den Gründungsjahren das Prinzip der Gemeinschaftlichkeit der Geschlechter für alle Veranstaltungen der Arbeiterjugendbewegung. Die in diesem Zusammenhang propagierte „asexuelle Kameradschaft“ (126) sollte Aspekte wie Sexualität, Männlichkeit und Weiblichkeit ausblenden, wobei damit jedoch in erster Linie Forderungen an die Frauen verbunden waren: ein fester Freund war verpönt, „bunte und auffällige Kleidung“ wurde abgelehnt, das Tragen der „auch ‚Herrgottskittelchen’ genannten Reformkleider“ war dagegen erwünscht (132). Das im Laufe der zwanziger Jahre auftretende Interesse für modernen Paartanz zeigte bald die Brüchigkeit der angeblichen Gleichberechtigung der Geschlechter, da hier nun auch die Erotik ins Spiel kam. Zeigten sich die Mädchen dieser neuen Erscheinung gegenüber offen, kam deutlicher als zuvor zum Ausdruck, dass ihnen „eine eigene weibliche Sexualität und damit Geschlechtsidentität abgesprochen“ wurde (135).
In ähnlicher Form riefen auch in der Nachkriegszeit neue jugendkulturelle Einflüsse Konflikte hervor. Hier ging es um ein Männlichkeitsbild, das von den Älteren mit Arbeit und Pflichterfüllung verbunden wurde, während die jüngere männliche Generation Spaß daran hatte „’unkontrollierte’ sinnliche Freuden nachts im Vereinsheim oder in Tanzlokalen“ zu genießen (154). Die Zuwendung zur modernen Jugendkultur und der ihr innewohnenden Neuordnung des Geschlechterverhältnisses brachte innerhalb der Arbeiterbewegung Konflikte zu Tage, die in eine Diskussion von Männlichkeitskonzepten und Frauenemanzipation mündeten. Der Modernisierungsprozess, der nach und nach die gesamte Gesellschaft ergriff, ging auch hier nicht reibungslos vonstatten. Dass und wie sich gerade die Frauen diesem Prozess stellten, zeigt der Aufsatz von Gisela Notz über Frauen aus der Arbeiterjugendbewegung, die den Weg in den Deutschen Bundestag schafften (327-340). Ihre exemplarische und auch in pädagogischer Hinsicht aufschlussreiche Beschreibung der Sozialisations- und Lebensbedingungen von Marta Schanzenbach, Mitglied des Bundestags von 1949-1972, macht deutlich, dass Frauen in der Arbeiterjugendbewegung durchaus mit vielfältigen Vorurteilen und Rollenzuweisungen zu kämpfen hatten, dass sie aber auch – vielleicht stärker als in anderen politischen Gruppierungen – Unterstützung erfuhren und Karrieremöglichkeiten eröffnet bekamen.
Es wäre wünschenswert, wenn weitere, gezielte Untersuchungen zur Bedeutung der Jugendkultur in der Arbeiterjugendbewegung durch diese Publikation angeregt würden.
- 6. Matthias Völker: Krawall, Kommerz und Kunst
- 7. Wilfried Ferchhoff: Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert
Ferchhoff geht es vor allem um ein Umdenken hinsichtlich der Beschäftigung mit Jugend. Da sich die Lebensbedingungen in den letzten Jahren durch Entwicklungsprozesse, die durch Begriffe wie „Globalisierung, Regionalisierung/Glokalisierung, Enttraditionalisierung, Destrukturierung, Neoliberalismus und Individualisierung“ (9) nur grob erfasst werden können, grundlegend verändert haben, müssen auch die gängigen Begrifflichkeiten, die bisher in der Jugendforschung eine Rolle spielten, neu durchdacht werden. Dieser Aufgabe stellt sich der Autor, nachdem er im ersten Kapitel die „stimulierende(n) lebens-, bildungs- und sozialreformerische(n) Impulse“ (17), die von der bürgerlichen Jugendbewegung gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgegangen seien, betrachtet und im zweiten Kapitel die „soziologisch höchst bedeutsamen gesellschaftlichen Entwicklungstrends, Strukturveränderungen und -umbrüche“, die das „Aufwachsen von Jugendlichen wesentlich mitbestimmen“ (17), nachzeichnet. Anschließend (Kapitel 3) widmet er sich der „Differenzierung des Jugendbegriffs im 20. und 21. Jahrhundert“ (20) und bemüht sich dann um die Anreicherung der vorliegenden „konventionellen entwicklungspsychologischen und psychoanalytischen Phasen- und Stufentheorien“ mit „sozialistionstheoretischen und soziologisch-interaktionistischen Erörterungen über äußere Umwelt- und Kontextbedingungen des Aufwachsens“ (21) in der heutigen Zeit (Kapitel 4). Dies führt zu einer zwar anschaulichen, leider aber auch auf der plakativen Ebene verbleibenden Gegenüberstellung traditioneller und neuer Identitätskonzepte in Tabellenform.
In Kapitel 5 und 6 geht es dann um das „auf Dilthey und Mannheim zurückgehende Konzept der Generation“ (21), das für Ferchhoff im Hinblick auf die Entwicklungs- und Veränderungstendenzen der Gegenwart nicht mehr nützlich ist. Er führt die angebliche Begrenztheit des Generationenbegriffs vor, indem er ihn teils unter Rückgriff auf klassische Benennungen (z.B. Schelskys ‚skeptische Generation’) rekapituliert, teils neu auf die Geschichte der späten Bundesrepublik anwendet. Die Grenzen werden spätestens in den 1980er Jahren deutlich, wenn der Versuch, eine Generation auszumachen und mit einer Begrifflichkeit zu belegen, sofort viele Widersprüche hervorruft, was er mit überzeugenden Beispielen deutlich macht.
Wenn Ferchhoff dann im siebten Kapitel dazu übergeht, die jugendkulturellen Stile und Szenen im 21. Jahrhundert erfassen zu wollen, zeigt sich durch seinen Rückgriff auf Klassifizierungen dann auch bei ihm eine gewisse Hilflosigkeit bzw. eine Grenze, die der Systematisierung gesetzt ist. Boy- bzw. Girlgroups, Computerkids, Fußballfans, Fantasy-Fans bis hin zur Rubrik „Unbekannte, nicht entdeckte Jugendkulturen“ werden zwar anschaulich beschrieben, die vielen Mischungen und Überschneidungen müssen jedoch unberücksichtigt bleiben. Dessen ist sich Ferchhoff bewusst, denn nachdem er in Kapitel 8 die „Idealisierung und Individualisierung von Jugend am Beispiel Mode und Sport“ zu zeigen versucht, geht er im 9. Kapitel zum ultimativen Versuch über, den Strukturwandel der Jugend im 21. Jahrhundert darzustellen. Auch das geht nicht ohne Klassifizierungen, doch jetzt werden diese thesenartig vorgenommen und schließen sich nicht mehr gegenseitig aus. In 19 Unterkapiteln werden alle denkbaren Eigenschaften von Jugend in Überschriften wie „Jugend ist Schul- und Bildungsjugend“ oder „Jugend ist Multi-Media-Jugend“ ausgedrückt und anschließend ausführlich erläutert, was bei den beiden Beispielen keine Probleme erwarten lässt, bei Zuordnungen wie „Jugend ist eine in Partnerschaften und familiären Zusammenhängen emotional aufgeladene und psychosoziale Nutzenfunktionen gewinnende Jugend“ jedoch kompliziert zu werden droht.
Wilfried Ferchhoff hat ein nach meinem Eindruck hochinteressantes Buch vorgelegt, dessen Lektüre aber höchste Konzentration erfordert. Bei der Arbeit im Seminar mit den zuletzt genannten Klassifizierungen zeigte sich die anregende Wirkung der Texte durch die hohe Diskussionsfreude, die die Studierenden zeigten. Es stellte sich aber auch heraus, dass die zum Teil sehr verschachtelten und in ihrem Sinngehalt zuweilen überfrachteten Sätze, die Ferchhoff scheinbar mühelos produziert, nicht selten mehrfach gelesen werden müssen, bis man sie versteht. Der Zeitaufwand, den die Lektüre erfordert, ist jedoch eine gute Investition, auch wenn man den Erkenntnissen des Autors nicht immer zustimmen mag.
Als Fazit dieser Auseinandersetzung mit thematisch sehr vielseitigen Publikationen bleibt zunächst festzustellen, dass die historisch ausgerichtete Erforschung von Jugendkultur offensichtlich ein Feld ist, dass überwiegend von der Geschichtswissenschaft beackert wird und in dem sich die Erziehungswissenschaft allzu sehr zurückhält. Dabei sind Fragen nach den Sozialisationsbedingungen, den Geschlechterverhältnissen, dem Umgang mit Medien, dem Konsumverhalten oder dem politischen Lernen in Jugendkulturen auch für die pädagogische Forschung relevant. In methodischer Hinsicht sind zudem noch viele Erweiterungen denkbar. So könnte beispielsweise der internationale Vergleich – dem Konzept der Transkulturalität [4] folgend – erweitert und die Arbeit mit Ego-Dokumenten ausgeweitet werden.
Die Befunde dieser Forschungsarbeiten bestätigen Bekanntes: Jugendkultur bringt gesellschaftliche Veränderungen voran bzw. nimmt diese auf, bedient sich dazu einer Vielfalt von Stilelementen (Musik, Kleidung, Frisuren etc.) und irritiert die Erwachsenengesellschaft in nicht unbeträchtlichem Ausmaß. Lohnenswert ist dabei die zumindest teilweise Abkehr von der Konzentration auf die Gesamtgruppe und die Zuwendung zu Untergruppen und Individuen (vgl. Siegfried 2006, oder Joergens in Eppe/Herrmann 2008, z.T. auch Savage 2008), da auf diese Weise Feinheiten und Differenzen ausgemacht werden können, die eine Jugendkultur auch in ihrer Vielfalt erfahrbar machen. Das ist besonders für die Auseinandersetzung mit den Jugendkulturen des ausgehenden 20. Jahrhunderts notwendig, da diese ansonsten in ihrer Heterogenität und Vielfalt kaum erfassbar werden. Es bleibt also noch viel zu tun und dementsprechend zu hoffen, dass die Historische Bildungsforschung die Jugendkulturforschung nicht aus den Augen verliert.
[1] Vgl.: Mitterauer, Michael (1986): Sozialgeschichte der Jugend. Frankfurt a.M.: Suhrkamp; Speitkamp, Winfried (1998): Jugend in der Neuzeit. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
[2] Koebner, Thomas/Janz, Rolf-Peter/Trommler, Frank (Hg.) (1985): "Mit uns zieht die neue Zeit" – Der Mythos Jugend. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
[3] Vgl.: Horn, Gerd-Rainer (2008): The spirit of '68. Rebellion in Western Europe and North America, 1956 – 1976. Oxford [u.a.]: Oxford Univ. Press.
[4] Vgl.: Gippert, Wolfgang/Götte, Petra/Kleinau, Elke (Hg.) (2008): Transkulturalität: Gender- und bildungshistorische Perspektiven. Bielefeld: transcript.