Einführungen in pädagogische Grundbegriffe sind im Gros der erziehungswissenschaftlichen Studiengänge obligatorisch. Entsprechende Literatur erfreut sich großer Beliebtheit und fehlt in kaum einem Programm der Verlage für pädagogische Literatur. Pädagogische Grundbegriffe beschreiben im Horizont vielfältiger Argumentationskontexte unterschiedliche Gesichtspunkte pädagogischer Phänomene, die diese einerseits in ihrer inneren Struktur und Differenziertheit darstellen und andererseits von nicht-pädagogischen Phänomenen abgrenzbar machen. Mit Blick auf die Praxis pädagogischer Theorie und erziehungswissenschaftlicher Empirie ordnen sie wissenschaftliche Diskurse, geben Anhaltspunkte bei der Stiftung disziplinärer Strukturen und stecken das Feld erziehungswissenschaftlich-empirischer Forschung ab.
Mit Blick auf die pädagogische Praxis geben sie Maßstäbe an, unter welchen Bedingungen eine Situation pädagogisch ist oder in eine solche überführt werden kann, stiften Sinnmomente, mit denen die teleologischen Horizonte pädagogischen Handelns ausgemessen werden können, beschreiben die Grundstruktur pädagogischer Methodik und geben ethische Maße dessen an, was in pädagogischer Praxis erlaubt ist und was nicht. Die Vielfalt dieser Begriffe und die Pluralität ihrer Begründungsmuster zeigen dabei Urteils- und Handlungsoptionen an und verdeutlichen, dass mit guten Gründen auch stets anders geurteilt und gehandelt werden kann und damit das Wissen um die Heterogenität der Argumentationskontexte unerlässliche Voraussetzung für verantwortliches Handeln in professionellen pädagogischen Handlungsfeldern ist.
Andreas Dörpinghaus und Ina Katharina Uphoff fügen dem großen Pool der Einführungsliteratur ein weiteres Werk hinzu. Es konzentriert sich konventionell auf die Begriffe „Erziehung“, „Bildung“ und „Sozialisation“. Der Leser stutzt daher zunächst etwas angesichts der Versprechung des Buchrückentextes, es handele sich bei der Erarbeitung des begrifflichen Aufbaus der Pädagogik auf Basis dieser drei Begriffe um einen „innovativen Ansatz“. Die Bekundung des Neuen verwundert nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des Hinweises, die Komposition des Bandes sei „[o]rientiert am Kerncurriculum der Erziehungswissenschaft der DGfE“.
Die Innovation – oder vorsichtiger: die Besonderheit – wird insofern an anderer Stelle gesucht werden müssen. Sie findet sich in der Weise, wie die Begriffe erarbeitet und vorgestellt werden. Der Buchrückentext kündigt diesbezüglich an: Sie werden anhand einer umfassenden „Vorstellung von Hauptvertretern“ zum einen „historisch-systematisch“ entwickelt, zum anderen auch „zu aktuellen Debatten in Beziehung gesetzt“. Dabei zwingen Adressatenkreis und Verwendungszweck des Bandes zur inhaltlichen Auswahl. Während der Band als Grundlage zum „Selbststudium“ eine durchaus umfassendere Gestaltung zugelassen hätte, lässt der Hinweis auf seine Eignung „als Basistext für Lehrveranstaltungen“ Umfang und Struktur des Bandes bereits erahnen: auf 144 Seiten finden sich 14 Abschnitte, die sich pragmatisch auf die knapp 14 Sitzungen einführender Lehrveranstaltungen verteilen lassen. Das sieht nicht ungewollt aus, ist so aus der „Einführung in die Theorie der Bildung“ von Dörpinghaus/Poenitsch/Wigger [1] bereits bekannt und spricht auch Lehrende bei ihrer Seminargestaltung verstärkt an.
Zur Auswahl: Der Band umfasst neben einer vorangestellten Einführung in die „Pädagogik als Wissenschaft“ (9ff) je vier Abschnitte zu den Begriffen „Erziehung“ (16ff), „Bildung“ (56ff) und „Sozialisation“ (98ff.). Jeder Begriff wird zunächst anhand einer exemplarischen Erzählung illustriert, auf „Problemgestalten“ hin vorgestellt und darauf folgend anhand drei ausgewählter Theoriemodelle in je einem eigenen Abschnitt detaillierter ausgelegt. Ich möchte im Folgenden die vier Themenkomplexe das Bandes kurz skizzieren, dabei zugleich versuchen, deren Eignung als Einführung zu beurteilen und abschließend einige allgemeine kritische Bemerkungen zur Komposition des Bandes mit einer Würdigung desselben verbinden.
Der Abschnitt „Pädagogik als Wissenschaft“ umfasst Hinweise auf die „Heterogenität“ (9) pädagogischer Teildisziplinen und Praxisfelder, wissenschaftstheoretische Paradigmen (ebd.), die Vorstellung von Wissenschaft als „Deutungsweise von Mensch und Welt“ mit dem Zweck des Wissens (10), die Bedeutung von pädagogischen Grundbegriffen, die Abgrenzung von Wissen, Glauben und Meinen (12ff) und die Differenzierung pädagogischer Wissensformen (14ff). Die Breite der dargestellten Themen und Zusammenhänge auf knapp 6 Seiten zeigt bereits an: Der Abschnitt changiert in seiner Kürze zwischen dem Staccato reiner Informationen, die für den im Feld wissenschaftlicher Pädagogik nicht erfahrenen Leser als relativ loser Verbund erscheinen müssen, und der gelungenen Illustration durch historische Beispiele sowie der Verdeutlichung durch Bilder: Bezüglich des Themas der Einführung vermittelt insbesondere das Bild „Grundbegriffe sind einer Achse vergleichbar, um die sich eine Wissenschaft dreht, ohne dass die Achse fixiert wurde“ (13) eine verständliche und diskutierbare Anschauung der Stellung von Grundbegriffen in einer Wissenschaftsdisziplin.
Die vier Abschnitte zum Erziehungsbegriff führen breit angelegt und facettenreich in Interpretationen der Struktur sowie die anthropologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen und Ziele von Erziehung ein. Unter anderem vermitteln sie exemplarisch ein Problembewusstsein des Erziehungsverhältnisses (16ff), stellen die zentralen Metaphern für Erziehung vor (22ff) und verweisen auf Erziehung als Machtverhältnis und -praktik (25ff). In der Darstellung der Klassiker zeigt sich die Stärke des Bandes. Auf knappem Raum von jeweils etwa 10 Seiten gelingt als Kommentar zentraler Zitate der Werke die Erarbeitung ihrer Erziehungstheorie. Sie vertieft mit Rousseau das Verhältnis von Erziehung und Gesellschaft, Natur und Kultur, Entfremdung und Selbstsein und erläutert den Gedanken der negativen und natürlichen Erziehung (31ff) orientiert am Ziel des „in sich selbst Ruhens“ (33), bringt mit Kant aufklärerische Vorstellungen von persönlicher Mündigkeit (38ff) und „Höherentwicklung der Gattung“ (41) durch Moralisierung (46) ein und überführt diese mit Herbarts Theorie der ästhetischen Darstellung der Welt (48ff) in didaktische Perspektiven.
Die Einführung ist behutsam, beginnt anschaulich und phänomennah, um dann zu den schwierigeren Argumentationen der Klassiker fortzuschreiten. Sie ist verständlich, gut lesbar und bietet fruchtbaren Boden für weiterführende Auseinandersetzungen und Diskussionen. Der Bezug zu gegenwärtigen Diskussionen wird dabei allerdings nur sehr zögerlich unter Verweis auf Kontrollgesellschaften (Deleuze) und Erziehung als repressives oder produktives Machtverhältnis (Foucault), nicht aber anhand aktueller Erziehungstheorien hergestellt. Bemerkenswert ist, dass es sich bei dem Abschnitt zu Kant weitgehend um den leicht umformulierten und um Ausführungen zum Fortschrittsgedanken ergänzten Abschnitt des schon in der „Einführung in die Theorie der Bildung“ von Dörpinghaus geschriebenen Kant-Kapitels handelt, der hier aber – näher an Kants Begriffsgebrauch – nicht als Einführung in den Bildungs-, sondern den Erziehungsbegriff gebraucht wird.
Auch bei den Abschnitten zum Bildungsbegriff greifen Dörpinghaus und Uphoff mit Blick auf Struktur und Formulierungen auf die „Einführung in die Theorie der Bildung“ zurück: Die Erzählung Heisenbergs sowie der Abschnitt zu Humboldt werden dem treuen Leser in vielen Teilen bekannt vorkommen. Sie führen neben den Erzählungen, Problemgestalten, Platons Höhlengleichnis und dem „Symposion“ sowie Adornos „Theorie der Halbbildung“ in die „sehr komplexe systematische und historische Reflexion auf das menschliche Zur-Welt-Sein“ (56), also „den Selbst-, Sozial- und Sachbezug“ (60) ein. Zentrale Strukturmomente wie „Hinwendung zu Wissen und Erkenntnis“ als „Weg des Aufstiegs“ (67), „Wechselwirkung von Ich und Welt“ (78), „Sozialität“ (81) und „Transformation des Selbst“ (61 – ohne Verweis auf Kollers Theorie transformatorischer Bildung) und Sinnbezüge wie „Sorge um sich selbst“ (60), „Selbstzweck“ (64) und die Frage nach dem „richtige(n) Leben“ (60) werden aufgezeigt und Bildung von Ausbildung (60) und Kompetenz (65ff) abgegrenzt. Die auch ohne fachliches Vorwissen gut verständlichen Ausführungen umfassen im Unterschied zur Vorstellung des Erziehungsbegriffs zahlreiche Aktualisierungen des Begriffs und verdeutlichen damit die gegenwärtige Bedeutung bildungstheoretischer Reflexion.
Mit dem Sozialisationsbegriff werden gesellschaftstheoretische Perspektiven auf Lernen und Bildung eröffnet. Sozialisationsphasen und -instanzen (101) und der Rollenbegriff (101ff) werden vorgestellt. Mit Durkheim wird Sozialisation als „Einführung in das moralische System einer Gesellschaft“ (108) und „Erziehung als methodische Sozialisation“ (111) gefasst und mit Bourdieus Habitus- (122ff) und Kapitaltheorie (116ff) als Habitualisierung sozialer Machtstrukturen beschrieben. Diese Abschnitte vermitteln einen differenzierten Blick auf den Sozialisationsprozess. Der Abschnitt zu Durkheim ist schon aus dem Grund lesenswert, da es sich um eine der wenigen einführenden Darstellungen zu seinem Werk handelt, die es in der Pädagogik gibt. Als Einführung schwer, aber nicht unmöglich zu verstehen ist in diesem Kontext der Versuch, Sozialisation mit Cassirers Kulturphilosophie zu beschreiben. Mit ihm werden „Anpassungsleistungen des Menschen an Welt und Gesellschaft“ als „kulturelle Gestaltungsprozesse“ (128) gefasst, sofern „der Mensch kulturelle Formen der Weltaneignung erlernt und sie zugleich in der gestalterischen Aneignung selbst übersteigt“ (126). Sozialisation umfasst dann ein Lernen symbolischer Formen „zwischen Eigenem und Fremden, zwischen Tradition und Innovation, zwischen Reproduktion und Gestaltung“ (128).
Ich möchte abschließend einige kritische Anmerkungen zur Komposition des Bandes machen. Erstens: Dem Band fehlt eine nachvollziehbare Begründung der Auswahl der Begriffe und Theoriemodelle. Die „besonders große Rolle“ (7) der Begriffe und der Klassikerstatus der „Hauptvertreter“ (7) gelten auch für andere Zusammenstellungen. Zweitens: Bei der Erarbeitung des Erziehungsbegriffs wird kein aktuelles Theoriemodell ausführlich vorgestellt – die Spitze bildet hier Herbarts Erziehungstheorie aus dem frühen 19. Jahrhundert. Für die Vermittlung eines Problem- und Begriffsverständnisses mag das reichen. Man kann sich beim Lesen jedoch des Eindrucks nicht erwehren, die begriffliche Beschäftigung mit Erziehung sei im Vergleich zur Reflexion des Bildungs- und Sozialisationsbegriffs eine etwas angestaubte Angelegenheit. Pranges „Zeigestruktur der Erziehung“ findet sich zwar im Literaturverzeichnis, wird aber nicht als eigenes Theoriemodell vorgestellt; dass es eine biographische (Werner Loch) oder evolutionstheoretische Erziehungstheorie (Alfred K. Treml) zumindest gibt, erfährt der Leser nicht.
Drittens: Eine Darstellung des Lernbegriffs fehlt vollständig. Selbst als nicht terminologisch gefasstes Wort begegnet Lernen im Band höchst selten. Lernen ist jedoch zu einem pädagogischen Grundbegriff avanciert, der heute in vielfältigen Perspektiven diskutiert wird und neue Sichtweisen auf klassische Erziehungs-, Bildungs- und Sozialisationstheorien eröffnet. Auch wenn keine Darstellung als eigener pädagogischer Grundbegriff intendiert ist, hätten lerntheoretische Perspektiven auf die drei verhandelten Grundbegriffe dem pädagogischen Diskurs zumindest eine stärkere aktuelle Ausrichtung gegeben. Insbesondere subjektkritische Auseinandersetzungen mit Fremdheit/Alterität und Leiblichkeit hätten dadurch aufgenommen werden können. Viertens: Der Band endet etwas abrupt ohne Schluss, Fazit oder Ausblick. Eine Blütenlese des Bandes in Form eines Vergleichs der erarbeiteten Grundbegriffe wäre m.E. für die Orientierung Studierender sinnvoll gewesen.
Abgesehen von diesen – wohl nur in einem umfangreicheren Band aufnehmbaren – kritischen Anmerkungen darf der Band als sehr gelungen für die Einführung in den begrifflichen Grundbestand der Pädagogik angesehen werden. Die Entscheidung zur Mischung allgemeiner, stichpunktartiger Einführungen in die Facetten des Begriffs mit einer umfangreicheren Darstellung von Klassikern ist im Horizont des Verwendungszweckes des Bandes grundsätzlich zu begrüßen. Sie ist in dieser Zusammenstellung ein Novum und zeigt einerseits die Vielfalt der Bezüge, Merkmale und Argumentationskontexte der Begriffe an, beugt aber durch die längere Erarbeitung ausgewählter Klassiker weitgehend einem kaum verarbeitbaren Informationsstaccato vor. Dennoch können gerade die Einführungskapitel in die Grundbegriffe sowie in die Pädagogik als Wissenschaft offene Fragen hinterlassen. Ich halte den Band daher insbesondere für den Einsatz in Seminaren geeignet. Während man sich beim Selbststudium mit einigen Textabschnitten allein gelassen fühlen kann, bietet der Band eine gute Textgrundlage für vertiefende und klärende Seminardiskussionen.
[1] Andreas Dörpinghaus / Andreas Poenitsch / Lothar Wigger: Einführung in die Theorie der Bildung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006
EWR 10 (2011), Nr. 2 (März/April)
Grundbegriffe der Pädagogik
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011
(144 S.; ISBN 978-3-534-23801-9; 14,90 EUR)
Torben Pauls (Kiel)
Zur Zitierweise der Rezension:
Torben Pauls: Rezension von: Dörpinghaus, Andreas / Uphoff, Ina Katharina: Grundbegriffe der Pädagogik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011. In: EWR 10 (2011), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.04.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353423801.html
Torben Pauls: Rezension von: Dörpinghaus, Andreas / Uphoff, Ina Katharina: Grundbegriffe der Pädagogik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011. In: EWR 10 (2011), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.04.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353423801.html