
Knopke schreibt seine Arbeit als jemand, der selbst noch in der DDR zur Schule gegangen ist und jene als Diktatur versteht. Er geht an sein Vorhaben nicht „sine ira et studio“ heran, er hat eine klare, normative Grundposition, die er am Anfang der Arbeit offenlegt. Entsprechend ist sein Einstieg in sein Thema: Er beschreibt von ihm als verhängnisvoll und höchst problematisch empfundene Verklärungen des DDR-Systems, Auswüchse von Ostalgie und „alte Seilschaften“. Des Weiteren beklagt er – unter Bezugnahme auf einschlägige Sekundärliteratur – den geringen Kenntnisstand vieler Deutscher über die DDR. Mit der Untersuchung des DDR-Schulbuches erhofft er sich, „einen Beitrag zur Untersuchung der Instrumentalisierungsrealität im DDR-Schulwesen“ leisten zu können, da die DDR-Schülerinnen und Schüler (nahezu) alle tagtäglich mit denselben Schulbüchern desselben Inhalts konfrontiert gewesen seien (21). Im zweiten Kapitel gibt Knopke einen souverän-komprimierten, Entwicklungslinien und strittige Aspekte skizzierenden Überblick über den Forschungsstand zur DDR, zum DDR-Bildungswesen und zum DDR-Schulbuch. Im dritten Kapitel beschreibt er sehr ausführlich und mit vielen Erklärungen, Begründungen und offensichtlichem Bemühen um Absicherung sein Erkenntnisinteresse und seine methodische Vorgehensweise. Er arbeitet zunächst die staatlich legitimierte, gesellschaftlich bedeutsame Funktion des Schulbuchs generell heraus und beschreibt dann den spezifischen Charakter des DDR-Schulbuchs als „Herrschaftssicherungsinstrument“ (42). Anschließend stellt er die untersuchten Schulbücher (auch in einer Übersichtstabelle) vor. Er kommt hierbei zu der – durchaus als provokativ zu bewertenden – „These“, „dass Botschaften, die durch Schulbücher transportiert werden, weitestgehend auch bei den Adressaten ankommen, insbesondere in der DDR“ (52). Im nächsten Satz nimmt er seine These allerdings bereits wieder halb zurück – so, als hätte er ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen –, wenn er formuliert: „Diese Annahme muß jedoch gleichzeitig mit Zurückhaltung auch hinsichtlich der späteren Einordung der Befunde getätigt werden, da hiermit noch keine Aussage zur Wirkung dieser Botschaften getroffen ist und da Forschungsergebnisse zur Wirkung von Schulbüchern ein Forschungsdesiderat darstellen“ (52). Es wird darauf zu achten sein, wie sich Knopke am Ende seiner Arbeit hierzu positioniert. Im nächsten Unterkapitel weist er nach, dass die SED die Schule und damit auch die Schulbücher für ihre Herrschaftssicherung einzusetzen intendierte – keine neue Erkenntnis; dieser Befund ist breitest abgesichert. Genau zu erforschen, wie sich diese Intention konkret in Schulbüchern umsetzte, ist m.E. allerdings durchaus ein lohnendes Unterfangen, wobei der Erkenntnisgewinn vor allem in den Details der Analyse und deren Interpretation liegt. Seine Schulbuchanalyse legt Knopke methodisch „deskriptiv-hermeneutisch“ an (97); ausführlich begründet er, warum er eine quantitative Inhaltsanalyse für nicht zweckdienlich hält. Die Ausführungen zur Methodenwahl sind noch in der Publikation ganz einer Qualifikationsarbeit gemäß – sehr umständlich, immer wieder sich absichernd, den hermeneutischen Zirkel erläuternd usw. Hier wäre eine Überarbeitung (und Kürzung) für die Publikation hilfreich gewesen! Im Einzelnen geht er so vor, dass er zunächst sein ganzes Material sichtet und die auf die Sicherung der SED-Herrschaft zielenden Inhalte identifiziert. Anschließend unterteilt er diese Inhalte in 12 Kategorien, um sie so in einer Zusammenschau aus allen herangezogenen Schulbüchern dem Leser/der Leserin zu präsentieren. Die Kategorien lauten: Partei und Arbeiterklasse; DDR; Sowjetunion und andere sozialistische Staaten; Systemrelevante Personen; FDJ und Pionierorganisation; Militärische Inhalte; Kampf und Revolution; Sozialismus und Parteilichkeit; Kapitalismus; Bundesrepublik Deutschland; Faschismus; Marxismus-Leninismus.
Bei aller Eindrücklichkeit des Materials – und m.E. ist in diesem Kontext die Entscheidung des Verfassers richtig, möglichst viele Zitate aus den Büchern zu bringen – sind doch mindestens drei kritische Aspekte anzuführen: Zum einen ist nicht überzeugend, dass er als eine Kategorie den DDR-Kampfbegriff „Faschismus“ (ohne Anführungszeichen) verwendet, wenn es faktisch um Nationalsozialismus geht; denn dass er durchaus DDR-Sprechweisen verändert, zeigt er ja, wenn er „Bundesrepublik Deutschland“ als Kategorie wählt und eben nicht „BRD“. Zum zweiten bleiben die Interpretationen der in die Ausführungen hineingenommenen Bilder aus DDR-Schulbüchern ganz aus bzw. deren Aussage wird durch banale, nichtssagende, manchmal sogar den Kern der Aussage verfehlende Untertitelungen um ihre Spezifika gebracht. Zum dritten hätten auch die Interpretationen der Inhalte, die insgesamt allerdings deutlich qualitätsvoller ausgefallen sind, an manchen Stellen eine tiefere, z.B. den Zeitbezug 1980er Jahre stärker einbeziehende, Analyse verdient. An einigen Stellen tritt in diesem Kapitel die Analyse der Schulbuchtexte außerdem m.E. zu sehr hinter der Beschreibung der diese fundierenden Weltanschauung zurück (etwa, wenn ausführlich Marx’ Verständnis des Kapitalismus referiert wird, 187ff). Der zweite und dritte, deutlich knappere Teil der Schulbuchanalyse widmet sich der Instrumentalisierung der Schulbücher in den einzelnen Schulfächern, wobei die Geschichts- und Staatsbürgerkundebücher wegen ihres spezifischen Herrschaftssicherungscharakters besonders – aber eben nicht ausschließlich! – berücksichtigt werden.
Im siebten Kapitel analysiert und diskutiert Knopke seine Befunde der Schulbuchanalysen und betont die über Schulbücher vermittelten Gewöhnungen an die Sichtweise der SED. In durchaus differenzierter, angestrengt ringender Form äußert er sich zu der – empirisch ungeklärten, aber m.E. dennoch reflektierbaren – „Wirkung des Instrumentalisierungsprozesses“ (276) und schlägt schließlich den Bogen zurück zum Beginn seiner Arbeit und den dortigen Ausführungen zur Verklärung der DDR. An folgender Aussage wird das „Ringen“ besonders anschaulich: „Eine Wirkung der Indoktrination gänzlich zu verneinen, scheint [...] nicht plausibel. Andererseits wäre es zu einfach gedacht, etwa die Verklärung der DDR als in der Instrumentalisierung der Schulbücher begründet zu sehen. Zumindest gestattet sich aber die Frage nach diesbezüglichen Zusammenhängen [...] Durchaus denkbar wäre hier ein Zusammenhang mit der exzessiven positiven Bewertung der DDR und des Sozialismus in den Schulbüchern und vielleicht noch mehr mit der systematischen Verschleierung von Problemen und Krisen im zweiten deutschen Staat. Einen Beitrag hierzu, so viel kann mindestens festgehalten werden, leisten die Schulbücher“ (277f). Nimmt man die Ausführungen ernst, ergibt sich eine gewisse Diskrepanz zu der im Vorwort von den beiden Gutachtern der Arbeit getroffenen Aussage, dass die Studie „den Blick für den insgesamt wohl eher als misslungen zu bewertenden Versuch des SED-Regimes, über die Institution der Schule die Köpfe der nachwachsenden Generationen im Sinne ihres doktrinären Staatssozialismus zu beeinflussen“ (10), öffne. Dies kann hier nicht weiter vertieft werden. Festgehalten werden soll abschließend nur noch, dass auch für diejenigen Leser/innen, die jegliche Wirkung von Schulbüchern bestreiten, die Lektüre der Arbeit von Knopke einen Gewinn darstellen kann, zeigt sie doch, wie ein geschlossenes Weltanschauungssystem in hermetischer Form auf Schulbücher übertragen wird.