Das Thema Privatschulen ist derzeit hoch aktuell und wird von einer breiten Öffentlichkeit aufgegriffen und diskutiert. Auch die wissenschaftlichen Publikationen hierzu haben entsprechend zugenommen. Dabei standen bislang vor allem deskriptive Veröffentlichungen zu Privatschulen auf recht allgemeiner Basis oder Analysen eines besonderen Privatschultyps (z.B. Montessori, Waldorf) im Vordergrund [1]. Vergleiche verschiedener Privatschultypen oder zwischen öffentlichen und privaten Schulen sind rar und finden meist im Rahmen von Sekundäranalysen der großen internationalen Vergleichsstudien wie etwa PISA statt. Die drei hier vorzustellenden Bücher, welche den Vergleich von öffentlichen und privaten Schulen in den Mittelpunkt stellen, versuchen diesem Forschungsdesiderat entgegenzutreten.
Der Band „Privatschulen versus staatliche Schulen“ von Aydin Gürlevik, Christian Palentien und Robert Heyer bietet als klassischer Übersichtsband – ähnlich dem von Ullrich und Strunk 2012 vorgelegten [2] – eine breite Einführung in das Thema Privatschulen unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Aspekten. Wie der Titel schon andeutet, liegt bei allen Beiträgen der Fokus auf einem Vergleich der öffentlichen mit privaten Schulen, der von den jeweiligen Autoren mal stärker und mal schwächer beleuchtet wird. Nach einer kurzen Einführung der Herausgeber werden von Thomas Koinzer und Sabine Gruehn die unterschiedlichen Dimensionen (Expansion, rechtliche und wirtschaftliche Stellung, Schulqualität und Schulwahlmotive) der allgemeinbildenden Privatschulen in Deutschland vorgestellt. Es folgt ein zweiter Teil in fünf Einzelbeiträgen, welche die internationale Perspektive der Privatschullandschaft fokussieren. Hier werden die verschiedenen Privatschulsysteme Frankreichs, der Niederlande, der USA, Englands und Finnlands vorgestellt, wobei meist sowohl der Vergleich zu den öffentlichen Schulen der jeweiligen Länder sowie zum deutschen Bildungssystem gezogen wird. Der dritte Teil widmet sich den pädagogischen Profilen und Konzepten einzelner Privatschultypen: Ulrich Klemm stellt hier die Geschichte und Gegenwart Freier Demokratischer Schulen vor, ein Privatschultyp der bislang nur wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Ehrenhard Skiera gibt einen schematischen Überblick sowie eine kritische Einführung zu den verschiedenen reformpädagogischen Schulmodellen, wobei hier leider auf die Aktualität der Zahlen und Informationen weniger Wert gelegt wurde. Die beiden größten Träger privater Schulen in Deutschland – die katholische und die evangelische Kirche – werden von Wilhelm Wittenbruch bzw. Martin Schreiner dargestellt. Hier werden die beiden Privatschultypen jeweils in die z.T. komplexe kirchliche Geschichte eingeordnet und die spezifische Erziehungsarbeit der Katholischen bzw. Evangelischen Schulen vorgestellt. Im letzten Profil widmet sich Uta Hallwirth den verschiedenen Merkmalen Internationaler und Bilingualer Schulen, wobei die große Bandbreite und Heterogenität dieses Schultyps besonders hervorgehoben wird. Der letzte und mit acht Einzelbeiträgen größte Teil dieses Sammelbandes vertieft verschiedene Aspekte der Privatschullandschaft unter der Überschrift „Kontroversen“. So werden private und öffentliche Schulen unter den Geschichtspunkten der Demokratie und gesellschaftlichen Teilhabe, den Schulleistungen und Kompetenzen sowie den Aspekten der Steuerung, Finanzierung und des Wettbewerbs genauer betrachtet. Auffällig ist hier die Präsenz des demokratischen Schulkonzepts, welchem in diesem Band gleich drei Beiträge gewidmet werden, denn dieses kleine und zudem sehr spezielle Segment der reformpädagogisch arbeitenden Privatschulen ist weder in Deutschland noch international weit verbreitet. Den Abschluss des Buches gestalten Anna Schütz und Till-Sebastian Idel mit einem schultheoretischen Kommentar zum Verhältnis öffentlicher und privater Schulen.
Positiv ist vor allem die Vielfalt der Beiträge zu bewerten, wodurch sich dieser Band als aktuelles Einstiegswerk in die Thematik Privatschulforschung als nützlich erweist und damit – wie von den Herausgebern gewünscht – die Grundlage für weitere Kontroversen und Perspektiven darstellen kann. Jedoch muss betont werden, dass das Rad hier nicht neu erfunden wird: Ähnliche Informationen sind schon in anderen Publikationen wie etwa dem bereits erwähnten Sammelband von Ullrich und Strunk oder dem Thementeil Privatschulen in der Zeitschrift für Pädagogik zu finden [3], weshalb dieser Band nur wenige neue Erkenntnisse zur Privatschulforschung beitragen kann. Zudem wurden einige der Beiträge bereits an anderer Stelle publiziert (so z.B. die Beiträge von Walford, der OECD oder Klein) und nur um einige aktuelle Zahlen erweitert. Des Weiteren stellt der Großteil der Texte lediglich eine programmatische Beschreibung verschiedener Aspekte der Privatschullandschaft dar, deren empirische Überprüfung bislang nur unzureichend erfolgt ist. Statt gesicherter wissenschaftlicher Ergebnisse zeigt dieser Band daher eher Forschungsdesiderate auf.
Eines dieser Forschungsdesiderate zu schließen ist das Ziel der PERLE-Studie, deren erste Ergebnisse in dem Buch „Persönlichkeits- und Lernentwicklung an staatlichen und privaten Grundschulen“ von Frank Lipowsky, Gabriele Faust und Claudia Kastens dargestellt werden. Die längsschnittlich angelegte Studie erhebt die Persönlichkeits- und Lernentwicklung von Grundschulkindern vom Schuleintritt bis zum Wechsel in die Sekundarschule, wobei in diesem Band nur auf die Ergebnisse bis zum Ende der zweiten Klasse eingegangen wird. Bei der PERLE-Studie handelt es sich um ein quasiexperimentelles Design aus klassischen Leistungstests und Fragebögen, mit welchen Eltern, Lehrkräfte und natürlich die Schülerinnen und Schüler befragt wurden. Ziel ist, neben einem Beitrag zur allgemeinen Grundschulforschung und Kompetenzentwicklung, vor allem der Vergleich von öffentlichen und privaten Grundschulen. Einschränkend sei erwähnt, dass der im Titel des Buches angeführte Vergleich von staatlichen und privaten Grundschulen mehr verspricht als er hält: So wird aus dem heterogenen Feld der Privatschulen nur ein einzelner Schultyp – die BIP-Kreativitätsschulen – herausgegriffen. Dieser, das heterogene Feld der Privatschulen nur bedingt repräsentierende Schultyp, zeichnet sich durch ein pädagogisches Konzept aus, dessen Ziel eine „umfassende Förderung der Begabung, der Intelligenz und der Persönlichkeit der Schüler“ (18) ist, was v.a. durch verstärkte Angebote im kreativen Bereich erreicht werden soll. Zur Überprüfung der Zusammenhänge und Entwicklung des Selbstkonzepts, der Kompetenzen in Mathematik, Lesen und Schreiben sowie – aufgrund des speziellen Konzepts der BIP-Schulen – der Kreativität wurde eine Stichprobe aus insgesamt 735 Schülerinnen und Schülern aus 13 staatlichen Schulen in Sachsen sowie 7 BIP-Schulen in Sachsen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen gezogen. Zusätzlich wurden 385 Eltern zu den familiären Lebens- und Lernbedingungen ihrer Kinder und 84 Lehrkräfte zu Aspekten der Handlungskompetenz und persönlichen wie professionellen Merkmalen befragt. Die Unterschiede zwischen den öffentlichen Schulen und den BIP-Schulen werden in den einzelnen Kapiteln anhand der genannten Aspekte beleuchtet, meist auch mit Hinweisen auf die konzeptionellen Besonderheiten der BIP-Schulen. In den Analysen zeigt sich entgegen den Erwartungen der Autoren jedoch kein substantieller Unterschied zwischen der Kompetenzentwicklung der Kinder an öffentlichen bzw. privaten Schulen. Für die familiären Einstellungen sowie die Eigenschaften und Überzeugungen der Lehrkräfte lassen sich zwar je nach Schultyp Differenzen feststellen, jedoch weisen diese keine Zusammenhänge mit der Unterrichtsqualität oder den Schulleistungen auf. Es stellt sich hier jedoch gleichzeitig die Frage, inwieweit die Ergebnisse der BIP-Schulen sich auch auf andere Privatschultypen übertragen lassen. Positiv ist, dass die Autoren dem Design der Stichprobe und des Längsschnitts entsprechende statistische Analyseverfahren auswählen und die verschiedenen Fragestellungen anhand von Mehrebenenanalysen, multivariaten Analysen wie bspw. Strukturgleichungsmodellierungen sowie Korrelations- und Varianzanalysen beantworten, was im Bereich der Privatschulforschung bislang eher eine Seltenheit ist – die meisten Studien kommen hier über einfache univariate Analysen nicht hinaus. Leider wurde bei den Interpretationen oft vergessen, dass es sich auch bei den öffentlichen Grundschulen um eine positiv selektierte Stichprobe handelt (vgl. 135f.), wodurch die Aussagekraft einiger Ergebnisse etwas beeinträchtigt wird. Ebenso wurde übergangen, dass auch die öffentlichen Grundschulen nach einem bestimmten pädagogischen Konzept (z.B. Montessori) oder einem besonderen Schwerpunkt (z.B. Bewegung, Sprachen aber auch Kreativität) arbeiten können, wodurch möglichweise die geringen Unterschiede zwischen den beiden Schultypen erklärbar werden.
Die Untersuchung „Determinanten der Schulwahl“ von Peter Suter widmet sich weniger den Kompetenzen und Leistungen der Schülerinnen und Schüler als vielmehr den elterlichen Motiven der Schulwahl, die im Rahmen von Rational-Choice-Ansätzen und Bourdieus Habitus-Theorie verortet werden. Hierfür werden öffentliche und private Grundschulen in der Schweiz verglichen, wobei primär die Gruppe der internationalen und bilingualen Schulen im Fokus steht. Leider ist auch hier die Auswahl der Schulen – v.a. die der Privatschulen – problematisch: So finden sich in der Stichprobe nur drei private Schulen, davon zwei internationale und eine reformpädagogisch Schule, wobei bei letzterer nur 4 Elterninterviews durchgeführt werden konnten. Als Grundgesamtheit wurden alle Eltern des Bezirks Höfe herangezogen. Dieser Bezirk zeichnet sich v.a. als Steuerparadies für Besserverdienende und hochgebildete Zuwanderer aus und liegt bzgl. des sozio-ökonomischen Status auch für die Schweiz weit über dem Durchschnitt, weshalb die Stichprobe nicht als repräsentativ angesehen werden kann. Insgesamt wurden 138 Interviews realisiert, wobei sich die Eltern recht gleichmäßig auf öffentliche und private Schulen verteilen. Aufgrund der Verzerrung der Stichprobe können die theoretischen Annahmen und Überprüfungen auch nur bedingt bestätigt werden bzw. erfordern eine vorsichtige Interpretation. So erklärt der sozio-ökonomische Hintergrund der Eltern die Schulwahl weit weniger Varianz als erwartet. Als wichtige Determinante für die Wahl einer Grundschule erweist sich die Schulqualität, wobei hier keine Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Schulen zu konstatieren waren. Wichtige Faktoren der Schulwahl, die auch Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Schulen aufzeigen, sind Betreuungsangebote sowie die Länge des Schulwegs. Keine Zusammenhänge konnten zwischen der elterlichen Schulzufriedenheit und der Schulwahl festgestellt werden. Die größte Abweichung zwischen den privaten und öffentlichen Schulen liegt bzgl. der persönlichen, soziokulturellen und ökonomischen Belange der Familien vor: So sind typische Privatschuleltern in der Schweiz eher „international mobile Ausländer mit einem überdurchschnittlich hohen sozioökonomischen Status“ (151), was möglicherweise ungleichheitsfördernde Segregationsmechanismen zu Folge haben kann. Hier sei jedoch nochmals auf die starke Verzerrung der Stichprobe hingewiesen.
Insgesamt zeigen die hier vorgestellten Bände abermals die desolate Forschungslage bzgl. der Privatschulen auf. Zwar ist mit den Publikationen aus der PERLE-Studie und der Untersuchung von Suter in der Schweiz ein Schritt in die richtige Richtung getan – der empirischen Überprüfung der bereits mehrfach aufgestellten Forschungsdesiderate. Jedoch können aufgrund der Stichproben und der Auswahl der Privatschultypen nur Ergebnisse dargestellt werden, die für einzelne Subgruppen gelten und schwer übertragbar oder generalisierbar sind. Die bereits mehrfach mit den Schlagworten „Schattendasein“ [siehe 3] oder „terra incognita“ [4] beschriebene Privatschulforschung kann trotz der Aktualität und dem zunehmenden Anstieg der wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema bislang nur wenig Licht ins Dunkle bringen.
[1] Vgl. die Sammelrezension Privatschulen von Thomas Koinzer in der EWR (http://www.klinkhardt.de/ewr/978353118230.html)
[2] Ullrich, H. & Strunck, S. (Hrsg.) (2012): Private Schulen in Deutschland: Entwicklungen – Profile – Kontroversen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
[3] Cortina, K.S., Leschinsky, A. & Koinzer, T. (Hrsg.) (2009): Thementeil: Privatschulen. Zeitschrift für Pädagogik, 55 (5).
[4] Pieroth, B. & Barczak, T. (2012): Die Freien Schulen in der Standortkonkurrenz: Die Verfassungswidrigkeit der Versagung der Genehmigung von privaten Ersatzschulen bei Bestandsgefährdung von öffentlichen Schulen. In H. Avenarius, B. Pieroth & T. Barczak (Hrsg.): Die Herausforderung des öffentlichen Schulwesens durch private Schulen - eine Kontroverse. Die Freien Schulen in der Standortkonkurrenz (Studien zum Schul- und Bildungsrecht). Baden-Baden: Nomos. 75
EWR 13 (2014), Nr. 1 (Januar/Februar)
Sammelrezension öffentliche und private Schulen im Vergleich
Privatschulen versus staatliche Schulen
Wiesbaden: Springer VS 2013
(305 S.; ISBN 978-3-531-18199-8; 39,99 EUR)
Persönlichkeits- und Lernentwicklung an staatlichen und privaten Grundschulen
Ergebnisse der PERLE-Studie zu den ersten beiden Schuljahren
MĂĽnster, New York, MĂĽnchen, Berlin: Waxmann 2013
(200 S.; ISBN 978-3-8309-2826-3; 29,90 EUR)
Determinanten der Schulwahl
Elterliche Motive fĂĽr oder gegen Privatschulen
Wiesbaden: Springer VS 2012
(200 S.; ISBN 978-3-531-19728-9; 34,95 EUR)
Tanja Mayer (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Tanja Mayer: Rezension von: GĂĽrlevik, Aydin / Palentien, Christian / Heyer, Robert (Hg.): Privatschulen versus staatliche Schulen. Wiesbaden: Springer VS 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353118199.html
Tanja Mayer: Rezension von: GĂĽrlevik, Aydin / Palentien, Christian / Heyer, Robert (Hg.): Privatschulen versus staatliche Schulen. Wiesbaden: Springer VS 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 1 (Veröffentlicht am 05.02.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353118199.html