Die Dissertation von Ebru Tepecik verfolgt den Anspruch, einen Gegendiskurs zu einem „gesellschaftlichen defizitorientierten Diskurs hinsichtlich der Bildungssituation von Migrantenkindern und -jugendlichen in Deutschland“ (31) zu bilden. Hierfür richtet Tepecik den Blick auf bildungserfolgreiche Migrantinnen und Migranten türkischer Herkunft der zweiten Generation.
Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht die Frage nach den konstituierenden Merkmalen des Bildungserfolges der oben genannten Untersuchungsgruppe. Tepecik fragt nach biografischen Erfahrungs-, Verarbeitungs- und Handlungsmustern von bildungserfolgreichen Migrantinnen und Migranten, die sie im Verlauf ihrer Bildungslaufbahn entwickelt haben. Die Autorin führte 15 biografisch-narrative Interviews mit Studierenden und Absolventinnen sowie Absolventen türkischer Herkunft, die ihre Schullaufbahn in Deutschland absolvierten. Neben dem Interesse, die Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen des Bildungserfolges aufzudecken, fokussiert Tepecik mit ihrer Studie auch die biografische Verarbeitung von Barrieren und Diskontinuitäten im Bildungsverlauf der Befragten. Mit einem rekonstruktiv-interpretativ angelegten Ansatz will Tepecik der Fragestellung ihrer Dissertation gerecht werden. Im Gesamtkontext der Biografien sowie der Handlungsgeschichte der Subjekte wird der Bildungserfolg ausgehend von einer biografietheoretischen Perspektive nachvollzogen.
Im ersten Kapitel erläutert die Autorin ihre Forschungsmotivation, die Fragestellung sowie die Zielsetzung ihrer Arbeit. Hier betont sie ihre eigene Ambition, einen überwiegend defizitorientierten Blick auf Migrantinnen und Migranten durch einen Perspektivwechsel auf bildungserfolgreiche Migrantinnen und Migranten verschieben zu wollen. Ziel sei es, (1.) bildungspolitische und gesellschaftliche Diskussionen zu verändern sowie (2.) die Schul- und Bildungsforschung um Grundlagen zu erweitern, die die Bildungssituation von Migrantenkindern positiv beeinflussen.
Anschließend skizziert sie die Geschichte der Arbeitsmigration aus der Türkei sowie die Lebens- und Arbeitssituation der ersten Generation von Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Bereits hier werden die Familie und die ethnische Community als wichtige Ressourcen betont, um sich mit eher ungünstigen Bedingungen im Zuwanderungsland zu arrangieren.
Im dritten und vierten Teil werden die Bildungssituation von Migrantenkindern und -jugendlichen sowie die Entwicklung der Studierenden mit Migrationshintergrund im Hochschulbereich erläutert. Zu Beginn wird sich mit der Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Forschung im Bereich von Migration und Bildung befasst. Anschließend setzt sich die Autorin kritisch mit bestehenden Ansätzen auseinander, die „die kulturellen Differenzen als Unterscheidungskriterium zwischen MigrantInnen und der Mehrheitsbevölkerung als Grundlage“ (31) nehmen sowie denen, die die positiven kulturellen Differenzen betonen. Als maßgebliches Argument für ihre Kritik führt sie an, dass die Kultur als Unterscheidungsmerkmal bei diesen Konzepten fortgeschrieben wird und daher dominant bleibt. Sie selbst ordnet ihre Dissertation auf der Ebene eines theoretisch-methodischen Ansatzes ein. Daran anschließend verdeutlicht Tepecik ihre biografisch-theoretische Forschungshaltung, die „die theoretischen Annahmen über die gesellschaftliche Bedeutung und Relevanz von Biographie zu Grunde legt“ (49).
Methodisch werden die Interviewdaten mittels der Grounded Theory ausgewertet und biografische Fallrekonstruktion für die Datenanalyse erstellt, die ausführlich in Kapitel 5 beschrieben werden. Die Falldarstellungen in Kapitel 6 stellen den Kern der Dissertation dar. Vier mittels eines kontrastiven Vergleichs ausgewählte Globalanalysen werden als ausführliche Fallrekonstruktionen dargestellt. Dieser strukturierte sowie umfangreiche Teil gibt dank zahlreicher Interviewpassagen einen interessanten Einblick in die Gegenwartsperspektive der vier Biografien. Zudem erleichtert der Fokus auf bildungs- und handlungsrelevante Ressourcen den reflexiven Nachvollzug und die Einordnung der jeweiligen Fallgeschichte. Die Falldarstellungen sowie analytischen Erkenntnisse aus fünf weiteren Interviews werden im siebten Kapitel kontrastiert, „um eine übergreifende und verallgemeinernde Darstellung der empirischen Ergebnisse zu leisten“ (257). So stelle eine positive Haltung gegenüber Bildung in den Familien bei allen Befragten ein wesentliches Merkmal des Lebens- und Bildungsweges der erfolgreichen Migrantinnen und Migranten dar. Innerhalb ausführlicher Beschreibungen bezieht die Autorin die Analyseergebnisse so mit ein, dass sie gut nachvollziehbar werden. Thematisch geht sie hier auch auf die biografischen Erfahrungen von Differenz und Diskriminierung sowie außerfamiliale Ressourcen und Einflüsse ein. In der folgenden theoretischen Diskussion der forschungsrelevanten Ergebnisse stützt sich die Autorin auf die Kapitaltheorie Pierre Bourdieus. Tepecik nimmt in „Anlehnung an das Konzept des inkorporierten kulturellen Kapitals“ eine weitere Differenzierung „in Form einer konkreten Bestimmung und Identifikation der migrantenspezifischen bildungsrelevanten Ressourcen“ vor (304). Nach Tepecik haben diese ihren Schwerpunkt „in einem positiven Bildungsbewusstsein und einem tradiertem Bildungsbestreben“ (ebd.). Zum Ende dieser Ergebnisdarstellung weist sie nochmals darauf hin, dass die biografischen Ressourcen in einem „Gesamtrahmen und in der Wechselwirkung zum Handeln der erfolgreichen Migranten und Migrantinnen zu betrachten“ sind (305).
Abschließend formuliert Tepecik für den schulpädagogischen Bereich die Forderung, sich um eine differenziertere Sichtweise auf die Familien der zweiten und dritten Generation zu bemühen und die „spezifischen Bedürfnisse und Unterstützungsmöglichkeiten der Migrantenkinder und ihrer Familien“ (308) zu berücksichtigen. So verweist sie auf den wichtigen Aspekt der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die den bildungserfolgreichen Migrantinnen und Migranten freilich nicht immer den Zugang zu gesellschaftlichen Gütern der Mehrheitsgesellschaft gewährleisten.
Die umfangreiche Studie leistet einen wichtigen Beitrag für die Migrations- und Bildungsforschung. Tepeciks Perspektive sowie diejenige der von ihr Interviewten auf die Ressourcen von Migrantinnen und Migranten türkischer Herkunft eröffnen sowohl für die Wissenschaft, die Institutionen als auch für die Politik vielfältige Handlungsansätze, die es weiter auszudifferenzieren, auszuprobieren als auch zu entwickeln gilt. Die Dissertation kann für Migrations-, Bildungs- sowie Sozialisationsforscherinnen und -forscher von Interesse sein. Für Pädagoginnen und Pädagogen, Lehrkräfte sowie andere Fachkräfte, die im Migrationsbereich tätig sind, dürften vor allem das zweite Kapitel über die Migrationsgeschichte, den Lebenshintergrund und die Bildungssituation der zweiten Generation türkischer Herkunft, die Falldarstellungen sowie die kontrastive und fallübergreifende Ergebnisdarstellung lesenswert sein.
EWR 11 (2012), Nr. 3 (Mai/Juni)
Bildungserfolge mit Migrationshintergrund
Biographien bildungserfolgreicher MigrantInnen türkischer Herkunft
Wiesbaden: VS Verlag 2011
(327 S.; ISBN 978-3-531-17657-4; 49,95 EUR)
Souheila Othmani (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Souheila Othmani: Rezension von: Tepecik, Ebru: Bildungserfolge mit Migrationshintergrund, Biographien bildungserfolgreicher MigrantInnen türkischer Herkunft. Wiesbaden: VS Verlag 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353117657.html
Souheila Othmani: Rezension von: Tepecik, Ebru: Bildungserfolge mit Migrationshintergrund, Biographien bildungserfolgreicher MigrantInnen türkischer Herkunft. Wiesbaden: VS Verlag 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353117657.html