Mit zahlreichen Publikationen, Festschriften, Qualifizierungsarbeiten und Sammelbänden sind in den vergangenen Jahren in der Erwachsenenbildungswissenschaft Fragen der Steuerung und Organisation von Weiterbildung adressiert worden. Auch die Gründung einer Arbeitsgruppe Organisationspädagogik innerhalb der Sektion Erwachsenenbildung der DGfE zeigt, dass organisationsbezogene Fragen für die Disziplin- und Professionsentwicklung der Erwachsenenbildung für zunehmend wichtig erachtet werden. Die Herausgeber des Sammelbandes „Erwachsenenpädagogische Organisationsforschung“ zielen darauf, die entwickelten „theoretischen und empirischen Wirklichkeitszugänge erwachsenenpädagogischer Organisationsforschung in einer groben Struktur zusammenzuführen“ (16), ohne dass der von ihnen gewählte Systematisierungsvorschlag die entfaltete Heterogenität der Zugänge und Ansätze einengen soll. Die disziplinäre Weite organisationsbezogener Erwachsenenbildungsforschung ist mit den versammelten Beiträgen nicht ausgeschöpft. Dies ergibt sich bereits aus dem Hinweis des Herausgeberteams (Karin Dollhausen, Timm C. Feld, Wolfgang Seitter) darauf, dass die hier vorgestellten Arbeiten primär aus Kooperationszusammenhängen zwischen der Philipps Universität Marburg und dem DIE entstanden sind.
In seinem Geleitwort konstatiert Harm Kuper, dass mit der intensiveren Auseinandersetzung mit Organisationstheorien für die Weiterbildung keine grundlegend neuen Betrachtungsweisen verbunden seien. Vielmehr werde eine „Reformulierung recht beständiger Themenstellungen“ (5) vorgenommen, die auf veränderte Ausgangslagen der Weiterbildungspraxis Bezug nehmen. Mit dem vorliegenden Band werde das Themenfeld „Organisationen als Ausgangspunkte individueller Qualifizierung und Bildung sowie als Form der Institutionalisierung professionalisierter Weiterbildung und lebenslangen Lernens – in einer bislang nicht erreichten Tiefe und Weite“ (6) ausgelotet. Dies macht zunächst einmal neugierig und gespannt auf die folgenden Beiträge. Und um die Bilanz der Lektüre gleich vorweg zu nehmen: die versammelten Beiträge sind in ihrem Perspektivenreichtum anregend; die geleisteten theoretischen Fundierungen und empirischen Erträge sind ein Gewinn für den Erwachsenenbildungsdiskurs. Am Ende bleibt aber auch etwas Ratlosigkeit – nicht hinsichtlich der Frage, ob die Erwachsenenbildungswissenschaft Organisationsforschung betreiben sollte, sondern bezüglich der Frage nach einer erwachsenenbildungswissenschaftlichen Zugangsweise zur Organisationsforschung und ihrer gegenstandskonstitutiven Wirkung.
Für das Herausgeberteam steht die Frage, „wie Weiterbildungsorganisationen zur Gewährleistung ihrer pädagogischen Funktion ihre internen Strukturen und Prozesse anlegen“ (15) und ihre Gestaltungsspielräume ausprägen im Zentrum des erwachsenenpädagogischen Interesses. Eine substanzielle Bestimmung des „Pädagogischen“ von einem universalistischen Standpunkt aus würde zurück zu überwundenen Dichotomien und Dualismen führen. Jedoch könnte – und dies durchaus im Sinne des Herausgeberteams – gerade in dieser jeweiligen Verhältnisbestimmung ein spezifisches erwachsenenbildungswissenschaftliches Erkenntnispotenzial liegen. Die Differenz zwischen Weiterbildung als Organisation und Institution wäre dabei als analytische Grundlegung selbstverständlich durchzuhalten. Die Beiträge des Bandes reflektieren die Interdependenz zwischen Organisationsstruktur und einer je zu bestimmenden pädagogische Leistung vor dem Hintergrund der entfalteten pluralen Konstitution von Weiterbildungspraxis auf höchst unterschiedliche Weise und Intensität.
Der Sammelband ist in drei Teile gegliedert, die mit „Durchblick“, „Einblick“ und „Ausblick“ überschrieben sind. Dies strukturiert den Sammelband stilistisch einprägsam und systematisch grob. Für den „Durchblick: Theorien und Modelle“ (Teil 1) sorgen vier Beiträge, die entwickelte Zugänge und Modelle der Organisationstheorie umreißen. Grundlegende Orientierung stiftet der Aufsatz von Stefanie Hartz und Vanessa Schardt, die unterschiedliche Bearbeitungsweisen des Themas Organisation in Theorie und Forschung der Erwachsenenbildung bilanzieren und systematisieren. Organisationstheoretische Ansätze reichen von der Systemtheorie über den Neo-Institutionalismus, handlungstheoretischen Ansätze, vom Ansatz der Organisationskultur und der losen Koppelung bis zum Bürokratiemodell. Entsprechend zeigen die referierten analytischen Zugänge eine große Bandbreite. Daneben monieren die Autorinnen, dass viele Forschungsarbeiten in der Erwachsenenbildung keine Explikation der organisationstheoretischen Grundannahmen vornähmen und fordern „Anschlüsse zu den etablierten Organisationstheorien systematisch herzustellen“ (38). Timm C. Feld betrachtet organisationalen Wandel als Thema der Erwachsenenbildung, wobei in seinem Beitrag die Begriffsdoppelung von Erwachsenenbildung als Wissenschaft und als Handlungsfeld virulent wird. Im dritten Beitrag stellen Jörg Schwarz und Susanne Maria Weber die Frage nach der Zukunft erwachsenenbildungswissenschaftlicher Netzwerkforschung. Sie gehen interorganisationalen Netzwerken in der Erwachsenenbildung nach. Damit werden Erkenntnisse und Forschungserträge aus dem Förderprogramm lernende Regionen unter organisationstheoretischer Perspektive bilanziert. Im abschließenden Beitrag des ersten Teils gibt Karin Dollhausen einen Überblick über die Bandbreite der in der Organisationsforschung einsetzbaren empirischen Zugänge und Methoden.
Acht weitere Beiträge umfasst der zweite Teil, welcher Einblick in die entfaltete Pluralität der Perspektiven, theoretischen Modelle, Ansätze erwachsenenpädagogische Organisationsforschung in den Konkretisierungen empirischer Forschungsprojekte gibt. Dörthe Herbrechter und Michael Schemmann ermitteln Organisationstypen der Weiterbildung unter Zuhilfenahme des Theoriegerüsts des Neo-Institutionalismus. Auf der Basis einer Erhebung in Hessen und mittels Clusteranalyse definieren sie vier Typen von Organisationen, die über übliche Grenzziehungen hinausgehen. Christina Müller und Wiltrud Gieseke zeichnen mittels diskursiver Felderschließung den Prozess der Strukturbildung für Bildungsberatung in den Lernenden Regionen nach. Regine Mickler und Wolfgang Seitter wiederum begreifen Netzwerke und Netzwerkmanagement als Möglichkeit das Fluide von Organisation und das Schematische von Profession aus dem toten Winkel ihrer erwachsenenpädagogischen Thematisierung zu führen. Carola Iller und Elisabeth Kamrad fragen nach intendierten und nicht intendierten Wirkungen von bildungspolitischen Förderprogrammen, die sie mittels einer Sekundäranalyse von Längsschnittdaten aus einem Modellprojekt aufdecken. Steuerung ist für Klaus Harney und Sascha Koch „der Zugriff von Organisationen auf andere Organisationen“ (197). Die Autoren werten Adressatenmerkmale von Kollegiaten des Zweiten Bildungswegs mit Blick auf steuerungstheoretische Überlegungen aus. Demnach hat sich der Diskurs über den Zweiten Bildungsweg, der früher als Prozess der Erwachsenenbildung lanciert wurde heute stärker an das Berechtigungswesen angekoppelt. Steffi Robak fragt nach den Rahmenbedingungen der Institutionalisierung von interkulturellen Bildungsangeboten, ihren organisatorischen Einbindungen und Organisationsformen in Unternehmen. Da sie keinen systematischen Ort für diese Bildungsangebote begründen kann, greift sie auf den Begriff der „beigeordneten Bildung“ zurück und füllt damit (provisorisch) die analytische Leerstelle im Erwachsenenbildungsdiskurs. Zu den Schlüsselaufgaben von Weiterbildungseinrichtungen gehört die Programmplanung. Anette Gerhard interessiert der Prozess des Zustandekommens von Programmplanungen unter der Bedingung divergenter Umweltanforderungen. Ihre Fallstudie kennzeichnet eine möglichkeitsorientierte Planungskultur. Auf das zentrale Thema Organisation und Profession geht schließlich Detlef Behrmann mit seiner Analyse pädagogischen Handelns im Rahmen betrieblicher Berufsbildung ein. In Interviews und mithilfe einer Gruppendiskussion rekonstruiert er das Verhältnis von Bildung organisieren und Organisation von Bildung.
Der „Ausblick“ des dritten Buchteils soll Entwicklungen und Perspektiven aufzeigen. Michael Göhlich konkretisiert hier das Spezifikum pädagogischer Organisationsforschung als empirisches Fragen nach „der Behinderung und Förderung des organisationalen Lernens“ (278) gerade auch in der Ausprägung eines „mustermimentische[n] Lernens“ (279). Seine Literatur und Projektsichtung ist auf Trends der Organisationsforschung in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung gerichtet. Forschungsbedarfe diagnostiziert er sowohl in methodischer wie auch in inhaltlicher Hinsicht.
Ortfried Schäffters Forschungsprogramm zielt auf Reflexionen zweiter Ordnung im umfassenden Sinne, die es erlauben „pädagogische Organisation als struktureller Bestandteil einer gesellschaftlichen Institutionalisierung von Lernpraktiken“ zu begreifen (293). Organisationspädagogik richtet sich demnach auf Relationierung von „Organisation“ und „Lernen“, welche in der Erziehungswissenschaft unzureichend bestimmt seien und woraus ihre dichotome Fassung resultiere. Die Klärung der Gegenstandsbestimmung durch kulturtheoretische Dekonstruktion und Rekonstruktion von „Organisation“ und „Lernen“ ist für Schäffter Voraussetzung von Einzelanalysen. Sein Modell des organisationalen Feldes dient ihm auch „als universeller Rahmen zur Strukturanalyse von Erwachsenenbildung und beruflicher Weiterbildung“ (311).
Einen Ausblick auf zukünftige hybride Lernwelten entwickelt Richard Stang und schließlich entwirft Felicitas von Küchler eine gesellschaftstheoretische und bildungspolitische Perspektive an. Ihr Beitrag zielt darauf, das in der Heil- und Integrationspädagogik entwickelte Konzept der Inklusion mit einem sozialwissenschaftlichen Verständnis zu verbinden. Ein Interview mit Klaus Meisel in seiner Funktion als Managementdirektor der VHS München schließt den Band ab.
Die Zusammenschau der Beiträge zeigt den breiten thematischen Aufschluss zur erwachsenenpädagogischen Organisationstheorie. Den einfachen Nachvollzug der spezifischen Sprachspiele, die mit erwachsenenpädagogischer Organisationstheorie auch verbunden sind, überschreitend, stiftet der Band zu weiteren theoretischen Reflexionen und Forschungsfragen an. So ist er auch zur kritischen Relektüre zu empfehlen, um in einigen Jahren die Frage zu beantworten, welche gegenstandskonstitutive Wirkung von erwachsenenpädagogischer Organisationsforschung ausgeht.
EWR 10 (2011), Nr. 1 (Januar/Februar)
Erwachsenenpädagogische Organisationsforschung
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2010
(360 S.; ISBN 978-3-5311-7634-5; 39,95 EUR)
Gabriele Molzberger (Wuppertal)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gabriele Molzberger: Rezension von: Dollhausen, Karin / Feld, Timm C. / Seitter, Wolfgang (Hg.): Erwachsenenpädagogische Organisationsforschung. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 1 (Veröffentlicht am 16.02.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353117634.html
Gabriele Molzberger: Rezension von: Dollhausen, Karin / Feld, Timm C. / Seitter, Wolfgang (Hg.): Erwachsenenpädagogische Organisationsforschung. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 1 (Veröffentlicht am 16.02.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353117634.html