EWR 11 (2012), Nr. 4 (Juli/August)

Robert Baar
Allein unter Frauen
Der berufliche Habitus männlicher Grundschullehrer
Wiesbaden: VS Verlag 2010
(419 S.; ISBN 978-3-531-17452-5; 49,95 EUR)
Allein unter Frauen In Grundschulen und Kindergärten trifft man in Deutschland fast nur Frauen an. In dem vorliegenden Buch „Allein unter Frauen. Der berufliche Habitus männlicher Grundschullehrer“ gibt Robert Baar unter Berufung auf das Statistische Bundesamt für das Schuljahr 2006/07 einen Frauenanteil von 87 Prozent an. Er selbst hat für Freiburg im Breisgau einen Frauenanteil von 94 Prozent ermittelt (im Schuljahr 2009/10) und herausgefunden, dass von den wenigen Männern fast die Hälfte in Schulleitungspositionen tätig war.

Nun kann man nach den Ursachen der Feminisierung des Berufs der Grundschullehrkraft fragen, auch danach, ob der hohe Frauenanteil eigentlich ein Problem darstellt und wie sich die wenigen Männer in diesem Beruf selbst sehen. Letzteres, nämlich der berufliche Habitus männlicher Grundschullehrer, bildet den Schwerpunkt der Dissertation von Robert Baar. Diese widmet sich dem Thema aus der Perspektive der Geschlechterforschung, speziell der Männerforschung. In Abgrenzung von einer differenztheoretischen Position, nach der es personale Identität außerhalb des Geschlechts in unserer zweigeschlechtlichen Kultur nicht geben kann, arbeitet Baar mit einem „geschlechterbezogenen“ Ansatz, der zwar Geschlecht als elementare Ordnungskategorie begreift, aber nach geschlechtsinternen Differenzierungen fragt (23).

Die Fragestellung greift auf drei theoretische Konzepte zurück und versucht diese miteinander zu verbinden. Von Bourdieu übernimmt Baar den Habitusbegriff. Er betont dabei vor allem die bei Bourdieu angedeutete Bedeutung einer kulturell erzeugten Geschlechtsdifferenz. Sozialstrukturelle Dimensionen werden entlang der Frage nach dem Alter und dem Herkunftsmilieu erfasst. Ebenfalls auf Bourdieu geht der Aspekt der Anerkennung der männlichen Grundschullehrer durch andere Männer sowie durch ihre Kolleginnen zurück.

Von dem australischen Soziologen Connell übernimmt Baar dessen Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“. Gemeint ist damit jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis, die die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet oder gewährleisten soll. Da die Konfiguration an gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen gebunden ist, ändert sie sich auch. Dies erlaubt Baar nach Veränderungen zu fragen und damit statt von „Männlichkeit“ von „Männlichkeiten“ zu sprechen.

Aus der Verbindung beider Theorien ergibt sich ein bestimmter Typ von Männlichkeit als Legitimationsmuster, mit dem die eigene Hegemonie verteidigt werden soll. Zum einen gegenüber den anderen Männern, die Grundschullehrern, die ja in einem gegengeschlechtlichen Beruf tätig sind, zumindest tendenziell Männlichkeit absprechen, und zum anderen gegenüber den Kolleginnen mit dem Ziel, trotz des eigenen Minderheitenstatus einen Anspruch auf Autorität geltend zu machen.

Anschließend an Meuser, der selbst versucht hat, die beiden genannten Konzepte zu verknüpfen, stellt Baar die Frage nach „habitueller Sicherheit“ in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Ausgehend von der These, „dass traditionale Geschlechterverhältnisse mehr und mehr aufbrechen“ (46) forscht Baar nach Anzeichen einer habituellen Verunsicherung männlicher Grundschullehrer.

Baar fragt nach den Interaktionen, die Repräsentanten bestimmter Strukturen sind, und umgekehrt, inwieweit die Interaktionen die Strukturen verändern. Tatsache ist, dass männliche Grundschullehrer in einer von Männern dominierten Kultur in einem Beruf arbeiten, der überwiegend von Frauen ausgeübt wird. Dies erzeugt einen Rechtfertigungsdruck und die Frage, wie die Lehrer damit umgehen.

Als Verfahren der Datenerhebung wurde das problemzentrierte Interview verwendet. Befragt wurden elf Grundschullehrer. Als Auswertungsverfahren wählt Baar die dokumentarische Methode nach Bohnsack. Gemeint ist der Dreischritt von formulierender Interpretation, reflektierender Interpretation und Diskursbeschreibung. Dies wird ergänzt durch eine komparative Analyse und Typenbildung, die Erfahrungsräume, wie etwa das Alter, berücksichtigen soll.

Am Schluss des Kapitels, in dem die einzelnen Fallgeschichten kontrastiert werden, entwickelt Baar eine Typologie. Ihr Kern ist die Konstruktion von Männlichkeit: „Es kann gezeigt werden, dass die Konstruktion von Männlichkeit den beruflichen Habitus aller Interviewpartner entscheidend beeinflusst“ (367). Andere Vergleichshorizonte, wie die Berufswahlmotivation, die Schulgröße sowie ein Stadt-/Land-Gefälle, werden eher ausgeschlossen.

Dem entscheidenden Ergebnis des Autors ist kaum zu widersprechen. Es lautet, dass zehn von elf der interviewten Lehrer nicht in der Lage sind, ihre eigenen Männlichkeitskonstruktionen als Konstruktionen zu verstehen und von daher auch überprüfen zu können. Baar schreibt: „Der Nicht-reflexive Typ kommt gar nicht erst auf die Idee, dass bestimmte geschlechtsspezifische Zuschreibungen auf Konstruktionen beruhen oder einer Reflexion bedürfen. Er, der sich in einer bipolaren Geschlechterwelt verortet, beteiligt sich stattdessen in nahezu jeder Interaktion daran, die essentialistisch verstandene Differenz zwischen Männern und Frauen zu reproduzieren. Geschlecht gilt als Regulativ für alle Interaktionen innerhalb des Feldes Schule“ (386).

Methodologisch lässt sich hier fragen, ob nicht eine Frageweise, die sich an Einstellungen und an Erzählungen über die eigene Biografie orientiert und damit das eigentliche Thema nicht zu erkennen gibt, notwendig dazu führen muss, dass nicht die zuvor aufgestellten Kategorien eine Rolle spielen, sondern andere, neu zu entwickelnde. Männlichkeitskonstruktionen oder Reflexivität sind Kategorien, die aus dem Material geschlossen werden, letztlich, um es plausibel zu machen. Baar bezieht den Begriff der Reflexivität allein auf die Fähigkeit, über die eigene Geschlechtszugehörigkeit zu reflektieren. Man kann diesen Begriff auch anders wenden und Reflexivität im Sinne von Professionalität verstehen als die Fähigkeit, in einem paradoxen Feld eine eigenständige und begründete Position zu entwickeln.

Robert Baar kommt in seinem Resümee zu der These, die auch in der entsprechenden Kapitelüberschrift „Entdramatisierung durch Dramatisierung von Geschlecht“ enthalten ist, dass es vor allem notwendig sei, „schon Lehramtsstudierenden Genderkompetenz zu vermitteln“ (399). Unter Genderkompetenz versteht Baar die Fähigkeit, „in Verhalten und Einstellungen von Frauen und Männern sowie Mädchen und Jungen soziale Konstruktionen zu erkennen“ (ebd.). Der Autor argumentiert aus dieser Überlegung heraus gegen den wissenschaftlich nicht begründeten Ruf nach mehr Männern in der Grundschule. Er beschreibt den „medial inszenierten Diskurs um die angeblich fatalen Auswirkungen fehlender Männer im Bildungs- und Erziehungsbereich“ als kontraproduktiv. Denn er biete den Grundschullehrern eine Steilvorlage, um Hegemonieansprüche geltend zu machen. (398). Ich teile hier die Kritik Robert Baars, denn es ist meines Erachtens nicht fehlende Männlichkeit als Eigenschaft von Personen das Problem, sondern es sind Strukturen, das heißt gesellschaftliche Lösungen von Problemen, die für die Individuen nur bestimmte Handlungsoptionen zulassen oder nahe legen.

Darin liegt allerdings auch das Problem des Buches, dass es diesen zu wenig folgt. Dies wird besonders deutlich an einem Aspekt der Debatte, wo Robert Baar sich wirklich irrt. Er attestiert Grundschullehrern und Gymnasiallehrern ein ähnliches Berufsbild. Es gibt eine Vielzahl von historischen und systematischen Belegen dafür, dass diese These nicht zutreffend ist. Die Geschichte des Volksschullehrers und die des Gymnasiallehrers sind völlig unterschiedliche; ebenso das Selbstverständnis – abgesehen von der Bezahlung und dem Anteil an Frauen und Männern. Wer einmal den Alltag am Ende des vierten Schuljahres der Grundschule mit dem des 5. Schuljahres in einer weiterführenden Schule vergleicht – also die Praxis und die Erwartungen an die Schülerinnen und Schüler – findet dafür kaum eine pädagogische Erklärung und eben nur eine historische oder soziologische. Das Studium des Lehramtes für die Grundschule ist in der Regel so organisiert, dass die Studierenden nicht vor die Anforderung gestellt werden, über sich, ihre Geschlechterrolle, ihre politische Aufgabe, über die Widersprüche ihrer Profession etc. nachzudenken. Das schon deshalb nicht, da sie keine Gelegenheit bekommen – im Unterschied zu anderen Studiengängen – sich einmal länger und intensiver mit etwas so zu beschäftigen, dass sie einer von ihnen selbst gestellten Frage auf den Grund gegangen sind. Dafür ist die Kürze des Studiums, die Vielfalt an Fächern und die Oberflächlichkeit der Vermittlung zu groß.

Die Studierenden für ein Lehramt an Grundschulen – und das gilt dann eben auch für die Männer – bekommen aus Sicht des Rezensenten gerade so viel an Wissen und Reflexionsmöglichkeiten, dass sie Kinder erziehen und unterrichten können, aber nicht wirklich gelernt haben, ihre Situation zu reflektieren: Die an Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer gestellten Erwartungen entsprechen zudem offenbar der Höhe ihres Gehaltes. Anders formuliert: „Männlichkeiten“ konkretisieren sich im Kontext bestimmter, zum Beispiel durch den Beruf gegebener, gesellschaftlicher Positionszuschreibungen. Das ist die Kritik an Baar: Man kann den männlichen Habitus von Grundschullehrern nur unzureichend verstehen, wenn man nicht die gesellschaftlichen und kulturellen Ansprüche an den Beruf des Grundschullehrers als Folie hinzu zieht.
Gerold Scholz (Wald-Michelbach)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gerold Scholz: Rezension von: Baar, Robert: Allein unter Frauen, Der berufliche Habitus männlicher Grundschullehrer. Wiesbaden: VS Verlag 2010. In: EWR 11 (2012), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353117452.html