EWR 8 (2009), Nr. 4 (Juli/August)

Cornelia Maier-Gutheil
Zwischen Beratung und Begutachtung
Pädagogische Professionalität in der Existenzgründungsberatung
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009
(272 S.; ISBN 978-3-531-16588-2; 34,90 EUR)
Zwischen Beratung und Begutachtung Am Beispiel der Existenzgründungsberatung analysiert Cornelia Maier-Gutheil ein Handlungsfeld, das pädagogische Tätigkeiten beinhaltet, ohne explizit ein Aufgabenfeld professioneller Pädagog/innen zu sein. Im Anschluss an die These der „entgrenzten Pädagogik“, wie sie von Lüders, Kade und Hornstein (2004) [1] vertreten wird, rekonstruiert die Autorin Handlungen, wie z.B. Vorkenntnisse diagnostizieren oder Wissen vermitteln, die im Rahmen von Beratungsgesprächen eine große Rolle spielen, in diesem Kontext aber nicht als pädagogische Aufgaben deklariert und nicht durchgängig von pädagogischen Professionellen ausgeübt werden.

Bislang standen in der Existenzgründungsforschung Themen und Aufgaben der Beratung im Existenzgründungsprozess im Vordergrund, der tatsächliche Verlauf der Beratung – die Interaktion zwischen Ratsuchenden und Berater/innen – wurde jedoch nicht untersucht. An dieser Forschungslücke setzt die Studie von Cornelia Maier-Gutheil an. Die Basis ihrer empirischen Untersuchung bilden drei Beratungskontexte: eine netzwerkförmige, aus der Frauenbewegung hervorgegangene Bildungs- und Beratungseinrichtung, eine Einrichtung, die Steuerberatung und nebenbei Existenzgründungsberatung anbietet und schließlich eine Einrichtung, die nur Gründungsberatungen durchführt. In diesen Kontexten wurden insgesamt 13 Beratungsgespräche aufgezeichnet und in die Analyse einbezogen.

Unter Beratung versteht die Autorin eine professionelle Dienstleistung, die in einer Face-to-face-Interaktion zwischen mindestens zwei Personen erbracht wird, wobei das Ziel ist, Wissen, Orientierung oder Kompetenz zur Klärung einer Frage oder Lösung eines Problems zu gewinnen. Das konkrete Feld der Existenzgründungsberatung bezeichnet die Autorin – in Anlehnung an die Systematik von Schiersmann/Remmele (2004) [2] – als Subform der Organisationsberatung, genauer als Qualifizierungsberatung (46). Diese Charakterisierung halte ich für nicht zutreffend, denn die Themen der Existenzgründungsberatung beschränken sich nicht auf Qualifizierungsfragen, sondern umfassen die gesamte Unternehmensführung einschließlich der persönlichen und beruflichen Entwicklung der Leitungspersonen. Ich kann der Autorin jedoch insofern zustimmen, als die Einteilung des Beratungsfeldes in personenbezogene und organisationsbezogene Beratung die spezifische Situation von Existenzgründer/innen und Mikrounternehmen nicht hinreichend berücksichtigt. Insofern ist eine eindeutige Verortung dieses Beratungsfeldes in der Beratungslandschaft erschwert.

Eine weitere Besonderheit des Beratungsfeldes ist die Doppelfunktion der Beratung von Begleitung und Unterstützung einerseits, Begutachtung und Prüfung andererseits. Dies gilt im Besonderen für die gewählten Beratungskontexte, da es sich bei den ausgewählten Fällen um eine besondere Form der Existenzgründung – aus der (drohenden) Arbeitslosigkeit heraus – handelt und die Ratsuchenden sich im Prozess der Existenzgründung Wissen aneignen, einen unternehmerischen Habitus entwickeln und ein tragfähiges Gründungskonzept erarbeiten müssen, wofür sie dann – bei einer positiven Begutachtung durch die Berater/innen – auch Zuschüsse erhalten können.

Es ist also nicht abwegig, den Existenzgründungsprozess als einen Lernprozess zu betrachten und Existenzgründungsberatung in diesem Zusammenhang als eine Form der Lernunterstützung zu analysieren. Auch das Spannungsfeld von Beratung und Begutachtung als Zielkonflikt in diesem Prozess hervorzuheben, ist plausibel, wenngleich es nicht in allen Beratungsfeldern relevant ist. Entscheidend ist, dass die verschiedenen Handlungsebenen und die damit verbundenen Anforderungen den Akteur/innen nicht immer bewusst, geschweige denn systematischer Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Berater/innen sind. Gerade deshalb sind Analysen, wie sie Cornelia Maier-Gutheil vorgelegt hat, wichtig.

Die Studie zielt darauf ab, „die performative Ebene des Könnens der beruflichen Akteure“ (58) in den Blick zu nehmen. Dementsprechend ist das forschungsmethodische Vorgehen darauf ausgerichtet, Handlungen bzw. Interaktionen zu analysieren. Im Fall der Beratung – noch dazu in dem beschriebenen Feld – ist dies jedoch äußerst schwierig zu realisieren, da die Präsenz eines Forschers/einer Forscherin sowohl von den Beratenden wie auch von den Beratenen als störend empfunden werden könnte. Zumindest ist es eine Beeinträchtigung der authentischen Interaktion. Um dem Anspruch einer Interaktionsanalyse einerseits und der Reaktivität des Feldes andererseits Rechnung zu tragen, hat die Autorin die Beratungsgespräche von den Beraterinnen auf Tonband aufzeichnen lassen und sie anschließend transkribiert. Genau genommen basiert die Analyse also auf akustisch erfassbaren Handlungen. Dies schmälert aber nicht den Wert der Arbeit, denn wie die Autorin in ihrer Ergebnispräsentation zeigt, lassen sich bereits auf dieser Basis aufschlussreiche Einblicke in authentische Beratungsgespräche gewinnen. Etwas sperrig in der Ergebnispräsentation sind die längeren Zitate aus den Transkripten, die in der Schriftform die Interaktionsdimensionen nochmals reduzieren. Für Außenstehende lässt sich der Gesprächsverlauf auf dieser Basis nur begrenzt nachzuvollziehen.

Das durch den Titel besonders hervorgehobene Spannungsfeld zwischen Beratung und Begutachtung spielt in der Analyse insgesamt nur eine untergeordnete Rolle, wenngleich die Bedeutung für das Zustandekommen der Interaktion und auch für den Verlauf und das Gelingen hoch eingeschätzt wird. Insofern ist die exponierte Erwähnung dieses Zielkonflikts in der Beratung nachvollziehbar.

Im Rahmen der Fallanalysen wird auch ein Vergleich des Vorgehens bei Berater/innen mit pädagogischer Ausbildung und ohne eine solche Ausbildung vorgenommen. Bei aller Entgrenzung und Universalisierung des Pädagogischen ist es beruhigend zu lesen, dass Unterschiede im Vorgehen festzustellen sind: Die Pädagogin berät in einer potenzialorientierten und methodisch abwechslungsreichen Form, während die Nicht-Pädagogin stärker instruiert und den Wissenszuwachs kontrolliert. Im methodologischen Verständnis der Autorin erübrigt sich der Hinweis, dass dieses Ergebnis nicht den Anspruch auf Repräsentativität erhebt, sondern eine Rekonstruktion am Einzelfall darstellt, die den Blick für weitere Forschung in diesem Feld schärfen soll.

Das Buch besteht zu großen Teilen aus detaillierten Beschreibungen und Rekonstruktionen der Interaktion zwischen Beratenden und Ratsuchenden. Zusammenfassungen, Schlussfolgerungen oder Einordnungen der Ergebnisse in den Forschungsstand werden kaum vorgenommen. Um den Ertrag der Analyse nachvollziehen zu können, muss man also in der Präsentation mitgehen und die angebotenen Interpretationen aufgreifen. Nichtsdestotrotz ist das Buch vor allem hinsichtlich des originellen methodischen Vorgehens mit großem Gewinn zu lesen. Für die Professionsforschung im Feld der Beratung und evtl. auch in angrenzenden pädagogischen Tätigkeitsfeldern dürfte darüber hinaus die Identifikation verschiedener Aufgaben und Anforderungen, wie Ermitteln, Vermitteln, Überprüfen, von Bedeutung sein. Diese Tätigkeiten finden innerhalb des Beratungsprozesses statt, werden aber kaum als professionelle Aufgaben wahrgenommen. Vorinformierten Leser/innen liefert das Buch deshalb auch inhaltlich Anregungen in der Professionalitätsdebatte.

[1] Lüders, Christian/Kade, Jochen/Hornstein, Walter (2004): Entgrenzung des Pädagogischen. In: Krüger, Heinz-Hermann/Helsper, Werner (Hrsg.): Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft, 6. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag.

[2] Schiersmann, Christiane/Remmele, Heide (2004): Beratungsfelder in der Weiterbildung – eine empirische Bestandsaufnahme. Baltmannsweiler: Verlag Hohengehren.
Carola Iller (Heidelberg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Carola Iller: Rezension von: Maier-Gutheil, Cornelia: Zwischen Beratung und Begutachtung, Pädagogische Professionalität in der Existenzgründungsberatung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 4 (Veröffentlicht am 31.07.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353116588.html