EWR 10 (2011), Nr. 2 (März/April)

Mouhanad Khorchide
Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft
Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009
(195 S.; ISBN 978-3-531-16493-9; 29,90 EUR)
Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft In seiner Dissertation setzte sich der Islamwissenschaftler und Soziologe Mouhanad Khorchide empirisch mit den Einstellungen der muslimischen ReligionslehrerInnen in Österreich hinsichtlich der Rolle des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen sowie ihrer Einstellungen zu u. a. Rechtsstaatlichkeit, Fanatismus, religiös motivierter Gewalt sowie Geschlechterrollen auseinander.

Der Autor eröffnet mit einer groben Beschreibung der wachsenden muslimischen Präsenz in Europa und greift in diesem Kontext den Wunsch muslimischer Eltern auf, ihre Kinder islamisch zu prägen. Hierbei wird zunächst auf die religiöse Bildungsarbeit in den Koranschulen eingegangen, die aufgrund der dort scheinbar katechistischen Wissensvermittlung mit einem negativen Image behaftet ist. Islamischer Religionsunterricht sei daher in mehreren europäischen Ländern eingeführt worden, um nicht zuletzt auch die religiöse Bildung der muslimischen Kinder staatlich überprüfbarer zu machen, radikalen Kreisen entgegenzutreten und die Integration der muslimischen Kinder zu fördern.

Khorchide stellt heraus, dass der öffentliche islamische Religionsunterricht einer gezielten Kooperation zwischen muslimischer und staatlicher Seite bedarf und verweist auf den wichtigen Unterschied zwischen Deutschland und Österreich: In Deutschland ist der Staat der Veranstalter des Religionsunterrichts, der in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften stattfinden muss. In Österreich wiederum stellt der Staat lediglich die Rahmenbedingungen, Anbieter ist die jeweilige Religionsgemeinschaft selbst. Die Schlussfolgerung sei hieraus, dass in Österreich die „Autonomie“ der Religionsgemeinschaften einerseits mehr Gestaltungsfreiheit für diese bedeute und andererseits mehr Raum für Missbrauch böte. Daher spielen laut Khorchide die ReligionslehrerInnen eine entscheidende Rolle bei der Religionsbildvermittlung, die er folgendermaßen beschreibt: „Das Bild des Islam, das sie den SchülerInnen vermitteln, trägt maßgeblich dazu bei, ob diese jungen Muslime den Islam mit ihrer Lebenswirklichkeit in einer europäischen Gesellschaft vereinbaren können oder ob sie sich vor die Wahl, entweder Muslim oder Europäer zu sein, gestellt sehen“ (17).

Im zweiten Kapitel stellt er gut nachvollziehbar die Problemstellung und das Ziel seiner Dissertation an der Universität Wien dar. Bereits seit dem Schuljahr 1982/1983 findet in Österreich öffentlicher islamischer Religionsunterricht statt. Über lange Zeit hinweg gab es nur wenige ausreichend qualifizierte Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht, so dass diese aus der Türkei oder unter muslimischen Studenten aus überwiegend fachfremden Disziplinen angeworben werden mussten. „Diese Situation erschwerte eine moderne, am Alltagsleben der SchülerInnen orientierte Gestaltung des islamischen RUs“ (19) und führte zu pädagogisch-didaktischen Konflikten mit dem österreichischen Schulsystem sowie zu partiellem Misskredit des islamischen Religionsunterrichts in der Öffentlichkeit.

Ende der neunziger Jahre begann die öffentliche Aus- und Weiterbildung für islamische ReligionslehrerInnen. Khorchide stellt fest, dass ein integrativ wirkender islamischer Religionsunterricht vor allem eine entsprechende Ausbildung der Religionslehrkräfte voraussetze. Aus diesem Grund untersuchte Khorchide in seiner Arbeit die Vorstellungen über die Rolle des Religionsunterrichts, die fachdidaktischen Qualifikationen und die Einstellungen zu rechtsstaatlichen Prinzipien und Geschlechtsrollen von islamischen ReligionslehrerInnen, um durch die Analyse ihrer Vorstellungen und Positionen Erkenntnisse für die Weiterentwicklungsarbeit einer sachgemäßen Ausbildung der islamischen ReligionslehrerInnen zu erhalten.

Nach kurzer Darstellung der überschaubaren Forschung zum islamischen Religionsunterricht in Kapitel 3 und einem auffällig knappen Abriss der Geschichte und Gegenwart islamischer Präsenz in Österreich und Deutschland in Kapitel 4 widmet sich der Autor in Kapitel 5 ebenfalls knapp den rechtlichen Grundlagen des islamischen Religionsunterrichts in beiden Ländern. Die Darstellung der deutschen Verhältnisse bleibt dabei sowohl hinsichtlich ihrer Relevanz als auch ihrer Vergleichbarkeit mit den österreichischen unklar.

In den Ausführungen zu Forschungsdesign und Methode wird erwähnt, dass es sich bei der Arbeit um eine Vollerhebung der islamischen ReligionslehrerInnen in Wien und Niederösterreich handelt. Hierzu wurde durch die Befragung von 18 Lehrkräften mit qualitativen Leitfadeninterviews ein vollstandardisierter Fragebogen erarbeitet. Eine ausführliche Darlegung dieser qualitativen Leitfadengespräche sowie der konkreten Auswertungsmethodik für die Erarbeitung der vollstandardisierten Fragebögen hätten zu einem wünschenswert höheren Grad an methodischer Transparenz beigetragen, insbesondere weil Khorchide schreibt: „Im quantitativen Teil der Studie werden die im qualitativen Teil gesammelten und strukturierten Informationen über die Einstellungen der RL quantifiziert“ (63).

In den standardisierten Befragungsbögen gibt es einige augenscheinliche Schwächen. So wurden – um nur ein Beispiel zu nennen – zur Messung des religiösen Fanatismus lediglich zwei Fragen formuliert. Eine dieser Fragen bezieht sich auf die Rolle des Gebets. Die LehrerInnen werden hierbei gefragt, ob sie der Ansicht seien, dass jemand, der die fünf Pflichtgebete nicht einhält, kein Muslim sei. Diese Frage erscheint in Anbetracht der islamischen Theologie hinsichtlich der fünf Säulen des Islam oder auch gelegentlich selbst erlebter Kontroversen in muslimischen Kreisen als missverständlich und ungeeignet für das Messen von Fanatismus bei der großen Zahl der islamischen ReligionslehrerInnen. Bei einzelnen könnte man hierdurch vielleicht tatsächlich Rückschlüsse zu religiösem Fanatismus ziehen, aber bei der Mehrheit ist dies eher zu bezweifeln.

Hier liegt das Problem der Arbeit Khorchides. Die Fragestellung erscheint vollkommen legitim und sogar notwendig in der breiten Diskussion um die Integration der muslimischen Minderheit in Europa sowie bei der Erarbeitung von diesbezüglichen Handlungskonzepten. Die konkreten Fragen und Aussagen im Fragebogen wirken jedoch teilweise einseitig formuliert und eher verwirrend. Eine ausführliche methodische Kritik zur diskutierten Arbeit fertigte in diesem Kontext Henrik Kreutz auf mehr als zehn Seiten im Newsletter 2/2009 der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie an [1] und kann in Teilen als Grundlage für methodische Auseinandersetzungen mit dieser Arbeit empfohlen werden.

Anzuerkennen ist, bei allen methodischen Schwächen, die Leistung dieser in Österreich entstandenen und längst überfälligen Forschungsarbeit. Obwohl das Buch methodisch und in seinen Ergebnissen mit einer gewissen Distanz zu betrachten ist, ist die fundierte Erörterung des Forschungsinteresses in jedem Fall lesens- und für weiterführende Studien beachtenswert. Für die thematische Einarbeitung im Kontext der Diskussion um den islamischen Religionsunterricht in Deutschland erscheint das Buch jedoch weniger geeignet.

[1] Vgl. http://www.oegs.ac.at/cms/newsletter/oegs_newsletter_39_nr_2_2009 [25.03.2011]
Kinan Darwisch (Göttingen/Clausthal-Zellerfeld)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kinan Darwisch: Rezension von: Khorchide, Mouhanad: Der islamische Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft, Einstellungen der islamischen ReligionslehrerInnen an öffentlichen Schulen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. In: EWR 10 (2011), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.04.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353116493.html