Die zum Titel des Sammelbandes aneinander gereihten Begriffe „Medien – Macht – Gesellschaft“ eröffnen ein breites Spektrum an möglichen thematischen Zugängen, welches die neun Beiträge des 270 Druckseiten umfassenden Buches widerspiegeln. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt die Themenvielfalt und die vertretenen Autor/innen lassen differente theoretische sowie praktisch-exemplarische Zugänge vermuten, was sich im Anschluss an die Lektüre des Buches bestätigt. In der Einleitung geben die Herausgeber Johannes Fromme und Burkhard Schäffer Aufschluss darüber, dass der Sammelband aus einer interdisziplinären Ringvorlesung an der Universität Magdeburg hervorgegangen ist. Der vorliegende Band versammelt so Artikel von Autor/innen unterschiedlicher Disziplinen mit jeweils unterschiedlichen theoretischen und methodischen Zugängen. Daher wird einleitend kein gemeinsamer „theoretischen Überbau“ (7) angeboten, sondern es werden von den Herausgebern verschiedenen Medien- und Machtkonzepte thematisiert, um damit die Leser/innen für unterschiedlich disziplinäre und innerdisziplinäre Relationierungen der Begriffe Medien, Macht und Gesellschaft zu sensibilisieren. Mit den im Buch vertretenen Beiträgen wollen die Herausgeber den Blick auf Konstitution von Gesellschaft durch mediale Kommunikation lenken (vgl. 9). Auf Grund der Heterogenität der einzelnen Beiträge werden diese im Folgenden einzeln vorgestellt.
Lothar Bisky spürt aktuellen mediokratischen Entwicklungen nach (vgl. 15). Sich gegen die polaren Standpunkte der Allmacht und Ohnmacht der Medien im politischen Kontext verwehrend versucht Bisky das ambivalente Verhältnis von Medien und Politik zu fassen. Auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen aus der eigenen politischen Laufbahn zeigt er an Hand konkreter Beispiele, inwiefern die Regeln der Medien die Regeln der Politik bestimmen. Dabei spricht er Themen wie die politische Kommunikation in verschiedenen Medien und die Konsequenzen für politische Parteien an (vgl. 21), die Medienrezeption von politischen Inhalten (vgl. 22), die Problematik der Qualität und Tiefe politischer Kommunikation angesichts der Qualität der Nachrichtenproduktion (vgl. 23) sowie die Medienpolitik und ihre Herausforderungen angesichts des Digital Divides (vgl. 26). Durchgängig konstatiert Bisky eine unzureichende Kompetenz und Qualität in der politischen Medienkommunikation und spricht in diesem Zusammenhang konkrete Maßnahmen an, um diese zu befördern. Angesichts der Fülle an Überlegungen werden die jeweiligen Problem- und Forschungsfelder nur ansatzweise diskutiert.
In der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Gesellschaftsdiagnosen zeigt Rainer Winter, dass digitale Technologien in gesellschaftspolitischen Diskursen wie soziologischen Konzeptionen von Gesellschaft primär als Ursachen des sozialen Wandels gefasst werden, welche positiv oder negativ bewertete gesellschaftliche Veränderungen kausal bedingen. Entgegen diesem instrumentellen und essentialistischen Technologieverständnis fasst Winter im Anschluss an die Cultural Studies neue Medien als Artikulationsmöglichkeiten (vgl. 39), die in ihrer Ausformung abhängig von ihrer sozialen und historischen Einbettung untersucht werden müssen. Nur mittels kontextueller Analysen digitaler Praktiken können nach Winter neuartige kulturelle und gesellschaftliche Formationen sowie transformierte Möglichkeiten von Handlungsmächtigkeit („agency“) in den soziologischen Blick kommen (vgl. 42).
Ausgehend von Gesellschaftsdiagnosen der zunehmenden Individualisierung und Differenzierung argumentiert Lothar Mikos, dass insbesonders das Fernsehen dazu geeignet ist, „die Integration der sich ausdifferenzierenden Gesellschaft zu sichern“ (48) und insofern eine immer größere Bedeutung erlangt. Beim Konsum von Fernsehsendungen in Kombination mit Interaktivität werden über geteilte Bedeutungszuschreibungen und lebensweltliche Praktiken neue Formen der sozialen Einbindung hergestellt, die sich als „Formen posttraditioneller Vergemeinschaftung“ (Lash) zeigen (vgl. 47). In Mediendiskursen und Diskursen über Medien werden jedoch gleichzeitig soziale Ungleichheiten sowie Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert. Im Anschluss an die Konzeption der sozialen Felder und Distinktionen von Bourdieu erläutert Mikos an Hand der Beispiele Filmkritik und Fangruppen, dass durch den Konsum von spezifischen Medienprodukten und Diskursen in und über Medien Distinktionen hergestellt werden, wobei diese sowohl als Mittel der Abgrenzung als auch als Möglichkeit der Vergemeinschaftung gefasst werden müssen.
Im Beitrag „Die fetten Jahre sind vorbei – oder kommen sie in einer anderen Form wieder?“ fokussiert Brigitte Hipfl den gleichnamigen Film als Medienprodukt und analysiert dieses in Hinblick auf Gesellschafts- und Machtverhältnisse, die darin zum Ausdruck kommen. Den methodisch-theoretischen Rahmen ihrer Analyse bilden die Cultural Studies. An Hand der Aspekte Gemeinschaft, politisches Engagement, Form der Gesellschaftskritik und der Generationenfrage zeigt Hipfl, inwiefern im Film „gesellschaftliche Machtverhältnisse, Antagonismen und Ungleichheiten aufgegriffen und gleichzeitig Möglichkeiten der Veränderung thematisiert werden“ (74). Aufgrund der Kontrastierung dominanter gesellschaftlicher Vorstellungen durch alternative Bilder eignet sich laut Hipfl der Film besonders für die medienpädagogische Arbeit.
Winfried Marotzki nimmt Filme als audiovisuelle Thematisierungsformate traumatischer Vergangenheit in den Blick. Im Anschluss an McLuhans Überlegungen zur Wirkmächtigkeit der Formbeschaffenheit von Medien wirft er die Frage auf, wie durch formale Eigenschaften von Medien Reflexion ermöglicht werden kann und somit Involvmentstrukturen und Erinnerungsmuster als Resultate von Biographisierungsprozessen bearbeitet werden können (vgl. 77). An die strukturale Filmanalyse von Bordwell und Thomson anschließend arbeitet er am Beispiel des Films „Ararat“ (2002) drei Formelemente heraus und erläutert an Hand von Beispielen, inwiefern die formalen Elemente des Films Reflexionsoptionen eröffnen.
Werner Sesink greift in seinem Beitrag die gängige Gesellschaftsdiagnose der Auflösung tradierter und orientierender Weltbilder durch neue Medien sowie die Vorstellung auf, dass der zersetzenden Kraft von Medien mittels Bildung entgegengesteuert werden kann (vgl. 102). Bildungstheoretisch argumentiert er in der Auseinandersetzung mit Kant und Hegel, dass Bildung sowohl eine synthetische, Zusammenhang stiftende und ordnende als auch eine destruktive, zersetzende und auflösende Kraft innewohnt. Bildung stellt insofern keine Antwort respektive „rettende Intervention angesichts der Auflösungserscheinung“(102) dar, sondern ist nach Sesink selbst verstrickt in das Zerfalls- und Auflösungsgeschehen. Medien eröffnen – an den Medienbegriff von McLuhan anschließend als Bedingung menschlicher Weltverhältnisse – den Möglichkeitsraum destruktiver Zersetzung und synthetisierender Neuordnung. Insofern kann das „Feld der neuen Medien“ als „geräumter Bauplatz“ (118) begriffen werden, als Möglichkeitsraum der poietischen Nutzung von neuen Medien.
Aus medienwissenschaftlicher Perspektive diskutiert Manuela Pietraß entlang interaktionistischen Rezeptionstheorien den Zusammenhang zwischen Gestaltungsformaten und den Erlebnisweisen, die Rezipienten mit einem Gestaltungsmittel verbinden (vgl. 126). An den Beispielen von „Infotainment“ und „Edutainment“ argumentiert Pietraß, dass sich die Beurteilung, was als Information und Unterhaltung gedeutet wird, als „diskursiv ausgetragene Milieudistanzierung“ (131) zeigt, wobei sich unterschiedliche Milieus je nach Genussschema, dem präferierten Gestaltungsstil und der erwarteten subjektiven Erlebnisgratifikation unterschiedlichen Formaten zuwenden. Die Analyse der „ästhetischen Gestaltungsweise“ (134) von Fernsehformaten unter Berücksichtigung der soziokulturellen Differenzen in den Erlebnisweisen eröffnet für Pietraß einen fruchtbaren Ansatz für die mediendidaktische Gestaltung von medialen Lernmaterialien.
Inwiefern Computer nicht nur Werkzeug und Medium von Unterricht darstellen, sondern auch zum Gegenstand und Inhalt von Bildung gemacht werden können, erläutert Heidi Schelhowe im Beitrag „Das digitale Medium als Bildungsaufgabe. Überlegungen zur Macht der konkreten Bilder und zum Zugang zu den abstrakten Modellen“. Schelhowe plädiert mit Bezug auf reformpädagogische und konstruktivistische Ansätze für einen handlungsorientierten Zugang zum Bildungsgegenstand Computertechnologie und zeigt an Hand von zwei Praxisbeispielen, wie Schüler/innen an Hand von konkreten Aufgabenstellungen jene abstrakte Modelle lernen können, die hinter digitalen Technologien stehen. Im Wechselspiel zwischen Immersion und reflexiver Distanz, welche Computerprogramme aufgrund ihrer Struktur ermöglichen, sieht Schelhowe die eigentliche Bedeutung der Computertechnologie für Bildungsprozesse (vgl. 146). Von Relevanz ist für die Informatikerin Schelhowe die Frage, wie Computermaterialien gestaltet und arrangiert werden müssen, damit sich in der handelnden Auseinandersetzung mit Computertechnologie Fragen nach dem Hintergrund, Entstehungsprozessen und Wirkprinzipien der Technologie aufdrängen (vgl. 150).
Ausgehend von Ergebnissen eines qualitativen Forschungsprojekts thematisiert Burkhard Schäffer in seinem Beitrag Generations- und Machtverhältnisse, welche durch neue Medientechnologien produziert, reproduziert und aktualisiert werden. Ein empirischer Befund der Studie ist, dass im Zuge der Beschreibung und des Nachdenkens über das eigene Medienhandeln immer wieder Vergleiche mit anderen Altersgruppen angestellt werden und dabei explizite wie implizite Zuschreibungen von eigener Macht und Ohnmacht im Umgang mit Computertechnologien zum Ausdruck kommen (vgl. 157). Machtverhältnisse und -beziehungen zeigen sich auch in unterschiedlichen Modi des Umgangs mit der durch Medientechnologie ausgelösten „intergenerationellen Wissensdifferenz“ (159), die Schäffer basierend auf den Befunden des Forschungsprojekts für die ältere Generation entwickelt. Im Rückgriff auf die machttheoretischen Überlegungen von Weber, Foucault und Bourdieu zeigt Schäffer, inwiefern diese „empirisch evidenten Einschreibungen von Macht“ in generationsspezifischen Medienpraxiskulturen zu „unterschiedlichen Einschätzungen der Machtbezogenheit generationsspezifischen Medienpraxiskulturen führen“ (159). Schäffer steckt skizzenhaft die Grenzen und Perspektiven ab, die sich aus der jeweiligen machttheoretischen Position für die Analyse der Ergebnisse ergeben.
Das vorliegende Buch versammelt neun unterschiedliche Artikel, die unvermittelt nebeneinander stehen, wobei den augenfällig stärksten gemeinsamen Bezugspunkt das Nachdenken über Medien bildet. In der Auseinandersetzung mit Film und Fernsehen (Bisky, Mikos, Hipfl, Marotzki, Pietraß) sowie Computer und Internet (Bisky, Winter, Sesink, Schelhowe, Schäffer) vor dem Hintergrund des je spezifischen Forschungsinteresses geben die Autor/innen Einblick in aktuelle Forschungs- und Problemfelder der deutschsprachigen medienwissenschaftlichen und -pädagogischen Forschung. Zudem findet man verschiedene theoretische wie methodisch-praktische Anregungen zur Analyse medialer Phänomene. Insofern ist der vorliegende Sammelband eine empfehlenswerte Lektüre für einschlägig Interessierte.
Angesichts der thematischen Vielfalt und methodischen wie disziplinären Heterogenität wäre jedoch eine stärkere inhaltliche Führung für Leser/innen hilfreich gewesen. Es fehlt auch ein Fazit, das den jeweiligen Beitrag in Hinblick auf die eingangs formulierte Zielsetzung, den Blick auf die mediale Konstitution von Gesellschaft zu lenken, herausarbeitet. Die in der Einleitung seitens der Herausgeber möglicherweise geweckte Erwartung, dass sich die Autor/innen mit der Relation von Medien – Macht – Gesellschaft vor ihrem jeweiligen wissenschaftlichen Hintergrund auseinandersetzen bzw. mit ihrem Beitrag explizit verorten, wird nicht eingelöst. In dieser Hinsicht werden Leser/innen also enttäuscht. Die einzelnen Autor/innen beziehen sich hingegen unterschiedlich umfangreich auf machttheoretische Konzeptionen und weisen damit darauf hin, inwiefern Machtaspekte im Rahmen ihrer Überlegungen auch von Bedeutung sind. Mit Ausnahme der Beiträge von Winter und Mikos erfolgt auch keine Bezugnahme zu gesellschaftstheoretischen Konzeptionen.
Der vorliegende Sammelband stellt den lohnenswerten und spannenden Versuch dar, das Verhältnis von „Medien – Macht – Gesellschaft“ zu thematisieren; wiewohl nach der Lektüre der einzelnen informativen und anregenden Beiträge letztlich doch die Frage offen bleibt, was die hier versammelten Beiträge – jenseits des Ortes, an dem sie vorgetragen wurden – eint.
EWR 8 (2009), Nr. 1 (Januar/Februar)
Medien – Macht – Gesellschaft
(Medienbildung und Gesellschaft ; Bd. 4)
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007
(170 S.; ISBN 978-3-531-15301-8; 29,90 EUR)
Sabrina Schrammel (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sabrina Schrammel: Rezension von: Fromme, Johannes / Schäffer, Burkhard (Hg.): Medien - Macht - Gesellschaft, (Medienbildung und Gesellschaft ; Bd. 4). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007. In: EWR 8 (2009), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353115301.html
Sabrina Schrammel: Rezension von: Fromme, Johannes / Schäffer, Burkhard (Hg.): Medien - Macht - Gesellschaft, (Medienbildung und Gesellschaft ; Bd. 4). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007. In: EWR 8 (2009), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353115301.html