
Die in der Tat sowohl phänomenologisch als auch historisch eindrücklich weit gefasste Darstellung und Analyse der pädagogischen Zeigestruktur beginnt pointiert mit dem Fußballspiel und Pranges Verwunderung darüber, dass sich die Pädagogik in aller Regel „leicht mit dem Ball“ tue, „doch sie tut sich schwer mit dem Fußball“ (45). Um sowohl die Gründe hierfür als auch die Substanz des Fußballspiels zu erörtern, greift er zunächst auf Siegfried Bernfelds Bericht über das „Kinderheim Baumgarten“ von 1921 und dessen darin dokumentierte Anstrengung zurück, die Jungs vom Fußballspielen abzubringen. Bernfeld sei zwar – etwas burschikos formuliert – beileibe „kein spirituell-mimosenhafter Schöngeist und als Freud-Schüler frei von der Überlegenheitsgebärde gegenüber einfachen Seelen und ihren elementaren Befriedigungen“ (45) gewesen, dennoch habe auch er sich davon leiten lassen, das Fußballspiel als „Einladung zum Maßlosen und Exzessiven, zu enthemmter Leidenschaft und Mangel an Form“, letztlich zum „Mangel an Intellekt, Geist und verfeinerter Gesittung“ (ebd.) zu verstehen. Worauf nun Bernfeld sich nur widerstrebend habe einlassen können – also das Erzieherische am Fußballspiel zu akzeptieren –, erkennt Prange nun unmittelbar in eben dieser Form, die auch das Fußballspiel zuallererst charakterisiere. Nicht „irgendein zusätzlicher Zweck oder von außen applizierter Sinn“ sei nämlich hierfür nötig, denn alleine in der Form des Fußballs sei „die Freundschaft gegenwärtig; vorweggenommen im einsamen Ball-Spiel des kleinen Kindes, explizit, wenn die Großen sich den Ball zuspielen.“ (51)
Anders verhalte es sich freilich, sobald Erzieher mit im Spiel seien, also Kinder und Jugendliche nicht mehr ausschließlich selbst ihre Interaktion regulierten. Dann gelte zwar nach wie vor, was schon das Fußballspiel formalpragmatisch ausmache: dass diese Interaktion nämlich auf „Einigung“ und damit auf „etwas“ beruhe, „das wir operativ bei Gefahr des Misslingens zu verwirklichen suchen“ (80). Sobald aber „die Gebärde des Zeigens“ als die „für alle Erziehung“ geltende „Minimalbedingung“ auch explizit werde, anstatt nur logisch impliziert zu sein, werde „unter anderem eben auch Macht oder in der älteren Ausdrucksweise: Regierung“ (82) hierdurch zu einem expliziten Thema der Erziehungsinteraktion. Erst so komme für die Pädagogik die Frage nach der Verantwortung auf, denn „Eltern haben nicht nur Macht über Kinder, sondern sie sind eine Macht, eben dadurch, dass es sie gibt […]. Aber weil sie Macht sind, weil sie sich zeigen, haben die Erzieherinnen und Erzieher eine Bedeutung für die Lernenden und wirken erzieherisch“ (91). Speise sich die pädagogische Verantwortung aus der operativen Verankerung von Macht im erzieherischen Handeln selbst, so lasse sich die Frage, ob diese Macht nun mehr oder minder adäquat ausgeübt sei, daran bemessen, inwieweit es hierdurch gelinge, die Kinder bzw. Jugendlichen „zu aktivieren oder wie man früher sagte: zu ‚erregen‘“; schließlich sei das die „Aufgabe der pädagogischen Inszenierungen, und zwar so, dass immer auch mit Mitteln der Regierung die Chancen für aufmerksames Zuhören und eingehendes Hinsehen und Mitmachen gesteigert und verdichtet werden“ (92).
Dass nun eine solche Diktion auch auf Seiten des Lesers etwas zu „erregen“ vermag – nämlich ein Ressentiment –, das hängt, denke ich, kaum damit zusammen, dass Prange vielleicht etwas eilfertig an dieser Stelle über die Machtproblematik hinweg eilt. Wer wollte schon ernstlich in Abrede stellen, dass Erziehung vor allem auch das sei: Macht? Es hängt vielleicht noch nicht einmal damit zusammen, dass nach einer solchen – wie so oft bei Prange – sehr deutlich am Alltagsvokabular orientierten Passage zwar evident geworden sein mag, dass die Machtstruktur der Erziehung zugleich die pädagogische Verantwortung begründet, aber trotz des Verweises auf die Steigerung und Verdichtung der Chancen für „aufmerksames Zuhören und eingehendes Hinsehen“ (s.o.) immer noch relativ unklar bleibt, wie das nun genauer zu realisieren sei. Der Anspruch, auf diese Frage eine Antwort zu erhalten, wird ja gerade erst dadurch drängend, dass Klaus Prange auf abstrakte theoriesemantische Manöver und den mit ihnen verbundenen Distanzierungsgestus gegen das „Praxeologische“ geradezu ostentativ verzichtet. Die Ressentiments, die einen durchaus beschleichen können, scheinen viel eher mit dem von Prange gewählten und fortgeschriebenen Vokabular zusammenzuhängen, also mit seiner Diktion, die bei aller pragmatischen Deutlichkeit doch an einigen Stellen das Thema oder das behandelte Problem eher verdunkelt als erhellt.
Die Gründe hierfür deuten sich in der Wahl des Titels dieser Aufsatzsammlung bereits an und sie kommen besonders deutlich in den ersten beiden Kapiteln zum Ausdruck. Dort wird der Begriff des Handwerks in seiner Gebrauchsfunktion eingeführt, um damit zentral darauf hinzuweisen, „dass mit dem Verschwinden der Hand-Arbeit auch vieles untergegangen ist und weiter untergeht, was damit an Fertigkeiten und Haltungen einmal einher ging.“ (10) Selbst das Schreiben mit der Hand, so Prange, werde zusehends maschinell ersetzt, „so dass die Grundschullehrer es für richtig halten, allein die Druckschrift als Vorbereitung auf den Computergebrauch einzuüben.“ (ebd.) Doch in dieser zunächst technikkritisch anmutenden Betrachtungsweise ist eine normative Ebene enthalten. Prange selbst deutet das folgendermaßen an: „Handwerke hatten nicht nur einen goldenen Boden, sie waren auch der Boden für die Ausbildung zu einem bestimmten, handwerklich geprägten Arbeitsethos […]. Was Handwerk bedeutet, ist eben nicht nur eine Frage der Versorgung mit lebensdienlichen Gütern; es hat auch eine Bedeutung für das Lebensverständnis und die allgemeine Lebensführung, und das heißt: auch die Erziehung.“ (ebd.) Aber gerade hier wird deutlich, dass diese technikkritische Orientierung Pranges schon nahezu kulturkritische Züge hat, die im Verlauf des Buchs an vielen Stellen immer wieder deutlich hervortreten; dass gerade diese Ebene nun auch die Idiosynkrasien seiner Leser erregen könnte, das antizipiert freilich auch der Autor, wenn er eingesteht, ihm selbst erscheine es „abwegig, sich die Plage und Plackerei früherer Tage zurückzuwünschen und auf Waschmaschine, Hebebühne und Bagger zu verzichten“ (ebd.). Wo es ihm schon auf den kritischen Kommentar anzukommen scheint, missachtet Prange dann gewollt den Unterschied zwischen Kultur- und Gesellschaftskritik, den man da zumindest auch geltend machen könnte. Bei alledem würde es sich jedoch vorrangig um eine rhetorische Eigentümlichkeit handeln, auf die man auch bei anderen Autoren trifft und über die man hinwegsehen könnte, wenn dem nicht auch etwas sonderbare Schlussfolgerungen entsprächen. Aber es zeigt sich vielleicht auch etwas anderes daran, nämlich die Schwierigkeit, überhaupt noch ein erziehungswissenschaftlich verbindliches Vokabular für das Feld der gegenstandstheoretisch relevanten Phänomene zu finden (wofür nun allerdings Prange nichts kann), das nicht schon in verschiedenen Systemen vordefiniert ist. Doch zunächst ein Beispiel für jene Brüche in seiner Argumentation, die zwar durchaus heuristisch von Gewicht sind, die man aber hinter Pranges Rhetorik zu übersehen geneigt ist. Die Hand, so Prange, sei „durch technisches Gerät ersetzt und unsichtbar geworden: Wir stehen nur noch davor und drücken Bedienungsknöpfe, auf der Grundlage von Beschreibungen, die uns idiotensicher durch das Labyrinth der Verwendungen führen.“ (32) Wenn man dem nun spontan entgegnen will: Wie schön wäre es denn eigentlich, wenn uns Beschreibungen und Anleitungen tatsächlich „idiotensicher“ durch das Labyrinth eines technisierten Alltags führten? – dann hat das keinesfalls einen bloß satirischen Wert, sondern viel eher die Tendenz dazu, an einer sehr starken These des Autors zu kratzen, die in vielfältiger Weise dominant die einzelnen Aufsätze durchwandert.
Diese Vorbehalte nun allerdings beiseite lassend, schmälert das nicht den Gehalt seines Ansatzes, von der Hand als dem „Tastorgan par excellence“ auszugehen und in den „Zugriffen und Eingriffen […] noch etwas anderes“ zu erkennen, nämlich „eine Erfahrung, die wir mit uns selbst machen“: „Was wir anfassen, berühren und dann an uns ziehen oder abstoßen, belehrt uns über das Weiche und das Harte, Kalte und das Weiche, das Rauhe und Glatte, und vermittelt uns dadurch eine Empfindung für uns selbst“ (35; Hervorhebung i.O.). Zumal er immer wieder auf die „pädagogische Differenz“ zu sprechen kommt, dass also „Erziehen und Lernen zwei scharf zu unterscheidende Operationen“ seien, womit jedoch zugleich von „zwei Seiten“ die Rede ist, „die aufeinander abgestimmt, in Kontakt gebracht und zeitlich, thematisch und sozial koordiniert werden müssen“ (80), wird daran auch die thematische Strukturierung des Buchs deutlich: Durch die Konzentration auf die Hand wird einerseits die Leibesstruktur der Erziehung betont; andererseits soll deutlich hervorgehoben werden, dass Erziehung ein komplexes Interaktionsfeld und seine Phänomenologie nicht auf „Sozialisation“, „Lernen“ und dergleichen zu reduzieren sei. Hier kommen wir zurück zu der oben angedeuteten Frage, um die es Klaus Prange implizit zu gehen scheint: Mit welchen Begriffen sei das Phänomen ‚Erziehung‘ hinreichend zu beschreiben? Dass der Erziehungswissenschaft sowohl die Leibesstruktur als auch ein nicht-soziologisches Vokabular zu Beschreibung des Gegenstands weitgehend entrückt seien – dem „Mainstream“ entsprechen diese beiden Erkenntnisinteressen wohl nicht mehr –, ist eine treffende Feststellung dieser Schrift. Außerdem gelingt darin vielfältig der Verweis darauf, wie – exemplarisch etwa am Schulunterricht demonstriert – typisch pädagogische Ritualisierungsformen eine „Differenz von Ereigniszeit und Reflexionszeit als curriculum vitae und curriculum scholasticum“ (104; Hervorhebung i. O.) gleichsam institutionalisieren und damit der distanziert-reflektierten Handlungsdurchdringung entziehen. Schließlich kann ebenfalls betont werden, dass pädagogisches Engagement sich darin zu behaupten habe, etwas zu können; und zwar „gut [zu] können in Hinsicht auf den jeweiligen Systemzweck, sei es die Erschließung der Musik, sei es die Darstellung der Welt als Kerngeschäft des Unterrichts“ (163), was besonders anschaulich mithilfe der Fokussierung der Hand möglich ist.
Ob Prange nun im Einzelnen mit seiner wiederholt artikulierten und gegen die „Sozialwissenschaften“ gerichteten Skepsis so sehr im Recht ist oder ob er damit nicht eher polemisch viel zu eng fasst, was man sich unter den „Sozialwissenschaften“ in so verallgemeinerter Form vorzustellen habe, das sei hier einmal dahingestellt. Dass aber „Erziehung“ als Grundbegriff der akademischen Pädagogik so lange heuristisch insuffizient bleibt, wie die Kategorie nur vereinseitigend mit kindheits- und jugendsoziologischen Befunden und solchen der empirischen Sozialforschung aufgefüttert wird, verdeutlicht das Buch in einer zugleich anschaulichen Sprache, ebenso wie es Ansätze enthält, um die theoretische Reichweite einer Kategorie und den Gegenstandsbereich der Erziehungswissenschaft weiterführend zu diskutieren. Und dies kritisch zwischen Phänomenologie und pädagogischer Anthropologie auf der einen Seite und kommunikations- und interaktionstheoretischen Ansätzen auf der anderen.
[1] Vgl. Richard Sennett (2009): Handwerk. Berlin: Verlag Taschenbuch