Gleich zu Anfang soll die Leistung der HerausgeberInnen dieses Buches gewürdigt werden, denen es gelungen ist, 121 Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt für die Lektüre und besondere Form der Besprechung von 180 pädagogischen Werken zu gewinnen, deren Auswahl dem Kriterium folgte, dass in ihnen „ein bestimmtes Problem oder mehrere zentrale pädagogische Probleme auf eine besonders ursprüngliche, originelle, präzise, einsichtige, vor allem praxisrelevante Weise dargestellt und erörtert“ werden (Vorwort, XVI). Dabei wurde jedoch nicht das Ziel verfolgt, einen „verbindlichen Kanon von ‚heiligen’ Büchern festzuschreiben“ (ebd.), sondern es ging vielmehr darum, „die historische Tiefe und systematische Breite des pädagogischen Denkens und Argumentierens“ (ebd.) von der griechischen Antike bis heute auszuloten und dabei möglichst viele Länder, die bedeutendsten Denkrichtungen sowie solche Texte, „die sich an der Scheidelinie zu anderen Wissenschaften bewegen“ (Vorwort, XVIII), zu berücksichtigen.
Die Autorinnen und Autoren – unter ihnen befinden sich mit Wolfgang Brezinka, Klaus Schaller und Dietrich Benner auch drei Autoren, die besprechen, deren Hauptwerke aber auch besprochen werden – waren dazu angehalten, auf sehr eingegrenztem Raum – die einzelnen Aufsätze umfassen ca. zwei eng bedruckte Buchseiten – auf eine „penible Inhaltsangabe“ zu verzichten und stattdessen „eine möglichst eigenständige und originelle Lesart“ (Vorwort, XIX) des zu besprechenden Werkes zu geben, die beim Leser die Lust auf die Beschäftigung mit dem Original weckt, wozu unterstützend jeweils auf weiterführende Literatur am Ende einer jeden Besprechung verwiesen wird.
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie die einzelnen Autorinnen und Autoren mit diesem Freiraum umgehen und ob die Zielsetzungen der HerausgeberInnen erreicht werden. Nach der Lektüre verschiedener Stichproben aus den alphabetisch angeordneten Texten zeigt sich, dass die Inhaltsangaben in der Tat sehr knapp ausfallen, was bei demjenigen, der den Originaltext nicht kennt, viele Fragen offen lassen dürfte. Dafür werden die Texte zumeist nachvollziehbar in ihre historischen, pädagogischen und/oder philosophischen Kontexte eingeordnet, so dass man eine Vorstellung ihrer Entstehungs- und Wirkungsgeschichte erhält. Vorkenntnisse sind hier jedoch unerlässlich, was sich an zwei Beispielen verdeutlichen lässt. So dürfte demjenigen, der sich über Rousseaus „Émile“ informieren möchte, diesen aber zuvor nie in der Hand gehalten hat, nicht recht klar werden, was in den fünf Büchern eigentlich beschrieben wird und dass die Rousseauschen Vorschläge für die Erziehungspraxis höchst umstritten sind. Dafür wird seine Erziehungsphilosophie in ihrem Gesellschaftsbezug deutlich gemacht und man ahnt, dass durch diese Schrift ein neues Denken in der Pädagogik angestoßen wurde. Das andere Beispiel bezieht sich auf den „Großen Aufsatz“ von August Hermann Francke. Diese Besprechung rückt den Inhalt des Textes in den Vordergrund, erwähnt aber die Franckeschen Stiftungen als den Ort der Umsetzung der im „Großen Aufsatz“ skizzierten Ideen zur Generalreformation der Welt nur am Rande und ohne Konkretisierung, so dass erneut viele Fragen offen bleiben.
Dass es auch anders geht, zeigt hingegen die Besprechung des Buches „Schule und Jugendkultur“ von Gustav Wyneken, in der es Peter Dudek gelingt, sowohl das Buch als auch die problematische Person Wynekens kurz, aber nachvollziehbar vorzustellen. Und auch wenn hier nur drei Beispiele gegeben werden können, so deutet sich schon an, dass es sehr von der jeweiligen Autorin bzw. dem Autoren abhängt, ob der Appetit auf mehr geweckt wird.
So bleibt das Fazit, dass sich das Buch für Fachleute anbietet, die auf bequeme Art nach Anregungen für eine weiterführende eigene Beschäftigung mit pädagogischen Hauptwerken suchen, dass ein schneller und unproblematischer Zugang zu einem wichtigen pädagogischen Text bzw. einem wichtigen pädagogischen Schriftsteller aber sicher nicht über dieses Buch erfolgt. Es fragt sich also, ob es einen Nachfolger geben wird, der auch für studentische Hände gedacht ist und der die nicht weiter thematisierte Auswahl der HerausgeberInnen erweitert, denn trotz der Vielzahl an besprochenen Hauptwerken fällt es sicherlich nicht schwer, noch weitere AutorInnen zu finden, deren Schriften erwähnenswert sind.
EWR 10 (2011), Nr. 1 (Januar/Februar)
Hauptwerke der Pädagogik
Paderborn: Schöningh Verlag 2009
(483 S.; ISBN 978-3-5067-6838-4; 68,00 EUR)
RĂĽdiger Loeffelmeier (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
RĂĽdiger Loeffelmeier: Rezension von: Böhm, Winfried / Fuchs, Brigitta / Seichter, Sabine (Hg.): Hauptwerke der Pädagogik. Paderborn: Schöningh Verlag 2009. In: EWR 10 (2011), Nr. 1 (Veröffentlicht am 16.02.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978350676838.html
RĂĽdiger Loeffelmeier: Rezension von: Böhm, Winfried / Fuchs, Brigitta / Seichter, Sabine (Hg.): Hauptwerke der Pädagogik. Paderborn: Schöningh Verlag 2009. In: EWR 10 (2011), Nr. 1 (Veröffentlicht am 16.02.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978350676838.html