EWR 6 (2007), Nr. 6 (November/Dezember 2007)

Wolfgang Klafki / Karl-Heinz Braun
Wege pÀdagogischen Denkens
Ein autobiografischer und erziehungswissenschaftlicher Dialog
MĂŒnchen, Basel: Reinhardt 2007
(215 S.; ISBN 978-3-497-01946-5; 24,90 EUR)
Wege pĂ€dagogischen Denkens Wolfgang Klafki zĂ€hlt zweifellos zu den bekanntesten deutschen Erziehungswissenschaftlern der Gegenwart. Sein seit nunmehr fĂŒnf Jahrzehnten andauerndes umfassendes pĂ€dagogisches Wirken ist auf viele Bereiche bezogen und reicht von der wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Erziehungswissenschaft bis zur Analyse pĂ€dagogischer Praxis. Trotz dieser Bandbreite seiner Forschungen galt und gilt Klafkis vorrangiges Interesse der Institution Schule, fĂŒr die er u.a. die in der geisteswissenschaftlichen Tradition stehende bildungstheoretische Didaktikkonzeption zur kritisch-konstruktiven Didaktik erweitert und damit die fĂŒr die allgemeine Didaktik zentrale Kategorie „Bildung“ gerettet hat. Klafki ist ein kĂ€mpferischer Erziehungswissenschaftler, der immer wieder auch politisch Position bezogen hat und seit Jahrzehnten nachdrĂŒcklich mit einer Vielzahl von theoretisch wohlbegrĂŒndeten praktischen VorschlĂ€gen fĂŒr eine Schulreform kĂ€mpft. Dies kommt auch in diesem Buch zum Ausdruck, in dem Klafki gemeinsam mit seinem GesprĂ€chspartner und ehemaligen SchĂŒler Karl-Heinz Braun seine langjĂ€hrige Forschungs- und LehrtĂ€tigkeit rekapituliert und zugleich den Blick nach vorn wagt auf die vielen noch zu bewĂ€ltigenden erziehungstheoretischen und -praktischen Herausforderungen unserer Zeit.

Was kann man von dieser Publikation erwarten, von und mit einer so eindrucksvollen wissenschaftlichen Persönlichkeit wie Wolfgang Klafki, die auf nunmehr 426 Publikationen zurĂŒckblicken kann? Was hat Klafki uns Neues mitzuteilen, fernab seiner unermĂŒdlich vorgetragenen Thesen fĂŒr eine Neufassung des Bildungsbegriffs, fĂŒr die Notwendigkeit der Bearbeitung von SchlĂŒsselproblemen im Schulunterricht und die vielen SchulreformvorschlĂ€ge, die er in den vergangenen Jahrzehnten mit vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern entwickelt hat? – Inhaltlich bietet diese Veröffentlichung wenig Neues, wohl aber ist die Form neu und recht ungewöhnlich im positiven Sinne. Es handelt sich, wie der Untertitel verrĂ€t, um einen „autobiografischen und erziehungswissenschaftlichen Dialog“, den Karl-Heinz Braun mit Klafki fĂŒhrt, und so besteht das gesamte Buch mit Ausnahme des Vorworts und zwei ausfĂŒhrlichen tabellarischen Biografien der Dialogpartner aus Rede und Gegenrede. Dieser Dialog ist systematisch aufgegliedert in drei Teile, die der Chronologie Klafkis Lebens entsprechen und an Umfang jeweils leicht zunehmen:

I. PĂ€dagogische Erfahrung und wissenschaftliche PĂ€dagogik (48 S.)

II. Theoretische und methodische Grundlagen der kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaft (60 S.)

III. Aktuelle und perspektivische Aufgabenfelder der Schulreform (70 S.)

Im ersten Teil „PĂ€dagogische Erfahrung und wissenschaftliche PĂ€dagogik“, der in zwei grĂ¶ĂŸere Unterkapitel aufgeteilt ist, werden einzelne Stationen der ersten 43 Jahre von Klafkis Leben thematisiert. Erörtert wird zunĂ€chst grundsĂ€tzlich der reflexive Bezug auf die „eigenen biografischen Erfahrungen als dialektische Denkbewegung“ (11). Klafki schildert seine Erfahrungen als Educandus in der elterlichen Erziehung. Zu seiner Mutter hatte er laut Braun „in den ersten Lebensjahren eine besonders enge emotionale Beziehung“ (ebd.), und sein Vater wirkte nicht nur in seiner Vaterrolle ĂŒberzeugend, sondern war insgesamt ein â€žĂŒberzeugender Lehrer und Erzieher“ (Klafki, ebd.). Klafkis damalige Haltung zum Nationalsozialismus wird kurz angesprochen mit einer zurĂŒckblickenden ausfĂŒhrlichen BegrĂŒndung dafĂŒr, dass auch heutige Kinder und Jugendliche sich mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen sollten (vgl. 17ff.).

Das Thema „Aufarbeitung der Vergangenheit“ spielt im Folgenden immer wieder eine Rolle, weil das Problem der zu zögerlichen Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit dem Schrecken, der sich in Deutschland in den 1930er und 40er Jahren ereignete, auch in Klafkis weiterfĂŒhrendem akademischen Lebensgang immer wieder virulent wurde. Nach dem Krieg wandte er sich wĂ€hrend seines Erst- und Zweitstudiums an der pĂ€dagogischen Hochschule in Hannover und von 1952 bis 1957 an den UniversitĂ€ten Göttingen und Bonn der damals dominierenden Strömung der Geisteswissenschaftlichen PĂ€dagogik zu. Dazwischen war Klafki vier Jahre lang Volksschullehrer in Schaumburg-Lippe und ab 1956 Assistent zunĂ€chst bei Gustav Heckmann in Hannover und zwischen 1961 bis 1963 bei Ernst Lichtenstein in MĂŒnster. Klafki weiß erstaunlich detailgenau von markanten Punkten seiner Bildungskarriere zu berichten, beispielsweise von seiner zweiten LehramtsprĂŒfung oder seiner Promotion bei Erich Weniger in Göttingen. In diesem Kapitel erfĂ€hrt man nicht nur interessante Details ĂŒber sein damaliges VerhĂ€ltnis zu Erich Weniger, sondern auch, wie bedeutsam fĂŒr ihn in jener Zeit die dialektischen Studien Theodor Litts waren, oder dass das fĂŒr ihn damals schon bedeutsame reformpĂ€dagogische Denken an den Schulen Niedersachsens in den 1940er und 50er Jahren zumindest ansatzweise praktisch verwirklicht werden konnte. Kritisch hebt Klafki rĂŒckblickend auf diese Zeit hervor, dass die gesellschaftlichen Bedingungen von Erziehungsprozessen insgesamt noch zu wenig reflektiert wurden, obgleich dies bei Weniger und Litt durchaus schon angedacht war.

Die Geisteswissenschaftliche PĂ€dagogik wird nĂ€her betrachtet im folgenden Abschnitt, in dem ihre Theoriearchitektonik systematisch entfaltet wird von den Grundlagen der Klassiker (Wilhelm Dilthey) ĂŒber die ErlĂ€uterung ihrer Verfahrensweise (Hermeneutik) bis hin zum VerhĂ€ltnis zum Nationalsozialismus vor und nach 1945. Der letzte Abschnitt dieses ersten Teils widmet sich schließlich der Konzeption des Projekts „Funk-Kolleg Erziehungswissenschaft“ (1969-1970), das Klafki mit Mitarbeitern herausgegeben hat und wissenschaftsgeschichtlich und biografisch als ein „Dokument des Übergangs“ (57) von der Geisteswissenschaftlichen PĂ€dagogik zur kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaft betrachtet wird. Hier kommen bezogen auf das mit ĂŒber eine Millionen verkauften Exemplaren bis heute quantitativ erfolgreichste pĂ€dagogische EinfĂŒhrungswerk interessante (hochschul-)didaktische Überlegungen zur Sprache.

Im zweiten Hauptteil „Theoretische und methodische Grundlagen der kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaft“ geht es um die Zeit von 1971 bis in die 1980er Jahre. Klafki entfaltet hier seinen Ansatz der kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaft, den er weniger als eine Abwendung von der Geisteswissenschaftlichen PĂ€dagogik als vielmehr eine Erweiterung Geisteswissenschaftlicher PĂ€dagogik mit kritisch-konstruktiven Momenten versteht. Entscheidend ist zunĂ€chst die Hinwendung zur Kritischen Theorie, die Klafki bereits zu Beginn der 1960er Jahre vollzieht. Dabei rekurriert er vor allem auf den Vertreter Kritischer Theorie der zweiten Generation JĂŒrgen Habermas, gleichwohl dieser mit seiner spĂ€teren diskurstheoretischen Wende von einigen Forschern nicht mehr zur Kritischen Theorie im engeren Sinne gezĂ€hlt wird. Um eine rein philologische Aufarbeitung der Kritischen Theorie geht es Klafki indes nicht, zumal das schlechterdings nicht möglich wĂ€re, da sich diese ja selbst als ein „offenes Projekt“ (Klafki, 62) verstehe. Wie im folgenden Zitat deutlich wird, geht es Klafki vielmehr um die Frage, welche Möglichkeiten die Kritische Theorie fĂŒr die Bearbeitung bestimmter pĂ€dagogischer Fragestellungen zur VerfĂŒgung stellen kann: „Klafki:[...] Auch fĂŒr die Kritische Theorie wie fĂŒr jede andere philosophische bzw. gesellschaftsphilosophische Position gilt m. E.: Es kann nicht darum gehen, sie unabhĂ€ngig von einer Befragung unter erziehungswissenschaftlichen Gesichtspunkten und reflektierter pĂ€dagogischer Erfahrung explizit oder implizit zur neuen Basistheorie fĂŒr die PĂ€dagogik machen zu wollen, zumal sie diesen Anspruch selbst nie erhoben hat. Im ‚GesprĂ€ch‘ zwischen Erziehungswissenschaft und Kritischer Theorie stehen m. E. beide auf dem PrĂŒfstand!“ (63, Hervorhebungen im Original).

Die kritisch-konstruktive Erziehungswissenschaft wird in einen Verweisungszusammenhang gebracht mit anderen erziehungswissenschaftlichen AnsĂ€tzen wie dem polit-ökonomischen Ansatz, dem zuvor ausfĂŒhrlich behandelten hermeneutischen Ansatz sowie dem erfahrungswissenschaftlichen und dem sog. kritischen oder emanzipatorischen Ansatz. Dabei gehe es nicht, wie Klafki hervorhebt, um eine bloße „Addition von Empirie, Hermeneutik und politisch-ökonomischer Bedingungsanalyse sowie Ideologiekritik“ (65), als vielmehr um die dialektische Arbeit einer integrativ zu verstehenden Aufhebung dieser Strömungen. In das ĂŒbergreifende Konzept der kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaft gehören, wie Klafki und Braun gemeinsam herausarbeiten, demnach die politisch-ökonomische Bedingungsanalyse und Ideologiekritik (vgl. 67f.), die hermeneutische Erschließung von SinnzusammenhĂ€ngen (vgl.75f.) und selbstverstĂ€ndlich auch empirische Forschungsverfahren (vgl. 80f.). Hervorzuheben ist, dass diese theoretischen Anstrengungen fĂŒr Klafki niemals Selbstzweck waren, sondern immer dazu dienen sollten, „pĂ€dagogische Praxis umfassend aufzuklĂ€ren“ (83), womit er selbst noch einmal mit Nachdruck auf das konstruktive Element seiner erziehungstheoretischen Konzeption hinweist.

Der letzte Abschnitt des zweiten Teils dieses GesprĂ€chs widmet sich der damals populĂ€ren Methode der Handlungsforschung als Erkenntnis- und Praxisfortschritt, die am Beispiel des Marburger Grundschulprojekts erörtert wird, das Klafki mit Mitarbeitern von 1971 bis 1977 durchgefĂŒhrt hat. Damit wird wohlwollend-kritisch zurĂŒckgeschaut auf die ReformbemĂŒhungen und die konkrete Forschungspraxis kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft.

Auch wenn im Inhaltsverzeichnis dieses Buches die Jahre 1978 bis 1991 ausgespart bleiben, sind die 1980er Jahre im Dialog zwischen Klafki und Braun im zweiten Teil ebenso prĂ€sent wie zu Beginn des dritten Teils „Aktuelle und perspektivische Aufgabenfelder der Schulreform“. Dennoch liegt der Fokus hier auf Klafkis KommissionstĂ€tigkeit seit 1992. ZunĂ€chst geht es um die Arbeit in der Bremer Reformkommission von 1992 bis 1993 und der nordrhein-westfĂ€lischen Bildungskommission von 1992 bis 1995. Klafki erörtert in konzentrierter Weise die Kernelemente der Bremer Reformkommission, die Braun etwas kritischer als die ĂŒbrigen GesprĂ€chsthemen kommentiert. Nach der ErlĂ€uterung des pĂ€dagogischen Schulkonzepts der vom damaligen nordrhein-westfĂ€lischen MinisterprĂ€sident Johannes Rau ins Leben gerufenen Kommission, die die Schule als ein „Haus des Lernens“ begreift (vgl.137f.), und einer Vielzahl von konkret ausgefĂŒhrten ReformvorschlĂ€gen, die sich nicht nur auf die Ebene des Schulunterrichts, sondern auch auf schulorganisatorische Bedingungen beziehen, werden von diesen Forschungsergebnissen ausgehend abschließende Überlegungen ĂŒber die Schule der Zukunft angestellt. Mit diesem letzten Abschnitt „Über PISA hinaus: Welche Schule hat Zukunft?“ sind die GesprĂ€chspartner in der Gegenwart angelangt und es wird nun der Blick nach vorn gewagt. Dabei stehen zwei Fragekomplexe im Vordergrund: 1.) Welchen Stellenwert haben Leistungsvergleiche und Bildungsstandards im Rahmen einer nachhaltigen Schulreform? 2.) Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der bisherigen Diskussion zwischen Klafki und Braun fĂŒr eine zukunftsoffene und zukunftsfĂ€hige Schule? – WĂ€hrend der erste Fragekomplex Ă€ußerst knapp behandelt wird – Braun spricht von einem „freundlich-skeptische[n] VerhĂ€ltnis“ (162) Klafkis zu PISA –, werden im abschließenden Teil ausfĂŒhrlich „sechs Sinndimensionen“ dargestellt, die konstitutiv sind fĂŒr einen aktuellen Bildungsbegriff. Diese sind:

  1. Die Pragmatische Sinndimension

  2. Sinndimension „SchlĂŒsselprobleme der modernen Welt“

  3. Die Àsthetische Bildungsdimension

  4. „Menschheitsthemen“

  5. „Ethische Bildung“ in der Schule

  6. Bewegungsbildung.


Die grundsĂ€tzliche Fragestellung, die diesen Dimensionen zugrunde liegt, ist die nach der Möglichkeit allgemeiner Bildung fĂŒr alle in der heutigen „modernen“ Weltgesellschaft. Das heißt genauer gefragt: Welchen Beitrag kann die Schule leisten, damit ihr Klientel ein „sinnvolles, verantwortbares, reflexionsgeleitetes und genussreiches, also ein insgesamt befriedigendes und mĂŒndiges Leben fĂŒhren“ (Braun, 165) kann? Die Konturen allgemeiner Bildung werden in den abschließenden sechs Unterkapiteln den einzelnen „Sinndimensionen“ folgend erlĂ€utert und mit konkreten VorschlĂ€gen angereichert. Dieser letzte Teil verdeutlicht, dass Klafkis Forderungen zum Großteil noch immer den altbekannten Forschungsergebnissen und Schlussfolgerungen entsprechen, die man schon aus seinen „Neuen Studien zur Bildungstheorie und Didaktik“ aus den 1980er und 1990er Jahren kennt. Sie beinhalten im Wesentlichen keine neuen Aspekte, sondern werden allenfalls modifiziert und der heutigen Zeit angepasst, wenn z.B. die TerroranschlĂ€ge des 11. September 2001 in die Sinndimension der „SchlĂŒsselprobleme“ miteinbezogen werden (vgl. 169), oder der Amoklauf Robert SteinhĂ€users am Erfurter Gutenberg-Gymnasium im April 2002 zu einer der Herausforderungen der „Àsthetischen Bildungsdimension“ wird, die bezogen auf die offene Gewaltverherrlichung in Filmen und Computerspielen „Ideologiekritik“ notwendig mache (vgl. 173f.). Dass hier nichts grundsĂ€tzlich Neues vorgetragen wird, ist aber nicht notwendig als SchwĂ€che dieser Publikation zu werten, sondern verweist auf die generelle Schwierigkeit, ReformvorschlĂ€ge in konkrete Praxis zu ĂŒbersetzen. Eine StĂ€rke kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft ist eben, wie in diesem Dialog immer wieder deutlich wird, dass sie sich nicht scheut, „auch öffentliche, praxisbezogene Verantwortung“ (Klafki,159) zu ĂŒbernehmen. Trotz vieler praktischer Erfolge von Klafkis umfangreicher ReformtĂ€tigkeit, gab es immer auch RĂŒckschlĂ€ge, z.B. nur teilweise umgesetzte Reformen oder gar gescheiterte Reformversuche. Die GrĂŒnde hierfĂŒr sind aber keineswegs zu reduzieren auf falsche Analysen oder schlechte Kommissionsempfehlungen. Oft ist mangelnder Mut dafĂŒr verantwortlich und eine allgemeine Angst vor dem Scheitern – sowohl auf Seiten der Bildungspolitik als auch des pĂ€dagogischen Personals vor Ort. Deshalb vertritt Klafki gegen Ende des Dialogs m.E. völlig zu Recht die Auffassung, dass die kritisch-konstruktive Erziehungswissenschaft keineswegs als ein abgeschlossenes oder gar gescheitertes Projekt zu betrachten sei, sondern einer „Weiterentwicklung“ (192) bedĂŒrfe.

Wie die Darstellung gezeigt hat, ist dieser umfangreiche Dialog sinnvoll aufgebaut und in seiner Anlage systematisch. Nach dem ersten eher biografischen Teil und dem zweiten eher wissenschaftstheoretischen Teil werden im dritten Teil Reformfragen angesprochen, die fĂŒr eine weiter voranzubringende Demokratisierung und Humanisierung der Schule von Bedeutung sind. Dieser m.E. schlĂŒssige Aufbau macht den Dialog – gerade auch fĂŒr Nicht-Klafki-Kenner – als eine EinfĂŒhrung gut lesbar, wobei die angenehme und behutsame GesprĂ€chslenkung Karl-Heinz Brauns besonders hervorzuheben ist. Braun fĂŒhrt das GesprĂ€ch zunĂ€chst sehr zurĂŒckhaltend und greift meist nur ergĂ€nzend und kommentierend ein. Erst im dritten Teil wird sein Redeanteil grĂ¶ĂŸer und damit ein diskursiver Charakter deutlicher erkennbar. Hervorzuheben ist auch das Vermögen beider GesprĂ€chspartner, sehr systematisch und druckreif zu formulieren. Der rote Faden ist stets erkennbar und wird nie aus dem Blick verloren. An einigen Stellen gibt es aber leider einen Hang zur Übersystematisierung, der zur Folge hat, dass es dennoch ein wenig unĂŒbersichtlich wirkt. Denn beide Dialogpartner neigen nicht selten dazu, AufzĂ€hlungen mit Unterpunkten zu ergĂ€nzen, und sie scheinen sich darin geradezu ĂŒberbieten zu wollen. So wird beispielsweise im Unterkapitel 6.2 des dritten Hauptteils „Aktuelle und perspektivische Aufgabenfelder der Schulreform“ unter den drei Ebenen „Formen und schulorganisatorische Bedingungen fĂŒr die Verwirklichung der ‚Teilautonomie der Schulen‘“ (147) die „Ebene der Einzelschulen“, Ebene 1, unter Kapitel 6.2.1 abgehandelt und von Klafki wiederum in neun Punkte untergliedert, die dann einzeln noch einmal in bis zu fĂŒnf Unterpunkten unterteilt werden, so dass man spĂ€testens hier vor lauter Systematisierung jede Übersicht verloren hat. Bedauerlich ist dies vor allem deshalb, weil an solchen Stellen der dialogische Charakter als die eigentlich herausragende StĂ€rke dieses Buches ein wenig verloren geht. Denn dieser zeichnet sich doch gerade dadurch aus, dass er sich eben nicht auf eine ĂŒbertriebene akademische Systematisierung einlĂ€sst.

Zudem wĂ€re es wĂŒnschenswert gewesen, dass einige der im GesprĂ€ch aufgeworfenen Fragen weiter entfaltet und ausgefĂŒhrt worden wĂ€ren, z.B. auf S. 36, wo Klafki sein ambivalentes VerhĂ€ltnis zur ReformpĂ€dagogik ausfĂŒhren soll, aber lediglich auf JĂŒrgen Oelkers kritische Studie zur ReformpĂ€dagogik eingeht, ohne seine eigene Position zu umreißen. Hier wie auch andernorts hat man als Leser beinahe den Eindruck, dass der Dialog schlicht unterbrochen wurde, und gerade deshalb ist es bedauernswert, dass man an keiner Stelle im Buch etwas ĂŒber das Zustandekommen, den genauen Zeitpunkt und Zeitrahmen bzw. die Anzahl der einzelnen Dialogsitzungen erfĂ€hrt. Das Vorwort beleuchtet lediglich das VerhĂ€ltnis des ehemaligen SchĂŒlers Braun zu Klafki, der zwar alle akademischen PrĂŒfungen vom Vordiplom bis zur Habilitation bei ihm absolviert, aber nicht ein einziges Seminar von ihm besucht habe.

Dennoch bleibt dieses Buch empfehlenswert, besteht sein besonderer Reiz doch im dialogischen Charakter und der rĂŒckblickenden (auto-)biografischen Verortung Klafkis mit seinem pĂ€dagogischen Wirken des vergangenen halben Jahrhunderts. Damit werden nicht nur eine hervorragende EinfĂŒhrung in Klafkis Gesamtwerk geleistet und, wie der Titel verspricht, „Wege pĂ€dagogischen Denkens“ aufgezeigt, sondern zugleich ein StĂŒck pĂ€dagogischer Wissenschaftsgeschichte der zweiten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet.
Oliver Geister (MĂŒnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Oliver Geister: Rezension von: Klafki, Wolfgang / Braun, Karl-Heinz: Wege pĂ€dagogischen Denkens, Ein autobiografischer und erziehungswissenschaftlicher Dialog. MĂŒnchen, Basel: Reinhardt 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978349701946.html