Während die Bildungs- und Universitätsgeschichte über lange Zeit ohne eine Erforschung der finanziellen Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens auszukommen meinte, hat sich seit den 1990er Jahren eine Reihe von Historikern der Erforschung der Finanzierung von Schulen und Universitäten zugewandt. Angesichts der politischen Debatten um die Finanzierung eines Hochschulstudiums in der Gegenwart gerieten dabei vor allem Stipendienstiftungen in das Blickfeld der Historiker. Der vorliegende Band ordnet sich in diese Publikationswelle ein und erweitert unser Wissen über Stipendienstiftungen in den böhmischen, österreichischen und vor allem ungarischen Territorien vom 15. bis 18. Jahrhundert. Dabei geht es den Autoren vor allem um den Zusammenhang zwischen stifterischem Engagement für Bildung und Rekonfessionalisierung sowie regionaler Identitätsstiftung.
Der Band ist mit seinen zwanzig Aufsätzen in fünf Sektionen gegliedert. Die erste Sektion widmet sich zentralen und allgemeinen Betrachtungen zum Forschungsgegenstand. Aus diesem Abschnitt ist besonders der Beitrag von Jonas Flöter hervorzuheben, der die terminologischen Schwierigkeiten bei der Erforschung des privaten Anteils an der Bildungsfinanzierung herausarbeitet. In seinen Ausführungen referiert Flöter die verschiedenen Forschungstraditionen, die sich mit dem Begriff des Mäzenatentums auf der einen Seite und dem des Stiftens auf der anderen Seite identifizieren lassen. Leider wurden diese inspirierenden Gedankengänge Flöters nicht produktiv in den folgenden Aufsätzen aufgegriffen, die in kaum reflektierter Perspektive den Begriff des Mäzenatentums und in wenigen Fällen das Konzept des Stiftens verwenden. Insbesondere die für die frühe Neuzeit typische Mischlage, in der Landesherren, Kirchenbeamte und Untertanen adliger und bürgerlicher Herkunft als Stifter auftraten, fordert theoretische und terminologische Diskussionen geradezu heraus. Sollen wir die Aktivitäten von Landesherren, Adeligen und Bürgern ohne Unterschied als Stiften bezeichnen oder sollten wir zwischen staatlichem und privatem Handeln auch schon in der frühen Neuzeit unterscheiden? Und wann handelt ein Landesherr als Repräsentant des Staates und wann als Privatperson? Diese Fragen werden in dem vorliegenden Band leider nicht einmal angerissen. Insofern können von diesem Band auch nur begrenzte Impulse für die weitere begriffliche und theoretische Diskussion um das Phänomen des Stiftens ausgehen.
Die zweite und dritte Sektion ist den Reformen im Bildungswesen der habsburgischen Territorien im 16. und 17. Jahrhundert gewidmet. Der bei weitem interessanteste Beitrag dieser beiden Sektionen ist wohl der Aufsatz von Joachim Bahlcke, der sich mit den Bergeschen Stipendien beschäftigt. Dieser methodisch und theoretisch anspruchsvolle Aufsatz hat den interessanten Fall einer evangelischen Stiftung in einem katholischen Territorium - dem niederschlesischen Herzogtum Glogau - zum Gegenstand. Die im Jahre 1598 begründeten Bergeschen Stipendien halfen in den nahezu dreihundert Jahren ihrer Existenz etwa 700 Schülern und Studierenden bei der Finanzierung ihrer Ausbildung. Für den Begründer dieser Stiftung, Joachim vom Berge, war diese Einrichtung Teil einer Strategie, in der es um den Bestandsschutz des evangelischen Glaubens im Herzogtum Glogau ging. Diese Motivation überlagerte sich allerdings auch mit der familiären und wirtschaftlichen Situation des Stifters, der über keine direkten Erben verfügte. Interessant ist auch der Verweis Bahlckes, dass, obgleich es nicht gewiss sei, ob Joachim vom Berge mit seiner Stiftung politische Ziele verfolgte, die Stiftung an sich zu einem Politikum wurde, da die habsburgischen Herrscher versuchten, die Kinder des protestantischen Adels und Bürgertums davon abzuhalten, eine Ausbildung an auswärtigen protestantischen Universitäten zu erlangen. Dies traf umso mehr auf Schlesien zu, da es im 16. und 17. Jahrhundert keine eigene Landesuniversität besaß. Bahlckes Vergleich zu den landesherrlichen Stiftungen in Württemberg und Hessen (der Autor führt hier auch Sachsen an – aber hier hat es eine vergleichbare landesherrliche Stipendienanstalt nicht gegeben) verweist auf entscheidende regionale Unterschiede innerhalb des protestantischen Stiftungswesens sowie auf die strukturellen Unterschiede zwischen privaten und landesherrlichen Stiftungen. Während die landesherrlichen Stiftungen dazu gedacht waren, die Landeskinder im Lande zu halten, waren die privaten Stiftungen nicht an bestimmte Territorien gebunden und beförderten die geographische Mobilität der Stipendiaten. Es bleibt jedoch künftigen Forschungen überlassen, die Frage zu klären, inwieweit Schlesien hier etwa eine Sonderrolle einnahm. Spannend erscheint auch die Frage, ob derartige Stiftungen Auswirkungen auf die Konstruktion von protestantischen transregionalen Identitäten besaßen. Und kann man wirklich landesherrliche Stipendienanstalten gleichsetzen mit Stipendienstiftungen wie der von Joachim vom Berge errichteten Stiftung oder brauchen wir hier eine Terminologie, die klar zwischen diesen ähnlichen, aber nicht identischen historischen Phänomenen begrifflich separiert?
Die vierte und fünfte Sektion bietet verschiedene Fallstudien zu Stiftungen in Böhmen und in Ungarn. Aus den hier versammelten quellengesättigten Beiträgen ragt der außergewöhnlich anspruchsvolle und spannend geschriebene Aufsatz von Ingrid Kušniráková über die Adelskonvikte in Ungarn im 17. und 18. Jahrhundert hervor, die als Instrumente der Rekatholisierung begründet, aber später der Kontrolle des aufgeklärten Staates überstellt wurden und zur Herrschaftsdurchsetzung der Habsburger dienten. Da das Studium an den städtischen Jesuitengymnasien für eine beträchtliche Zahl der Söhne aus dem ungarischen Adel unerschwinglich war, entschlossen sich hohe Kirchenbeamte im Laufe des 17. Jahrhunderts insgesamt elf Konvikte zu gründen, die sich vor allem in den Territorien befanden, die später zur Slowakei und Kroatien wurden. Erzbischöfe und Bischöfe betätigten sich auf diesem Feld vor allem deshalb, weil sie in den Konvikten eine Rekatholisierung des mittleren und niederen ungarischen Adels betreiben wollten. Diese Konvikte zogen dann aber auch Stiftungen vor allem für Stipendien durch geistliche und weltliche Personen an.
Im 18. Jahrhundert ging die Initiative zur Konviktbegründung allerdings von geistlichen auf weltliche Stifter über. Gleichzeitig verloren die Jesuiten ihre exklusive Stellung im Betrieb dieser Konvikte. Zwei Drittel der im 18. Jahrhundert errichteten Konvikte wurden durch Piaristen, einen Orden, der sich um die Schulbildung vor allem in Böhmen, Österreich, Ungarn und Polen verdient machte, verwaltet. Besonders interessant ist die Beschreibung der staatlichen Einflussnahme durch Maria Theresia und Joseph II. auf die inneren Zustände der Konvikte. Im Jahre 1766 griff die kaiserliche Regierung in die finanziellen Verhältnisse der Konvikte ein, indem sie die Zinssätze der Stiftungskapitalien senkte und die Ausgaben für die Stipendiaten gesetzlich normierte. Diese Einschnitte waren Bestandteil der Bildungsreform, die sich auch auf Lerninhalte sowie die Einführung des obligatorischen Deutschunterrichts erstreckte. Insgesamt ging es hier um eine Modernisierung des Bildungssystems und die Durchsetzung der deutschen Sprache als Amtssprache des habsburgischen Imperiums.
Insgesamt bietet der Band eine willkommene Erweiterung unseres historischen Wissens über die Rolle von Stiftungen im Bereich des Bildungssektors, wenngleich begrifflich und theoretisch weiterhin Fragen offen bleiben. Es bleibt zu wünschen, dass diesem Band weitere Studien folgen.
EWR 11 (2012), Nr. 3 (Mai/Juni)
Schulstiftungen und Studienfinanzierung
Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern 1500-1800
(Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 58)
(Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 58)
München: Oldenbourg 2011
(406 S.; ISBN 978-3-486-70430-3; 49,80 EUR)
Thomas Adam (Arlington, Texas)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thomas Adam: Rezension von: Bahlcke, Joachim / Winkelbauer, Thomas (Hg.): Schulstiftungen und Studienfinanzierung, Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern 1500-1800 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 58). München: Oldenbourg 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978348670430.html
Thomas Adam: Rezension von: Bahlcke, Joachim / Winkelbauer, Thomas (Hg.): Schulstiftungen und Studienfinanzierung, Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern 1500-1800 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 58). München: Oldenbourg 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978348670430.html