EWR 21 (2022), Nr. 2 (April)

Krystyna Strozyk
Praxisbuch Sprachenvielfalt in der Grundschule
Mehrsprachigkeit wertschÀtzen und in Lernprozesse sinnvoll einbinden
Weinheim/Basel: Beltz 2021
(157 S.; ISBN 978-3-407-63204-3; 26,95 EUR)
Praxisbuch Sprachenvielfalt in der Grundschule Krystyna Strozyks „Praxisbuch Sprachenvielfalt in der Grundschule“ verfolgt das Ziel, PĂ€dagog*innen der Primarstufe praxisnahe Anregungen fĂŒr einen (Deutsch-)Unterricht zu bieten, in dem – vorwiegend ĂŒber den Einsatz von BilderbĂŒchern – Literacy und bildungssprachliche Kompetenzen in der Zielsprache Deutsch auf- und ausgebaut und dabei zugleich die Ressourcen des Kindes aus seiner oder seinen Erstsprache(n) wertgeschĂ€tzt und genutzt werden.
In drei einfĂŒhrenden Kapiteln wird dabei zunĂ€chst ein Überblick ĂŒber den kindlichen Spracherwerb und die kindliche Mehrsprachigkeit sowie ĂŒber verschiedene Konzepte der sprachlichen Bildung, der Mehrsprachigkeitsdidaktik und der Literacy-Förderung gegeben. Der Fokus liegt dabei auf der VerknĂŒpfung von linguistischen Basisinformationen mit konkreten didaktischen und pĂ€dagogischen Handlungsempfehlungen.

Im Anschluss daran folgen zwei umfangreiche Kapitel mit konkreten UnterrichtsentwĂŒrfen, in die Kopiervorlagen fĂŒr den Soforteinsatz in der Klasse eingearbeitet sind. Kapitel 4 bietet Unterrichtsmaterial und Unterrichtsideen fĂŒr die Auseinandersetzung mit zwei analogen BilderbĂŒchern sowie mit einer digitalen Text-Bild-Geschichte. Kapitel 5 stellt allgemeiner gehaltene ArbeitsblĂ€tter und AktivitĂ€ten mit mehrsprachigkeitsdidaktischem Anspruch vor, welche die Kinder zur Erkundung ihrer eigenen kulturell-sprachlichen IdentitĂ€t (Steckbriefe) sowie verschiedener Sprachen und Schriften einladen sollen. Skizziert wird in diesem Kapitel außerdem das multilinguale Vorleseprojekt Mulingula, an dem Strozyk selbst beteiligt war.
Im sechsten Kapitel folgen einige Literatur- und Medienempfehlungen zur mehrsprachigen Kinderliteratur. Mit dem Kauf des Bandes erwirbt man auch eine Einzellizenz fĂŒr ein seitenidentisches E-Book sowie ein Passwort fĂŒr den Download der Kopiervorlagen als separate pdf -Dateien.

Sowohl in seiner Gestaltung als auch in seiner Informations- und Materialauswahl folgt der hier besprochene Band vertrauten Vorbildern nicht nur aus dem kommerziellen, sondern auch aus dem nicht-kommerziellen Sektor. Zum letzteren gehören v.a. Open-Access-Angebote in Form von BroschĂŒren, Lehrer*innenhandreichungen, Blogs, Methoden- und Materialdatenbanken sowie Online-Praxisheften, die auf anerkannten Internetseiten von Stiftungen, UniversitĂ€ten, Forschungsstellen, Schulbehörden, Ministerien, Bundesinstituten, Ausrichtern öffentlicher Lesefestivals, Landesbildungsservern usw. veröffentlicht werden und in der Regel auf die Einhaltung fachlicher QualitĂ€tsstandards kontrolliert sind. An diesem breiten Angebot kostenfrei zugĂ€nglicher Ressourcen zum Thema Deutsch, Mehrsprachigkeit und DaZ muss Strozyks Band sich messen lassen.

Als Ergebnis eines solchen Vergleiches lĂ€sst sich zunĂ€chst festhalten, dass das Praxisbuch mit etlichen der genannten kostenfreien Ressourcen im Feld der Grundlageninformationen und der allgemeinen didaktischen und methodischen Hinweise (Kapitel 1–3) qualitativ durchaus mithalten kann. Wer das digitale Open-Access-Angebot an Handreichungen zu Deutsch, DaZ und Mehrsprachigkeit noch nicht selbststĂ€ndig ĂŒberblickt, findet in den Einleitungskapiteln des Praxisbuchs durchaus vergleichbare Informationen.

Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die in den Kapiteln 1–3 zusammengestellten Hinweise bisweilen den Eindruck einer eher willkĂŒrlichen Auswahl und unsystematischen Zusammenstellung erwecken, was gerade in einem Praxisbuch, das seinen Leser*innen einfĂŒhrend die wichtigsten GrundsĂ€tze im didaktischen Feld zeitersparend und ĂŒbersichtlich erschließen und exemplifizierend darbieten möchte, zu bedauern ist. Als Beispiel mag hier die „Tipp- und Checkliste zum konstruktiven Umgang mit Mehrsprachigkeit“ (30–32) gelten, die teils in Frageform, teils in Form von Feststellungen oder Verhaltensmaximen konzipiert ist und in anderen Passagen punktuelle ErklĂ€rungsansĂ€tze fĂŒr kulturell ungewohnte Verhaltensweisen bietet.

Zu bemĂ€ngeln ist auch, dass die einfĂŒhrenden Kapitel mit Literaturnachweisen geizen. So ist dort z.B. vom geringen Sozialprestige der Sprachen Arabisch, TĂŒrkisch und Romanes die Rede (19), ohne dass zu dieser Behauptung ein Forschungsbeleg angefĂŒhrt wĂŒrde. Besonders bedauerlich erscheint der Mangel an Literaturangaben in Abschnitt 2.3, der sich einfĂŒhrend mit dem Kernthema des Bandes, der „Didaktik der Mehrsprachigkeit“, befasst, dabei aber nahezu ganz auf Referenzen wichtiger Forschungsarbeiten verzichtet.

Die Kapitel 4–6 vermögen im Vergleich mit qualitĂ€tsgeprĂŒften deutsch- und mehrsprachigkeitsdidaktischen Materialien aus dem WWW noch weniger zu ĂŒberzeugen: So erscheint schon konkrete Auswahl der BilderbĂŒcher fĂŒr die im Praxisbuch detailliert vorgestellten ‚Literaturprojekte‘ merkwĂŒrdig unmotiviert. Versteht man die drei Werke, fĂŒr die UnterrichtsvorschlĂ€ge gemacht werden, wohlwollend als typologisch aussagekrĂ€ftige Beispiele, so vermisst man vor Beginn des jeweiligen Abschnitts zumindest systematische ErlĂ€uterungen dazu, dass und inwiefern die jeweiligen BĂ€nde als Vertreter eines bestimmten Bilderbuchtypus aufzufassen sind. Zu bedauern ist außerdem, dass zwei der drei ausgewĂ€hlten BilderbĂŒcher aus demselben Verlag stammen, in dem auch das Praxisbuch selbst publiziert wurde. Mit der Auswahl von Publikationen aus drei anderen Verlagen wĂ€re es dem Nutzerkreis möglich gewesen, neben dem Beltz-Verlag gleich von Anfang an noch drei weitere Buchverlage kennenzulernen, die mehrsprachigkeitssensibel arbeiten und Kindern kulturelle Vielfalt nahebringen wollen. FĂŒr eine erste Orientierung auf dem stetig wachsenden Markt entsprechender Publikationen wĂ€re dies eine zusĂ€tzliche wertvolle Hilfe und Anregung gewesen.

Zudem hĂ€tte eine solche Diversifizierung der ausgewĂ€hlten Publikationen auch die universelle Einsetzbarkeit der vorgestellten Methoden ĂŒberzeugend unterstrichen.
FĂŒr jene Nutzer*innen, die sich gezielt ĂŒber das aktuelle Angebot mehrsprachiger BilderbĂŒcher und elektronischer Text-Bild-Ressourcen informieren wollen, bietet das vorgestellte Praxisbuch keine zufriedenstellende Alternative zu einer digitalen Recherche: Zwar werden im sechsten Kapitel einige mehrsprachigkeitsfreundliche Bilderbuchtitel und verlage vorgestellt, doch erscheint die Auswahl ĂŒberschaubar. In dieser Hinsicht bleibt der vorliegende Band in seinem Nutzwert signifikant hinter den digitalen Datenbanken und Empfehlungslisten fĂŒr BilderbĂŒcher und allgemein fĂŒr Kinder- und Jugendliteratur zurĂŒck, die nicht nur vielfach eine grĂ¶ĂŸere Zahl und Bandbreite von Empfehlungen bieten, sondern letztere hĂ€ufig auch noch regelmĂ€ĂŸig aktualisieren. Bedauerlich ist auch, dass selbst die Verweise auf solche Internetressourcen in Strozyks Band sehr spĂ€rlich ausfallen.

Als wenig zufriedenstellend erweisen sich auch die in den Kapiteln 4 und 5 enthaltenen Kopiervorlagen. Insbesondere erscheint es bedauerlich, dass etliche der zur VervielfĂ€ltigung bereitgestellten Seiten Ă€ußerst spartanisch gestaltet sind und damit gegenĂŒber selbstgefertigten BlĂ€ttern oder anderweitig verfĂŒgbaren Vorlagen praktisch keinen Mehrwert bieten: Dies gilt nicht nur fĂŒr eine im Umriss angebotene Lupenform oder fĂŒr zwei Sprechblasensilhouetten (62–63), sondern beispielsweise auch fĂŒr die Steckbriefseiten (122–126) oder fĂŒr die drei ImpulssĂ€tze zum altbekannten Spiel „Ich packe meinen Koffer“ (99).

Nicht unproblematisch erscheint darĂŒber hinaus auch der am Ende des Bandes angefĂŒhrte „Erhebungsbogen Bildungs- und Sprachbiografie“. Zwar ist die Erfragung des (sprach-)biografischen Hintergrunds und der alltĂ€glichen Sprachennutzung bei einem neu in die Klasse kommenden Kind mit DaZ grundsĂ€tzlich wĂŒnschenswert, doch bietet der vorliegende Fragebogen dafĂŒr mitnichten ein universell einsetzbares Schema. So sollte schon die erste Frage – „Wann kam Ihr Kind nach Deutschland?“ (156) – nur dann gestellt werden, wenn klar ist, dass das Kind nicht im Land geboren wurde. Andernfalls könnte die Familie diese Frage schlimmstenfalls als Angriff auf ihre eigene biografische Verwurzelung in Deutschland missverstehen. Insgesamt vermisst man auf dem Bogen einen einleitenden Hinweis darauf, dass die angefĂŒhrten Fragen in jedem Fall an die sprachlich-kommunikativen und atmosphĂ€rischen Rahmenbedingungen des ElterngesprĂ€chs und an die individuelle Situation der betroffenen Familie anzupassen sind.

Schließlich ist anzumerken, dass in den Praxiskapiteln insgesamt kaum Differenzierungs- und Variationsanregungen fĂŒr die vorgestellten AktivitĂ€ten und Materialien angeboten werden: Wer auf der Suche nach neuen didaktischen Empfehlungen ist, die sich flexibel und individualisierend an die Vorlieben, linguistischen Kenntnisse und kommunikativen BedĂŒrfnisse ihrer je eigenen Lernendengruppe anpassen lassen, wird mit dem Band daher insgesamt wenig zufrieden sein.

Einsteiger*innen in den DaZ-Unterricht, bietet der vorliegende Band dagegen, wie bereits oben skizziert, durchaus eine vergleichsweise seriöse EinfĂŒhrung in die Materie und bequeme (erste) Hilfen fĂŒr den Unterricht: Wenn dieser Personenkreis durch Strozyks Band dazu ermuntert wird, im mehrsprachigen Klassenzimmer vom ersten Tag an auch mit literarischen Texten zu arbeiten und sich diese Vorgehensweise in weiterer Folge auch fĂŒr die kĂŒnftige selbststĂ€ndige Arbeit zu eigen zu machen, so kann man dem vorliegenden Band, ungeachtet seiner SchwĂ€chen, potenzielle positive Effekte auf die Bildungslandschaft nicht absprechen.
Misia Sophia Doms (Baden bei Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Misia Sophia Doms: Rezension von: Strozyk, Krystyna: Praxisbuch Sprachenvielfalt in der Grundschule, Mehrsprachigkeit wertschĂ€tzen und in Lernprozesse sinnvoll einbinden. Weinheim/Basel: Beltz 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.05.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978340763204-1.html