Mit dem Titel und Untertitel wird bereits aufgezeigt, dass eine erfolgreiche Klassenführung entscheidend für einen guten Unterricht ist. Es ist empirisch hinreichend belegt, dass die Klassenführung eines der wichtigsten Kriterien für einen guten Unterricht ist. Titel und Untertitel greifen ebenso die Forderung nach Führung auf, denn Lehrkräfte sind mehr als reine Wissensvermittler:innen und Agent:innen eines guten Unterrichts. In ihrem Buch, das in neun Kapiteln gegliedert ist, zeigt die Autorin eindrücklich auf, wie bei der Verwendung des Begriffes der Klassenführung das „Mehr“ (13) mitschwingen darf. Die Autorin bezieht sich auf ein empirisch getestetes Modell, das die zentralen Aspekte von Klassenführung bespricht und zusammenführt: Struktur (Kapitel 3), Kommunikation (Kapitel 4), Regulation (Kapitel 5) und Präsenz (Kapitel 8). Die Kapitel Disziplin und Unterrichtsstörungen (Kapitel 6) sowie Umgang mit Aggression und Mobbing (Kapitel 7) erweitern die Ausführungen in Kapitel 5 zur Regulation und zeigen anhand von vielfältigen best-practice-Beispielen auf, welche Maßnahmen und Interventionen eine Lehrperson ergreifen bzw. mit welchen unterrichtlichen Möglichkeiten Gewaltprävention betrieben werden kann. Das letzte Kapitel Teamentwicklung und professionelle Lerngemeinschaften (Kapitel 9) greift für Schulen auf, was in der Industrie schon länger Gültigkeit hat: das Team-Lernen ist ein Schlüsselfaktor der lernenden Organisation.
Nachfolgend werden die vier im Buch zentralen Aspekte von Klassenführung genauer erläutert.
Die Struktur und kognitive Aktivierung der Lernenden bedingen eine choreografierte Unterrichtsplanung, bei der die einzelnen Unterrichtselemente sinnvoll aufeinander aufbauen. Dafür werden verschiedene Artikulationsschemata vorgestellt, wobei es wichtig ist, dass diese nicht als „festgezurrte Raster“ (24) verstanden werden, denn die ‚fruchtbaren Momente‘ in einem Bildungsprozess im Sinne von Copei [1] werden auch von der Selbsttätigkeit der Schüler:innen getragen und können nicht bis ins kleinste Detail vorhergesagt und geplant werden. Diesen Freiraum ist den Lernenden auch in Klassengesprächen zu gewähren, die nur dann kognitiv aktivierend sind, wenn Schüler:innen eigene Fragen generieren können und von ihren Vorstellungen und Ideen ausgegangen wird. Die Lehrkraft sorgt dabei dafür, dass sich stärkere Lernende auch mal zurücknehmen, damit schwächere Lernende eine Chance haben. Im Folgenden wird auf die innere Differenzierung eingegangen und didaktische Möglichkeiten aufgezeigt, wie Lehrer:innen mit der Heterogenität umgehen können. Nach theoretischen Ausführungen schlägt die Autorin konkrete unterrichtsorganisatorische Maßnahmen, u.a. peergestütztes Lernen im Unterricht und tutorielles Lernen außerhalb des Unterrichts, vor. Streber ist absolut beizupflichten, dass in solchen inklusiven Lernumgebungen das Einzelkämpfertum ausgedient hat. Dafür fasst die Autorin verschiedene Teamteaching-Ansätze zusammen. Zum Schluss des Kapitels betont sie, dass eine strukturierende Unterrichtsgestaltung motivierendes Unterrichten ermöglicht. Sie streicht heraus, dass ein motivierender Unterricht variantenreich ist und dass Lehrkräfte motivationale Bedingungsfaktoren, wie beispielsweise die Autonomie der Lernenden beachten oder kooperative Lernmethoden anwenden sollen.
In Kapitel 4 wird veranschaulicht, dass eine gute Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schüler:innen sich positiv auf das Klassenklima auswirkt. Die Lesenden werden zunächst in die grundlegenden Aspekte der Kommunikation eingeführt, da eine Verbesserung der Kommunikation sich auf die Beziehungsebene auswirkt, sich damit aber meistens auch Probleme auf der Sachebene lösen lassen. Anschließend folgen Grundlagen zum Feedback, denn Klassenführung bedeutet in einem modernen Unterricht den umfassenden Einsatz von Feedbackmethoden. Streber betont, dass ein offenes und ehrliches gegenseitiges Feedback gelernt sein will. Sie versteht Feedback allgemein als „eine bewusste auf Daten basierende Rückmeldung an eine Person bzw. Personengruppe zu deren vorherigem Verhalten“ (58). Dabei wird klar, dass ihr Feedbackbegriff nicht nur im Zusammenhang mit Leistungen zu verstehen ist. Strebers Führungsverständnis geht davon aus, dass die Lehrkraft Verantwortung abgibt und delegiert, damit Lernende in ihren Lernprozess und Lernfortschritt eingebunden werden. Eine praktische Anleitung zum Schüler-Schüler-Feedback sowie verschiedene Feedbackformen geben wertvolle Hinweise auf eine ökonomische Umsetzung im Unterricht. Kapitel 4 schließt ab mit der Betonung des Humors als wichtige basiskommunikative Voraussetzung eines Unterrichts.
Im nächsten Kapitel greift die Autorin zu Beginn die bekannte Kritik an den Prinzipien des klassischen Verstärkungslernen auf (Schule soll ohne Bestrafung funktionieren sowie Verstärker führen zu Abhängigkeiten und rein extrinsisch motiviertem Lernen) und führt zwei Argumente auf, die für einen Einsatz von Regulation sprechen: Erstens sind Verhaltensweisen gelernt und können demnach auch wieder modifiziert und geändert werden und zweitens spielen dafür spezifische Reize eine Rolle. Dabei wird der Blick auf Umweltbedingungen gelenkt, die leicht abgeändert werden können, um erwünschte Verhaltensweisen bei Schüler:innen auszulösen; personale Merkmale sind im Gegensatz dazu viel weniger zugänglich. Die Grundidee des Verstärkungslernen ist, dass den Lernenden durch Hinweisreize mitgeteilt wird, dass bestimmtes Verhalten erwünscht und anderes unerwünscht ist. Die Komplexität des Verstärkungslernens zeigt sich jedoch an folgendem Beispiel: Begegnet eine Lehrkraft einem Schüler:innenbeitrag mit massiver Kritik, kann das dazu führen, dass diese:r Schüler:in künftig viel weniger bereit ist mitzuarbeiten. Anschließend wird mithilfe des Cognitive Apprenticeship-Ansatzes nach Collins, Brown und Newman [2] aufgezeigt, wie Schüler:innen in einem aktivierenden und selbstgesteuerten Unterricht unterstützt werden können. Vor allem die beiden Schritte ‚Coaching‘ und ‚Scaffolding‘ zeigen Verhaltenshilfen auf, die den Lernenden helfen ihr Verhalten in eine erwünschte Richtung zu lenken. Regulation kann auch über Einsicht geschehen. Nach den Ausführungen zur kognitiven Verhaltensmodifikation (Selbstkontrolle, Selbstinstruktion, Selbstattribution) werden konkrete Maßnahmen erläutert, wie Lehrkräfte und Lernende ihre automatisierten Handlungen unterbrechen können, um in schwierigen Situationen eine Überreaktion durch vorschnelles Handeln zu vermeiden. Abschließend wird festgehalten, dass eine gute Kommunikation eine adäquate Lerndisziplin möglich macht.
Für Streber ist eine wirksame Klassenführung ohne uneingeschränkte Präsenz nicht möglich. Die Präsenz einer Lehrkraft ist keine isolierte Maßnahme, sondern eine Haltung, mit der die bisher ausgeführten drei zentralen Aspekte von Klassenführung zusammengeführt werden. Wenn eine Lehrperson nicht präsent ist, läuft sie Gefahr von der Klasse geführt zu werden. Die Präsenz zeigt sich in einer physischen und gedanklichen Präsenz. Letzte braucht es für eine positive Fehlerkultur. Nach einer ausführlichen Beschreibung der Merkmale effektiver Klassenführung nach Kounin [3] gibt die Autorin in Ergänzung zum Merkmal der Allgegenwärtigkeit drei praktische Hinweise: Reagiere sofort! Antizipiere Probleme! Beobachte einen Expertenlehrer!
Dieses Buch ist eine äußerst lohnende Lektüre und bietet den Leser:innen einen praxisbezogenen Zugang zur Klassenführung. Denn erst in der Praxis zeigt sich, ob die theoretisch und empirisch ausgearbeiteten Zugänge auch konkret funktionieren.
[1] Copei, F. (1966). Der fruchtbare Moment im Bildungsprozess. Quelle & Meyer.
[2] Collins, A., Brown, J. S. & Newman, S. E. (1989). Cognitive apprenticeship: Teaching the crafts of reading, writing, and mathematics. In L. B. Resnick (Ed.), Knowing, learning, and instruction: Essays in honor of Robert Glaser (S. 453–494). Lawrence Erlbaum Associates.
[3] Kounin, J. S. (1976). Techniken der Klassenführung. Huber.
EWR 22 (2023), Nr. 1 (Januar)
Klassen erfolgreich führen
Guter Unterricht durch starke Lehrkräfte
Stuttgart: Kohlhammer 2021
(180 S.; ISBN 978-3-17-036692-3; 32,00 EUR)
Saskia Sterel (Zürich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Saskia Sterel: Rezension von: Streber, Doris: Klassen erfolgreich führen, Guter Unterricht durch starke Lehrkräfte. Stuttgart: Kohlhammer 2021. In: EWR 22 (2023), Nr. 1 (Veröffentlicht am 26.01.2023), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317036692.html
Saskia Sterel: Rezension von: Streber, Doris: Klassen erfolgreich führen, Guter Unterricht durch starke Lehrkräfte. Stuttgart: Kohlhammer 2021. In: EWR 22 (2023), Nr. 1 (Veröffentlicht am 26.01.2023), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317036692.html