Den Anlass zum Verfassen ihres Werkes über die „Allgemeine Didaktik. Ein erziehungstheoretischer Umriss“ stellte laut der Autorin die regelmäßige Durchführung einer Pflichtvorlesung „Einführung in die Allgemeine Didaktik“ dar. Das Buch soll als Begleitlektüre genutzt werden, ist aber bewusst nicht „im Stil eines Lehrbuchs“ (9-10) verfasst worden. Konzeptuell geht es der Autorin darum, „lediglich Konturen einer Allgemeinen Didaktik zu umreißen“ (10). Dieser Umriss der Allgemeinen Didaktik ist (vgl. Untertitel) dezidiert „erziehungstheoretisch eingebettet“ (ibid., Hervorhbg. i. Orig.), d.h. die Allgemeine Didaktik wird ausgehend vom systematischen Zusammenhang von Erziehung und Unterricht entwickelt.
In einigen Kapiteln ist Coriands Darstellung für Studierende an mehreren Stellen durchaus voraussetzungsreich. Ein – zugegeben einfaches – Beispiel ist die Erwähnung des didaktischen Dreiecks im Rahmen der historischen Betrachtung der Allgemeinen Didaktik, welches jedoch nicht abgebildet oder beschrieben wird. An vielen weiteren Stellen werden Verweise auf Werke von Autorinnen und Autoren gegeben – beispielweise „Lothar Klingbergs Einteilung in eine innere und äußere Seite methodischen Handeln“ (59) – deren Kenntnis sicherlich das Verständnis erleichtern würde. An einzelnen Stellen hätte man sich sogar gewünscht, dass einem die Aufgabe des Nachschlagens abgenommen wird, wenn beispielsweise Hilbert Meyers Klassifikation der Unterrichtsmethoden am Schluss des Teilkapitels 2 als eine Darstellung favorisiert – aber eben nicht dargestellt wird.
Der Umriss soll laut der Einleitung insbesondere Studierende zur kritischen Auseinandersetzung mit bildungspolitischen und pädagogischen Themen anregen. Konkrete aktuelle Fragestellungen werden jedoch nicht aufgegriffen – mit Ausnahme der Diskussion um das Verhältnis von Bildungsstandards und Differenzierung im Unterricht in Kapitel VI. So bleibt es Aufgabe der Leserinnen und Leser bzw. Lehrenden im Rahmen ihrer Veranstaltungen, das in der Einleitung formulierte Ziel umzusetzen. Dazu bietet die Autorin eine strukturierte, stark historisch orientierte Darlegung von Grundbegriffen der Didaktik, eine Auswahl von Unterrichtskonzepten und Didaktischen Modellen sowie eine Einführung in Didaktische Prinzipien mit abschließenden Schlussgedanken an. Die Darstellung ermöglicht insbesondere an den Stellen einen hohen Erkenntnisgewinn für Leserinnen und Leser, an denen auf Grundlage von umfassender Literatur ein einzelner Begriff oder eine Theorie differenziert in den Blick genommen werden. Beispielsweise wird in Kapitel II eine Vielzahl von Definitionen zum Erziehungsbegriff mithilfe von Zitaten vorgestellt, systematisiert und eine eigene, an die Zeit angepasste Definition vorgelegt. Das Kapitel II, welches eher einleitend ist, da die Struktur des Buches bzw. der nachfolgenden Kapitel in Anlehnung an Wenigers Systematik erklärt wird, beginnt mit der Definition des Begriffs (didaktische) Kompetenz mit Verweis auf Klingberg von 1990. Der Kompetenzbegriff ist ein in den letzten Jahren in der Erziehungswissenschaft im Zusammenhang mit der Lehrerbildung oder mit Standards für die Schülerinnen und Schüler häufig genutzter Begriff, der sich sowohl auf die Lehrerenden als auch die Lernenden bezieht. Vor diesem Hintergrund bietet dieses Teilkapitel die Möglichkeit, an aktuelle Begriffsverständnisse und -verwendungen anzuknüpfen.
Didaktik wird als Theorie über das Verhältnis von Lehren und Lehren verstanden. In Anlehnung an Wenigers Unterscheidung von Theorien erster, zweiter und dritter Ordnung wird dementsprechend im Kapitel IV eine Auswahl von Unterrichtskonzepten bzw. Theorien zweiten Grades (Jena-Plan, Blended Learning) vorgestellt und im Kapitel V werden allgemeindidaktische Modelle bzw. wissenschaftliche didaktische Theorien, die als Theorien dritten Grades gelten (Modell der logischen Didaktik von Herbart, Kybernetisch-informationstheoretische Didaktik nach von Cube, Bildungstheoretische Didaktik von Klafki, Konstruktivistische Ansätze) dargelegt. Letztere Zuordnung verlangt allerdings, dass man didaktische Modelle als Theorien akzeptiert, die jedoch mit Blick auf ihre empirische Überprüfbarkeit Grenzen haben und im strengen Sinn den Anspruch an Theorien meist nicht erfüllen. Durch die – zwar begründete – Auswahl, die auch im Kapitel IV durch die Vorstellung eines didaktischen Prinzips, dem der Differenzierung, fortgeführt wird, stellt sich allerdings die Frage, inwieweit das Werk tatsächlich die Möglichkeit eines umfassenden Überblicks über Allgemeine Didaktik für Studierende bietet. Zwar muss dazu erneut auf die Idee des „Umrisses“ hingewiesen werden, welcher ja bekanntlich eine vollständige oder zumindest umfängliche Darstellung nicht verlangt, aber möglicherweise dazu verleitet, auf andere Darstellungen bzw. Lehrbücher mit einer größeren Anzahl an vorgestellten Modellen und Debatten zur Allgemeinen Didaktik zurückzugreifen.
Die Allgemeine Didaktik steht als Theoriebereich der Schulpädagogik seit mehreren Jahren in der Kritik, was sich in mehrfacher Weise an ihrem „allgemeinen“ Anspruch festmacht. (i) Was ist das Allgemeine allen Unterrichts, wenn sich Unterricht doch immer nur als Fach-Unterricht realisiert, die verschiedenen Fachdidaktiken insbesondere in der Forschung expandieren und gegenwärtig an einer Allgemeinen Fachdidaktik arbeiten? (ii) Verfehlt die Allgemeine Didaktik mit ihrer Konzentration auf das organisierte Lehren und Lernen in Schulen nicht die nicht-schulischen sowie generell die außer-institutionellen (also informellen) Kontexte des Lehrens und Lernens? (iii) Wie ist es um den generellen Wissenschaftscharakter der Allgemeinen Didaktik bestellt sowie um ihre Anschlussfähigkeit an die empirische Unterrichtsforschung qualitativer und quantitativer Provenienz? Kritische Anmerkungen zur Allgemeinen Didaktik werden von der Autorin an mehreren Stellen kurz aufgegriffen, dem Vorwurf der fehlenden empirischen Tradition widerspricht sie vehement (111). Dazu ließe sich fragen, was mit „empirisch“ gemeint ist bzw. welche Methoden – früher und heute – zur Anwendung kamen bzw. kommen. Einwenden ließe sich, dass abhängig von der Wissenschaftstradition und vom zentralen Gegenstand eine Vielzahl von Vertreterinnen und Vertretern ihre Erkenntnisse durchaus nicht aus empirischen Arbeiten gewonnen haben. Das „Allgemeine“ und auch das Außerschulische wird in Teilen expliziert, wenn beispielhaft ein Lehrformat an der Universität Essen-Duisburg vorgestellt wird.
Für die Lehrerausbildung bietet das Werk einen profunden Einblick vor allem in theoretische Grundlagen der Didaktik. Aus Sicht von Lehramtsstudierenden, die in ihrem Studium regelmäßig mit Methoden und empirischen Befunden der Bildungsforschung bzw. Pädagogischen Psychologie zu Schule und Unterricht konfrontiert werden, wäre es jedoch sicherlich wünschenswert zu wissen, inwieweit einerseits die Allgemeine Didaktik darauf bezogen eine eigenständige, genuine Position aufzubauen in der Lage ist, und anderseits, an welchen Stellen die verschiedenen Anteilsdisziplinen der Bildungswissenschaften Leer- oder Problemstellen der Allgemeinen Didaktik füllen können. Auch sollte auf Widersprüche hingewiesen werden, beispielsweise bei Begriffen wie „Bildung“ oder „Kompetenz“, die von mehreren Disziplinen verwendet, jedoch in teilweise unterschiedlicher Weise verstanden werden.
Die zum Teil eher kritischen Anmerkungen sollen jedoch die Leistung der vorliegenden Arbeit nicht schmälern. Es handelt sich um eine vornehmlich historisch orientierte, fundierte und strukturierte Darstellung, die Leserinnen und Lesern mit Grundkenntnissen einen Einblick in eine Auswahl didaktischer Theorien und Grundbegriffe bietet. Die Lektüre macht bewusst, dass viele didaktische, pädagogische und erziehungswissenschaftliche Fragestellungen in der Vergangenheit bereits vielfach bewegt wurden und bis heute von Bedeutung sind.
EWR 17 (2018), Nr. 5 (September/Oktober)
Allgemeine Didaktik
Ein erziehungstheoretischer Umriss
(2. aktual. Aufl.)
(2. aktual. Aufl.)
Stuttgart: Kohlhammer 2017
(173 S.; ISBN 978-3-17-031606-5; 28,00 EUR)
Raphaela Porsch (MĂĽnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Raphaela Porsch: Rezension von: Coriand, Rotraud: Allgemeine Didaktik, Ein erziehungstheoretischer Umriss (2. aktual. Aufl.) . Stuttgart: Kohlhammer 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 5 (Veröffentlicht am 31.10.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317031606.html
Raphaela Porsch: Rezension von: Coriand, Rotraud: Allgemeine Didaktik, Ein erziehungstheoretischer Umriss (2. aktual. Aufl.) . Stuttgart: Kohlhammer 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 5 (Veröffentlicht am 31.10.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317031606.html