Das seit 2009 in 3. Auflage erschienene Buch „Gewalt und Mobbing an Schulen. Möglichkeiten der Prävention und Intervention“ versteht sich als Einführungswerk in diese Thematik und richtet sich an eine breite Leser//innenschaft: von Studierenden sozialwissenschaftlicher Fächer über Forschende in diesem Bereich bis hin zu Personen in Schulpraxis und -organisation. Das Buch ist in drei Abschnitte – eine theoretische Einführung, einen Überblick über Präventions- und Interventionsmaßnahmen sowie Perspektiven der Gewaltprävention – unterteilt, denen eine Einleitung zu aktuellen Entwicklungen und Erkenntnissen vorangestellt ist.
In der Einleitung zur vorliegenden Auflage beleuchtet Wilfried Schubarth aktuelle Mobbinghäufigkeiten, Entwicklungen im Bereich des Cybermobbings und neue Erkenntnisse zu Intervention und Prävention an Schulen vor der Folie gesellschaftlich relevant gewordener Themen wie Migration, Populismus, neue Kommunikationsformen, aber auch institutionellen Herausforderungen der Schule. In Deutschland sei nach einer rückläufigen Entwicklung von Gewalt und Mobbing in Schulen seit 2015/16 eine Trendwende sowie eine verstärkte öffentliche Thematisierung von schulischer Gewalt zu verzeichnen. Es werden vom Autor bereits einige Stellschrauben für eine Verbesserung der Situation – wie die Lehrer//innen-Schüler//innen-Beziehung, ein Ausbau des Fortbildungsangebots für Lehrpersonen, aber auch Anti-Gewaltstrategien, die mit Schulentwicklungsprozessen verschränkt sein sollten, – angesprochen. Viele dieser Punkte werden in den nachfolgenden Kapiteln noch näher ausgeführt.
In der theoretischen Einführung in das Thema Gewalt und Mobbing an Schulen (Teil I) werden die Leser/innen bei ihrem Alltagsverständnis abgeholt, das vielfach auf die mediale Berichterstattung und die öffentliche Debatte zu diesem Thema zurückzuführen ist, die von Schubarth auch entsprechend nachgezeichnet und problematisiert wird. Zentral gibt Teil I einen Überblick über theoretische Erklärungsmodelle für Aggression bzw. Gewalt und daraus abzuleitende Folgerungen für die Prävention (Kapitel 4). Die Erklärungsmodelle decken ein breites Spektrum von psychologischen Theorien (z.B. entwicklungspsychologische Ansätze, psychoanalytische Theorien) über soziologische (z.B. Anomietheorie, Selbstkontrollansatz) bis hin zu integrativen Erklärungsmodellen (z.B. sozialisationstheoretischer oder schulbezogener sozialökologischer Ansatz) ab. Dabei werden für jeden Ansatz pädagogische Implikationen aufgezeigt und Folgerungen für die schulische Präventionsarbeit gezogen. Ein weiterer Schwerpunkt in Teil I des Buches (Kapitel 5) liegt auf den empirischen Befunden zu Gewalt und Mobbing. Hier wird in einem ersten Schritt die Entwicklung der schulbezogenen Gewaltforschung nachgezeichnet und mit einem Überblick über Ausmaß, Erscheinungsformen und Ursachen von Gewalt fortgesetzt, wobei auch auf die forschungsmethodischen und ethischen Schwierigkeiten bei der Erfassung von Gewalt hingewiesen wird. Kritisch anzumerken ist die z.T. detaillierte Diskussion von Daten, die vielfach noch vor dem Jahr 2000 erhoben wurden. Auch wenn das Vorwort auf die aktuellere Datenlage Bezug nimmt, wäre für die nächste Auflage des Buches eine grundlegende Aktualisierung der angeführten Studien anzuraten.
Ebenfalls in Kapitel 5 werden Sonderformen schulischer Gewalt vorgestellt; darunter Mobbing, Amokläufe und sexuelle Gewalt. Der Autor gibt vor dem Hintergrund des international vergleichenden HBSC Surveys 2001/02 zu bedenken, dass Mobbing in deutschen Schulen überdurchschnittlich häufig vorkomme und daher „Schulen in Deutschland weniger ein Gewalt-, sondern eher ein Mobbingproblem“ (100) hätten. Teil I des Buches wird mit allgemein formulierten Konsequenzen für die Gewaltprävention abgerundet; Schubarth betont u.a. den gesellschaftlichen Erziehungsauftrag der Schule, der eine Auseinandersetzung mit Gewalt und Mobbing unabdinglich macht. Des Weiteren wird die Relevanz von nachhaltigen Konzepten und Programmen sowie die Berücksichtigung der konkreten Bedingungen in den einzelnen Schulen – im Gegensatz zu weniger effektiven punktuellen und anlassbezogen Einzelmaßnahmen – herausgestrichen.
Mit Blick auf die praktische Einsetzbarkeit des Buches im Ausbildungs- und Studienkontext werden abschließend eine Reihe an Wiederholungsfragen zu Teil I angeführt, die fast alle Unterthemen der theoretischen Hinführung aufgreifen und zur Überprüfung des eigenen Wissens und Verständnisses herangezogen werden können.
Der zweite Teil des Buches fokussiert auf Gewaltprävention und -intervention. Eingangs werden allgemeine Möglichkeiten der Prävention und Intervention auf den Ebenen der einzelnen Schüler/innen, der Klasse und der Schule vorgestellt und mit Beispielen unterlegt. Hier geht der Autor auch gesondert auf den Umgang mit Mobbing ein, wobei das vorgestellte Interventionskonzept nicht unreflektiert übernommen werden sollte. Das hier angeführte klassenöffentliche Benennen des Opfers sowie der Täter/innen (in der Beratungsstunde mit der gesamten Lerngruppe) ist vor dem Hintergrund dessen, dass die betreffenden Personen dadurch in ihren Mobbingrollen anerkannt und weiter fixiert werden, zu problematisieren. Der Fokus von Teil II (Kapitel 4) liegt anschließend auf der Beschreibung einer Reihe an schulischen Präventions- und Interventionsprogrammen, die in Deutschland zum Einsatz kommen oder auch dort entwickelt wurden. Zwei Tabellen (142-143) geben einen für die Orientierung hilfreichen Überblick über die nachfolgend behandelten Programme und klassifizieren diese nach verschiedenen Gesichtspunkten, wie z.B. nach dem Alter der adressierten Schüler/innen, der Ausrichtung (eher) auf Gewalt oder Mobbing, oder dem vorrangigen Ziel des Programms (Prävention oder Intervention). Die einzelnen Programme werden anschließend nach dem Muster Ziele und Hintergrund, Inhalt und Methoden sowie Evaluation und Gesamtbewertung (Stärken/Schwächen) präsentiert, was eine gewisse Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit gewährleistet. Dieser Darstellung spezieller Programme wird die allgemeine Frage „Was wirkt?“ (Kapitel 5) nachgestellt. Aufgrund des unzureichenden Stands der Evaluationsforschung zu Präventions- und Interventionsprogrammen in Deutschland können jedoch nur sehr allgemeine Ergebnisse angeführt werden. Der zweite Teil wird inhaltlich mit einer beispielhaften Anleitung zu einem mehrstufigen schulinternen Entwicklungsprozess zur Gewaltprävention geschlossen. Eine Reihe an Wiederholungsfragen spiegeln die in Teil II behandelten Themen wider.
Teil III des Buches kann wie ein Epilog verstanden werden, der in zehn Punkten „Anforderungen an die gegenwärtige und künftige schulische Gewaltprävention umreißt“ (229) und dabei die zentralen Thesen der vorangegangenen Kapitel zusammenfasst.
Das Ansinnen von Schubarth ein Einführungswerk zu Gewalt und Mobbing für eine breite Leser/innenschaft zu bieten, kann als erreicht betrachtet werden. Eine noch uninformierte Leser/innenschaft wird bei ihrem Alltagsverständnis abgeholt, während Leser/innen mit einem gewissen Vorverständnis dieses vertiefen können und sich für die Kommentare des Autors auf einer forschungstheoretischen Ebene interessieren werden. Einzig Forscher/innen auf dem Gebiet Gewalt und Mobbing werden den Bezug auf aktuellere Forschungsergebnisse sowie internationale Studien missen. Dieser Anspruch scheint für ein Einführungswerk aber (zu) hoch gesetzt zu sein. Hervorzuheben ist die Bezogenheit auf Entwicklungen in Deutschland. Für den restlichen deutschen Sprachraum (Österreich, Schweiz) wären vergleichbare Einführungsbücher wünschenswert, die auf die jeweiligen länderspezifischen Forschungsergebnisse und die damit verbundenen Unterschiede näher eingehen könnten. Auch für diesen Zweck kann das rezensierte Werk als gutes Beispiel dienen.
EWR 19 (2020), Nr. 3 (Juli / August)
Gewalt und Mobbing an Schulen
Möglichkeiten der Prävention und Intervention
3. Auflage
3. Auflage
Stuttgart: Kohlhammer 2018
(245 S.; ISBN 978-3-17-030878-7; 29,00 EUR)
Antonia Paljakka (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Antonia Paljakka: Rezension von: Schubarth, Wilfried: Gewalt und Mobbing an Schulen, Möglichkeiten der Prävention und Intervention 3. Auflage . Stuttgart: Kohlhammer 2018. In: EWR 19 (2020), Nr. 3 (Veröffentlicht am 02.09.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317030878.html
Antonia Paljakka: Rezension von: Schubarth, Wilfried: Gewalt und Mobbing an Schulen, Möglichkeiten der Prävention und Intervention 3. Auflage . Stuttgart: Kohlhammer 2018. In: EWR 19 (2020), Nr. 3 (Veröffentlicht am 02.09.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317030878.html