
Vor diesem Hintergrund verorten die beiden Autoren – Martin Klein, Professor für Konzepte und Theorien der Sozialen Arbeit an der Katholischen Hochschule Münster und Thomas Tenambergen, Leiter der Fachgruppe „Behinderung und Rehabilitation“ beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW – ihre dicht geschriebene, fakten- und kenntnisreiche sowie praxisnahe Publikation. Der Titel hätte allerdings präziser lauten müssen: Integrationsprojekte in Deutschland – ihr Beitrag zur beruflichen Teilhabe und eine Handreichung zur Planung und Gestaltung von Inklusionsbetrieben; denn die Schrift liefert keine umfassende Darstellung der Angebote zur beruflichen Teilhabe für Menschen mit Behinderungen, sondern soll, wie die Autoren selbst hervorheben als „Informationsgrundlage und Beratungshilfe für die Gründung von Integrationsprojekten dienen“ (14) und konzentriert sich damit auf einen kleinen, gleichwohl strategisch bedeutsamen zwischen Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) und Allgemeinem Arbeitsmarkt angesiedelten und stark expandierenden Baustein im System der beruflichen Integration/Inklusion für schwerbehinderte Menschen (Integrationsprojekte nach § 132 ff SGB IX, nach Inkrafttreten der ersten Stufe des BTHG: Inklusionsbetriebe § 215-218): in den 846 Integrationsprojekten mit 25.937 Arbeitsplätzen (Stand 2015) sind insgesamt 11.443 schwerbehinderte Menschen tarifvertraglich angestellt; zum Vergleich: in den vom Statusbericht der UN von 2015 zur Umsetzung der UN-BRK u. a. unter Inklusionsaspekten äußerst kritisch bewerteten ca. 700 WfbMs sind demgegenüber mehr als 330.000 Menschen mit Behinderungen beschäftigt.
Im ersten von insgesamt vier Kapiteln wird das Verhältnis von Inklusion und Arbeit anhand aktueller Statistiken beleuchtet. Angesichts des weiten Auseinanderklaffens zwischen Inklusionsanspruch und -wirklichkeit, werden Inklusionsbetriebe als innovatives und inklusives Unternehmenskonzept für eine möglichst auf Dauer gestellte Beschäftigung sonst nur schwer in Arbeit vermittelbarer Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung vorgestellt, die dort gemeinsam, also nicht segregiert, mit nicht behinderten Arbeitnehmern (mindestens 50%) unter Marktbedingungen Produkte und Dienstleistungen anbieten. Bezüge zu Institutionen, die Integrationsbetriebe finanziell und durch Zuweisung unterstützen (Integrationsämter; Arbeitsagenturen), zu kooperierenden Einrichtungen (wie WfbMs) und Diensten (Integrationsfachdienste) und zu Maßnahmen, die sie mit neuen fachlichen Konzepten ergänzen (wie Unterstützte Beschäftigung) werden knapp und zielführend hergestellt. Darüber hinaus werden die einschlägigen rechtlichen Grundlagen vor allem des SGB IX (das nun in der ersten Stufe in Kraft getretene BTHG befand sich zum Zeitpunkt des Erscheinens des Bandes noch in der parlamentarischen Beratung) und der Ausgleichsabgabenverordung in den praixsrelevanten Aspekten vorgestellt.
Das zweite Kapitel liefert einen knappen Überblick über die Entstehungsgeschichte von Integrationsbetrieben von den Anfängen der Selbsthilfefirmen im Kontext der Psychiatriereform über ihre rechtliche Verankerung im SGB IX bis zum aktuellen Entwicklungsstand. Hierbei werden das Spektrum von Produkten und Dienstleistungen der Integrationsbetriebe als auch Spezialisierungen bezogen auf bestimmte Zielgruppen (etwa Gehörlose oder Menschen mit Autismus-Diagnosen) abgebildet, indem jeweils zwei Integrationsprojekte pro Bundesland stichpunktartig vorgestellt werden, ohne dabei auf spezifische fachliche oder lokale Bedingungen Bezug zu nehmen. Hier wäre aus meiner Sicht weniger mehr gewesen.
Das dritte Kapitel ist als Arbeitshilfe im Sinne eines Business Plans für Integrationsbetriebe in fünf Schritten von der Geschäftsidee bis zur Umsetzung angelegt. Für die Praxis bedeutsame Aspekte der Rechtsform (Gemeinnützigkeit, Stiftungsmittel), der Rolle der Mitarbeitenden und des Betriebsklimas, der Einbindung von Kostenträgern bis hin zu Fragen der Leitung, des Coaching und der Einnahme- und Ausgabenrechnung werden mit konkreten und erfahrungsgesättigten Empfehlungen angesprochen, wobei mir hier eine didaktische und anschauliche grafische Gestaltung (z. B. Flussdiagramme) und Checklisten für die Planung fehlen.
Das vierte Kapitel diskutiert die Perspektiven für Integrationsbetriebe in Deutschland. Die Autoren sehen Integrationsprojekte bzw. Inklusionsbetriebe nicht als Rehabilitationseinrichtungen, sondern als dauerhafte Beschäftigungsorte. Integrationsbetriebe werden auch nicht als Alternative zur WfbM angesehen; die Autoren sehen hier bestenfalls eine Brückenfunktion der Integrationsbetriebe zwischen Allgemeinem Arbeitsmarkt und WfbM.
Der überwiegend praxisbezogenen Zielstellung des Buches entsprechend enthält das Literaturverzeichnis überwiegend verbandliche und ministerielle Publikationen und nur wenige wissenschaftliche Studien zur Evaluation, zu arbeitsmarktpolitischen Effekten oder zu vergleichbaren Modellen im Ausland. Im Anhang befindet sich eine nützliche, nach Bundesländern gegliederte Liste mit den Kontaktadressen aller Integrationsämter, die mit ihren Mitteln aus der Ausgleichsabgabe die Existenz der Inklusionsbetriebe in der Marktkonkurrenz absichern.
Die vorliegende, insgesamt empfehlenswerte Studie liefert einen kenntnisreichen, und praxisnahen Überblick über Konzepte, Stand und Perspektiven von Integrationsprojekten/Inklusionsbetrieben und verortet sie als einen inklusiven Baustein im System der Sicherung beruflicher Teilhabe Behinderter. Studierenden der Sonder- und der Berufspädagogik vermittelt das Buch zentrale Hintergrundinformationen, für engagierte Personen, die eine Inklusionsfirma gründen wollen, gibt es nützliche Hinweise und Anregungen. Mit Blick auf eine vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit den Problemen bei der Platzierung behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt und der Sicherung eines nachhaltigen „Stay at work“ ist die Veröffentlichung allerdings eher enttäuschend.