Der vorliegende Band geht auf eine Tagung zurück, die im September 2006 an der Universität Lausanne abgehalten wurde und den Titel trug: „Educational Systems and the Challenge of Improving Results. Explaining and Enhancing Performance and Equity“. Damit ist die Veranstaltung klar im Bereich der Outcome-Orientierung angesiedelt. Im ersten und einleitenden Kapitel sprechen die beiden Herausgeber Soguel und Jaccard eben diesen Paradigmenwechsel in der Erziehung (und der Erziehungswissenschaft) an, wenn Sie die 1980er Jahre als Dekade der entscheidenden Weichenstellung mit Blick auf die Bewegung des New Public Management identifizieren, die sich zunächst nur vereinzelt, in den 1990er Jahren dann aber international durchsetzte. Mit diesem Stichwort ist ein reiches, inzwischen allseits bekanntes Wortfeld angesprochen, in dem es vor allem darum geht, die Effizienz der Organisationen der öffentlichen Hand mit gleichen oder geringeren Ressourcen zu steigern. Mit Blick auf die Bildungssysteme ist anzuführen, dass diese Bewegung durch die internationalen Schülerleistungsvergleichsstudien unterstützt wurde – mit unterschiedlichen Folgewirkungen für die jeweiligen nationalen Bildungswesen. Schließlich nennen die Autoren als dritten Einflussfaktor die ökonomische Krise der Neunziger, die den Druck auf die Kostenersparnis der öffentlichen Hand ebenfalls erhöht hat. Obwohl die Marktorientierung eine probate Antwort auf die neuen Anforderungen zu geben schien, war doch klar, dass die Logik des privaten Sektors nicht einfach auf die öffentlichen Systeme übertragen werden konnte.
Zu den maßgeblichen Gesichtspunkten zählen die Autoren unter anderem die Unterschiedlichkeit der „stakeholder“- Interessen an Bildung und Erziehung: Eltern, Gewerkschaften, Politik sowie die Bandbreite, teilweise auch Widersprüchlichkeit der Ziele, die in der Erziehung von meritokratischen bis zu egalitären, an Verteilungsgerechtigkeit orientierten, reichen. Zudem werden zunehmend die Nebenwirkungen von Bildungsreformen auf andere Sektoren erkannt, auf Gesundheit, Arbeitsmarkt, Demokratie. Daraus ergibt sich der hohe Anspruch an die Bildungssysteme, möglichst alle Schülerinnen und Schüler zur höchsten Leistung bei möglichst niedrigen Kosten zu führen. Folglich haben eine Reihe von Ländern in den OECD-Staaten Maßnahmen ergriffen, die der Wettbewerbssteigerung, der Verantwortungsdelegation, der Verbesserung der Lehr-Lernsituation, der Bereitstellung von Ressourcen und Techniken für die Schüler und Schülerinnen bzw. deren Eltern dienen sollten. Elterliche Wahlfreiheit spielt hier eine wesentliche Rolle.
Vor diesem Hintergrund geht es in der Publikation, an der zahlreiche renommierte europäische Wissenschaftler mitgearbeitet haben, die – dem Forschungsgegenstand entsprechend – unterschiedlichen Disziplinen zuzurechnen sind. Es ist kaum überraschend, dass die dreiundzwanzig Beitragenden vor allem der (Bildungs)Ökonomie, der Bildungsverwaltung und der Soziologie entstammen.
Der Band ist in vier große Teile gegliedert. Im ersten, mit „The Changing Governance of Educational Systems“ überschriebenen, geht es um eine präzise Beschreibung der Veränderungen. Dazu liegen zwei Beiträge vor. Zunächst berichtet Christian Maroy in „The New Regulation Forms of Educational Systems in Europe: Towards a Post-bureaucratic Regime“ (13-33) über Ergebnisse aus dem europäischen Forschungsprojekt Reguleduc. Berichtet wird aus der Erfahrung von fünf europäischen Ländern: dem frankophonen Teil Belgiens, England, Frankreich, Ungarn und Portugal. Für alle Länder wurde eine grundsätzliche post-bürokratische Orientierung festgestellt, die sich nach „ Quasi-Markt Regulation“ und „Evaluativer Staat: oder Governance durch Egebnisse“ unterscheiden lassen.
Ging es in diesem Beitrag vor allem um die grundständige Bildung, so nehmen die Autoren Harry de Boer, Jürgen Enders und Uwe Schimank in „Comparing Higher Education Governance in Four European Countries“ (35-54) vor allem die Veränderungen im tertiären Sektor in den Blick. Auch diese Autoren beginnen mit einer Bestandsaufnahme dessen, worum es in der Debatte um Governance eigentlich geht. Unter Nutzung des Equalizer Modells untersuchen die Autoren die Veränderungen in ausgewählten europäischen Universitätssystemen (England, Niederlande, Österreich, Deutschland). Dies erfolgt anhand der Kriterien „regulation by the state“ (hierarchisches Modell), „stakeholder guidance“(durch Beratung und Zielvereinbarungen), „competitive pressure“ (um knappe Ressourcen, Finanzen, Anerkennung), „managerial self-governance“ (Führungsstrukturen, Zielvereinbarungen und Regulierungen), „academic self-governance“ (durch kollegiale Entscheidungen und Peer-reviews). In der Conclusio diskutieren die Autoren vergleichend den Grad des Wandels, die Ausgangspunkte, die Divergenzen (Variationen) und Konvergenzen (Ähnlichkeiten) sowie den individuellen Einfluss des akademischen Personals.
Der zweite Teil, überschrieben mit: „Performance Monitoring and Evaluation“, ist wesentlich umfangreicher als der erste. Hier sind sechs Beiträge und ein Kommentar versammelt. Der Teil wird eröffnet mit den Darlegungen Stefan Wolters zu Zweck und Grenzen von nationalem Indikator gestützten Monitoring des Bildungssystems (57-84). Ein zentrales Caveat des Indikator basierten Monitoring betrifft die Diskrepanz zwischen der realen Komplexität des Systems und der beschränkten Anzahl der Indikatoren. Zu bedenken sind des Weiteren die Beschränkungen unter denen die Auswahl der Indikatoren erfolgen: nämlich zum einen die Fragen, auf die sich das Monitoring bezieht, und zum anderen die Bestimmung der Relevanz, wobei die Kosten sowie die Berücksichtigung der Erläuterungsbedürftigkeit und Interpretationsfähigkeit der auf diese Weise erhobenen Informationen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Anhand des Schweizer Bildungsberichts werden diese Gesichtspunkte am konkreten Beispiel erläutert.
Ariane Baye und Marc Demeuse beschäftigen sich ebenfalls mit statistischen Indikatoren für Messung und Vergleich von Bildungssystemen am Beispiel von Chancengleichheit (Equity) (85-106). Dieses Beispiel greift das Bedenken Stefan Wolters am Beispiel der Chancengleichheit auf: Wie ist es möglich, statistische Indikatoren für ein derart komplexes, definitionsabhängiges und interpretierbares Phänomen zu bestimmen? Baye und Demeuse optieren klar für ein komplexes Indikatordesign, welches unterschiedliche Dimensionen aufgreift. Anhand konkreter Exempel illustrieren sie ihren Zugang und stützen die Argumentation. Sie thematisieren klar die Erkenntnis, dass die Notwendigkeit besteht, mit den theoretischen Erfordernissen und den praktischen Einschränkungen durch die verfügbaren Daten umzugehen.
Erik Hanushek diskutiert den ökonomischen Nutzen verbesserter Qualität in der Professionalität der Lehrer und Lehrerinnen (107-135). Auch er spricht die Frage nach den Grenzen und Möglichkeiten von Bildungsindikatoren an: Hanushek bespricht die sich mit der Qualität von Schule befassende Forschungsliteratur, vor allem diejenige, die nach dem Bezug zwischen Schülerleistung und Arbeitsmarkt fragt. Hier geht es um die Frage, ob eine Schulqualitätsreform Einfluss auf die individuellen Verdienste und das wirtschaftliche Wachstum hat. Für Hanushek ist dieser Zusammenhang erwiesen, wie seine Betrachtung unterschiedlicher Länderstudien verdeutlicht. Vor allem den LehrerInnen und der Qualität ihrer professionellen Bildung misst er einen zentralen Anteil an der positiven Korrelation der Beziehungen bei. Eine weitere zentrale Frage bezieht sich auf die konkreten Maßnahmen, die eine Schule veranlassen kann, um die Qualität zu verbessern.
Der Beitrag wird durch den Kommentar von George Sheldon ergänzt. Sheldon fokussiert vor allem zwei Gesichtspunkte. Der eine betrifft das Verhältnis zwischen Qualität und Quantität von Schule; der zweite die Beziehung zwischen verfügbaren Ressourcen und der kognitiven Entwicklung der Schüler und Schülerinnen. Damit ist das zentrale Thema dieses Teils nochmals verdeutlicht: Wie ist das Verhältnis zwischen Schulleistung und Schülerleistung zu bestimmen?
Justina Fischer behandelt in ihrem Beitrag die Beziehung zwischen direkter Bildung und öffentlicher Bildung in den Schweizer Kantonen (137-153) unter Nutzung der Daten von PISA 2000 und 2003. Die individuelle Schülerleistung wird als abhängige Variable genommen, und die Input Variablen werden auf den Ebenen Individuum, Klasse, Schule, Kanton gemessen. Die Daten werden unter Berücksichtigung der sozialen Herkunft, demographischer Gesichtspunkte, Typus der Schule, Lage usw., aber auch des Einflusses des Faktors „direkte Demokratie“ erhoben. Der Befund lautet mit Blick auf letzteres, dass die direkte Demokratie dazu tendiert, die Ausgaben pro SchülerIn zu senken. Der bedeutsamste Faktor ist nach ihrer Analyse die Qualität des Lehrpersonals. Dieser misst sie den größten positiven Einfluss auf die Schülerleistung zu.
Ivar Tripolini verfolgt in seinem Beitrag ein ähnliches Anliegen: Auch ihm geht es – wiederum am Schweizer Beispiel – darum zu untersuchen, welche schulischen Faktoren bei der Qualität eine Rolle spielen (155-186). In einer multivariaten Regressionsanalyse identifiziert er insbesondere die Rolle der Lehrbedingungen (das Klassenklima) als maßgeblich für die Schulqualität. Zudem stellt er eine starke Interdependenz zwischen Schulprogramm und Homogenität der Schülerpopulation bei starker kantonaler Differenz auf der Systemebene der untersuchten Schulen fest. Somit stellt sich die Frage, wie diese Befunde mit der schulischen Verpflichtung auf Chancengleichheit vereinbar sind.
Muriel Meunier stellt die grundsätzliche Frage nach der Effizienz der Schweizer Schulen (187-202) unter Nutzung eines anderen methodischen Zugangs als ihre Kollegen. Auch sie bezieht sich auf Daten aus der PISA-Studie zur Ermittlung der Effizienz der Schulen. Ihr Befund: Nur ein geringer Teil der Schweizer Schulen sind effizient und nur eine geringe Anzahl der SchülerInnen besucht eine erwiesenermaßen effiziente Schule. Zudem erkennt sie einen Zusammenhang zwischen Schulgröße und Effizienz.
Im dritten Teil, unter den drei Artikel subsumiert sind, geht es um Kostenfragen des Bildungssystems. Den Anfang macht Rosalind Levačić (205-245). Hier ist der Einfluss neuer Governancestrukturen besonders sichtbar. Die herkömmliche Finanzierung basierte in der Regel auf einer an den Ausgaben des Vorjahres orientierten Mittelweisung. Diese wird nun durch eine flexible Budgetierung ersetzt, die der Organisation mehr Gestaltungsraum lässt. Berechnungsgrundlage bildet dabei eine spezielle Formel. Diese Grundlegung wird besonders von internationalen Organisationen wie der Weltbank präferiert. Levačić bringt in ihrem Beitrag eine deutliche Präferenz fĂĽr die Finanzierung durch Globalhaushalte zum Ausdruck und sieht darin ein Instrument, um sowohl die Effizienz der Einrichtung zu steigern als auch die Chancengleichheit zu erhöhen. Diese These wird von Andrea Schenker-Wicki kritisch kommentiert. Sie sieht in der Umstellung auf das neue Instrument keine Garantie fĂĽr die angesprochenen positiven Effekte.
Torberg Falch, Marte Rønning und Bjarne Strøm (247-265) beziehen ihre Diskussion von Kostenmodellen auf die Struktur der Schule und die Zusammensetzung der Schülerschaft. In ihrer Diskussion beziehen sie sich auf ein norwegisches Modell, dass besonders auch Schülerpopulationen berücksichtigt, die Minderheiten angehören oder die besonderen Förderbedarf haben.
Der vierte und letzte Teil des Bandes stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie die Leistung und Chancengleichheit gefördert werden können. Drei Beiträge sind hier vertreten. Der erste von Ian Selwood und Adrie J. Visscher setzt sich mit der Rolle der neuen Informations- und Kommunikationstechnologie auseinander (269-288), die auf allen Ebenen wirksam werden können: auf der Ebene des Unterrichts ebenso wie auf der administrativen und managerialen. Entwicklung von und Erfahrung mit entsprechenden Systemen im Ländervergleich werden berichtet und mit der Frage nach verbesserter Effizienz und Effektivität in Verbindung gesetzt.
Die Strategien französischer Schulleiter mit Blick auf finanzielle Flexibilität und Schulautonomie werden von Yves Dutercq diskutiert (289-304). Zentrales Anliegen des Beitrags ist die Kohärenz zwischen allgemeinen Steuerungsfragen und der Schulfinanzierung. Im Mittelpunkt steht eine Betrachtung der von französischen Schulleitern entwickelten Strategien zur Erlangung eines größeren Gestaltungsspielraums zur Verfolgung schulspezifischer Ziele.
Der letzte Beitrag von Reijo Laukkanen wendet sich der finnischen Strategie bei der Erreichung einer anspruchsvollen Bildung für alle zu (305-324). Der Fall Finnland ist bei einer Erörterung der Verbesserung der Schulsysteme unter den Gesichtspunkten Steigerung der Leistungsfähigkeit und Verwirklichung von Chancengleichheit vor dem Hintergrund der PISA-Debatte, auf die sich die Beiträge beziehen, nahezu unumgänglich. So ist es nahe liegend, dass die politischen und strukturellen Ursachen für den Erfolg des finnischen Schulsystems bei den PISA-Studien nochmals rekapituliert werden.
In Fragestellung und methodischer Bearbeitung versammelt der Band den Stand der aktuellen Diskussion in der internationalen Bildungspolitik. Die nachgefragten Expertisen sind nicht in erster Linie erziehungswissenschaftliche, sondern solche, die Verwaltungsfragen und Ökonomie betreffen – unter Umständen auch die Soziologie. Methodisch nimmt die Mehrzahl der Beiträge die etablierten quantitativen Analysen auf, um durch möglichst präzise Analysen zu Aussagen zu kommen, die starke Korrelationen, wenn nicht gar Kausalzusammenhänge belegen. Die dahinter stehende Annahme ist die, durch Umsteuerung auf der Systemebene positive Wirkungen für das schulische Kerngeschehen, den Unterricht, erwirken zu können. Analoges gilt mit geringen Modifikationen auch für den tertiären Sektor. Die Komplexität der schulischen Realität wird zwar angesprochen und das damit verbundene methodische Problem auch erkannt, z.B. die Frage nach der Angemessenheit etwa von multivariaten Regressionsanalysen. Mögliche Alternativen, wie sie auch in den Wirtschaftswissenschaften diskutiert werden, werden aber nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Es scheint vor diesem Hintergrund auch kein Zufall, dass hinsichtlich des zentralen Terminus der Equity, für den ich vorliegend auf die etablierte Übersetzung „Chancengleichheit“ zurückgegriffen habe, keine definitorische Auseinandersetzung erfolgt. Diese Hinweise stellen die Verdienste des Bandes nicht in Abrede; denn sicher ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Leistungssteigerung der einzelnen Schule wie des gesamten Bildungssystem mit Aspekten, die sich auf Gleichheit beziehen, für die aktuellen Diskussion von fundamentaler Bedeutung. Es ist daher konsequent, diejenigen Länder in den Blick zu nehmen, welche die widerspruchsvolle Aufgabe erfolgreich gelöst zu haben scheinen. Die Reichweite der elaborierten quantitativen Methoden hat der Band eindrucksvoll dokumentiert. Um einige der (selbst)kritischen Fragen zu adressieren wäre zu überlegen, ob nicht auch stärker die Kontextfaktoren einzubeziehen und die Anstrengung zur Entwicklung komplexer Vergleichsdesigns fortzusetzen wären.
Insgesamt vereint der Band auf gelungene Weise den state of the art der Methodendiskussion und zentrale Themen der Bildungsgestaltung in der „post PISA Ära“. Der multidisziplinäre Zugang eröffnet ein facettenreiches Tableau. Der Band kann auf vielen Ebenen gelesen werden. Am ertragreichsten ist er jedoch zweifellos für diejenigen, die Kenntnis von den in der Mehrheit der Beiträge zur Anwendung kommenden Methoden haben. Er illustriert damit eindrücklich, wie wichtig eine fundierte Methodenausbildung auch und gerade für Erziehungswissenschaftler und -innen sowie Pädagogen und Pädagoginnen ist.
EWR 7 (2008), Nr. 2 (März/April)
Governance and Performance of Education Systems
Dortrecht: Springer 2008
(330 S.; ISBN 978-1-4020-6445-6; 129,00 USD)
Karin Amos (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karin Amos: Rezension von: Soguel, Nils C. / Jaccard, Pierre (Hg.): Governance and Performance of Education Systems. Dortrecht: Springer 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978140206445.html
Karin Amos: Rezension von: Soguel, Nils C. / Jaccard, Pierre (Hg.): Governance and Performance of Education Systems. Dortrecht: Springer 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978140206445.html