EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)

Uwe Schmidt
Lehrer im Gleichschritt
Der Nationalsozialistische Lehrerbund Hamburg
Hamburg: Hamburg University Press 2006
(114 S.; ISBN 3-937816-26-7; 14,50 EUR)
Der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) war eine typisch nationalsozialistische Massenorganisation: Gegründet 1927 von dem Volksschullehrer Hans Schemm, organisierte er etwa 300.000 Lehrer, was einem Organisationsgrad von ca. 97% entsprach. Seine Ziele im totalitären Führerstaat sah er darin, als quasi berufsständische Organisation die Lehrerschaft zunächst organisatorisch zu erfassen, sie dann aber auch genau wie die Schulerziehung nationalsozialistisch zu durchdringen.

Diese letztlich anmaßende Zielsetzung erklärt paradoxerweise sowohl die Unüberschaubarkeit der zum NSLB erschienenen Forschungsliteratur als auch ihre Defizite: Gemäß seinen weitgehenden Ansprüchen war der NSLB nämlich auf nahezu jedem Gebiet des nationalsozialistischen Erziehungswesens aktiv, und entsprechend wird in der Forschungsliteratur zu nahezu jedem Bereich der NS-Erziehung auch der NSLB thematisiert. Genau dies aber erschwert seine Erforschung und seine angemessene Beurteilung.

Nachdem sich die Forschung in den 1970er und 80er Jahren vor allem für die Gleichschaltung der Lehrerverbände der Weimarer Republik durch den NSLB zwischen 1932 und 1935 interessierte, rückte seit den 90er Jahren zunehmend seine Arbeit in einzelnen Schulformen und Schulfächern sowie seine Arbeit in den Regionen in Untersuchungen zum Schulalltag, Schultypen oder der Lehrerschaft in den Blickpunkt. Dennoch sind Arbeiten zu der Organisation des NSLB in den Regionen (Gauen) sowie zur genauen Form seiner die Schule und die Lehrerschaft pädagogisch durchdringenden Arbeit Mangelware. Das Wissen um die konkrete pädagogische Arbeit des NSLB ist bisher gering, nach wie vor interessiert die Frage: Wie versuchte der NSLB die Schule nationalsozialistisch zu ‚überformen’? Aber auch das Verhältnis von Reformpädagogik und nationalsozialistischer Erziehung und damit die Frage nach der Kontinuität zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus ist bisher nicht abschließend beantwortet worden.

Vor diesem Hintergrund legt Uwe Schmidt eine auf den ersten Blick beachtenswerte und interessante Untersuchung über „Lehrer im Gleichschritt: Der Nationalsozialistische Lehrerbund Hamburg“ vor. Schmidt hat für seine Untersuchung eine ansehnliche Zahl von gedruckten Quellen sowie Archivalien aus dem Staatsarchiv Hamburg, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, dem Bundesarchiv in Berlin sowie einzelnen Schularchiven Hamburger Schulen herangezogen, so dass seine Darstellung von den Quellen her gut abgesichert ist.

Schmidts Forschungsinteresse wird in der Vorbemerkung (7ff.) deutlich, die Zielrichtung des Bandes ist die bereits im Titel angedeutete politische Perspektive von „Ideologisierung und Militarisierung des Verbandslebens“ (8) und weniger die pädagogische Arbeit des NSLB, die er für dessen Arbeit im Gau als nachrangig einschätzt. Sein Interesse gilt vor allem der Frage, „auf welchem Wege sich die Gleichschaltung und Auflösung der bestehenden Lehrerorganisationen im Machtkampf der regionalen nationalsozialistischen Potentaten untereinander vollzogen hat“ (9). Damit liegt der Untersuchungsschwerpunkt deutlich auf der machtpolitischen Perspektive der Verbandsarbeit bis etwa 1935/1936 und weniger auf dem nach 1936 von der Verbandsspitze herausgestellten Ziel der inhaltlichen Nazifizierung von Schule und Lehrerschaft.

Der mit 114 Seiten eher knapp bemessene Band beschäftigt sich dem entsprechend in den eher als Einzelbetrachtungen und weniger historisch-systematisch oder chronologisch angelegten 15 Kapiteln vorwiegend mit der Entwicklung des NSLB in Hamburg bis 1933 und der Gleichschaltungsphase: 10 der 15 Kapitel (11-72) behandeln ausschließlich die Jahre bis 1935. In ihnen wird sehr genau die Geschichte des NSLB-Hamburg seit seiner Gründung im Jahre 1931 geschildert. Danach trat er zunächst wenig und mit eher vagen schulpolitischen Konzeptionen in Erscheinung, und auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war er mehr mit sich selbst beschäftigt; denn als der Hamburger NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann am 10.03.1933 Wilhelm Schulz zum NSLB-Gauwalter ernannte, führte dies zu einem Machtkampf mit dem bisherigen Gauwalter Hinrich von der Lieth, was natürlich die Wahrnehmung des NSLB in der Öffentlichkeit beeinträchtigte: „Bis zu diesem Zeitpunkt war also die Formel ‚NSLB’ auf Hamburger Ebene alles andere als eindeutig“ (34).

Schmidt schildert sodann die Gleichschaltung der Hamburger Lehrerverbände, vor allem der „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ als dem Verband vor allem der Volksschullehrer (Kapitel 4), des Hamburger Philologenvereins (Kapitel 5) sowie des ADLV (Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins; Kapitel 6). Diese Entwicklung und Vereinnahmung dauerte bis in den Herbst 1935, und die detailliert nachgezeichnete Gleichschaltungsgeschichte der Hamburger Lehrerverbände ist zunächst einmal verdienstvoll. Allerdings unterbleibt hier der Vergleich bzw. die Spiegelung mit anderen Regionalstudien zum NSLB, was auch daran liegen mag, dass sich für Hamburg keine signifikant anderen Aussagen als für andere Regionen treffen lassen.

In den letzten fünf Kapiteln werden dann einzelne Aspekte der NSLB-Arbeit bearbeitet, deren Themen offenbar mehr den verfügbaren Quellen denn einem systematischen Erkenntnisinteresse geschuldet sind: die Einbettung des Hamburger NSLB in die Organisation der NSDAP (Kapitel 11), seine Schulungstätigkeit (Kapitel 12), das Verhältnis von Reformpädagogik bzw. -tradition zum Nationalsozialismus (Kapitel 13-14, 91-97) sowie die „Endphase des NSLB-Hamburg“ (Kapitel 15, 99-104). Diese Kapitel fallen deutlich kürzer und damit auch dürftiger als die bereits vorgestellten aus, womit die Geschichte des Hamburger NSLB in den Jahren 1936 bis zu seiner Stilllegung 1943 deutlich unterrepräsentiert und unterbelichtet bleibt.

Schmidt bleibt auch in diesen Kapiteln zur Lagerschulung und zum Verhältnis von Reformpädagogik und Nationalsozialismus seiner generellen Einschätzung und Interpretationslinie treu, nämlich dass die Arbeit des Hamburger NSLB vor allem unter dem Fokus der Indoktrination, Herrschaftssicherung und Vereinnahmung zu betrachten sei. So spricht er im Zusammenhang der „Usurpierung der Hamburger Schulreformtradition durch den NSLB“ (Kapitel 13, 91ff.) von einem „diametralen Gegensatz“ der Hamburger Schulreformtradition „zum Menschenbild und zu den Erziehungsauffassungen des Nationalsozialismus“. Auch bezogen auf die „reformpädagogischen Überzeugungen des NSLB-Führers Wilhelm Schulz“ (Kapitel 14, 95ff.) konstatiert Schmidt „elementare Widersprüche“ zwischen dem „kollektivistische[n] Menschenbild des Nationalsozialismus“ und dem „humanistischen Menschenbild“ der Reformpädagogik, ohne aber diesen Widersprüchen nachzugehen. Damit bleibt er insbesondere hinter neueren Veröffentlichungen zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Reformpädagogik zurück [1], die genau solche Kontinuitäten, Brüche und Ambivalenzen untersuchen und deren Ergebnisse zeigen, dass ein Verständnis der nationalsozialistischen Pädagogik ohne eine genaue Untersuchung oftmals nicht möglich ist. Denn gerade die Ambivalenz von Pädagogen und die zumindest methodische Indienstnahme reformpädagogischer Traditionen lassen oftmals die Attraktivität des Nationalsozialismus nachvollziehbar werden: Es kann mittlerweile kaum noch bestritten werden, dass der Nationalsozialismus mit seinen zum Teil aus der Weimarer Republik überkommenen und übernommenen Traditionen von Erlebnis- und Gemeinschaftserziehung durchaus in der Lage war, zumindest punktuell sowohl die Lehrer- als auch Schülerschaft zu erreichen. Die Chance, diesen Fragen auf regionaler Ebene insbesondere auch an Hand von Schulakten und anderen, oftmals zu wenig systematisch untersuchten Quellengattungen wie z.B. Nachlässen nachzugehen, nutzt Schmidt leider nicht. Die Möglichkeiten einer Aufarbeitung benannter Forschungslücken, die gerade die Stärke einer lokalen Betrachtungsweise sein könnte, werden somit nicht genutzt.

Dieser Überblick über den Inhalt des Bandes macht deutlich: Von einer systematischen Aufarbeitung der Tätigkeit des NSLB im Gau Hamburg ist diese Publikation weit entfernt: Schwerpunkt ist die Untersuchung der Gleichschaltung, während die konkrete Arbeit des NSLB nach 1935 und insbesondere unter Kriegsbedingungen bis zu seiner Stilllegung 1943 kaum thematisiert werden. Ein Großteil des Buches behandelt die machtpolitische Perspektive der Gleichschaltungsphase, damit bleibt das Erkenntnisinteresse eher den Forschungsfragen der 70er und 80er Jahre verhaftet Die präsentierten Erkenntnisse zur Gleichschaltung der Hamburger Lehrerschaft durch den NSLB sind dennoch löblich, aus Hamburger Perspektive ist die Rekonstruktion der Gründungs- und Konsolidierungsphase hilfreich, allerdings für einen nicht so sehr an der Hamburger als vielmehr an der allgemeinen NS-Geschichte Interessierten weniger spannend, da sie die Entwicklung in anderen Gauen eher belegen denn differenzieren. Die genaue und alltagsnahe Rekonstruktion der Arbeit des NSLB auf lokaler Ebene unterbleibt, leider.


[1] Vgl.: Link, Jörg-Werner (1999): Reformpädagogik zwischen Weimar, Weltkrieg und Wirtschaftswunder. Pädagogische Ambivalenzen des Landschulreformers Wilhelm Kircher (1898-1968). Hildesheim: Lax Verlag.
Andreas Kraas (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas Kraas: Rezension von: Schmidt, Uwe: Lehrer im Gleichschritt, Der Nationalsozialistische Lehrerbund Hamburg. Hamburg: Hamburg University Press 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/93781626.html